Verwaltungsrecht

Erfolgloses Berufungszulassungsverfahren wegen Asylrechts

Aktenzeichen  23 ZB 20.30279

Datum:
28.9.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 30882
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 78 Abs. 3 Nr. 1, Nr. 3, Abs. 4
GG Art. 103 Abs. 1
VwGO § 108 Abs. 1 S.1

 

Leitsatz

1. Das prozessuale Grundrecht des Anspruchs auf rechtliches Gehör, sichert den Beteiligten ein Recht auf Information, Äußerung und Berücksichtigung, sodass sie ihr Verhalten eigenbestimmt und situationsspezifisch gestalten können, insbesondere dass sie mit ihren Ausführungen und Anträgen vor Gericht gehört werden. (Rn. 3) (redaktioneller Leitsatz)
2. Der Anspruch auf rechtliches Gehör ist abzugrenzen von dem Gebot rechtsfehlerfreier Überzeugungsbildung beziehungsweise ordnungsgemäßer Sachverhalts- und Beweiswürdigung. Einwände gegen die tatrichterliche Sachverhalts- und Beweiswürdigung in Bezug auf den ermittelten Sachverhalt können die Annahme eines Gehörsverstoßes nicht begründen. (Rn. 4) (redaktioneller Leitsatz)
3. Ob ein zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot besteht oder nicht, kann nur unter Berücksichtigung der individuellen Person und bei Würdigung der konkreten Umstände des Einzelfalls beantwortet werden und entzieht sich damit einer verallgemeinernden, fallübergreifenden Betrachtung, wie sie für eine Grundsatzrüge erforderlich ist. (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 12 K 17.49204 1810 2019-09-11 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Zulassungsantrags.

Gründe

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Die geltend gemachten Zulassungsgründe eines Verfahrensmangels gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG in Verbindung mit § 138 Nr. 3 VwGO (in Form der Versagung des rechtlichen Gehörs) und der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG sind nicht im Sinne von § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG dargelegt und liegen auch nicht vor.
1. Der Zulassungsantrag legt keine Verletzung des rechtlichen Gehörs dar.
Das prozessuale Grundrecht des Anspruchs auf rechtliches Gehör, das verfassungsrechtlich in Art. 103 Abs. 1 GG und Art. 91 Abs. 1 BV sowie einfachgesetzlich in § 108 Abs. 2 VwGO garantiert ist, sichert den Beteiligten ein Recht auf Information, Äußerung und Berücksichtigung, so dass sie ihr Verhalten eigenbestimmt und situationsspezifisch gestalten können, insbesondere dass sie mit ihren Ausführungen und Anträgen vor Gericht gehört werden. Das Gericht hat sich mit den wesentlichen Argumenten des Klagevortrags zu befassen, wenn sie entscheidungserheblich sind. Ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG kann jedoch nur dann festgestellt werden, wenn sich aus besonderen Umständen klar ergibt, dass das Gericht dieser Pflicht nicht nachgekommen ist. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass die Gerichte das von ihnen entgegengenommene Vorbringen zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen haben. Sie sind nicht verpflichtet, sich mit jedem Vorbringen in den Entscheidungsgründen ausdrücklich zu befassen. Ein Gericht muss die Beteiligten grundsätzlich auch nicht vorab auf seine Rechtsauffassung oder die beabsichtigte Würdigung des Prozessstoffs hinweisen, weil sich die tatsächliche und rechtliche Würdigung regelmäßig erst aufgrund der abschließenden Beratung ergibt. Zudem ist die Rüge eines Verstoßes gegen Art. 103 Abs. 1 GG nur dann hinreichend substantiiert, wenn dem Vorbringen entnommen werden kann, was der Betroffene bei ausreichender Gewährung rechtlichen Gehörs vorgetragen hätte, denn nur dann kann geprüft und entschieden werden, ob die angegriffene Entscheidung auf dem Gehörsverstoß beruht (vgl. BayVGH, B.v. 28.4.2020 – 23 ZB 20.30713 – Rn. 3-5 m.w.N.).
