Verwaltungsrecht

Erfolgreiche Untätigkeitsklage wegen Nichtentscheidung über einen Asylantrag

Aktenzeichen  M 12 K 14.30620

Datum:
23.2.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO VwGO § 75
GG GG Art. 16a

 

Leitsatz

1 Das BAMF kann sich nicht mit Erfolg auf seine Überlastung wegen des Anstiegs der Asylantragszahlen berufen, da lediglich eine nur vorübergehende Überlastung einer Behörde – die im vorliegenden Fall nicht gegeben ist – einen zureichenden Grund für eine fehlende Entscheidung innerhalb einer angemessenen Frist iSv § 75 S. 1 VwGO darstellen kann. (redaktioneller Leitsatz)
2 Priorisierungsentscheidungen sind zwar rechtlich zulässig (ebenso VG Osnabrück BeckRS 2015, 53779), rechtfertigen aber keine zu lange Verfahrensdauer, wenn auch noch auf unbestimmte Zeit offenbleibt, wann über den Antrag entschieden wird. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Soweit die Klage zurückgenommen wurde, wird das Verfahren eingestellt.
II.
Die Beklagte wird verpflichtet, über den Asylantrag der Klägerin vom 15. Juli 2013 innerhalb von acht Wochen ab Rechtskraft des vorliegenden Urteils zu entscheiden.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
III.
Von den Kosten des Verfahrens hat die Klägerin ¾, die Beklagte ¼ zu tragen.
IV.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Der jeweilige Kostenschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der jeweilige Kostengläubiger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Über den Rechtsstreit konnte aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 23. Februar 2016 entschieden werden, obwohl für die Beklagte kein Vertreter erschienen ist. Die Beklagte wurde ausweislich des Empfangsbekenntnisses am 5. Februar 2016 form- und fristgerecht zur mündlichen Verhandlung geladen. In der Ladung zur mündlichen Verhandlung wurde darauf hingewiesen, dass auch im Fall des Nichterscheinens der Beteiligten verhandelt und entschieden werden könne (§ 102 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung -VwGO-). Die Regierung von Oberbayern, die sich als Vertreter des öffentlichen Interesses am Verfahren beteiligt, hat in den generellen Beteiligungserklärungen vom 11. Mai 2015 und vom 18. Mai 2015 darum gebeten, ihr ausschließlich die jeweilige Letzt- und Endentscheidung zu übersenden, und damit auf die Ladung zur mündlichen Verhandlung verzichtet.
1. Soweit die Klägerin in der mündlichen Verhandlung ihr ursprüngliches Klagebegehren auf Feststellung von Abschiebungsverboten gemäß § 60 Abs. 1 AufenthG, § 3 AsylVfG, hilfsweise auf Feststellung der Voraussetzungen des subsidiären Schutzes hinsichtlich Afghanistans in der Sache aufgegeben hat, liegt eine teilweise Rücknahme der Klage vor. Das Verfahren war insoweit gemäß § 92 Abs. 3 VwGO einzustellen.
2. Die zulässige Klage hat im Übrigen lediglich im tenorierten Umfang Erfolg. Die Beklagte ist zu verpflichten, über den Asylantrag der Klägerin binnen einer Frist von acht Wochen nach Rechtskraft dieses Urteils zu entscheiden. Soweit beantragt wurde, für den Fall Zuwiderhandlung ein Zwangsgeld nicht unter 25.000,00 Euro, hilfsweise Zwangshaft, gegen die Beklagte festzusetzen, war die Klage hingegen abzuweisen.
2.1. Die auf Verpflichtung der Beklagten zur Entscheidung über den Asylantrag der Klägerin vom 15. Juli 2013 gerichtete Klage ist als Untätigkeitsklage gemäß § 75 VwGO zulässig.
