Verwaltungsrecht

Erfolgloser Eilrechtsschutz einer Staatsangehörigen aus Sierra-Leone gegen eine bestandskräftige Abschiebungsanordnung nach Spanien

Aktenzeichen  RN 14 E 18.50544

Datum:
20.8.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 19476
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Regensburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 123
VwVfG § 51
Dublin III-VO Art. 12 Abs. 2 S. 2, Abs. 4, § 29 Abs. 2
AsylG § 34a Abs. 1 S. 1

 

Leitsatz

1. Vorläufiger Rechtsschutz gegen eine bestandskräftige Abschiebungsanordnung wegen nachträglicher Veränderung der Sach- od. Rechtslage ist gem. § 123 VwGO statthaft, weil in der Hauptsache eine Verpflichtungsklage mit dem Ziel, ein Wiederaufgreifen des Verwaltungsverfahrens zu verzwingen, statthaft ist. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ein Asylbewerber ist bereits dann „flüchtig“, wenn er sich seiner Überstellung durch sein Nichterscheinen entzieht, weil insoweit nicht der Mitgliedstaat, sondern der Asylbewerber den Ablauf der Frist zu vertreten hat. (Rn. 25 – 26) (redaktioneller Leitsatz)
3. Eine Abschiebungsanordnung darf nur erfolgen, wenn die Abschiebung rechtlich und tatsächlich möglich ist, somit auch keine Duldungsgründe vorliegen.   (Rn. 27) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Kosten des Verfahrens hat die Antragstellerin zu tragen.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

I.
Die Antragstellerin wendet sich im Wege des Eilrechtsschutzes nach § 123 VwGO gegen die Vollziehung einer Abschiebungsanordnung in einem bestandskräftigen Bescheid des Bundesamts für … (im Folgenden: Bundesamt) durch die Zentrale Ausländerbehörde (ZAB) Schwaben.
Die am … 1989 geborene Antragstellerin, eine sierra-leonische Staatsangehörige, stellte am 22.6.2017 einen Asylantrag. Da es sich im Verlauf des Asylverfahrens herausstellte, dass Spanien nach der Dublin-III-VO (Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.6.2013, ABl. L 180 vom 29.6.2013, S. 31 ff.) für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist und die spanischen Behörden dies auch akzeptierten, lehnte das Bundesamt den Asylantrag mit Bescheid vom 18.7.2017 als unzulässig ab (Ziffer 1). Es stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Ziffer 2) und ordnete die Abschiebung nach Spanien an (Ziffer 3). Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG wurde auf 6 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Ziffer 4).
Gegen diesen Bescheid ließ die Antragstellerin Klage erheben, die unter dem Aktenzeichen RN 13 K 17.51676 geführt wurde. Zugleich ließ sie Eilrechtsschutz nach § 80 Abs. 5 VwGO beantragen (Az. RN 13 S 17.51675).
Den Eilrechtsschutzantrag lehnte das Verwaltungsgericht Regensburg mit Beschluss vom 4.8.2017 ab, weil im spanischen Asylsystem keine systemischen Schwachstellen erkennbar seien.
Das Hauptsacheverfahren stellte das Verwaltungsgericht Regensburg mit Beschluss vom 29.3.2018 ein, da das Verfahren von den Beteiligten übereinstimmend für erledigt erklärt wurde.
Zum Zeitpunkt der Verfahrenseinstellung war zwischen der Antragstellerin und dem Bundesamt strittig, ob die Überstellungsfrist nach Art. 29 Abs. 2 Satz 1 Dublin-III-VO galt oder ob das Bundesamt die Frist nach Art. 29 Abs. 2 Satz 2 Dublin-III-VO zu Recht auf 18 Monate verlängert hat, weil die Antragstellerin „flüchtig“ war. Das Bundesamt vertrat den Standpunkt, dass die Überstellungsfrist zu Recht auf 18 Monate verlängert worden sei, weil sich die Antragstellerin einer für den 24.1.2018 geplanten Abschiebung nach Spanien durch untertauchen entzogen habe. Das Bundesamt berief sich insoweit auf eine Stellungnahme des zuständigen Objektverwalters der Gemeinschaftsunterkunft, in der die Antragstellerin damals wohnte. Dieser gab in einer Stellungnahme an, er habe sie seit dem 10.1.2018 nicht mehr persönlich angetroffen und er habe sich deswegen täglich bei ihr umgesehen und vergeblich an ihre Tür geklopft. Auch Nachbarinnen hätten keine Auskunft über den Verbleib der Antragstellerin geben können. Nach einer Woche, also am 17.1.2018, habe er die Abwesenheit der Antragstellerin ohne Abmeldung an das zuständige Landratsamt Oberallgäu weitergegeben. An den folgenden Tagen sei die Situation unverändert gewesen. Die Antragstellerin sei – wie auch am Tag der geplanten Abschiebung – nicht anzutreffen gewesen. Am 31.1.2018 sei sie wieder in der Unterkunft eingetroffen. Gegenüber dem Objektverwalter habe sie am 1.2.2018 angegeben, bei ihrem Freund gewesen zu sein. Ihr sei nicht bekannt gewesen, dass sie sich hätte abmelden müssen. Die Klägerin behauptete, sie sei in der Zeit vom 16. bis zum 30.1.2018 bei ihrem Freund gewesen. Während dieser Zeit habe sie auch immer nach ihrer Post geschaut. So habe sie etwa ein Schreiben des Landratsamts vom 19.1.2018 abgeholt.
