Verwaltungsrecht

Erfolgreiche Klage gegen die Ablehnung eines vor dem 20. Juli 2015 gestellten Asylantrags als unzulässig

Aktenzeichen  W 10 K 17.33394

Datum:
21.12.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 40107
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 2, § 37 Abs. 1 S. 2
RL 2005/85/EG Art. 25 Abs. 2 a), Art. 33 Abs. 2 a)
RL 2013/32/EU Art. 52 Abs. 1

 

Leitsatz

1 Für die Ablehnung eines vor dem 20. Juli 2015 gestellten Asylantrags als unzulässig fehlt es an einer Rechtsgrundlage, wenn der andere Mitgliedstaat dem Antragsteller nicht die Flüchtlingseigenschaft, sondern (nur) den subsidiären Schutzstatus zuerkannt hat; § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG ist insoweit nicht anwendbar. (Rn. 19 – 28) (redaktioneller Leitsatz)
2 Mit der Aufhebung der Unzulässigkeitsentscheidung durch das Gericht fehlt es an einer Rechtsgrundlage für eine Entscheidung über das Vorliegen von Abschiebungsverboten; das Bundesamt hat das Asylverfahren fortzusetzen und gegebenenfalls eine (erneute) Feststellung zu zielstaatsbezogenen Abschiebungsverboten zu treffen. (Rn. 30) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Bescheid der Beklagten vom 13. September 2017 wird aufgehoben.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Die zulässige Klage ist nur in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet. Im Übrigen ist sie unbegründet.
1. Die Klage ist zulässig.
a) Hinsichtlich des Klagebegehrens der Aufhebung der Ziffern 1 und 3 des Bescheides der Beklagten vom 13. September 2017 (Ablehnung des Asylantrages als unzulässig und Androhung der Abschiebung nach Italien) ist die Anfechtungsklage die statthafte Klageart. Denn eine gerichtliche Aufhebung der Unzulässigkeitsentscheidung hat – wie die Regelung in § 37 Abs. 1 Satz 2 AsylG zeigt – zur Folge, dass das Bundesamt das Asylverfahren fortführen und eine Sachentscheidung treffen muss (vgl. BVerwG, U.v. 21.11.2017 – 1 C 39.16 – juris Rn. 16; B.v.2.8.2017 – 1 C 37.16 – juris Rn. 19; B.v. 1.6.2017 – 1 C 9.17 – juris Rn. 14 f.; U.v. 14.12.2016 – 1 C 4.16 – juris Rn. 15 ff.; BayVGH, U.v. 13.10.2016 – 20 B 15.30008 – juris Rn. 23 ff.). Dabei legt das Gericht den Klageantrag gemäß § 88 VwGO rechtsschutzorientiert dahingehend aus, dass sich die Klage nicht gegen die in Satz 4 der Tenorziffer 3 des angefochtenen Bescheides verfügte Untersagung der Abschiebung nach Nigeria richtet, weil insoweit eine Rechtsverletzung des Klägers unter allen in Betracht kommenden rechtlichen Gesichtspunkten offensichtlich ausscheidet (§ 42 Abs. 2 VwGO). Ohnehin kommt diesem Ausspruch im Tenor des streitgegenständlichen Bescheides nur deklaratorische Wirkung zu, weil das Abschiebungsverbot hinsichtlich des Herkunftsstaates, hier Nigeria, bereits aus dem Gesetz folgt (§ 60 Abs. 10 Satz 2 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 Abs. 1 Satz 2 AufenthG).
b) Hinsichtlich der Klagebegehren der Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung eines nationalen Abschiebungsverbotes gemäß § 60 Abs. 5 bzw. Abs. 7 Satz 1 AufenthG unter Aufhebung der entsprechenden Ablehnung (Ziffer 2 des streitgegenständlichen Bescheides) und zur Verkürzung der Frist des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbotes gemäß § 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG bzw. zur ermessensfehlerfreien Entscheidung hierüber unter Aufhebung der entsprechenden ablehnenden Entscheidung (Ziffer 4 des streitgegenständlichen Bescheides) ist jeweils die Verpflichtungsklage die statthafte Klageart (vgl. zu Letzterem BVerwG, U.v. 6.3.2014 – 1 C 2.13 – juris Rn. 7; BayVGH, U.v. 12.7.2016 – 10 BV 14.1818 – juris Rn. 59).