Die in § 75 Satz 1 VwGO geregelten besonderen Zulässigkeitsvoraussetzungen sind vorliegend erfüllt. Danach ist die Klage zulässig, wenn über einen Antrag auf Vornahme eines Verwaltungsaktes ohne zureichenden Grund in angemessener Frist sachlich nicht entschieden worden ist.
Bis zu welchem Zeitpunkt die Frist für eine Entscheidung über einen Asylantrag noch als angemessen zu bewerten ist, beurteilt sich nach den Umständen des Einzelfalls. Hierbei kommt dem Schwierigkeitsgrad der Entscheidung eine maßgebliche Rolle zu. Der Behörde ist umso mehr Zeit für die Entscheidung einzuräumen, je komplexer sich die im Rahmen der Entscheidung über den Asylantrag ergebenden Fragen in tatsächlicher und/oder rechtlicher Hinsicht darstellen. Daneben kann sich auch eine unklare Erkenntnislage hinsichtlich der asyl- und abschiebungsrelevanten Lage im Herkunftsland sowie die Verletzung von Mitwirkungspflichten durch den Antragsteller fristverlängernd auswirken (vgl. VG Osnabrück, U. v. 14.10.2015 – 5 A 390/15 – juris Rn. 29 ff.).
Unter Berücksichtigung dieses Maßstabes ist im vorliegenden Fall davon auszugehen, dass eine angemessene Entscheidungsfrist bereits abgelaufen ist. Die seit der Asylantragstellung vom 15. Juli 2013 verstrichene Zeit beträgt im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung mehr als zweieinhalb Jahre und kann damit sowohl vor dem Hintergrund der Regelung in § 24 Abs. 4 AsylG als auch von Art. 31 Abs. 3 der Europäischen Asylverfahrensrichtlinie 2013/32/EU (Amtsblatt der Europäischen Union L 180/60) nicht mehr als angemessene Frist angesehen werden. Selbst unter Heranziehung von Art. 31 Abs. 3 Satz 4 der genannten Richtlinie ist spätestens nach Ablauf von 18 Monaten davon auszugehen, dass eine angemessene Entscheidungsfrist abgelaufen ist.
Weiterhin liegt auch kein zureichender Grund dafür vor, dass über den Asylantrag der Klägerin bislang noch nicht entschieden wurde.
Vorliegend kann dahingestellt bleiben, ob ein zureichender Grund für die Verzögerung darin zu sehen ist, dass die Beklagte vor einer Entscheidung über ihren Antrag zunächst den Ehemann der Klägerin zu dessen Verfolgungsschicksal anhören wollte, da beide Verfahren in einem Zusammenhang stehen. Denn angesichts der seit der Asylantragstellung vom 15. Juli 2013 verstrichene Zeit ist davon auszugehen, dass jedenfalls inzwischen kein zureichender Grund mehr für die unterbliebene Verbescheidung besteht (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 19. Aufl. 2013, § 75 Rn. 9). Den Urteilsgründen im Verfahren M 25 K 14.30901 lässt sich entnehmen, dass im Fall des Ehemanns der Klägerin ein zureichender Grund für die bislang unterbliebene Verbescheidung seines Asylantrags nicht zu erkennen war.
Ferner reicht auch der von der Beklagten angeführte starke Anstieg der Anzahl der Asylanträge und die damit einhergehende Überbelastung des für die Bearbeitung zuständigen Bundesamtes nicht aus, um einen zureichenden Grund für die Nichtverbescheidung des Asylantrags der Klägerin annehmen zu können. Denn die Überbelastung einer Behörde kann grundsätzlich nur dann einen zureichenden Grund im Sinne von § 75 VwGO darstellen, wenn es sich lediglich um eine vorübergehende Überbelastung aufgrund besonderer Umstände handelt. Unter Berücksichtigung der statistischen Zahlen kann vorliegend jedoch nicht mehr von einer nur vorübergehenden Überbelastung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge ausgegangen werden. Denn es handelt sich nicht um eine kurzfristig erhöhte Geschäftsbelastung, sondern um eine permanente Überbelastung der Behörde. In einem solchen Fall ist es Aufgabe