Verwaltungsrecht

Erfolgloser Folgeantrag nach asyltaktisch motivierter Rücknahme des Asylerstantrags

Aktenzeichen  M 22 K 13.31160

Datum:
14.12.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG AufenthG § 60 Abs. 2
VwVfG VwVfG § 51 Abs. 1 – 3
AsylG AsylG § 3 Abs. 1, § 28 Abs. 2, § 71

 

Leitsatz

Bei Dauersachverhalten beginnt die Frist des § 51 Abs. 3 VwVfG mit der erstmaligen Kenntnisnahme von den Umständen, die in ihrer Gesamtheit eine für die Ablehnung des Asylantrags relevante Veränderung der Sachlage bewirken. Insoweit ist auf eine laienhafte Vorstellung von einer veränderten, für die Verfahrenssituation relevanten Gesamtsituation abzustellen. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Über den Rechtsstreit konnte auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 8. Dezember 2016 entschieden werden, obwohl die Beklagte zur mündlichen Verhandlung nicht erschienen war. Denn in der Ladung vom … November 2016, die der Beklagten – die mit allgemeiner Prozesserklärung vom … Februar 2016 auf die Einhaltung der Ladungsfrist verzichtet hat – am … Dezember 2016 gegen Empfangsbekenntnis zugestellt worden war, wurde darauf hingewiesen, dass bei Nichterscheinen eines Beteiligten auch ohne ihn verhandelt und entschieden werden kann (§ 102 Abs. 2 VwGO).
Die zulässige Klage bleibt in der Sache ohne Erfolg. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Feststellung, dass bei ihm die Flüchtlingseigenschaft nach § 60 Abs. 1 AufenthG vorliegt (vgl. § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
1. Stellt ein Ausländer nach Rücknahme oder unanfechtbarer Ablehnung eines früheren Asylantrags erneut einen Asylantrag (Folgeantrag), so ist ein weiteres Asylverfahren nur durchzuführen, wenn die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG vorliegen (§ 71 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 AsylG). Der Folgeantrag ist kein außerordentliches Rechtsmittel, mit dem jederzeit eine vermeintlich unrichtige Sachentscheidung im Erstverfahren korrigiert werden könnte (vgl. OVG Lüneburg, B.v. 10.08.1988- 21B 423/88).
Nach § 51 Abs. 1 VwVfG kommt ein Wiederaufgreifen des Verfahrens u.a. dann in Betracht, wenn sich die der vorgängigen Entscheidung zugrunde liegende Sach- oder Rechtslage geändert hat oder neue Beweismittel vorliegen und schlüssig dargetan ist, dass diese geeignet sind, eine für den Antragsteller günstigere Entscheidung herbeizuführen (vgl. BVerwG, U.v. 20.02.2013 – 10 C 23.12 – juris).
§ 51 Abs. 2 VwVfG bestimmt, dass ein solcher Antrag nur zulässig ist, wenn der Betroffene ohne grobes Verschulden außerstande war, den Grund für das Wieder-aufgreifen in dem früheren Verfahren, insbesondere durch Rechtsbehelf, geltend zu machen. Von einem groben Verschulden ist dann auszugehen, wenn dem Betroffenen das Bestehen des Wiederaufnahmegrundes bekannt war oder doch hätte bekannt sein müssen und er es entgegen seinen Mitwirkungspflichten (vgl. §§ 15 und 25 AsylG) unterlassen hat, diese Umstände in das Verfahren einzuführen.
