Verwaltungsrecht

Erforderlichkeit eines Visums zur Beschäftigung im Rahmen der West-Balkan Regelung nach einem Beschäftigungswechsel

Aktenzeichen  M 9 S 20.3274

Datum:
4.9.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 23322
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG § 8 Abs. 3 S. 3, § 18 Abs. 2 Nr. 1, § 19c Abs. 1
BeschV § 26 Abs. 2, § 35 Abs. 4
VwGO § 80 Abs. 5

 

Leitsatz

Die Beantragung eines Visums nach § 26 Abs. 2 S. 2 BeschV kann nur dann verlangt werden, wenn es sich um die erstmalige Einreise zu einem bestimmten Aufenthaltszweck handelt. Personen, die sich berechtigt im Bundesgebiet aufhalten, können deshalb für die Verlängerung des vorhandenen befristeten Aufenthaltstitels nicht erneut auf das Visumverfahren verwiesen werden. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Der Streitwert wird auf 2.500,00 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller begehrt die Anordnung der aufschiebenden Wirkung gegen die Ablehnung der Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis.
Der Antragsteller stammt aus dem Kosovo und reiste nach Zustimmung der Bundesagentur zu dieser Beschäftigung und mit entsprechendem Visum zu dieser Beschäftigung am 23. März 2018 in das Bundesgebiet ein und erhielt am 9. August 2018 eine bis zum 8. August 2019 befristete Aufenthaltserlaubnis zur Beschäftigung als Produktionshelfer bei einer Lebensmittelproduktions GmbH in …- … Am 1. August 2019 beantragte der Antragsteller die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis zur Beschäftigung bei diesem Betrieb und erhielt eine Fiktionsbescheinigung nach § 81 Abs. 4 Satz 1 AufenthG, die zuletzt bis zum 29. Januar 2020 verlängert wurde.
Das Arbeitsverhältnis bei der Lebensmittelproduktionsfirma als Produktionshelfer wurde von dieser am 16. Oktober 2019 zum 30. November 2019 wegen fortlaufender Pflichtverletzungen gekündigt. Zum einen hatte der Antragsteller sich im Oktober 2019 nicht krankgemeldet. Zum anderen hatte er bereits im Juni 2019 während einer Krankschreibung einen Verkehrsunfall im Kosovo.
Ausweislich der Krankschreibungen und der Bestätigungen der AOK über Krankengeld erhielt der Antragsteller ab dem 5. September 2019 bis zum 16. Dezember 2019 Krankengeld und war zunächst ausweislich der Krankschreibung vom 16. Dezember 2019 für drei weitere Monate wegen diverser Knochenbrüche krankgeschrieben. Im Gerichtsverfahren wurde eine weitere Bestätigung der AOK vorgelegt, wonach der Antragsteller bis zum 30. Juli 2020 arbeitsunfähig erkrankt ist.
Der Antragsteller legte mit E-Mail vom 10. Januar 2020 einen neuen Arbeitsvertrag als Hausmeister, datiert vom 9. Januar 2020, vor. Als Arbeitsbeginn war der 1. Juli 2020 vereinbart. Im Gerichtsverfahren wurde dieser Arbeitsvertrag mit einer Änderung des Arbeitsbeginns ab 15. Juli 2020 vorgelegt, unterschrieben am 9. Juli 2020. Zwischen dem Arbeitgeber und dem Antragsteller besteht hinsichtlich des Nachnamens Namensgleichheit.
Am 9. Januar 2020 hat der Antragsteller bei einer Vorsprache den Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis durch Einreichen eines neuen Antragsformulars bestätigt.