Am 16.8.2018 ließ die Antragstellerin Eilrechtsschutz nach § 123 VwGO beantragen. Sie befinde sich seit 20.7.2018 auf Antrag der ZAB Schwaben in Sicherungshaft in der JVA … Die Antragstellerin habe der ZAB Schwaben mit Schreiben vom 28.6.2018 mitteilen lassen, dass sie ihren Ehemann, der bereits einen Aufenthaltstitel für die Bundesrepublik Deutschland besitze, hier wieder getroffen habe. Sie habe diesbezüglich den Aufenthaltstitel des Ehemanns sowie das Original des Ehezertifikats vorgelegt. Die ZAB Schwaben habe daraufhin mitgeteilt, dass die Überprüfung der Eheurkunde noch einige Monate dauern könne und nicht vor dem Abschiebetermin am 22.8.2018 durchgeführt werden könne. Da sich der Ehemann der Klägerin rechtmäßig in Deutschland aufhalte, bestehe für die Antragstellerin ein innerstaatliches Abschiebungshindernis.
Die Antragstellerin beantragt,
der Antragsgegnerin im Wege einer einstweiligen Anordnung aufzugeben, die Zentrale Ausländerbehörde Schwaben unverzüglich davon zu unterrichten, dass die im Bescheid vom 18.7.2018 enthaltene Abschiebungsanordnung noch nicht vollziehbar sei.
Die Antragsgegnerin beantragt unter Bezugnahme auf die Gründe des bestandskräftigen Bescheids vom 18.7.2018, den Antrag abzulehnen.
Das Gericht hat die Gerichtsakten in den Verfahren RN 13 S 17.51675 sowie RN 13 K 17.51676 beigezogen. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf diese Gerichtsakten, die Gerichtsakten im Eilrechtsschutzverfahren sowie auf die Akten des Bundesamts, die dem Gericht in elektronischer Form vorgelegen haben, Bezug genommen.
II.
Der Antrag hat keinen Erfolg.
1. Für das Gericht bestehen bereits ganz erhebliche Zweifel im Hinblick auf die Zulässigkeit des Antrags.
Die Klägerin hat den Antrag zwar zu Recht gegen die Bundesrepublik Deutschland gerichtet, weil es vorliegend um den Vollzug der in einem bestandskräftigen Bescheid des Bundesamts enthaltenen Abschiebungsanordnung geht, die nach § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG erlassen worden ist. Nach dem Wortlaut des § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG darf eine Abschiebungsanordnung erst dann erfolgen, wenn feststeht, dass die Abschiebung durchgeführt werden kann. Während bei der Abschiebungsandrohung die Prüfung inlandsbezogener Vollstreckungshindernisse regelmäßig durch die Ausländerbehörde zu erfolgen hat, ist dies bei der Abschiebungsanordnung anders. Eine Abschiebung darf nur dann erfolgen, wenn diese rechtlich und tatsächlich möglich ist. Andernfalls ist die Abschiebung auszusetzen (Duldung). Das Bundesamt hat damit sowohl zielstaatsbezogene Abschiebungsverbote als auch der Abschiebung entgegenstehende inlandsbezogene Vollstreckungshindernisse zu prüfen, so dass daneben für eine eigene Entscheidungskompetenz der Ausländerbehörde zur Erteilung einer Duldung nach § 60a Abs. 2 AufenthG kein Raum verbleibt (vgl. NdsOVG, B.v. 20.6.2017 – 13 PA 104/17 – juris; BayVGH, B.v. 12.3.2014 – 10 CE 14.427 – juris; VG Regensburg, B.v. 7.10.2013 – RN 8 S 13.30403).