2. Die Klage ist begründet, soweit der Kläger die Aufhebung des streitgegenständlichen Bescheides begehrt. Dies folgt hinsichtlich der Ziffern 1 und 3 des Bescheides (Ablehnung des Asylantrages als unzulässig – siehe dazu die Ausführungen unter a) – und Abschiebungsandrohung – siehe dazu die Ausführungen unter b)) bereits daraus, dass diese Entscheidungen rechtswidrig sind und den Kläger in seinen Rechten verletzen (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Hinsichtlich des Begehrens der Feststellung von zielstaatsbezogenen Abschiebungsverboten (siehe dazu die Ausführungen unter c)) sowie der Verkürzung der Frist des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbotes (siehe dazu d)) ist die Klage nur insoweit begründet, als die ablehnenden Entscheidungen in den Ziffern 2 und 4 des streitgegenständlichen Bescheides aufzuheben sind; ein weitergehender Anspruch steht dem Kläger nicht zu (§ 113 Abs. 5 Satz 1, 2 VwGO).
a) Die Ablehnung des Asylantrages als unzulässig ist materiell rechtswidrig, weil es insoweit jedenfalls hinsichtlich vor dem Stichtag des 20. Juli 2015 nach Art. 52 Abs. 1 der Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes (Verfahrensrichtlinie – Neufassung) im Bundesgebiet gestellter Asylanträge an einer Rechtsgrundlage fehlt, wenn der andere Mitgliedstaat dem Antragsteller nicht die Flüchtlingseigenschaft, sondern (nur) den subsidiären Schutzstatus zuerkannt hat.
Die Beklagte stützt den angefochtenen Verwaltungsakt auf § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG. Danach ist ein Asylantrag zulässig, wenn ein anderer Mitgliedstaat der Europäischen Union dem Ausländer bereits internationalen Schutz im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 2 gewährt hat. Der internationale Schutz im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 2 AsylG umfasst im Einklang mit Art. 2 Buchst. a) der Richtlinie 2011/95/EU vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz etc. (sog. Qualifikations- oder Anerkennungsrichtlinie, QRL) sowohl die Flüchtlingseigenschaft (Art. 2 Buchst. e) QRL) als auch den subsidiären Schutz (Art. 2 Buchst. g) QRL). § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG trägt dem Umstand Rechnung, dass die ausländische Zuerkennung des internationalen (hier: subsidiären) Schutzes Bindungswirkung entfaltet und das Bundesamt zur (erneuten) Zuerkennung eines entsprechenden Schutzstatus weder berechtigt noch verpflichtet ist (vgl. BVerwG, U.v. 20.9.2015 – 1 B 51.15 – juris Rn. 4, 6; U.v. 17.6.2014 – 10 C 7.13 – juris Rn. 26, 29; BayVGH, U.v. 13.12.2016 – 20 B 15.30049 – juris Rn. 32). Diese durch das Integrationsgesetz vom 31. Juli 2016 (in Kraft getreten am 6.8.2016, BGBl. I S. 1939) eingefügte Vorschrift findet in Ermangelung einer Übergangsregelung (vgl. § 87c AsylG) grundsätzlich auch Anwendung auf vor ihrem Inkrafttreten im Bundesgebiet gestellte Asylanträge.
Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG sind erfüllt, weil dem Kläger ausweislich der vorgelegten italienischen Aufenthaltserlaubnis mit dem Vermerk „protezione sussidiaria“ in Italien subsidiärer Schutz gewährt wurde. Mit diesem Aufenthaltstitel liegt – im Gegensatz zur nicht ausreichenden Gewährung eines humanitären Aufenthaltsrechts – die erforderliche förmliche Schutzgewährung vor (vgl. BayVGH, B.v. 15.2.2018 – 10 ZB 17.30437 – juris Rn. 7; Hailbronner, Ausländerrecht, B 2 § 35 AsylG Rn. 3, 5).
§ 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG ist jedoch nach der Überzeugung der Kammer wegen des unionsrechtlichen Anwendungsvorranges auf den vorliegenden, vor dem Stichtag des 20. Juli 2015 gestellten Asylantrag nicht anwendbar.