Nach Anhörung lehnte das Landratsamt mit Bescheid vom 16. Juni 2020 den Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis ab, verpflichtete den Antragsteller zum Verlassen der Bundesrepublik innerhalb von 15 Tagen nach Vollziehbarkeit des Bescheids und drohte die Abschiebung in den Kosovo an (Ziffern 1-3). Das Einreise- und Aufenthaltsverbot wurde für den Fall der Abschiebung auf ein Jahr befristet. Rechtsgrundlage für die Ablehnung sei § 8 Abs. 1 AufenthG i.V.m. § 19c Abs. 1 AufenthG, da die Erteilungsvoraussetzung für die zum Zwecke der Beschäftigung als Produktionshelfer bei dem Lebensmittelproduktionsbetrieb durch die Kündigung entfallen sei, § 19c Abs. 1 AufenthG, § 18 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG. Der Arbeitsvertrag als Hausmeister begründe keinen Aufenthaltszweck, § 7 Abs. 1, Abs. 2 AufenthG. Eine Beschäftigungserlaubnis nach der sogenannten West-Balkan Regelung, § 26 Abs. 2 Beschäftigungsverordnung (BeschV) setze eine entsprechende Antragstellung bei der deutschen Auslandsvertretung im Heimatland voraus und könne deshalb ebenfalls nicht erteilt werden. Die Ausnahmeregelung des § 9 Abs. 1 Nr. 1 BeschV greife nicht, da keine rechtmäßige versicherungspflichtige Beschäftigung von zwei Jahren vorliege. Eine Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach anderen Rechtsgrundlagen sei nicht ersichtlich. Wegen der Einzelheiten wird auf den Bescheid Bezug genommen. Der Bescheid wurde dem damaligen Bevollmächtigten am 22. Juni 2020 zugestellt.
Mit am 21. Juli 2020 beim Verwaltungsgericht München eingegangen Schriftsatz erhob die Bevollmächtigte des Antragstellers Klage (M 9 K 20.3273) und beantragte gemäß § 80 Abs. 5 VwGO
die aufschiebende Wirkung der Klage vom heutigen Tag anzuordnen.
Der Bescheid der Beklagten sei rechtswidrig, da dieser mit einem Visum zur Beschäftigung in das Bundesgebiet im Rahmen der West-Balkan Regelung eingereist sei und die Beschäftigung für eine Tätigkeit als Hausmeister beantragt habe. Ein Beschäftigungswechsel sei jederzeit und ohne neues Visumsverfahren möglich. § 26 Abs. 2 BeschV erlaube jederzeit ohne ein weiteres Visumsverfahren und schon während der Gültigkeitsdauer des Visums eine neue Arbeitsstelle; dies ergebe sich aus dem Sinn der West-Balkan Regelung. Der Beschäftigungswechsel sei außerdem während der Fortbestandsfiktion des § 81 Abs. 4 AufenthG bereits am 10. Januar 2020 beantragt worden. Aktuell sei der Antragsteller bis 30. Juli 2020 arbeitsunfähig.
Der Antragsgegner beantragte am 21. August 2020:
Antragsablehnung.
Der Gesetzestext des § 26 Abs. 2 Satz 2 BeschV fordere explizit eine Antragstellung im Heimatland. Die zitierte Kommentarstelle sei lediglich eine Rechtsmeinung.
Wegen der Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte und die beigezogene Behördenakte Bezug genommen.
II.
Der Antrag hat keinen Erfolg.
Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Ablehnung der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis, die Ausreiseaufforderung von 15 Tagen und die Abschiebungsandrohung in den Kosovo sowie gegen die Androhung des Einreise- und Aufenthaltsverbots von einem Jahr für den Fall der Abschiebung war abzulehnen, da gegen den Bescheid des Landratsamtes vom 16. Juni 2020 keine durchgreifenden rechtlichen Bedenken nach der im Eilverfahren gebotenen summarischen Prüfung bestehen. Das gemäß § 84 Abs. 1 Nrn. 1, 7 und 8 Satz 2 AufenthG kraft Gesetz bestehende öffentliche Interesse überwiegt die privaten Interessen des Antragstellers an einem weiteren Verbleib im Bundesgebiet.
Die Voraussetzungen für eine Verlängerung der dem Antragsteller erteilten Aufenthaltserlaubnis zum Zwecke der Beschäftigung liegen nicht vor.