Abzugrenzen ist der Anspruch auf rechtliches Gehör von dem Gebot rechtsfehlerfreier Überzeugungsbildung beziehungsweise ordnungsgemäßer Sachverhalts- und Beweiswürdigung gemäß § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Einwände gegen die tatrichterliche Sachverhalts- und Beweiswürdigung in Bezug auf den ermittelten Sachverhalt können die Annahme eines Gehörsverstoßes nicht begründen. Der Anspruch auf rechtliches Gehör ist nicht schon dann verletzt, wenn der Richter zu einer unrichtigen Tatsachenfeststellung gekommen ist. Auch die bloße Behauptung, das Gericht habe einem Umstand nicht die richtige Bedeutung für weitere tatsächliche oder rechtliche Folgerungen beigemessen oder das Gericht habe es versäumt, Beweis zu erheben, vermag einen Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG nicht zu begründen (vgl. BayVGH, B.v. 8.3.2021 – 23 ZB 20.32347 – Rn. 3 m.w.N.).
Der Kläger sieht eine Verletzung des rechtlichen Gehörs zum einen im Vorliegen einer unzulässigen Überraschungsentscheidung, da das Verwaltungsgericht den Umstand, dass der Kläger seine Papiere und Geburtsurkunde nicht mitgenommen habe, als entscheidungserheblich gewertet, dem Kläger aber nicht vorgehalten habe. Die Wertung im verwaltungsgerichtlichen Urteil, die Darstellung des Klägers sei nicht glaubhaft, weil er keine Dokumente darüber habe vorweisen können, dass seine Eltern und Vorfahren im Jahr 1993 auf dem Gebiet Eritreas gelebt hätten (UA S. 13), er die Landessprache Tigrinia im Alter zwischen drei und fünf Jahren nicht gelernt bzw. angeblich kein Interesse daran gehabt habe (UA S. 12 ff), sich ab 2004 in Äthiopien nicht habe einbürgern lassen sowie Identifikationspapiere über seine eritreische Herkunft nicht erhalten habe (UA S. 15), habe den Kläger überrascht. Aus dem Protokoll gehe hervor, dass er dazu Stellung genommen habe, ohne dass das Verwaltungsgericht ihn darauf hingewiesen hätte, dass er entsprechend seiner Mitwirkungspflicht zu dem tatsächlichen Geschehen Stellung nehmen müsse. Der Kläger habe auch nicht damit rechnen müssen, dass weitere Äußerungen zu diesem Gesichtspunkt von ihm erwartet würden, da er zu diesem Themenkomplex in der mündlichen Verhandlung ausweislich der Verhandlungsniederschrift detailliert berichtet habe. Weil diese spezifische Beweiswürdigung den Kläger überrascht habe, habe er in der mündlichen Verhandlung keine geeigneten prozessualen Gegenmaßnahmen treffen können. Der Kläger hätte die nachträglich vom Gericht erhobenen Zweifel ausräumen und durch geeignete prozessuale Vorkehrungen auf eine entsprechende gerichtliche Aufklärung hinwirken können. Zum anderen verkenne das Gericht im Rahmen der Prüfung der Beweislast des Klägers, dass der Kläger von einer möglichen Einbürgerung in Äthiopien ab 2004 weder Kenntnis gehabt noch Dokumente in Äthiopien habe vorweisen können, die irgendetwas hätten belegen können, um sich einbürgern oder nachregistrieren zu lassen. Warum dem Kläger gerade das Unterlassen dieser Handlung bei der Beweislast zum Nachteil gereiche, erschließe sich nicht und sei deshalb auch überraschend für ihn. Schließlich sei auch die erfolglose Vorsprache des Klägers beim Äthiopischen Generalkonsulat vom 12. Oktober 2019 als unbedeutend abgetan und mit der freien richterlichen Beweiswürdigung gleichgesetzt worden (S. 16 des Urteils). Das Generalkonsulat prüfe jedoch bei der Feststellung der Staatsangehörigkeit nicht nach freier Beweiswürdigung, sondern ausschließlich anhand der Voraussetzungen, um die Staatsangehörigkeit desjenigen festzustellen, der sie begehre. Da dem Kläger jegliche Beweisdokumente fehlten, sei es für ihn weder möglich, sich als Eritreer noch als Äthiopier einbürgern zu lassen.
