Verwaltungsrecht

Erfolgloses Verfahren auf Gewährung von Prozesskostenhilfe und Berufungszulassung ukrainischer Flüchtlinge jüdischer Religionszugehörigkeit

Aktenzeichen  11 ZB 18.30268

Datum:
9.4.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 6942
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 78 Abs. 3
AufenthG § 23 Abs. 2
VwGO § 108

 

Leitsatz

1. Die in § 23 Abs. 2 AufenthG geregelte Aufnahmezusage dient der Wahrung besonders gelagerter politischer Interessen der BRD und nicht dem Schutz und der Verwirklichung von Grundrechten der hierdurch begünstigten Ausländer; als politische Leitentscheidung unterliegt sie grundsätzlich keiner gerichtlichen Überprüfung, vermittelt keinen Rechtsanspruch und ermächtigt das Innenministerium, den von einer Anordnung erfassten Personenkreis zu bestimmen. (Rn. 4) (redaktioneller Leitsatz)
2. Für die Annahme einer Gruppenverfolgung müssen die Verfolgungshandlungen im Verfolgungszeitraum und Verfolgungsgebiet auf alle sich dort aufhaltenden Gruppenmitglieder zielen und sich in quantitativer und qualitativer Hinsicht so ausweiten, wiederholen und um sich greifen, dass daraus für jeden Gruppenangehörigen nicht nur die Möglichkeit, sondern ohne Weiteres die aktuelle Gefahr eigener Betroffenheit entsteht. (Rn. 5) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