Der Antragsteller hatte eine Beschäftigungserlaubnis nach § 19c Abs. 1 AufenthG i.V.m. § 26 Abs. 2 Beschäftigungsverordnung (BeschV) als Staatsangehöriger des Kosovo zum Zwecke einer Beschäftigung als Produktionshelfer bei einem bestimmten Arbeitgeber, einem Lebensmittelproduktionsbetrieb. Diese Aufenthaltserlaubnis nach der sogenannten West-Balkan Regelung wurde aufgrund eines entsprechendem Visums erteilt und war befristet bis zum 8. August 2019 mit der Nebenbestimmung, dass die Aufenthaltserlaubnis mit dem Ende der Tätigkeit als Produktionshelfer erlischt und keine andere Erwerbstätigkeit gestattet ist. Zum Zeitpunkt der Beantragung der Verlängerung am 1. August 2019 bestand dieses Arbeitsverhältnis fort mit der Folge, dass die Fiktionswirkung des § 81 Abs. 4 Satz 1 AufenthG eingetreten ist. Das Arbeitsverhältnis endete mit der Kündigung zum 30. November 2019 mit der Folge, dass zu Recht die Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis zur Beschäftigung bei diesem Arbeitgeber abgelehnt wurde, § 19c Abs. 1 i.V.m. § 18 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG, wonach ein konkreter Arbeitsplatz vorliegen muss; dieser Grundsatz gilt gemäß § 8 AufenthG auch für eine Verlängerung der zu einem bestimmten Zweck erteilten Aufenthaltserlaubnis.
Die Aufenthaltserlaubnis war auch nicht zum Zwecke einer Beschäftigung bei einem anderen Arbeitgeber zu verlängern, da der Antragsteller zwar einen Arbeitsvertrag vorgelegt hat, der Arbeitsbeginn jedoch nicht vor dem 15. Juli 2020 vereinbart war. Der Antragsteller war vom 1. Dezember 2019 bis (mindestens) 15. Juli 2020 ohne Beschäftigung, so dass in diesem Zeitraum die Voraussetzungen des § 19c Abs. 1 AufenthG nicht vorlagen. Zwar hat der Antragsteller am 10. Januar 2020 einen ursprünglich auf 9. Januar 2020 datierten Arbeitsvertrag für eine Beschäftigung als Hausmeister ab dem 1. Juli 2020 vorgelegt. An dessen Ernstlichkeit bestehen jedoch erhebliche Zweifel. Zum einen handelt es sich ausweislich der Namensgleichheit wohl um einen Gefälligkeitsvertrag unter Verwandten. Dies wird dadurch bestätigt, dass die Adresse des Arbeitgebers der Adresse des Antragstellers im Visumsantrag entspricht. Darüber hinaus wird dies dadurch bestätigt, dass der inhaltlich identische Arbeitsvertrag im Gerichtsverfahren erneut mit anderen Daten vorgelegt wurde; die Unterschrift des Arbeitgebers datiert vom 9. Juli 2020, neun Tage nach dem ursprünglich vorgesehenen Arbeitsbeginn und setzt als Beginn der Tätigkeit den 15. Juli 2020 fest. Daran wiederum bestehen ernstliche Zweifel, da nach der Bescheinigung der AOK, vorgelegt im Gerichtsverfahren, Arbeitsunfähigkeit bis zum 30. Juli 2020 besteht. Es ist weder schlüssig noch nachvollziehbar, dass ein Arbeitgeber einen ernst gemeinten Arbeitsvertrag als Hausmeister mit jemandem abschließt, der zum Zeitpunkt des Beginns des Arbeitsverhältnisses nachgewiesenermaßen arbeitsunfähig ist.
Ungeachtet dessen fehlt für die Verlängerung bei einem anderen Arbeitgeber die Zustimmung der Bundesagentur, § 35 Abs. 4 Satz 1 BeschV.