Ein zur Zulassung der Berufung gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 VwGO führender Verfahrensfehler ist damit nicht dargetan.
a) Die Fragen der Staatsangehörigkeit des Klägers bzw. seiner Eltern, des Vorhandenseins entsprechender Dokumente und des Aufenthaltes in Eritrea in seiner Kindheit waren, wie die Klagepartei selbst ausführt, Gegenstand der mündlichen Verhandlung (Sitzungsniederschrift, S. 2 f). Die vorgelegte Bestätigung über die erfolglose Vorsprache des Klägers beim Äthiopischen Generalkonsulat vom 12. Oktober 2019 hat das Verwaltungsgericht ebenfalls zur Kenntnis genommen und gewürdigt (UA, Tatbestand Rn. 14 sowie Entscheidungsgründe Rn. 48). Der Aspekt einer möglichen Einbürgerung in Äthiopien war für das Verwaltungsgericht letztlich bereits nicht entscheidungserheblich, weil es im angegriffenen Urteil – selbständig tragend – davon ausgeht, dass der Kläger die äthiopische Staatsangehörigkeit besitzt (UA Rn. 33, 46). Mit den von Klägerseite erhobenen Einwänden sowie dem Vorwurf, das Verwaltungsgericht verkenne im Rahmen der Prüfung der Beweislast des Klägers, dass er von einer möglichen Einbürgerung in Äthiopien ab 2004 weder Kenntnis gehabt noch Dokumente in Äthiopien habe vorweisen können, die irgendetwas hätten belegen können, um sich einbürgern oder nachregistrieren zu lassen, wendet sich der Kläger der Sache nach gegen die Tatsachen- und Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichts. Soweit es nicht um die Ermittlung des für die Feststellung der Staatsangehörigkeit eines Schutzsuchenden entscheidungserheblichen ausländischen Staatsangehörigkeitsrechts und seine Anwendungspraxis geht, sondern darum, ermittelte Einzeltatsachen einer Gesamtwürdigung in tatsächlicher Hinsicht zuzuführen und Schlüsse aus Indiztatsachen zu ziehen, unterliegt die Feststellung der Staatsangehörigkeit der freien Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichts (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO; BVerwG, U.v. 13.2.2014 – 10 C 6.13 – NVwZ-RR 2014, 487 = juris Rn. 18 ff; BVerwG, U.v. 8.2.2005 – juris Rn. 17 f). Die Feststellung und Würdigung des Tatbestands ist allerdings allein Sache des erkennenden Gerichts. Die Behauptung, die richterlichen Tatsachenfeststellungen seien falsch oder unzureichend, vermag deshalb grundsätzlich einen Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG nicht zu begründen (BVerfG, E.v. 19.7.1967 -2 BvR 639/66 – BVerfGE 22, 267/273; BVerfG, B.v. 2.12.1969 – 2 BvR 320/69 – juris Rn. 9; BVerwG, B.v. 2.11.1995 – 9 B 710.94 – juris Rn. 4 ff.; OVG NW, B.v. 21.7.2021 – 1 A 1555/20.A – juris Rn. 22 ff. m.w.N.). Eine willkürliche Sachverhaltswürdigung durch das Verwaltungsgericht ist weder entsprechend den Anforderungen des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG dargelegt noch ersichtlich.
b) Soweit das Zulassungsvorbringen dahingehend zu verstehen sein sollte, das Verwaltungsgericht hätte die Staatsangehörigkeit des Klägers durch Einholung eines Sachverständigengutachtens weiter aufklären müssen, würde im Gewand einer Gehörsrüge tatsächlich die Verfahrensrüge einer nicht ordnungsgemäßen Aufklärung des Sachverhalts erhoben. Eine solche Rüge ist im asylgerichtlichen Verfahren allerdings schon kein Berufungszulassungsgrund. Eine mögliche Verletzung der dem Gericht gemäß § 86 Abs. 1 VwGO obliegenden Aufklärungspflicht gehört nicht zu den in § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 VwGO bezeichneten Verfahrensmängeln, bei deren Vorliegen die Berufung zuzulassen ist. Eine unterbliebene, allerdings gebotene Sachverhaltsaufklärung kann zwar im Einzelfall auch einen Verstoß gegen das rechtliche Gehör darstellen. Eine solche Gehörsrüge (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 Nr. 3 VwGO) kann der auch in der ersten Instanz durch seinen jetzigen Bevollmächtigten vertretene Kläger aber schon deshalb nicht mit Erfolg geltend machen, weil er es versäumt hat, entsprechende Beweisanträge zu stellen, um sich vor dem Verwaltungsgericht selbst das rechtliche Gehör zu verschaffen. Die nunmehr erhobene Aufklärungsrüge kann nicht dazu dienen, Beweisanträge zu ersetzen, die ein Beteiligter in zumutbarer Weise hätte stellen können, jedoch zu stellen unterlassen hat (st.Rspr., z.B. BVerwG, B.v. 20.12.2011 – 7 B 43.11 – juris Rn. 26 m.w.N.). Dass und inwiefern sich dem Verwaltungsgericht eine weitere Ermittlung des Sachverhalts hätte aufdrängen müssen, legt das Zulassungsvorbringen nicht dar.