des zuständigen Bundesministeriums bzw. der Behördenleitung, für hinreichenden Ersatz zu sorgen und entsprechende organisatorischen Maßnahmen zu treffen (vgl. VG Dresden, U. v. 13.2.2015 – A 2 K 3657/14 – juris; VG Düsseldorf, U. v. 30.10.2014 – 24 K 992/14.A – juris; VG Braunschweig, U. v. 8.9.2014 – 8 A 618/13 – juris; Kopp/Schenke, VwGO Kommentar, 21. Auflage 2015, Rn. 13). Dies gilt insbesondere dann, wenn die Behörde wie hier keine Perspektive für eine Entscheidung aufzeigt, so dass auf zunächst unbestimmte Zeit offen bleibt, wann überhaupt über den Antrag entschieden wird.
Auch die von der Beklagten getroffenen Priorisierungsentscheidungen zur Bewältigung der steigenden Asylantragszahlen stellen keinen zureichenden Grund im Sinne von § 75 Satz 1 VwGO für die fehlende Entscheidung über den Asylantrag der Klägerin innerhalb einer angemessen Frist dar. Entgegen der Auffassung der Klägerin ist es der Beklagten als Ausfluss ihrer Organisationshoheit zwar grundsätzlich erlaubt, gewisse Priorisierungsentscheidungen zu treffen (vgl. VG Osnabrück, U. v. 14.10.2015 – 5 A 390/15 – juris Rn. 38). Priorisierungsentscheidungen sind aber nur in einem gewissen Rahmen zulässig und können keinen zureichenden Grund für eine deutliche Verlängerung der Verfahrensdauer über die Regelbearbeitungszeit hinaus darstellen (vgl. VG Osnabrück, U. v. 14.10.2015 – 5 A 390/15 – juris Rn. 38). Welche Verlängerung der Bearbeitungsdauer gerade noch mit Priorisierungsentscheidungen gerechtfertigt werden kann, bedarf hier keiner Entscheidung. Jedenfalls ist eine Verfahrensdauer von über zweieinhalb Jahren – wie hier – nicht mehr davon umfasst. In diesem Fall gewinnt das Interesse der Klägerin an einer Entscheidung über ihren Asylantrag so stark an Gewicht, dass es das Interesse der Behörde an einer Priorisierung überwiegt.
2.2. Die Klage ist zum Teil begründet.
a) Die Klägerin hat einen Anspruch auf Verbescheidung des gestellten Asylantrags (§ 113 Abs. 5 VwGO). Das Unterlassen der Entscheidung ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Die materielle Pflicht der Beklagten zur Entscheidung ergibt sich direkt aus Art. 16a Abs. 1 GG als einem subjektivöffentlichen Recht. Diesem Grundrecht kann nur durch aktives staatliches Handeln Geltung verschafft werden. Eine Verletzung dieses Grundrechts kann deshalb bereits durch reines Unterlassen, also durch Nichtverbescheidung von Anträgen, eintreten. Somit begründet Art. 16a Abs. 1 GG eine Pflicht des Staates zur Bescheidung von Asylanträgen, die die Gerichte sowohl unmittelbar aufgrund von Art. 16a Abs. 1 GG als auch aufgrund von Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG zu gewährleisten haben (vgl. VG München, U. v. 7.9.2015 – M 12 K 15.30300- juris Rn. 16).
Die für die Entscheidung gesetzte Frist von acht Wochen ab Rechtskraft des Urteils ist verhältnismäßig. Hierbei hat das Gericht neben dem bereits vergangenen Zeitraum von über zweieinhalb Jahren seit der Antragstellung insbesondere berücksichtigt, dass eine persönliche Anhörung der Klägerin bereits erfolgt ist. Der Fristlauf war vorliegend jedoch nicht bereits an die Zustellung des Urteils zu knüpfen, sondern an die Rechtskraft des vorliegenden Urteils. Denn eine vorläufige Vollstreckung ist bei Verpflichtungsklagen nur hinsichtlich der Kosten möglich (vgl. § 167 Abs. 2 VwGO).
b) Der Antrag der Klägerin, für den Fall der Zuwiderhandlung ein Zwangsgeld, hilfsweise Zwangshaft, gegen die Beklagte festzusetzen, bleibt hingegen ohne Erfolg.