Die Ermächtigung, einen Asylantrag als unzulässig zu behandeln, der in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union gestellt wird, folgt mit der Anwendbarkeit der Neufassung der Asylverfahrensrichtlinie (RL 2013/32/EU) aus deren Art. 33 Abs. 1 und Abs. 2. Danach können die Mitgliedstaaten einen Antrag auf internationalen Schutz nur dann als unzulässig betrachten, wenn (u.a.) ein anderer Mitgliedstaat internationalen Schutz gewährt hat (Art. 33 Abs. 2 Buchst. a) RL 2013/32/EU). Der Terminus „Antrag auf internationalen Schutz“ umfasst gemäß Art. 2 Buchst. b) RL 2013/32/EU sowohl ein Ersuchen nach der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft als auch nach der Gewährung subsidiären Schutzes. Dem entsprechend umfasst der Begriff „internationaler Schutz“ im Sinne der Neufassung der Verfahrensrichtlinie die Flüchtlingseigenschaft und den subsidiären Schutzstatus im Sinne der Buchst. j) und k) (Art. 2 Buchst. i) RL 2013/32/EU). Diese Richtlinienbestimmungen setzt § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG im deutschen Recht um. Folglich ist die Ablehnung eines im Bundesgebiet gestellten Asylantrages eines in einem anderen Mitgliedstaat subsidiär Schutzberechtigten auf der Grundlage des § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG von Art. 33 Abs. 2 Buchst. a) RL 2013/32/EU gedeckt.
Allerdings hat der Kläger seinen Asylantrag bereits am 19. Mai 2014 und damit vor dem Ablauf der Umsetzungsfrist für die Regelung des Art. 33 Abs. 2 Buchst. a) RL 2013/32/EU am 20. Juli 2015 gestellt. Grundsätzlich folgt aus der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (vgl. EuGH, U.v. 19.9.2013 – C-297/12, Filev – juris Rn. 40 ff. m.w.N.), dass eine neue Richtlinienvorschrift, soweit nichts anderes bestimmt ist, unmittelbar für die künftigen Auswirkungen eines Sachverhaltes gilt, der unter der Geltung der früheren Vorschrift entstanden ist. Hinsichtlich der Anwendbarkeit der Unzulässigkeitsvorschrift des Art. 33 Abs. 2 RL 2013/32/EU auf sogenannte „Altfälle“, d.h. schon vor dem Ablauf der oben genannten Umsetzungsfrist gestellte Asylanträge, enthält Art. 52 Abs. 1 i.V.m. Art. 51 Abs. 1 RL 2013/32/EU jedoch eine Übergangsregelung. Gemäß Art. 52 Abs. 1 Satz 1 RL 2013/32/EU wenden die Mitgliedstaaten die Rechts- und Verwaltungsvorschriften nach Art. 51 Abs. 1 (u.a.) auf förmlich gestellte Anträge auf internationalen Schutz nach dem 20. Juli 2015 oder früher an. Gemäß Art. 52 Abs. 1 Satz 2 RL 2013/32/EU gelten für vor diesem Datum förmlich gestellte Anträge die Rechts- und Verwaltungsvorschriften nach Maßgabe der Richtlinie 2005/85/EG vom 1. Dezember 2005 über Mindestnormen für Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Zuerkennung und Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft (sog. Verfahrensrichtlinie alter Fassung – a.F.). Nach Art. 51 Abs. 1 RL 2013/32/EU war (u.a.) Art. 33 der Richtlinie bis 20. Juli 2015 von den Mitgliedstaaten in deren nationalem Recht umzusetzen (vgl. Art. 288 Abs. 3 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union – AEUV).