c) Ein Verfahrensfehler kommt schließlich auch nicht unter dem Gesichtspunkt des Vorwurfs einer Überraschungsentscheidung in Betracht. Eine den Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs konkretisierende gerichtliche Hinweispflicht zur Vermeidung einer Überraschungsentscheidung besteht nur dann, wenn auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Prozessverlauf nicht mit einer bestimmten Bewertung seines Sachvortrags durch das Verwaltungsgericht zu rechnen braucht. Im Übrigen besteht auch aus Art. 103 Abs. 1 GG keine Verpflichtung des Verwaltungsgerichts, einen Asylkläger auf Unstimmigkeiten und Widersprüche in seinem Sachvortrag hinzuweisen und Nachforschungen durch weitere Fragen anzustellen (vgl. BayVGH, B.v. 10.12.2020 – 23 ZB 20.32264 – Rn. 6 m.w.N.). Ein Verfahrensbeteiligter muss grundsätzlich alle vertretbaren rechtlichen Gesichtspunkte von sich aus in Betracht ziehen und seinen Vortrag darauf einstellen, auch wenn die Rechtslage umstritten oder problematisch sein sollte. Im Übrigen setzt eine dem verfassungsrechtlichen Anspruch genügende Gewährung rechtlichen Gehörs nur voraus, dass der Verfahrensbeteiligte bei Anwendung der von ihm zu verlangenden Sorgfalt zu erkennen vermag, auf welchen Tatsachenvortrag es für die Entscheidung ankommen kann. Art. 103 Abs. 1 GG ist keine allgemeine Frage- und Aufklärungspflicht des Richters zu entnehmen (BVerfG, B.v. 29.5.1991 -1 BvR 1383/90 – BVerfGE 84, 188).
Hiervon ausgehend sind keine Anhaltspunkte dafür dargelegt, dass ausnahmsweise zur Vermeidung einer Überraschungsentscheidung ein Hinweis des Verwaltungsgerichts auf die voraussichtliche Würdigung des klägerischen Vortrags im Hinblick auf die Glaubhaftigkeit seines Vorbringens betreffend seine Staatsangehörigkeit geboten gewesen wäre, zumal die Würdigung (auch) dieses Umstands der Schlussberatung bzw. Entscheidungsfindung des Gerichts überlassen blieb. Ausweislich der Niederschrift über die mündliche Verhandlung (S. 3) hat das Verwaltungsgericht dem Kläger das Fehlen von Dokumenten zum Beleg eines Aufenthalts in Eritrea bzw. der eritreischen Staatsangehörigkeit vorgehalten. Auch das Bundesamt hatte im streitgegenständlichen Bescheid die Angaben des Klägers zu seiner Staatsangehörigkeit für unglaubhaft erachtet, so dass für den Kläger vorhersehbar war, dass diese Frage auch für das gerichtliche Verfahren bedeutsam sein würde; eines besonderen Hinweises durch das Gericht bedurfte es insoweit nicht (vgl. BVerwG, B.v. 26.11.2001 – 1 B 347.01 – juris Rn. 5; BayVGH, B.v. 15.10.2019 – 9 ZB 19.33518 – juris Rn. 4; B.v. 6.7.2020 – 9 ZB 20.31306 – juris Rn. 7; OVG NW, B.v. 16.12.2016 – 1 A 2199/16.A – juris Rn. 27).
d) Der nach Ablauf der Begründungsfrist gemäß § 78 Abs. 4 Satz 1 i.V.m. Satz 4 AsylG eingereichte Schriftsatz vom 10. Februar 2020 und die als Anlage hierzu vorgelegte Bestätigung des Äthiopischen Generalkonsulats können ebenfalls nicht zur Zulassung der Berufung führen. Die Bestätigung, die dem Verwaltungsgericht nicht vorlag, kann allenfalls in einem Asylfolgeverfahren Berücksichtigung finden.