Das Gericht legt den Antrag gemäß § 88 VwGO dahingehend aus, dass die Klägerin die Festsetzung eines Zwangsgeldes gegen die Beklagte für den Fall der nicht fristgerechten Verbescheidung ihres Asylantrags zusammen mit dem zugrundeliegenden Verpflichtungsurteil begehrt.
Der so verstandene Antrag hat keinen ohne Erfolg.
Zwar kann nach § 172 VwGO auf Antrag ein Zwangsgeld bis zu 10.000,00 Euro gegen eine Behörde festgesetzt werden, wenn diese der ihr im Urteil auferlegten Verpflichtung nicht nachkommt. Aufgrund der Trennung zwischen Erkenntnis- und Vollstreckungsverfahren ist die Festsetzung eines Zwangsgeldes zusammen mit dem zu vollstreckenden Titel jedoch nicht möglich (vgl. Pietzner/Möller in Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand Oktober 2015, § 172 Rn. 30). Darüber hinaus macht § 172 Satz 1 VwGO die Festsetzung des Zwangsgeldes davon abhängig, dass die Behörde der ihr im Titel auferlegten Verpflichtung nicht nachkommt. Dies setzt die Kenntnis des Bundesamts von seiner Verpflichtung und damit die Zustellung des Titels gemäß §§ 168 Abs. 2, 167 Abs. 1 VwGO i. V. m. § 750 ZPO voraus (vgl. Pietzner/Möller in Schoch/Schneider/Bier, a. a. O., § 172 Rn. 30). Vor Zustellung des Urteils scheidet die Einleitung gerichtlicher Zwangsvollstreckungsmaßnahmen daher aus.
Die Klägerin kann auch nicht hilfsweise die Festsetzung von Zwangshaft gegenüber dem Bundesamt beantragen. Neben den obenstehenden Erwägungen scheidet die Festsetzung von Zwangshaft bereits deshalb aus, weil es sich hierbei um im gerichtlichen Erzwingungsverfahren nicht vorgesehenes Zwangsmittel handelt. Das gerichtliche Erzwingungsverfahren lässt eine (Ersatz-) Zwangshaft bzw. Ordnungshaft gegenüber einer Behörde nicht zu, um Beeinträchtigungen der Exekutive durch den Entzug ihrer Organwalter zu vermeiden (vgl. Pietzner/Möller in Schoch/Schneider/Bier, a. a. O., § 172 Rn. 11; Heckmann in Sodan/Ziekow, VwGO, 4. Auflage, 2014, § 172 Rn. 4).
Soweit das klägerische Begehren nach § 88 VwGO auch dahingehend ausgelegt werden kann, dass die Klägerin einen bedingt für den Fall der nicht fristgerechten Verbescheidung Antrag auf Festsetzung eines Zwangsgeldes gestellt hat, bleibt der Antrag ebenfalls ohne Erfolg. Ein bedingt für den Fall der nicht fristgerechten Verbescheidung gestellter Antrag ist bereits unzulässig, da er an eine außerprozessuale Bedingung anknüpft. In jedem Fall ist die Festsetzung eines Zwangsgeldes nach § 172 Satz 1 VwGO jedoch erst möglich, wenn dieses zuvor angedroht wurde (vgl. Pietzner/Möller in Schoch/Schneider/Bier, a. a. O., § 172 Rn. 11). Hierdurch trägt § 172 Satz 1 VwGO der besonderen Person des Vollstreckungsschuldners sowie der im Rechtsstaat berechtigten Erwartung, zu weiteren Stufen des Vollstreckungsverfahrens werde es nicht kommen, Rechnung (vgl. Pietzner/Möller in Schoch/Schneider/Bier, a. a. O., § 172 Rn. 41). Vor einem Antrag auf Festsetzung des Zwangsgeldes muss die Klägerin als Vollstreckungsgläubigerin daher zwingend die Androhung des Zwangsgeldes beantragen, sofern das Bundesamt seiner Verpflichtung, über den Asylantrag der Klägerin zu entscheiden, nicht nachkommen sollte.
3. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 155 Abs. 1 und 2 VwGO und bemisst sich am geschätzten Umfang des jeweiligen Obsiegens. Gerichtskosten werden nicht erhoben, § 83b AsylG.
4. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 2, Abs. 1 VwGO i. V. m. §§ 708 ff. Zivilprozessordnung (ZPO).


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