Die auf den vor dem 20. Juli 2015 gestellten Asylantrag des Klägers anwendbare Regelung – Verfahrensrichtlinie alter oder neuer Fassung – hängt damit entscheidend von der Auslegung der Überleitungsbestimmung in Art. 52 Abs. 1 RL 2013/32/EU ab. Der Wortlaut der genannten Bestimmung enthält eine gewisse Unklarheit durch die Formulierung „oder früher“ in Satz 1. Aus dem systematischen Zusammenhang, dem Sinn und Zweck sowie der Entstehungsgeschichte des Art. 52 Abs. 1 RL 2013/32/EU folgt jedoch, dass die genannte Formulierung die Anwendung des Art. 33 Abs. 2 Buchst. a) RL 2013/32/EU auf den vor dem Ablauf der Umsetzungsfrist am 20. Juli 2015 gestellten Antrag des Klägers nicht rechtfertigt. In den beiden Sätzen der Vorschrift werden zunächst – hinsichtlich der in Art. 51 Abs. 1 RL 2013/32/EU genannten Richtlinienbestimmungen – die zeitlichen Anwendungsbereiche der Verfahrensrichtlinie alter und neuer Fassung abgegrenzt. Satz 1 regelt die Anwendung der Vorschriften der Neufassung auf förmlich gestellte Anträge auf internationalen Schutz nach dem 20. Juli 2015, während nach Satz 2 für vor diesem Datum förmlich gestellte Anträge die Verfahrensrichtlinie alter Fassung Anwendung finden soll. Als Stichtag für die Anwendung der Neufassung der Verfahrensrichtlinie ist damit das in Art. 51 Abs. 1 RL 2013/32/EU genannte Ablaufdatum der Umsetzungsfrist, mithin der 20. Juli 2015 festgelegt. Das Ereignis, an welches die Stichtagsregelung anknüpft, ist nach dem klaren Wortlaut des Satzes 2 in Art. 52 Abs. 1 RL 2013/32/EU der Zeitpunkt der förmlichen Antragstellung. Liegt dieser Zeitpunkt vor dem 20. Juli 2015, soll mithin nach Art. 52 Abs. 1 Satz 2 RL 2013/32/EU die Verfahrensrichtlinie alter Fassung Anwendung finden. Der Zusatz „oder früher“ in Satz 1 derselben Vorschrift wurde erst zu einem sehr späten Zeitpunkt des Normsetzungsverfahrens eingefügt und schwächte die im ursprünglichen Richtlinienvorschlag der Europäischen Kommission vorgesehene feste Stichtagsregelung ab (vgl. BVerwG, B.v. 23.3.2017 – 1 C 17.16 u.a. – juris Rn. 24 m.w.N.). Daraus wird teilweise abgeleitet, dass nur durch ein Redaktionsversehen des Richtliniengebers eine Anpassung des Satzes 2 unterblieben sei (vgl. BVerwG a.a.O.). Festzuhalten bleibt aber, dass der genannte Zusatz in dem ansonsten klaren Regelungskonzept des Art. 52 Abs. 1 RL 2013/32/EU einen Fremdkörper darstellt. Maßgeblich für die Gesetzesauslegung ist aber nicht der subjektive Wille des (historischen) Gesetzgebers, sondern der sich aus dem Wortlaut und dem objektiven Regelungsgefüge ergebende objektive Aussagegehalt der Norm. Dieser objektive Aussagegehalt lässt hier aber nur zu, den Zusatz „oder früher“ in Art. 52 Abs. 1 Satz 1 RL 2013/32/EU als Bezugnahme auf den in Art. 51 Abs. 1 RL 2013/32/EU festgelegten Ablauf der Umsetzungsfrist und die damit den Mitgliedstaaten eingeräumte Möglichkeit zu verstehen, bereits vor diesem Datum tatsächlich in Kraft gesetzte nationale Umsetzungsvorschriften zu Art. 33 Abs. 2 Buchst. a) RL 2013/32/EU auf Altanträge anzuwenden (BVerwG, B.v. 23.10.2015 – 1 B 41.15 – NVwZ 2015, 1779 Rn. 11 f., juris; VG Lüneburg, U.v. 8.2.2017 – 8 A 137/16 – juris Rn. 24 m.w.N.). Im deutschen Recht ist aber die hier maßgebliche Umsetzungsvorschrift des § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG erst am 6. August 2016 und damit sogar nach dem Ablauf der Umsetzungsfrist in Kraft getreten, weshalb sie auch (frühestens) erst auf nach dem 20. Juli 2015 gestellte Anträge auf internationalen Schutz Anwendung finden kann. Da es sich bei der den Mitgliedstaaten in Art. 33 Abs. 1 Buchst. a) RL 2013/32/EU eingeräumten – und gegenüber der Vorgängerregelung erweiterten – Option um eine den Antragsteller belastende Regelung handelt, ermöglicht im Übrigen auch die Günstigkeitsklausel in Art. 5 RL 2013/32/EU keine vorzeitige Anwendung der Änderung auf vor dem 20. Juli 2015 gestellte Asylanträge (BVerwG, B.v. 23.10.2015 – 1 B 41.15 a.a.O., Rn. 12; B.v. 23.3.2017 – 1 C 17.16 u.a. – juris Rn. 24; sog. Sperrwirkung des Richtlinienrechts).