2. Die Rechtssache hat auch keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG.
Dieser Zulassungsgrund setzt voraus, dass die im Zulassungsantrag dargestellte Rechts- oder Tatsachenfrage für die Entscheidung der Vorinstanz von Bedeutung war, auch für die Entscheidung im Berufungsverfahren erheblich wäre, bisher höchstrichterlich oder – bei tatsächlichen Fragen oder nicht revisiblen Rechtsfragen – durch die Rechtsprechung des Berufungsgerichts nicht geklärt, aber klärungsbedürftig und über den zu entscheidenden Fall hinaus bedeutsam ist (vgl. BayVGH, B.v. 7.2.2014 – 13a ZB 13.30225 – juris Rn. 2). Die Grundsatzfrage muss zudem anhand des verwaltungsgerichtlichen Urteils rechtlich aufgearbeitet sein. Dies erfordert regelmäßig, dass der Rechtsmittelführer die Materie durchdringt und sich mit den Erwägungen des Verwaltungsgerichts auseinandersetzt (vgl. BayVGH, BayVGH, B.v. 20.2.2019 – 13a ZB 17.31832 – juris Rn. 3; B.v. 13.8.2013 – 13a ZB 12.30470 – juris Rn. 4). Bei einer auf tatsächliche Verhältnisse gestützten Grundsatzrüge muss der Rechtsmittelführer zudem Erkenntnisquellen zum Beleg dafür angeben, dass die Feststellungen, Erkenntnisse und Einschätzungen des Verwaltungsgerichts unzutreffend oder zumindest zweifelhaft sind (vgl. BayVGH, B.v. 1.6.2017 – 11 ZB 17.30602 – juris Rn. 2; OVG NW, B.v. 9.10.2017 – 13 A 1807/17.A – juris Rn. 5; BayVGH, B.v. 15.12.2020 – 23 ZB 20.32360 – Rn. 3 m.w.N.).
a) Die Klägerseite hat zunächst die Frage aufgeworfen,
„ob die Ablehnung des Antrags des Klägers wirksam ist, trotz fehlender Bekanntgabe im Sinne der §§ 41 und 43 VwVfG oder ob die Ablehnung spätestens durch Kenntnisnahme im Rahmen des Klageverfahrens dem Kläger bekannt wurde und damit wirksam wurde“.
Hierzu führt die Klägerseite zunächst aus, das Verwaltungsgericht gehe von der Wirksamkeit des ablehnenden Bescheids des Bundesamts aus, weil der Kläger vom Bescheid durch Übersendung der Bundesamtsakte an seinen Verfahrensbevollmächtigten Kenntnis erlangt habe, worin eine Bekanntgabe liege. Diese Ansicht des Gerichts werde schließlich darauf gestützt, dass der Kläger im Zuge dessen gegen den Bescheid vom 8. September 2017 am 9. November 2017 Klage erhoben habe. Tatsächlich fehle es vorliegend jedoch an einer wirksamen Bekanntgabe durch Zustellung gemäß § 41 Abs. 5 VwVfG i.V.m. §§ 4, 8 VwZG, da die Beklagte offensichtlich nicht an die richtige Adresse zugestellt habe und die Weitergabe einer Kopie des Bescheids nicht den Anforderungen des § 8 VwZG entspreche. Bei der Übersendung der Asylakte an den Verfahrensbevollmächtigten des Klägers habe das Bundesamt keinen Zustellungswilllen gehabt, was aber Voraussetzung für eine wirksame Heilung des Zustellungsmangels sei. Dies habe das Verwaltungsgericht in seinem Urteil verkannt.