Ist – wie im Falle der Antragstellerin – die Abschiebungsanordnung bereits unanfechtbar und damit bestandskräftig geworden und will der Betroffene eine nachträgliche Veränderung der Sach- oder Rechtslage geltend machen, muss er in unmittelbarer Anwendung des § 51 Abs. 1 Nr. 1 (oder Abs. 5) VwVfG einen Antrag beim Bundesamt auf Wiederaufgreifen des Verfahrens stellen und im Hauptsacheverfahren gegebenenfalls im Wege der Verpflichtungsklage eine Sachentscheidung erzwingen. Vorläufiger Rechtsschutz zur Sicherung des geltend gemachten Wiederaufgreifensanspruchs ist dann mittels eines Antrags nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO zu suchen, mit dem eine vorläufige Verhinderung der angeordneten Abschiebung erreicht werden soll, indem der Bundesrepublik Deutschland als Rechtsträgerin des Bundesamts aufgegeben wird, der für die Abschiebung zuständigen Ausländerbehörde mitzuteilen, dass vorläufig nicht aufgrund der früheren Mitteilung und der bestandskräftigen Abschiebungsanordnung abgeschoben werden darf (vgl. NdsOVG, B.v. 20.6.2017 – 13 PA 104/17 – juris; BayVGH, B.v. 21.4.2015 – 10 CE 15.810, 10 C 15.813 – jruis). Solange die (bestandskräftige) Abschiebungsanordnung nicht aufgehoben worden ist, kommt der Ausländerbehörde, die die Abschiebungsanordnung der Bundesamts nach § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG durchführt, grundsätzlich keine eigene Entscheidungskompetenz bezüglich der vorläufigen Aussetzung der Vollziehung wegen eines nachträglich geltend gemachten (inlands- oder zielstaatsbezogenen) Abschiebungshindernisses zu.
Nach alledem hat die Antragstellerin zwar den Eilrechtsschutzantrag zu Recht gegen die Bundesrepublik Deutschland als Rechtsträgerin des Bundesamts gestellt. Andererseits ist jedoch höchst zweifelhaft, ob für einen Eilrechtsschutzantrag nach § 123 VwGO überhaupt ein Rechtsschutzbedürfnis besteht; denn weder aus den Akten des Bundesamts noch aus dem Sachvortrag der Antragstellerin ist ersichtlich, dass die Antragstellerin vorab schon einen entsprechenden Antrag auf Wiederaufgreifen des Verfahrens beim Bundesamt gestellt hat. Die Antragstellerin selbst hat diesbezüglich vorgetragen, sie habe die Heiratsurkunde im Original der ZAB Schwaben übergeben, damit diese feststelle, dass ein innerstaatliches Abschiebungshindernis bestehe. Das Bundesamt wurde mit diesem „neuen“ Sachverhalt offenbar noch überhaupt nicht befasst.
2. Selbst wenn man jedoch unter Berücksichtigung der nach dem Vortrag der Antragstellerin unmittelbar bevorstehenden Abschiebung nach Spanien und im Hinblick auf die Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) den Antrag für zulässig erachten wollte, so ist jedenfalls ein Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht.
Nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann das Gericht, auch schon vor Klageerhebung, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (Sicherungsanordnung). Nach § 123 Abs. 2 VwGO sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint (Regelungsanordnung).
Das Gericht muss eine einstweilige Anordnung erlassen, wenn ein Anordnungsgrund (Eilbedürftigkeit) und ein Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht sind.
Ein Anordnungsanspruch würde bestehen, wenn die Klägerin einen Anspruch auf Wiederaufgreifen des Verfahrens nach § 51 Abs. 1 VwVfG hätte. Danach hat die Behörde auf Antrag des Betroffenen über die Aufhebung oder Änderung eines unanfechtbaren Verwaltungsaktes zu entscheiden, wenn sich die dem Verwaltungsakt zugrunde liegende Sach- oder Rechtslage nachträglich zugunsten des Betroffenen geändert hat (Nr. 1), neue Beweismittel vorliegen, die eine dem Betroffenen günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würden (Nr. 2) oder Wiederaufnahmegründe entsprechend § 580 ZPO gegeben sind (Nr. 3). Nach § 51 Abs. 2 VwVfG ist der Antrag nur zulässig, wenn der Betroffene ohne grobes Verschulden außerstande war, den Grund für das Wiederaufgreifen in dem früheren Verfahren, insbesondere durch Rechtsbehelf, geltend zu machen. Nach § 51 Abs. 3 VwVfG muss der Antrag binnen drei Monaten gestellt werden. Sind diese Voraussetzungen nicht erfüllt, so kann die Behörde gleichwohl gemäß § 51 Abs. 5 VwVfG einen Verwaltungsakt zurücknehmen oder widerrufen. Insoweit hat der Betroffene einen Anspruch auf fehlerfreie Ermessensausübung, der sich im Einzelfall aufgrund einer Ermessensreduzierung auf Null zu einem Anspruch auf Abänderung des Ausgangsbescheids konkretisieren kann.