An dieser Auslegung der Übergangsvorschrift des Art. 52 Abs. 1 RL 2013/32/EU bestehen nach der Auffassung der Kammer in Anwendung der anerkannten Auslegungsmethoden und vor dem Hintergrund der ergangenen Rechtsprechung keine vernünftigen Zweifel. Die Kammer sieht daher in Ausübung des ihr eingeräumten Ermessens davon ab, das Verfahren bis zu einer Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofs über die ihm vom Bundesverwaltungsgericht vorgelegten umfangreichen Fragen zur Auslegung der Bestimmungen der EU-Verfahrensrichtlinien sowie der Qualifikations- (bzw. Anerkennungs-) Richtlinie hinsichtlich der sogenannten Sekundärmigration (vgl. BVerwG, B.v. 23.3.2017 – 1 C 17.16 u.a. – juris; B.v. 27.6.2017 – 1 C 26.16 u.a. – juris; B.v. 2.8.2017 – 1 C 37.16 u.a. – juris) auszusetzen bzw. selbst entsprechende Auslegungsfragen dem Europäischen Gerichtshof nach Art. 267 Abs. 2 Buchst. a) AEUV vorzulegen.
Der hier anzuwendende Art. 25 Abs. 2 Buchst. a) der Richtlinie 2005/85/EG bestimmte, dass die Mitgliedstaaten einen Asylantrag „gemäß diesem Artikel“ als unzulässig betrachten können, wenn (u.a.) ein anderer Mitgliedstaat die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt hat. Neben den in Art. 25 Abs. 2 der Richtlinie genannten Fällen der Unzulässigkeit eines Asylantrages verwies Art. 25 Abs. 1 auf die Bestimmungen der – hier nicht anwendbaren – Verordnung (EG) Nr. 343/2003, der sogenannten Dublin II-Verordnung. Der Begriff des „Asylantrags“ umfasste nach der Definition in Art. 2 Buchst. b) RL 2005/85/EG nur das „Ersuchen um internationalen Schutz eines Mitgliedstaates im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention“. Dem entsprechend bezeichnete der Terminus des „Flüchtlings“ im Sinne der Verfahrensrichtlinie a.F. einen „Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen, der die Voraussetzungen des Artikel 1 der Genfer Flüchtlingskonvention, so wie in der Richtlinie 2004/83/EG niedergelegt, erfüllt“ (Art. 2 Buchst. f) RL 2005/85/EG); derjenige der „Flüchtlingseigenschaft“ die „Anerkennung eines Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtling durch einen Mitgliedstaat“ (Art. 2 Buchst. g) RL 2005/85/EG). Damit steht fest, dass eine Ablehnung eines Antrags auf internationalen Schutz, welcher nicht auf den subsidiären Schutz beschränkt war, nach der Verfahrensrichtlinie a.F. nur in Betracht kam, wenn der andere Mitgliedstaat dem Antragsteller die Flüchtlingseigenschaft (und gerade nicht den subsidiären Schutz) zuerkannt hatte.
Nach alledem durfte die Beklagte den Asylantrag des Klägers nicht als unzulässig ablehnen, weil § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG wegen des unionsrechtlichen Anwendungsvorranges insoweit unanwendbar ist. Die von der Beklagten angenommene Rechtsfolge der Unzulässigkeit lässt sich auch nicht auf eine andere Rechtsgrundlage stützen. Insbesondere ist § 29 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a) AsylG i.V.m. den Regelungen der Dublin III-VO nicht anwendbar (vgl. EuGH, B.v. 5.4.2017 – C-36/16 – juris; BVerwG, U.v. 17.6.2014 – 10 C 7.13 – juris Rn. 26; eingehend Hailbronner, AuslR, B 2 § 29 AsylG Rn. 131 ff.). Eine Unzulässigkeit nach § 29 Abs. 1 Nr. 3 AsylG scheidet ebenfalls aus, weil die Mitgliedstaaten der Europäischen Union in ihrem Verhältnis zueinander keine „Drittstaaten“ im Sinne dieser Vorschrift sind (BVerwG, U.v. 1.6.2017 – 1 C 9.17 – juris Rn. 17). Auch auf § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG kann die vorliegende Ablehnung als unzulässig nicht gestützt werden, weil sie nicht an das Fehlen der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG nach erfolgter Ablehnung des Asylantrags in einem anderen Mitgliedstaat anknüpft, sondern gerade an eine dort erfolgte Schutzgewährung (vgl. BVerwG, U.v. 21.11.2017 – 1 C 39.16 – juris Rn. 17; U.v. 14.12.2016 – 1 C 4.16 – juris Rn. 24).
