Verwaltungsrecht

Erfolgloser Nachbarantrag auf bauaufsichtliches Einschreiten gegen eine Freischankfläche

Aktenzeichen  9 ZB 18.913

Datum:
15.9.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 24828
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayBO Art. 76 S. 2
BauNVO § 6 Abs. 2 Nr. 3
VwGO § 86 Abs. 1, § 124 Abs. 2 Nr. 1, § 124a Abs. 4 S. 4

 

Leitsatz

Bei der Geltendmachung eines Verstoßes gegen den Amtsermittlungsgrundsatz muss substantiiert dargelegt werden, hinsichtlich welcher tatsächlichen Umstände Aufklärungsbedarf bestanden hat, welche für geeignet und erforderlich gehaltenen Aufklärungsmaßnahmen hierfür in Betracht gekommen wären und welche tatsächlichen Feststellungen bei Durchführung der unterbliebenen Sachverhaltsaufklärung voraussichtlich getroffen worden wären. (Rn. 5) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

AN 3 K 15.1457 2018-02-22 Urt VGANSBACH VG Ansbach

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Kläger haben die Kosten des Zulassungsverfahrens gesamtschuldnerisch zu tragen.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Die Kläger begehren von der Beklagten bauaufsichtliches Einschreiten gegen eine von der Beigeladenen betriebene Freischankfläche in der G.-straße.
Mit Schreiben vom 26. Februar 2014 und 24. April 2014 forderten die Kläger die Beklagte auf, gegen die Freischankfläche der Beigeladenen, die mit einer Fläche von 52 m2 und 60 eingezeichneten Sitzplätzen mit Bescheid vom 3. August 1996 genehmigt worden war, einzuschreiten, weil diese mit 83 Sitzplätzen betrieben werde. Die Beklagte lehnte dies mit Schriftsatz vom 23. Mai 2014 ab. Nach weiteren Verhandlungen erhoben die Kläger mit Schriftsatz vom 11. August 2014 Klage zum Verwaltungsgericht auf Einhaltung des mit Baugenehmigung vom 3. August 1996 genehmigten Umfangs des Betriebs der Beigeladenen. Das Verwaltungsgericht wies die Klage mit Urteil vom 22. September 2018 ab. Zur Begründung wurde u.a. ausgeführt, dass die Kläger keinen Anspruch auf bauaufsichtliches Einschreiten geltend machen könnten, weil sie durch den nicht genehmigungskonformen Betrieb nicht unzumutbar beeinträchtigt seien. Mit ihrem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgen die Kläger ihr Begehren weiter.
II.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.
Die Kläger berufen sich allein auf ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Ob solche Zweifel bestehen, ist im Wesentlichen anhand dessen zu beurteilen, was die Kläger innerhalb offener Frist (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO) haben darlegen lassen (§ 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO). Daraus ergeben sich solche Zweifel nicht.
1. Mit dem Vorbringen, das Verwaltungsgericht habe die vom Bevollmächtigten der Kläger in der mündlichen Verhandlung vom 22. Februar 2018 gestellten Beweisanträge zu Unrecht abgelehnt und damit den Sachverhalt nicht ausreichend ermittelt, leiten die Kläger ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils aus einem Verfahrensfehler des Verwaltungsgerichts her. In diesen Fällen wird ein Zulassungsgrund nur dann ausreichend dargelegt, wenn dem Darlegungserfordernis der Verfahrensrüge genügt wird. Entspricht das Vorbringen diesen Anforderungen, kommt eine Zulassung nur in Betracht, wenn auch eine entsprechende Verfahrensrüge zu einer Zulassung führen würde (vgl. BayVGH, B.v. 21.10.2019 – 9 ZB 17.1335 – juris Rn. 6 m.w.N.). Bei der Geltendmachung eines Verstoßes gegen den Amtsermittlungsgrundsatz (§ 86 Abs. 1 VwGO) muss substantiiert dargelegt werden, hinsichtlich welcher tatsächlichen Umstände Aufklärungsbedarf bestanden hat, welche für geeignet und erforderlich gehaltenen Aufklärungsmaßnahmen hierfür in Betracht gekommen wären und welche tatsächlichen Feststellungen bei Durchführung der unterbliebenen Sachverhaltsaufklärung voraussichtlich getroffen worden wären (vgl. BVerwG, B.v. 30.7.2010 – 8 B 125.09 – juris Rn. 23 m.w.N.).
Der Bevollmächtigten der Kläger beantragte in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht vom 22. Februar 2018, dass „durch Sachverständigengutachten die Überschreitung des für die Tageszeit geltenden Immissionsrichtwerts von 60 dB(A) am Immissionsort am klägerischen Anwesen und ein diesbezüglich relevanter Beitrag durch die Überschreitung der genehmigten 60 Sitzfläche auf der Freischankfläche der Beigeladenen bestätigt“ werde sowie „aufgrund der Nutzung der Freischankfläche am Anwesen des Beigeladenen mit mehr als 60 Personen durch ordnungsgemäße Prognoseberechnung bestätigt“ werde. Eine Verletzung von § 86 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 VwGO liegt dann vor, wenn diese Beweisanträge vom Verwaltungsgericht zu Unrecht abgelehnt worden sind (vgl. BayVGH, B.v. 10.8.2016 – 9 ZB 16.944 – juris Rn. 21). Das Verwaltungsgericht hat die Ablehnung der Beweisanträge damit begründet, dass sich die Beweiserhebung