Ein Wiederaufgreifen ist gemäß § 51 Abs. 3 VwVfG weiter nur dann zulässig, wenn der Antrag binnen drei Monaten gestellt wurde, wobei die Frist mit dem Tage zu laufen beginnt, an dem der Betroffene von dem Grund für das Wiederaufgreifen Kenntnis erlangt hat. Bei Dauersachverhalten ist ebenfalls die erstmalige Kenntnisnahme von den Umständen für den Fristbeginn maßgeblich, die in ihrer Gesamtheit eine für die Ablehnung des Asylantrags relevante Veränderung der Sachlage bewirken. Insoweit ist auf eine laienhafte Vorstellung von einer veränderten für die Verfahrenssituation relevanten Gesamtsituation abzustellen. Ab dem Zeitpunkt, zu dem von einer Kenntnis des betroffenen Personenkreises vernünftigerweise ausgegangen werden kann, beginnt die Frist des § 51 Abs. 3 VwVfG zu laufen (Hailbronner, AusIR, § 71 Rn. 49 m.w.N.). Voraussetzung für die fristgerechte Geltendmachung eines Wiederaufgreifensgrundes ist darüber hinaus, dass innerhalb der Drei-Monats-Frist substantiiert und schlüssig, gegebenenfalls unter Darlegung von Beweismitteln sowohl die geltend gemachten Wiederaufgreifensgründe als auch die Einhaltung der Frist dargelegt werden.
Das Vorliegen der Voraussetzungen des § 51 VwVfG ist dabei grundsätzlich für jeden selbständigen Wiederaufgreifensgrund eigenständig zu prüfen (vgl. BVerwG, Urt. v. 13.05.1993, Az. 9 C 49/92). Auch genügt es nicht, dass der Wiederaufgreifensgrund lediglich behauptet wird, vielmehr muss durch den Vortrag eine Asylanerkennung oder jedenfalls die Feststellung der Voraussetzungen von § 60 Abs. 1 bis 7 des AufenthG deutlich wahrscheinlicher geworden sein.
Lehnt das Bundesamt – wie hier geschehen – ab, ein weiteres Asylverfahren durchzuführen, so hat das gegen diese Entscheidung angerufene Verwaltungsgericht, wenn es die Voraussetzungen für ein Wiederaufgreifen des Verfahrens für erfüllt hält, – innerhalb der gestellten Anträge – selbst über die Gewährung von Asyl, über die Zuerkennung von Flüchtlingseigenschaft (§ 60 Abs. 1 AufenthG i.V.m. § 3 Abs. 1 AsylG) bzw. über die Feststellung von Abschiebungsverboten (§ 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG) zu entscheiden (BVerwG, Urteil vom 10.02.1998 – 9 C 28.97 – NVwZ 1998, 861).
2. Nach diesen Maßgaben ist davon auszugehen, dass der Folgeantrag in Ansehung aller im Verwaltungswie auch im Klageverfahren vorgebrachten Wiederaufgreifens-gründe unbeachtlich bzw. rechtsmissbräuchlich ist und der Kläger daher keine Flüchtlingsanerkennung im Gefolge einer erneuten Sachprüfung verlangen kann.
Soweit sich der Kläger darauf beruft, dass er im Falle einer Rückkehr nach Syrien wegen der illegalen Ausreise, dem Asylantrag und dem Aufenthalt im westlichen Ausland eine obligatorische Rückkehrerbefragung in Form menschenrechtswidriger Behandlung zu vergegenwärtigen habe und ihm daher nach der Rechtsprechung eine Einzelverfolgung wegen Gruppenzugehörigkeit drohe, was eine Flüchtlingsanerkennung rechtfertige, handelt es sich weder um einen neuen Sachverhalt noch um eine geänderte Rechtslage. Zum einen war diese Sachlage ausweislich der Begründung des Bescheids des Bundesamts vom 14. März 2013 bereits Grundlage der Zuerkennung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 2 AufenthG. Zum anderen führt eine Änderung der Verwaltungspraxis wie auch der Rechtsprechung nicht zu einer Änderung der Rechtslage (st. Rspr. BVerwG BeckRS 2013, 58563; BVerwG MMR 2005, 300; NVwZ 1995, 1097; NVwZ-RR 1994, 119).