Voraussetzung ist allerdings in jedem Fall, dass der bestandskräftige Verwaltungsakt – hier also die Abschiebungsanordnung – rechtswidrig (geworden) ist, was wiederum dann der Fall ist, wenn zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidungsfällung (§ 77 Abs. 1 AsylG) die Voraussetzungen des § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG nicht (mehr) gegeben sind, was vorliegend jedoch nicht der Fall ist.
Nach § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG ordnet das Bundesamt die Abschiebung in einen sicheren Drittstaat (§ 26a) oder in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG) an, wenn der Ausländer dorthin abgeschoben werden soll, sobald feststeht, dass die Abschiebung durchgeführt werden kann.
a) Spanien ist (noch) zuständig für die Durchführung des Asylverfahrens der Antragstellerin.
Die Zuständigkeit Spaniens folgt vorliegend aus Art. 12 Abs. 2 Satz 2, Abs. 4 Dublin-III-VO. Das Bundesamt hat ferner fristgemäß ein Aufnahmegesuch gemäß Art. 21 Abs. 1 Dublin-III-VO an die spanischen Behörden gestellt, dem von den spanischen Behörden gemäß Art. 22 Abs. 1 Dublin-III-VO am 17.7.2017 stattgegeben wurde.
Die Zuständigkeit Spaniens endete auch nicht gemäß Art. 29 Abs. 2 Satz 1 Dublin-III-VO. Danach ist der zuständige Mitgliedstaat nicht mehr zur Aufnahme oder Wiederaufnahme der betreffenden Person verpflichtet und die Zuständigkeit geht auf den ersuchenden Mitgliedstaats über, wenn die Überstellung nicht innerhalb der Frist von sechs Monaten durchgeführt wird. Da vorliegend ein Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO gestellt worden ist, begann diese Frist zum Zeitpunkt des Erlasses des Beschlusses im Eilrechtsschutzverfahren (Az. RN 13 S 17.51675), mithin am 4.8.2017 zu laufen. Sie hätte somit regulär am 4.2.2018 geendet.
Da die Antragstellerin jedoch vor Ablauf dieser Frist „flüchtig“ war und das Bundesamt die Frist gemäß Art. 29 Abs. 2 Satz 2 Dublin-III-VO auf 18 Monate verlängert hat, endet die Frist und damit die Zuständigkeit Spaniens für das Asylverfahren der Antragstellerin erst am 4.2.2019. Nach Art. 29 Abs. 2 Satz 2 Dublin-III-VO kann die 6-monatige Überstellungsfrist nämlich auf höchstens ein Jahr verlängert werden, wenn die Überstellung aufgrund der Inhaftierung der betreffenden Person nicht erfolgen konnte, oder höchstens auf 18 Monate, wenn die betreffende Person flüchtig ist. Ein Asylbewerber ist bereits dann „flüchtig“, wenn er sich seiner Überstellung durch sein Nichterscheinen entzieht. Erforderlich ist nicht, dass er seine Wohnung (dauerhaft) verlässt, den Ort wechselt bzw. untertaucht und sich dadurch dem Zugriff der Behörden entzieht. Die Formulierung „flüchtig ist“ knüpft nämlich an die „Überstellung“ an. In einem solchen Fall hat nicht der Mitgliedstaat, sondern der Asylbewerber den Ablauf der Frist zu vertreten (VG Regensburg, U.v. 20.2.2015 – RN 3 K 14.50264 – juris; VG Minden, B.v. 16.3.2018 – 10 L 258/18.A – juris).