b) Die Abschiebungsandrohung in Ziffer 3 des angefochtenen Bescheides ist ebenfalls rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Wegen der Aufhebung der Unzulässigkeitsentscheidung in Ziffer 1 des Bescheides fehlt es bereits an einer vollziehbaren Ausreisepflicht des Klägers. Deshalb kommt es nicht auf die Frage an, ob die Beklagte hier eine Ausreisefrist von 30 Tagen gemäß § 38 Abs. 1 Satz 1 AsylG anstelle der in § 36 Abs. 1 AsylG für die Fälle der Unzulässigkeit des Asylantrages nach § 29 Abs. 1 Nrn. 2 und 4 AsylG vorgesehenen Ausreisefrist von einer Woche setzen durfte. Ohnehin wäre mit der Setzung einer längeren Ausreisefrist keine subjektive Rechtsverletzung des Klägers verbunden (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Eine solche Rechtsverletzung könnte wohl auch nicht in der Umgehung der besonderen Regelungen der §§ 35, 36 und 37 AsylG durch eine gegebenenfalls rechts widrig auf § 38 Abs. 1 AsylG gestützte Abschiebungsandrohung gesehen werden, wie der Klägerbevollmächtigte vorgetragen hat. Zwar werden die Unzulässigkeitsentscheidung sowie die Abschiebungsandrohung gemäß § 37 Abs. 1 AsylG unwirksam, wenn das Verwaltungsgericht einem Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO entspricht, mit der Folge, dass das Bundesamt das Asylverfahren fortzusetzen hat. Ist die Abschiebungsandrohung aber – wie hier – auf § 38 Abs. 1 AsylG gestützt, so entfaltet die Klage gemäß § 75 Abs. 1 AsylG aufschiebende Wirkung, weshalb es keines vorläufigen Rechtsschutzes nach § 80 Abs. 5 VwGO bedarf.
c) Die Ablehnung der Feststellung von nationalen Abschiebungsverboten gemäß § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 AufenthG in Ziffer 2 des streitgegenständlichen Bescheides ist ebenfalls aufzuheben. Einen weitergehenden Anspruch auf Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung eines solchen Abschiebungsverbotes hat der Kläger jedoch nicht, weshalb die Klage insoweit abzuweisen war (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Denn mit der Aufhebung der Unzulässigkeitsentscheidung fehlt es an einer Rechtsgrundlage für eine Entscheidung über das Vorliegen von Abschiebungsverboten. Nach § 31 Abs. 3 Satz 1 AsylG ist (u.a.) in Entscheidungen über unzulässige Asylanträge festzustellen, ob die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG hinsichtlich des Mitgliedstaates, in welchem dem Kläger Schutz gewährt wurde, vorliegen (vgl. Hailbronner, AuslR, B 2 § 31 AsylG Rn. 44 ff., § 35 AsylG Rn. 5). Wird die Unzulässigkeitsentscheidung aufgehoben, so hat das Bundesamt gemäß § 37 Abs. 1 Satz 2 AsylG das Asylverfahren fortzusetzen (BVerwG, U.v. 21.11.2017 – 1 C 39.16 – juris Rn. 16 m.w.N.; BayVGH, U.v. 13.10.2016 – 20 B 15.30008 – juris Rn. 24) und gegebenenfalls eine (erneute) Feststellung zu zielstaatsbezogenen Abschiebungsverboten zu treffen. Zwar begehrt der Kläger die Verpflichtung der Beklagten zum Erlass eines begünstigenden Verwaltungsaktes. Das Verpflichtungsbegehren enthält aber regelmäßig das Begehren der Aufhebung des Ablehnungsbescheides als „unselbständigen Anfechtungsannex“ (Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 113 Rn. 33 und § 121 Rn. 30), weshalb das Gericht mit der Aufhebung nicht über den Streitgegenstand hinausgeht (§ 88 VwGO).
d) Aufzuheben ist schließlich auch die in Ziffer 4 des streitgegenständlichen Bescheides verfügte Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbotes gemäß § 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG, weil infolge der Aufhebung der Abschiebungsandrohung kein Einreise- und Aufenthaltsverbot besteht (§ 11 Abs. 1 AufenthG).
3. Der Bescheid des Bundesamtes vom 13. September 2017 war daher aufzuheben. Als überwiegend, d.h. mit Ausnahme der geringfügigen Teilabweisung der Klage hinsichtlich der Verpflichtungsbegehren zu Ziffer 2 und 4 des Bescheides – unterliegender Teil hat die Beklagte daher gemäß § 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO die Kosten des Verfahrens zu tragen. Das Verfahren ist gemäß § 83b AsylG gerichtskostenfrei.


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