Verwaltungsrecht

Erfolgloser mit Gruppenverfolgung irakischer Christen begründeter Berufungszulassungsantrag

Aktenzeichen  4 ZB 17.31502

Datum:
20.11.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 134613
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 3, § 3a, § 78 Abs. 2, Abs. 3 Nr. 1, Abs. 5 S. 2
EMRK Art. 3

 

Leitsatz

1. Es gibt – nach wie vor – keine Anhaltspunkte für eine Gruppenverfolgung von Christen im kurdischen Autonomiegebiet. (redaktioneller Leitsatz)
2. Bei Gruppenverfolgung müssen die Verfolgungshandlungen im Verfolgungszeitraum und im Verfolgungsgebiet auf alle dort lebenden Gruppenmitglieder zielen und sich in quantitativer und qualitativer Hinsicht so ausweiten, wiederholen und um sich greifen, dass ohne Weiteres die aktuelle Gefahr eigener Betroffenheit entsteht. (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

RO 4 K 16.32566 2017-09-13 Urt VGREGENSBURG VG Regensburg

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Kläger tragen die Kosten des Zulassungsverfahrens.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Die Berufung ist nicht gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen.
1. Der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung setzt voraus, dass eine konkrete, bisher höchstrichterlich oder obergerichtlich nicht beantwortete Rechts- oder Tatsachenfrage formuliert wird, die für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts von Bedeutung war, deren Klärung im Berufungsverfahren zu erwarten und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder Weiterentwicklung des Rechts geboten ist und der eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 124a Rn. 72). Hierfür ist eine Auseinandersetzung mit den Ausführungen des Verwaltungsgerichts erforderlich (vgl. Berlit in GK-AsylG, § 78 Rn. 592, 607 und 609). Bei einer auf tatsächliche Verhältnisse gestützten Grundsatzrüge muss der Rechtsmittelführer Erkenntnisquellen zum Beleg dafür angeben, dass die Feststellungen, Erkenntnisse und Einschätzungen des Verwaltungsgerichts unzutreffend oder zumindest zweifelhaft sind (vgl. OVG NW, B.v. 12.12.2016 – 4 A 2939/15.A – juris m.w.N.).
Die im Zulassungsantrag für grundsätzlich bedeutsam gehaltenen Fragen, „ob Christen als religiöse Minderheit im Irak verfolgt sind und ihnen daher die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist“, ist hinsichtlich des (grundsatzbedeutsamen) Klärungsbedarfs nicht hinreichend dargelegt.
Der Kläger zu 1 gab bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge am 10. Juni 2016 an, er und sein Sohn (Kläger zu 2) stammten aus Arbil (Erbil in der gleichnamigen Provinz) und seien Christen. Im Irak habe er noch seine Mutter, seine Schwester, seine Frau und drei Kinder. Für Christen im Irak sei es sehr schwer. Er habe Angst gehabt, dass der Islamische Staat (IS) seine Kinder bedrohe. Sein Sohn habe flüchten wollen. Er habe ihn aber nicht allein gehen lassen wollen. Persönlich sei er als Christ nicht bedroht worden. In Arbil sei es schon sicher, aber seine Kinder hätten ständig Angst gehabt, dass der IS komme und die Christen umbringe. Das Verwaltungsgericht hat aus diesem Vortrag den Schluss gezogen, dass die Kläger ihr Heimatland nicht vorverfolgt verlassen haben (UA S. 4). Die erstmals in der mündlichen Verhandlung vorgetragene Bedrohung hat das Verwaltungsgericht für unglaubhaft gehalten. Im Übrigen hat das Verwaltungsgericht gemäß § 77 Abs. 2 AsylG auf die Ausführungen im Bescheid des Bundesamts Bezug genommen. Darin ist ausgeführt (S. 4), dass nach aktuellen Erkenntnissen keine Anhaltspunkte für eine Verfolgung von religiösen Minderheiten in der Region Kurdistan vorlägen.
In der Zulassungsbegründung tragen die Kläger nunmehr vor, im Irak erlebten die christlichen Gemeinden seit langem einen Exodus, der die Minderheit immer kleiner werden lasse. Vor allem radikale sunnitische Gruppen terrorisierten die Christen. So habe die Terrormiliz IS Christen wie auch Angehörige anderer Religionen getötet, verschleppt, vertrieben und ihre Einrichtungen zerstört (Verweis auf Frankfurter Allgemeine Presse vom 11.4.2017). Die Kläger seien als Christen gerade aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit einer Gruppenverfolgung ausgesetzt. Zudem würde den Klägern bei einer erneuten rechtlichen Auseinandersetzung sowie bei privaten Streitigkeiten eine unmenschliche und erniedrigende Behandlung im Sinn des Art. 3 EMRK drohen. Seiner Tätigkeit als Journalist könne der Kläger aufgrund der früheren Ereignisse nicht ohne Gefahr für sein Leben und das seiner Familie nachgehen.