Diese Voraussetzungen sind hier gegeben; denn die Klägerin hat sich vom 10.1.2018 bis 31.1.2018 nicht in der ihr zugewiesenen Gemeinschaftsunterkunft aufgehalten. Sie gab diesbezüglich zwar an, sie habe immer wieder nach ihrer Post geschaut. Dies ändert jedoch nichts daran, dass sie sich durch ihre Abwesenheit einer für den 24.1.2018 geplanten Überstellung nach Spanien entzogen hat. Dementsprechend durfte das Bundesamt die Frist auf insgesamt 18 Monate verlängern. Da das Bundesamt darüber hinaus die spanischen Behörden gemäß Art. 9 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 1560/2003 der Kommission vom 2.9.2003 (ABl. L 222 vom 5.9.2003, S. 3 ff.) vor Ablauf der 6-monatigen Überstellungsfrist über die Fristverlängerung informiert hat, endet die Überstellungsfrist erst am 4.2.2019.
b) Da nach § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG eine Abschiebungsanordnung nur dann erfolgen darf, wenn die Abschiebung rechtlich und tatsächlich möglich ist, dürfen auch keine Duldungsgründe im Sinne des § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG vorliegen. Andernfalls ist die Abschiebung nämlich unmöglich und kann auch im Sinne des § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG nicht durchgeführt werden.
Hier macht die Antragstellerin geltend, sie habe in Deutschland ihren Ehemann wiedergetroffen, der einen Aufenthaltstitel für die Bundesrepublik Deutschland besitze. Aufgrund des verfassungsrechtlich garantierten Schutzes von Ehe und Familie nach Art. 6 Abs. 1 GG dürfe daher eine Überstellung nach Spanien nicht erfolgen.
Die Antragstellerin hat nicht glaubhaft gemacht, überhaupt verheiratet zu sein. Diesbezüglich hat sie offenbar gegenüber der ZAB Schwaben eine Heiratsurkunde im Original vorgelegt. Von dort aus wurde diese Urkunde offenbar zur Überprüfung an eine sachverständige Stelle weitergeleitet. Im gerichtlichen Verfahren hat sie lediglich eine Fotografie eines „Certificate of Muslim Marriage“ vorgelegt. Im Hinblick darauf, dass in Asylverfahren häufig gefälschte Dokumente vorgelegt werden, ist diese Ablichtung in keiner Weise aussagekräftig. Vielmehr bestehen für das Gericht ganz erhebliche Zweifel daran, dass die Antragstellerin überhaupt verheiratet ist. So ist in der Niederschrift zu ihrem Asylantrag vom 22.6.2017 vermerkt, dass sie ledig sei. Auch bei einer Befragung durch die ZAB Niederbayern am 11.7.2017 gab die Antragstellerin ausdrücklich an, nicht verheiratet zu sein (Bundesamtsakte S. 83). Ihre Abwesenheit aus der Gemeinschaftsunterkunft vom 10.1. bis zum 31.1.2018 erklärte sie damit, dass sie sich bei ihrem Freund – also nicht bei ihrem Ehemann – aufgehalten habe. Von daher ist es äußerst dubios, wenn die Antragstellerin nunmehr behauptet, sie sei alleine aus Sierra Leone ausgereist. Ihr Mann sei bereits vorher nach Deutschland gekommen und habe nicht gewusst, ob seine Frau jemals mitkommen würde. Deshalb habe der Ehemann vermutlich in seinem Verfahren „ledig“ angegeben (vgl. dazu das im gerichtlichen Verfahren vorgelegte Schreiben des Prozessbevollmächtigten an die ZAB Schwaben vom 1.8.2018). Hier zeigt sich sehr deutlich, dass offenbar auch der (vermeintliche) Ehemann früher gegenüber den deutschen Behörden angegeben hat, nicht verheiratet zu sein. Dies alles spricht dafür, dass die Antragstellerin tatsächlich nicht verheiratet ist und nunmehr eine gefälschte Heiratsurkunde vorgelegt hat, um sich ihren Aufenthalt in Deutschland zu sichern.
Auf alle Fälle reicht jedenfalls die im gerichtlichen Verfahren vorgelegte Fotografie der Heiratsurkunde nicht aus, um glaubhaft zu machen, dass für die Antragstellerin ein inlandsbezogenes Abschiebungshindernis besteht.
Im Übrigen sei darauf hingewiesen, dass – wenn sich im Nachhinein herausstellen sollte, dass die Antragstellerin tatsächlich mit einem in Deutschland lebenden aufenthaltsberechtigten Ausländer verheiratet ist – sie auch von Spanien aus eine Zusammenführung der Ehegatten betreiben kann.
Nach alledem war der Antrag mit der Kostenfolge des § 100 Abs. 1 VwGO abzulehnen. Gerichtskosten werden nicht erhoben, § 83b AsylG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 80 AsylG.


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