Außerdem steht einer Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis § 8 Abs. 3 AufenthG entgegen. Danach ist vor der Verlängerung festzustellen, ob der Ausländer einer etwaigen Pflicht zur ordnungsgemäßen Teilnahme am Integrationskurs nachgekommen ist, § 8 Abs. 3 Satz 1 AufenthG. Diese Voraussetzung liegt hier ausweislich der Akten nicht vor. Der Antragsteller wurde zur Teilnahme an einem Integrationskurs verpflichtet und über die Folgen u.a. des § 8 Abs. 3 Satz 4 und Satz 5 AufenthG belehrt. Er wurde in der Folgezeit vom Landratsamt diesbezüglich angeschrieben, da keine Nachweise für die Teilnahme an einem Integrationskurs vorgelegt wurden. Der Antragsteller hat sich zu dem Schreiben, trotz entsprechender Aufforderung, nicht geäußert. Nach § 8 Abs. 3 Satz 3 AufenthG soll die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis bei wiederholter und gröblicher Verletzung der Pflichten zur ordnungsgemäßen Teilnahme am Integrationskurs abgelehnt werden, wenn wie hier kein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis besteht. Für den Fall, dass ein Anspruch auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis nach dem AufenthG besteht, kann die Verlängerung abgelehnt werden, wenn wie hier kein Nachweis erbracht wird, dass die Integration des Antragstellers in das gesellschaftliche und soziale Leben anderweitig erfolgt ist. Im vorliegenden Fall hat der Antragsteller keinen Anspruch auf Verlängerung, da nach § 19c Abs. 1 AufenthG die Entscheidung ungeachtet der Voraussetzungen nach der Beschäftigungsverordnung eine Ermessensentscheidung ist. Damit gilt aufgrund der Vorschrift des § 8 Abs. 3 Nr. 3 AufenthG, dass die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis im Regelfall abgelehnt werden soll, zumindest kann. Eine gröbliche Verletzung der Pflicht zur ordnungsgemäßen Teilnahme am Integrationskurs ist unter Berücksichtigung dessen, dass sich der Antragsteller überhaupt nicht darum gekümmert hat und kein Deutsch spricht nach summarischer Prüfung anzunehmen. Dies geschah nach Aktenlage möglicherweise auch wiederholt.
Unter Berücksichtigung dessen, dass der Antragsteller im Besitz einer Fiktion nach § 81 Abs. 4 AufenthG war, geht der Bescheid allerdings zu Unrecht davon aus, dass ein Visumsverfahren nach § 26 Abs. 2 Satz 2 BeschV erneut bei der zuständigen Auslandsvertretung im Kosovo zu beantragen war. Die Beantragung eines Visums kann nur dann verlangt werden, wenn es sich um die erstmalige Einreise zu einem bestimmten Aufenthaltszweck handelt. Personen, die sich wie hier berechtigt im Bundesgebiet aufhalten, können deshalb für die Verlängerung des vorhandenen befristeten Aufenthaltstitels nicht erneut auf das Visumsverfahren verwiesen werden.
Im Rahmen der Erwägung nach § 80 Abs. 5 VwGO ändert sich durch diese fälschliche Annahme im Bescheid nichts, da aufgrund der hier vorliegenden Sachlage das öffentliche Interesse an der Beendigung des Aufenthalts das private Interesse des Antragstellers am Verbleib im Bundesgebiet deutlich überwiegt. Da die Ablehnung nicht aus Gründen erfolgte, die einer Ermessensentscheidung bedurfte, – da die Zustimmung der Bundesagentur zu der neuen Tätigkeit als Hausmeister fehlt und ein konkretes Arbeitsplatzangebot aufgrund der oben dargelegten Umstände nicht glaubhaft gemacht ist – und da keinerlei Gründe ersichtlich sind, die ein Abweichen von der Vorschrift des § 8 Abs. 3 Nr. 3 Satz 2 AufenthG erkennen lassen, ist der Bescheid nach summarischer Prüfung in dem im Eilverfahren möglichen Umfang im Ergebnis rechtlich zutreffend.
Der Antrag war mit der Kostenfolge des § 154 VwGO abzulehnen, da auch weder gegen die Ausreiseaufforderung noch gegen die Abschiebeandrohung oder die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots auf ein Jahr rechtliche Bedenken bestehen.
Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Streitwertkatalog.


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