nach den vorliegenden Erkenntnissen nicht aufdränge und sich die Anträge als unzulässige Ausforschungsanträge darstellten. Hiergegen ist nichts zu erinnern. Das Verwaltungsgericht hat sich bei seiner Entscheidung auf die schalltechnische Betrachtung der G* …straße 2013 in der überarbeiteten Version 2016 gestützt, die von der Umweltingenieurin des Amtes für Umwelt, Ordnung und Verbraucherschutz der Beklagten mitverfasst und von dieser u.a. mit Stellungnahme vom 2. Februar 2018 sowie in der mündlichen Verhandlung vom 22. Februar 2018 erläutert wurde. Danach wird der Immissionsrichtwert von 60 dB(A) tags am nächstgelegenen Immissionsort zum Anwesen der Kläger mit einem Beurteilungspegel von 58,5 dB(A) bei 83 Sitzplätzen auf der Freischankfläche der Beigeladenen unterschritten. Der Einwand der Kläger, die Messwerte seien nicht ins Verfahren einbezogen worden, geht fehl, da die vollständige schalltechnische Betrachtung („G* …straße Lärmmesskampagne 2016“) auf Anforderung des Verwaltungsgerichts von der Beklagten mit Schreiben vom 26. September 2017 vorgelegt, vom Verwaltungsgericht zum Gegenstand des Verfahrens gemacht und damit in das Verfahren einbezogen wurde.
Soweit die Kläger anführen, die Messkampagne belege eine Überschreitung des Immissionsrichtwertes tags zwischen 21:00 Uhr und 22:00 Uhr, sind die Messungen im Rahmen der Kampagne nach der Stellungnahme der Umweltingenieurin vom 2. Februar 2018 nicht am Anwesen der Kläger durchgeführt worden, so dass nicht exakt die Lärmeinwirkungen am Wohngebäude der Kläger abgebildet würden. Zudem könnten Lärmmessungen nur das Gesamtgeräusch erfassen, während Aussagen zur Einwirkung einzelner Freischankflächen nur im Rahmen von Prognoseberechnungen möglich seien. Nach den bereits durchgeführten Prognoseberechnungen der Umweltingenieurin ergebe sich unter Berücksichtigung von 83 Sitzplätzen der Freischankfläche der Beigeladenen am nächstgelegenen Immissionsort zum Anwesen der Kläger ein Beurteilungspegel von 58,5 dB(A). Dies wird auch durch das Zulassungsvorbringen nicht substantiiert in Frage gestellt; ebenso wenig legt das Zulassungsvorbringen dar, dass die Lärmmesskampagne für den nicht Sachkundigen erkennbare Mängel aufweist, von unzutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen ausgeht, unlösbare Widersprüche aufweist, Anlass zu Zweifeln an der Sachkunde oder Unparteilichkeit der Ersteller bestehen oder zu besonders schwierigen Fragen einander widersprechende Gutachten vorliegen (vgl. BayVGH, B.v. 2.5.2016 – 9 ZB 13.2048 – juris Rn. 20). Reichen danach die bereits vorliegenden Gutachten und Unterlagen aus, die entscheidungserheblichen Fragen sachkundig beantworten zu können, ist die Einholung weiterer Gutachten nicht notwendig oder veranlasst (vgl. BayVGH, B.v. 20.9.2014 – 15 ZB 13.568 – juris Rn. 12). Dem Verwaltungsgericht musste sich damit auch keine weitere Sachverhaltsaufklärung aufdrängen.
2. Die Kläger berufen sich darüber hinaus auf eine Ermessensreduktion auf null der Beklagten hinsichtlich des von ihnen begehrten bauaufsichtlichen Einschreitens, weil es um die Einhaltung des Gebietserhaltungsanspruchs gehe, der keine tatsächliche Beeinträchtigung der Kläger voraussetze. Es kann jedoch offen bleiben, ob der Beklagten im Falle einer Verletzung des Gebietserhaltungsanspruchs insoweit noch ein Entscheidungsermessen verbleibt (vgl. BVerwG, B.v. 22.12.2011 – 4 B 32.11 – juris Rn. 5). Denn eine Verletzung des Gebietserhaltungsanspruchs wird durch das Zulassungsvorbringen nicht dargelegt. Nach Nr. 2.1 der Festsetzungen des Bebauungsplans Nr. 001 der Beklagten in der Fassung vom 14. Februar 1997 ist zwar die nach § 6 Abs. 2 Nr. 3 BauNVO allgemein zulässige Nutzung Schank- und Speisewirtschaften nicht zulässig, bestehende Betriebe genießen jedoch Bestandsschutz und es kann eine Ausnahme bei Erweiterungen – auch auf Freiflächen – gewährt werden, wenn diese u.a. die Wohnnutzung im Gebäude selbst und in der Nachbarschaft nicht stört. Das Verwaltungsgericht hat in den Entscheidungsgründen festgestellt, dass am nächstgelegenen Immissionsort am Anwesen der Kläger die Immissionsrichtwerte von 60 dB(A) tags und 45 dB(A) nachts eingehalten werden und somit keine unzumutbare Beeinträchtigung der Kläger durch die von der Freischankfläche der Beigeladenen ausgehenden Lärmimmissionen gegeben sei. Dieser Beurteilung tritt das Zulassungsvorbringen nicht substantiiert entgegen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, § 159 Satz 2 VwGO.
Die Festsetzung des Streitwerts für das Zulassungsverfahren ergibt sich aus § 47 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3, § 52 Abs. 1 GKG und entspricht der Festsetzung des Verwaltungsgerichts, gegen die keine Einwendungen erhoben wurden.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar. Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


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