W 6 K 17.31239 2017-12-20 Urt VGWUERZBURG VG Würzburg

Tenor

I. Der Anträge auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Anwaltsbeiordnung für das Zulassungsverfahren sowie auf Zulassung der Berufung werden abgelehnt.
II. Die Kläger tragen die Kosten des Berufungszulassungsverfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Der zulässige Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg, weil der allein geltend gemachte Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung nicht hinreichend dargelegt ist.
Die Kläger erachten für grundsätzlich klärungsbedürftig, ob jüdische Volkszugehörige in der Ukraine Diskriminierung und/oder Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt sind, die die Zuerkennung eines Flüchtlingsbzw. Schutzstatus oder Abschiebungsverbots erforderlich machen. Sie machen geltend, dass der Kläger zu 2. aufgrund seiner Zugehörigkeit zur jüdischen Volksgruppe bzw. Religionsgemeinschaft asylerheblich diskriminiert bzw. verfolgt worden ist und ihm bei Rückkehr aus diesem Grund eine derartige Verfolgung oder ein ernsthafter Schaden droht.
Einer Rechtssache kommt grundsätzliche Bedeutung gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG zu, wenn für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts eine konkrete, jedoch fallübergreifende Tatsachen- oder Rechtsfrage von Bedeutung war, deren noch ausstehende obergerichtliche Klärung im Berufungsverfahren zu erwarten ist und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zu einer bedeutsamen Weiterentwicklung des Rechts geboten erscheint (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 124 Rn. 36). Dementsprechend verlangt die Darlegung der rechtsgrundsätzlichen Bedeutung nach § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG, dass eine konkrete Tatsachen-oder Rechtsfrage formuliert und aufgezeigt wird, weshalb die Frage im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Fortentwicklung des Rechts klärungsbedürftig und klärungsfähig, insbesondere entscheidungserheblich, ist; ferner, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung dieser Frage besteht (vgl. Happ in Eyermann, a.a.O. § 124a Rn. 72; Meyer-Ladewig/Rudisile in Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand Juni 2017, § 124a Rn. 102 ff.; Berlit in GK-AsylG, Stand Oktober 2017, § 78 Rn. 88 m.w.N.). Bei einer auf tatsächliche Verhältnisse gestützten Grundsatzrüge muss der Rechtsmittelführer Erkenntnisquellen zum Beleg dafür angeben, dass die Feststellungen, Erkenntnisse und Einschätzungen des Verwaltungsgerichts unzutreffend oder zumindest zweifelhaft sind (vgl. BayVGH, B.v. 1.6.2017 –11 ZB 17.30602 – juris Rn. 2; OVG NW, B.v. 9.10.2017 – 13 A 1807/17.A – juris Rn. 5; B.v. 12.12.2016 – 4 A 2939/15.A – juris Rn. 7 m.w.N.; Berlit, a.a.O., § 78 Rn. 609 ff.).
Diesen Anforderungen genügt der Zulassungsantrag nicht. Das Verwaltungsgericht hat eine Verfolgung aufgrund der jüdischen Religionszugehörigkeit des Klägers zu 2. deshalb verneint, weil es seine Erlebnisse im Kindergarten für unklar bzw. zweifelhaft hielt, die Vorkommnisse ihrer Intensität nach nicht als asylerhebliche Verfolgung gewertet hat und die Kläger keine konkreten Nachweise vorgelegt haben, um die allgemeine Auskunftslage zu erschüttern. Hiermit haben sich die Kläger im Zulassungsverfahren nicht auseinandergesetzt, insbesondere keine ihre Behauptung stützenden Erkenntnisse und Quellen angegeben. Vielmehr stellen sie ausschließlich darauf ab, dass jüdische Religionszugehörige aus Osteuropa Kontingentflüchtlinge seien, die ein Recht auf Aufnahme gemäß § 23 Abs. 2 AufenthG hätten und damit begriffsnotwendig auch den Status eines Flüchtlings bzw. die Voraussetzungen des subsidiären Schutzstatus und des Vorliegens von Abschiebungshindernissen erfüllen würden. Diese Argumentation greift indes nicht durch. Primärer Zweck der Regelung des § 23 Abs. 2 AufenthG ist nicht – wie die Kläger meinen – die individuelle Schutzgewährung vor anhaltender Verfolgung von Juden in den Nachfolgestaaten der früheren Sowjetunion, sondern die Stärkung des Lebens der jüdischen Gemeinden in der Bundesrepublik Deutschland (vgl. BVerwG, U.v. 15.11.2011 – 1 C 21/10 – juris Rn. 15). Die Aufnahmebefugnis dient der Wahrung besonders gelagerter politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland und nicht dem Schutz und der Verwirklichung von Grundrechten der hierdurch begünstigten Ausländer (vgl. BVerwG, a.a.O. Rn. 10 ff., 16). Es handelt sich um eine politische Leitentscheidung, die grundsätzlich keiner gerichtlichen Überprüfung unterliegt, dem Ausländer keinen Rechtsanspruch vermittelt und das Bundesministerium des Innern ermächtigt, im Rahmen seines Entschließungs- und Auswahlermessens nach positiven und negativen Kriterien (Erteilungsvoraussetzungen und Ausschlussgründen) den von einer Anordnung erfassten Personenkreis zu bestimmen (vgl. BVerwG, a.a.O. Rn. 12 f.). Demgemäß stellt die „Anordnung des Bundesministeriums des Innern gemäß § 23 Abs. 2 des Aufenthaltsgesetzes über die Aufnahme jüdischer Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion mit Ausnahme der Baltischen Staaten“ vom 24. Mai 2007, zuletzt geändert am 13. Januar 2015, in der Fassung vom 21. Mai 2015, auch von der Schutzgewährung unabhängige Anforderungen auf, wie z.B. die Fähigkeit zur Sicherung des eigenen Lebensunterhalts (Nr. I.2.b) und grundlegende Sprachkenntnisse (Nr. I.2.c), auf die nur bei Opfern nationalsozialistischer Verfolgung verzichtet wird (Nr. I.3). Auch werden die Begünstigten dieser Regelung als Zuwanderer und nicht als Flüchtlinge bezeichnet. Folglich lässt sich aus der Anwendbarkeit von § 23 Abs. 2 AufenthG nicht auf das Vorliegen der Voraussetzungen der §§ 3 bis 4 AsylG schließen.
Im Übrigen sind die Voraussetzungen, unter denen die Annahme einer Verfolgung wegen der bloßen Zugehörigkeit zu einer Religion, Nationalität oder einer bestimmten sozialen Gruppe (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG) gerechtfertigt ist, geklärt. Für die Annahme einer Gruppenverfolgung ist die Gefahr einer so großen Vielzahl von Eingriffshandlungen in flüchtlingsrechtlich geschützte Rechtsgüter erforderlich, dass es sich dabei nicht mehr nur um vereinzelt bleibende individuelle Übergriffe oder um eine Vielzahl einzelner Übergriffe handelt. Vielmehr müssen die Verfolgungshandlungen im Verfolgungszeitraum und Verfolgungsgebiet auf alle sich dort aufhaltenden Gruppenmitglieder zielen und sich in quantitativer und qualitativer Hinsicht so ausweiten, wiederholen und um sich greifen, dass daraus für jeden Gruppenangehörigen nicht nur die Möglichkeit, sondern ohne Weiteres die aktuelle Gefahr eigener Betroffenheit entsteht (vgl. BVerwG, U.v. 31.4.2009 – 10 C 11/08 – AuAS 2009, 173 = juris Rn. 13 ff.; U.v. 1.2.2007 – 1 C 24/06 – NVwZ 2007, 590 = juris Rn. 7; U.v. 18.7.2006 – 1 C 15/05 – BVerwGE 126, 243 = juris Rn. 20 jeweils m.w.N.). Auch hierzu haben die Kläger nichts vorgetragen.
Ferner ist vor diesem Hintergrund und dem der fehlenden individuellen Verfolgung, entgegen dem klägerischen Vortrag, nachvollziehbar, dass das Verwaltungsgericht die Bezugnahme auf einzelne offenbar antisemitisch motivierte Anschläge nicht als ausreichend angesehen hat.
Soweit sich die Einwände der Sache nach gegen die gerichtliche Sachverhalts- und Beweiswürdigung (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) wenden, sind sie dem sachlichen Recht zuzurechnen (vgl. BVerwG, B.v. 1.2.2010 – 10 B 21.09 u.a. – juris Rn. 13) und richten sich in Wahrheit gegen die materielle Richtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung, was nach der abschließenden Sonderregelung des § 78 Abs. 3 AsylG nicht zur Zulassung der Berufung führen kann. In diesem Zusammenhang sei angemerkt, dass dem von den Klägern angeführten, durch das Verwaltungsgericht Frankfurt am Main mit Urteil vom 4. August 2014 – 7 K 605/14 – entschiedenen Fall eine festgestellte individuelle Verfolgung aus religiösen Gründen zugrunde lag.
Da der Antrag auf Zulassung der Berufung aus den vorstehenden Gründen keine hinreichenden Erfolgsaussichten hat, haben die Kläger ungeachtet ihrer wirtschaftlichen Verhältnisse keinen Anspruch auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung ihrer Bevollmächtigten (§ 166 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1, § 121 Abs. 1 ZPO).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, § 83b AsylG.
Mit dieser gemäß § 80 AsylG unanfechtbaren Entscheidung wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).


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