Soweit sich der Kläger darauf beruft, die ISIS habe im Juli 2014 dazu aufgerufen … anzugreifen, vermag dieser Vortrag ebenfalls keine politische Verfolgung des Klägers zu begründen, sondern spiegelt nur die allgemeine Lage im syrischen Bürgerkrieg wieder, der unter anderem auch vom IS für seine Zwecke genutzt wird. Zudem wurde über die Aktivitäten dschihadistischer Milizen im syrischen Bürgerkrieg einschließlich der Vorläuferorganisationen des Islamischen Staates in den Medien schon lange vor der Inbezugnahme im Folgeantragsverfahren berichtet, so dass eine Einhaltung der Drei-Monats-Frist nicht ersichtlich ist. Eine solche wurde vom Kläger insbesondere auch nicht fristgerecht dargelegt.
Soweit sich der Kläger auf seine exilpolitische Betätigung beruft, ist das Gericht aufgrund der Vielzahl der vom Kläger im Verfahren vorgelegten Nachweise und weiterer vom Kläger nicht in Bezug genommener Publikationen im Internet (vgl. etwa …) zwar davon überzeugt, dass der Kläger sich auf der Grundlage einer gefestigten politischen Überzeugung sowohl in Syrien als auch nach seiner Ausreise fortgesetzt exponiert oppositionspolitisch betätigt hat und dies noch immer tut, doch hätte er seine exilpolitische Betätigung bereits im Erstverfahren hinreichend geltend machen können, da er nach seinem glaubhaften Vortrag bereits vor seiner Einreise nach Deutschland in Jordanien und der Türkei exilpolitisch tätig wurde. Hierauf hat der Kläger jedoch bewusst verzichtet und stattdessen, in vollem Bewusstsein um seine in der Türkei und Jordanien bereits getätigten und weiterhin beabsichtigten exilpolitischen Aktivitäten (wie etwa die fortgesetzte Herausgabe des Magazins „…“, das Ende … erfolgte Demo-Broadcasting von Radio „…“ – Blatt 66 der Behördenakte -, seine Tätigkeit als Koordinator der Internet-Plattform „…“ oder aber die Teilnahme und den Bericht über ein Seminar in … am 30.12.2012 – Blatt 79 der Behördenakte) seinen Antrag auf Flüchtlingsschutz am … Dezember 2012 (vor dem Hintergrund der Entscheidung des EUGH vom 3. Mai 2012 in Sachen Kastrati) zurückgenommen, um einer drohenden Überstellung nach Italien im sog. Dublin-Verfahren zu entgehen. Sein nur kurze Zeit nach Bestandskraft der daraufhin vom Bundesamt am 14. März 2013 im nationalen Verfahren erfolgten Feststellung eines Abschiebungsverbots gestellter Folgeantrag unter Berufung auf eben jene exilpolitische Betätigung, stellt daher – soweit man sein Vorbringen, wofür einiges spricht, nicht bereits wegen Verschuldens (§ 51 Abs. 2 VwVfG) bzw. Nichteinhaltung der Drei-Monats-Frist (§ 51 Abs. 3 VwVfG) als unbeachtlich ansieht – jedenfalls einen Missbrauch der Inanspruchnahme des Flüchtlingsschutzes dar (vgl. die in § 28 Abs. 2 AsylG verankerte Missbrauchsvermutung, für nach Abschluss des Erstverfahrens selbstgeschaffene Nachfluchttatbestände). Der Vortrag der Klägerbevollmächtigten in der mündlichen Verhandlung, im Zeitpunkt der Rücknahme des Asylerstantrags hätten ihres Erachtens die Voraussetzungen für einen Selbsteintritt der Bundesrepublik Deutschland vorgelegen, was einem Missbrauch entgegenstehe, vermag zu keiner anderen Beurteilung führen. Denn ob die Voraussetzungen für einen Selbsteintritt tatsächlich vorlagen, wäre im Rahmen des Asylerstverfahrens, ggf. unter Rückgriff auf ein Rechtsmittelverfahren, zu klären gewesen. Es besteht kein Wahlrecht zwischen der Weiterverfolgung des Erstverfahrens und der Einreichung eines Folgeantrags (vgl. Hailbronner AuslR, § 71 AsylG, Rn. 12), insbesondere kein asyltaktisch motiviertes Wahlrecht.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 2 VwGO.


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