Die Klägerseite hat in dieser Hinsicht zwar keine allgemein gehaltene und damit grundsätzlich klärungsfähige Frage formuliert, die Grundlage einer Grundsatzrüge sein könnte. Jedoch kann insoweit durch Auslegung (§§ 122 Abs. 1, 88 VwGO) anhand des Zulassungsvorbringens ermittelt werden, dass die Klagepartei wohl grundsätzlich geklärt wissen möchte, ob ein ablehnender Asylbescheid, der dem Kläger wegen der Verletzung von Zustellungsvorschriften zunächst nicht zugeht, dadurch wirksam wird, dass der Bevollmächtigte des Klägers durch Akteneinsicht Kenntnis hiervon erhält.
Diese Frage ist jedoch vorliegend nicht klärungsfähig, da sie sich in einem Berufungsverfahren nicht stellen würde. Denn ausweislich des Akteninhalts (vgl. insbesondere die Klage- und Antragsschrift vom 9.11.2017 sowie den im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes ergangenen Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 26.1.2018) wurde dem Kläger, nachdem er den Bescheid wegen eines Zustellungsfehlers der Post nicht erhalten hatte, eine Kopie des vollständigen Bescheids durch die Ausländerbehörde bei einer dortigen Vorsprache am 6. November 2017 ausgehändigt. Der Kläger war infolge dessen auch in der Lage, seiner Klageschrift eine vollständige Bescheidkopie beizufügen. Einsicht in die Bundesamtsakte hatte der Klägerbevollmächtigte hingegen erst nach Klageerhebung durch deren Übersendung durch das Verwaltungsgericht erhalten (vgl. den Schriftsatz des Klägerbevollmächtigten vom 20.11.2017 sowie die Bundesamtsakte, aus der sich eine Bevollmächtigung oder ein Akteneinsichtsgesuch nicht ergeben).
In der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist geklärt, dass hierdurch eine Heilung des Zustellungsmangels nach § 8 VwZG eintritt (BVerwG, U.v. 18.4.1997 – 8 C 43.95 – NVwZ 1999, 178). Unerheblich ist hierfür, dass lediglich eine Kopie des Bescheids übergeben wurde. Der Zweck der Bekanntgabe ist nämlich erreicht, wenn dem Adressaten eine zuverlässige Kenntnis des Inhalts des Bescheids verschafft wird. Diese Kenntnis vermittelt auch eine Fotokopie, wenn sie das Original nach Inhalt und Fassung vollständig wiedergibt (BVerwG, U.v. 18.4.1997, a.a.O.; BFH, U.v. 19.5.1976 – I R 154/74 – juris Rn. 14; BFH, U.v. 28.8.1990 – VII R 59/89 – NVwZ-RR 1991, 660 = juris Rn. 35, zu § 9 VwZG a.F.). Dies war vorliegend der Fall, wie die zusammen mit der Klageschrift vorgelegte Ablichtung der Fotokopie des vollständigen Bescheids belegt. Einer Heilung steht auch nicht entgegen, dass die Beklagte dem Kläger nur mittelbar über die Ausländerbehörde Kenntnis vom Inhalt des ablehnenden Asylbescheides verschafft hat. Zwar führt der Bevollmächtigte des Klägers insoweit zurecht aus, dass die Aushändigung einer Bescheidkopie durch eine hierfür unzuständige Behörde dann keine Heilung herbeiführt, wenn die zuständige Behörde nicht den Willen hatte, den Bescheid dem Adressaten bekanntzugeben. Die Beklagte hatte jedoch Bekanntgabewillen, da der streitgegenständliche Bescheid mit ihrem Wissen und Wollen in der Absicht, Rechtsfolgen auszulösen, aus dem internen Bereich herausgegeben worden ist, was sich ohne weiteres aus dem missglückten Zustellungsversuch ergibt. Zur Heilung ist nicht erforderlich, dass auch die nachträgliche Kenntniserlangung durch den Adressaten vom Willen der Behörde erfasst wird (BVerwG, U.v. 18.4.1997, a.a.O.; BVerwG, U.v. 15.1.1988 – 8 C 8.86 – NJW 1988, 1612 = juris Rn. 11; BFH, U.v. 28.8.1990 – VII R 59/89 – NVwZ-RR 1991, 660 = juris Rn. 36, zu § 9 VwZG a.F.).