Mit diesen Ausführungen wird der Zulassungsgrund der grundsätzlichen (tatsächlichen) Bedeutung der Rechtssache (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG) hinsichtlich einer Gruppenverfolgung (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 5 AsylG) nicht dargelegt (§ 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG). Auch wenn der Bescheid des Bundesamts und das Urteil des Verwaltungsgerichts keine näheren Ausführungen zum Nichtvorliegen einer Gruppenverfolgung von Christen im Irak machen, reicht es zur Begründung eines Zulassungsantrags für die Geltendmachung einer Frage von grundsätzlicher tatsächlicher Bedeutung nicht aus, pauschal eine Gruppenverfolgung zu behaupten, ohne (noch) aktuelle Erkenntnisquellen zu benennen. Die Verfolgung von Christen durch den IS, wie er in der „Frankfurter Allgemeinen Presse vom 11. April 2017“ geschildert worden sein soll, ist nach dem weitgehenden Zurückdrängen des IS ohnehin nicht mehr aktuell. Die Provinzen Dohuk, Erbil und Sulaimaniyya gehörten ohnehin nicht zu den umkämpften und von Verfolgung durch die Terrormiliz IS betroffenen Gebieten (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht Irak vom 18.02.2016, S. 9 und vom 07.02.2017 S. 12; UK Home Office, Country Information and Guidance: Iraq: Religious minorities, August 2016, S. 6).
Im Übrigen gibt es – nach wie vor – keine Anhaltspunkte für eine Gruppenverfolgung von Christen im kurdischen Autonomiegebiet.
Für die Annahme einer Gruppenverfolgung (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 5 AsylG) ist die Gefahr einer so großen Vielzahl von Eingriffshandlungen in flüchtlingsrechtlich geschützte Rechtsgüter erforderlich, dass es sich dabei nicht mehr nur um vereinzelt bleibende individuelle Übergriffe oder um eine Vielzahl einzelner Übergriffe handelt. Die Verfolgungshandlungen müssen vielmehr im Verfolgungszeitraum und Verfolgungsgebiet auf alle sich dort aufhaltenden Gruppenmitglieder zielen und sich in quantitativer und qualitativer Hinsicht so ausweiten, wiederholen und um sich greifen, dass daraus für jeden Gruppenangehörigen nicht nur die Möglichkeit, sondern ohne weiteres die aktuelle Gefahr eigener Betroffenheit entsteht (vgl. BVerwG, U.v. 31.4.2009 – 10 C 11.08 – AuAs 2009, 173; v. 1.2.2007 – 1 C 24.06 – NVwZ 2007, 590; v. 18.7.2006 – 1 C 15.05 – BVerwGE 126, 243 = BayVBl 2007, 151).
Für das Vorliegen einer solchen Verfolgungsdichte im kurdischen Autonomiegebiet gibt es keine Anhaltspunkte. Nach dem Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 7. Februar 2017 (Stand: Dezember 2016 S. 18, vgl. auch die Dokumentation des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl – BFA – der Republik Österreich vom 24. August 2017 S. 106 f.) leben heute noch 200.000 bis 400.000 Christen im Irak. In der Region Kurdistan-Irak haben danach seit 2003 viele christliche Flüchtlinge aus anderen Landesteilen Zuflucht gefunden. Es gebe dort keine Anzeichen für staatliche Diskriminierung. Die kurdische Regionalregierung fördere den Kirchenbau wie auch die Kirche als Institution mit staatlichen Ressourcen.
Zwar ist das Zusammenleben der religiösen Minderheiten und der sonstigen Kurden in der Region Kurdistan-Irak nicht spannungsfrei; auch gibt es Berichte von Diskriminierungen bei Landerwerb oder Hausbau, im Bildungssystem und auf dem Arbeitsmarkt (vgl. etwa UK Home Office, Country Information and Guidance: Iraq: Religious minorities, S. 19, 24). Diese erreichen aber nicht die nach § 3a AsylG erforderliche Eingriffsintensität bzw. die für die Annahme einer Gruppenverfolgung erforderliche Verfolgungsdichte.
In der Stadt Erbil (Arbil) sollen insgesamt 40.000 Christen, wie auch die Kläger nach ihrem eigenen Vortrag in der Anhörung vor dem Bundesamt, weitgehend unbehelligt leben (vgl. VG Augsburg, U.v. 29.5.2017 – Au 5 K 17.30936 – juris Rn. 34).
Warum den Klägern in Erbil „bei einer erneuten rechtlichen Auseinandersetzung sowie privaten Streitigkeiten unmenschliche und erniedrigende Behandlung im Sinn des Art. 3 EMRK drohen“ sollen, wird in der Zulassungsbegründung nicht näher ausgeführt. Anhaltspunkte dafür sind auch nicht ersichtlich. Die Kläger stammen aus Erbil und haben zahlreiche nahe Verwandte dort.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).
3. Dieser Beschluss, mit dem die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig wird (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG), ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).


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