Die Annahme des Verwaltungsgerichts, es liege eine wirksame Bekanntgabe vor, erweist sich daher im Ergebnis als richtig, so dass die aufgeworfene Frage vorliegend nicht entscheidungserheblich ist.
b) Soweit der Kläger die Frage geklärt wissen möchte,
„ob nach Abschiebung eines Eritreers nach Äthiopien für diesen ein Grad beachtlicher Wahrscheinlichkeit der Verfolgung im Sinn des § 3 Abs. 1 AsylG gegeben ist, im Zuge des neu abgeschlossenen Friedensvertrags zwischen den beiden Ländern“,
wird weder ein grundsätzlicher Klärungsbedarf noch die Klärungsfähigkeit dieser Frage aufgezeigt. Das Verwaltungsgericht ist bereits nicht davon ausgegangen, dass der Kläger Eritreer ist (s.o.), so dass die Frage bereits nicht entscheidungserheblich war und damit nicht klärungsfähig ist. Im Übrigen drohen äthiopischen Staatsangehörigen eritreischer Abstammung in Äthiopien mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit keine an eine tatsächliche oder vermeintliche eritreische oder halberitreische Abstammung anknüpfende Verfolgungsmaßnahmen (BayVGH, B.v. 4.7.2019 – 8 ZB 19.32389 – juris Rn. 12; OVG NW, 29.6.2020 – 19 A 1420/19.A – juris Rn. 205). Ungeachtet dessen fehlt es, soweit die Klagepartei ausführt, der Kläger könnte im Zuge des 2018 abgeschlossenen Friedensvertrags von Äthiopien nach Eritrea abgeschoben werden, wo ihm sodann Verfolgung drohe, an einer rechtlichen Aufarbeitung der Frage in Auseinandersetzung mit den diesbezüglichen Erwägungen des Verwaltungsgerichts. Das Verwaltungsgericht hat insoweit unter Berufung auf ein Urteil des VG Münster vom 5. März 2019 (Az. 11 K 3094/16.A – juris) und den Bericht des Auswärtigen Amts über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Äthiopien vom 8. April 2019 (Gliederungspunkt III.5.) ausgeführt, eritreische Flüchtlinge würden längst nicht mehr aus Äthiopien abgeschoben und Äthiopien verfolge eine Politik der offenen Tür, indem es Flüchtlinge aus den Nachbarländern, insbesondere aus Eritrea, in der Regel ohne weitergehende Prüfung aufnehme (UA Rn. 50). Hiermit setzt sich die Zulassungsbegründung mit keinem Wort auseinander. Auch die angeführten Erkenntnisquellen, die dem Senat im Übrigen nicht vorgelegt wurden, setzen sich, soweit sie für den Senat abrufbar waren (Stellungnahme von Pro Asyl vom 9.12.2019 sowie Gutachten von Amnesty International vom 3.8.2018) nicht mit der Frage einer Abschiebung von Äthiopien nach Eritrea auseinander, sondern befassen sich mit dem Umgang der eritreischen Behörden mit nach Eritrea zurückgekehrten Flüchtlingen und der illegalen Ausreise eritreischer Staatsangehöriger.
c) Die von Klägerseite ebenfalls für grundsätzlich klärungsbedürftig erachtete Frage,
„ob ein Abschiebungsgrund nach § 60 Abs. 7 AufenthG besteht, wenn der Kläger Vater eines zwei Jahre alten Kindes ist und dafür finanziell aufkommen muss, ohne mit der Mutter verheiratet zu sein“,
weist unter Berücksichtigung des Zulassungsvorbringens ebenfalls keinen grundsätzlichen Klärungsbedarf auf. Die Klägerseite hat in dieser Hinsicht bereits keine verallgemeinerungsfähige Frage formuliert, die Grundlage für eine Grundsatzrüge sein könnte. Die aufgeworfene Frage, ob ein zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot besteht oder nicht, kann nämlich nur unter Berücksichtigung der individuellen Person und bei Würdigung der konkreten Umstände des Einzelfalls beantwortet werden, in denen sich die Person nach Rückkehr befinden wird (vgl. zu § 60 Abs. 7 AufenthG: BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15.12 – juris Rn. 38). Dazu gehören etwa das Alter, das Geschlecht, der Gesundheitszustand, die Ausbildung, die finanziellen Verhältnisse sowie familiäre Verbindungen und sonstige Netzwerke. Eine derartige Frage entzieht sich aus diesem Grund einer verallgemeinernden, fallübergreifenden Betrachtung, wie sie für eine Grundsatzrüge erforderlich ist (vgl. BayVGH, B.v. 26.6.2020 – 23 ZB 20.31311 – Rn. 3 ff.).
Unabhängig hiervon fehlt es auch an einer rechtlichen Aufarbeitung der von der Klägerseite geltend gemachten Grundsatzfrage nach Maßgabe des Verwaltungsgerichtsurteils sowie an einer ausreichenden Darlegung entsprechend den Anforderungen gemäß § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG. Die Zulassungsschrift setzt sich nicht mit den relevanten Feststellungen des Verwaltungsgerichts auseinander, sondern stellt lediglich davon losgelöste Behauptungen in den Raum. So hat das Verwaltungsgericht bei der Prüfung eines zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG unter Berufung auf aktuelle Lageberichte des Auswärtigen Amts darauf abgestellt, dass es dem Kläger zuzumuten sei, sich in Äthiopien eine Arbeit zu suchen, wofür er als Rückkehrer, der die Chance zum Erwerb grundlegender Deutschkenntnisse gehabt habe, gute Chancen habe; er könne auch an die von ihm ausgeübten Tätigkeiten als Hilfskraft in einer Werkstatt anknüpfen und in einem ähnlichen Beruf in Äthiopien arbeiten (UA Rn. 66 f). Hierzu verhält sich die Klägerseite nicht. Zu der Situation in Äthiopien beschränkt sich der Zulassungsantrag zudem auf allgemein gehaltene Behauptungen, so dass nicht dargelegt ist, dass und inwieweit sich im vorliegenden Fall eine Gefahr mit hoher Wahrscheinlichkeit alsbald nach der Abschiebung realisieren könnte (vgl. BVerwG, U.v. 29.6.2010 – 10 C 10.09 – juris Rn. 15). Insoweit wendet sich die Klägerseite erkennbar gegen die Sachverhalts- und Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichts; dies vermag indes eine Grundsatzrüge nicht zu begründen.
Schließlich entbehrt die Zulassungsschrift jeglicher Ausführungen zur Entscheidungserheblichkeit der in der aufgeworfenen Frage thematisierten Vaterschaft des Klägers bei fehlender Eheschließung mit der Kindsmutter, i.e. dazu, ob und inwiefern vorliegend eine gemeinsame Rückkehrprognose zugrunde zu legen sein könnte. Das Verwaltungsgericht hat im angegriffenen Urteil festgestellt, es sei nicht glaubhaft gemacht worden, dass der Kläger mit der Mutter seines in der Bundesrepublik Deutschland geborenen Kindes bereits in Eritrea oder Äthiopien als Familie gelebt habe (UA Rn. 54), und hat eine etwaige Einstandspflicht des Klägers gegenüber seinem Kind und/oder dessen Mutter bei der Prüfung des Vorliegens eines nationalen Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nach dem Sinnzusammenhang des Urteils (wohl) nicht berücksichtigt (vgl. UA Rn. 66 f). Vor diesem Hintergrund waren konkrete Ausführungen zur Entscheidungserheblichkeit der Frage veranlasst, um dem Darlegungsgebot des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG zu genügen (zur Zugrundelegung einer gemeinsamen Rückkehrsituation vgl. BVerwG, U.v. 4.7.2019 – 1 C 45.18 – juris, und B.v. 15.8.2019 – 1 B 33.19 – juris Rn. 4).
Die mit Schriftsatz des Klägerbevollmächtigten vom 31. August 2021 und damit lange nach Ablauf der Begründungsfrist gemäß § 78 Abs. 4 Satz 1 i.V.m. Satz 4 AsylG geltend gemachte Änderung der politischen Lage in Äthiopien infolge des Krieges in den letzten Monaten war und konnte nicht Gegenstand der erstinstanzlichen Entscheidung sein, so dass sie allenfalls in einem Asylfolgeverfahren Berücksichtigung finden kann.
II. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden nach § 83b AsylG nicht erhoben.
III. Mit dieser gemäß § 80 AsylG unanfechtbaren Entscheidung wird das Urteil des Verwaltungsgerichts nach § 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG rechtskräftig.


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