Verwaltungsrecht

Erfordernis einer individuellen Zusicherung zu einer angemessenen Unterbringung bei Familien mit minderjährigen Kindern im Dublin-Verfahren

Aktenzeichen  9 ZB 18.50030

Datum:
14.11.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 30461
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 1, § 78 Abs. 3 Nr. 1
EMRK Art. 3
RL 2011/95/EU Art. 20 Abs. 3

 

Leitsatz

Es ist davon auszugehen, dass von Italien für besonders schutzbedürftige Personen iSv Art. 20 Abs. 3 RL 2011/95/EU grds. keine individuelle Garantieerklärung hinsichtlich einer familiengerechten Unterkunft zu fordern ist, weil aufgrund der abgegebenen allgemeinen Garantie und den sich daraus ergebenden Erkenntnissen zu den Aufnahmebedingungen geschlussfolgert werden kann, dass den Belangen von vulnerablen Personen besonders Rechnung getragen wird (vgl. BayVGH BeckRS 2019, 22579). (Rn. 4) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

RN 1 K 17.51724 2018-04-04 Urt VGREGENSBURG VG Regensburg

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Beklagte hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Die Berufung ist nicht wegen der geltend gemachten grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache zuzulassen (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG).
Die Zulassung der Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache setzt voraus, dass eine konkrete noch nicht geklärte Rechts- oder Tatsachenfrage aufgeworfen wird, deren Beantwortung sowohl für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts von Bedeutung war als auch für die Entscheidung im Berufungsverfahren erheblich sein wird und die über den konkreten Fall hinaus wesentliche Bedeutung für die einheitliche Anwendung oder für die Weiterentwicklung des Rechts hat. Zur Darlegung dieses Zulassungsgrundes ist eine Frage auszuformulieren und substantiiert anzuführen, warum sie für klärungsbedürftig und entscheidungserheblich (klärungsfähig) gehalten und aus welchen Gründen ihr Bedeutung über den Einzelfall hinaus zugemessen wird (vgl. BayVGH, B.v. 17.9.2019 – 9 ZB 19.32968 – juris Rn. 3 m.w.N.).
Die von der Beklagten aufgeworfenen Fragen, „ob es in Bezug auf Italien vor Erlass einer auf § 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG gestützten Ablehnungsentscheidung bei Familien mit minderjährigen Kindern noch einer individuellen Zusicherung zu einer angemessenen Unterbringung, wie sie nach der sog. Tarakhel-Entscheidung des EGMR gefordert war, bedarf“ und „ob es insoweit einen Unterschied macht, dass Italien der Wiederaufnahme ausdrücklich oder nur stillschweigend zustimmte“, sind nicht klärungsbedürftig, weil sie bereits geklärt sind (vgl. BayVGH, B.v. 9.9.2019 – 10 ZB 19.50024 – juris Rn. 6 m.w.N.).
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat in seinen Entscheidungen (U.v. 4.10.2016 – Jihana Ali und andere, Nr. 30474/14 – juris Rn. 34; U.v. 4.10.2016 – M.A.-M. und andere, Nr. 32275/15 – Rn. 27, abrufbar in der HUDOCdatabase des EGMR) die von Italien in Reaktion auf die „Tarakhel“-Entscheidung abgegebene „allgemeine Garantie“, Familien mit minderjährigen Kindern bei Überstellungen im Dublin-Verfahren nach Italien dort in familiengeeigneten Unterkünften unter Wahrung der Familieneinheit unterzubringen, welche für solche Familien reserviert seien, anerkannt und insoweit eine drohende Verletzung von Art. 3 EMRK verneint. Es ist somit davon auszugehen, dass von Italien für besonders schutzbedürftige Personen im Sinne von Art. 20 Abs. 3 RL 2011/95/EU grundsätzlich keine individuelle Garantieerklärung hinsichtlich einer familiengerechten Unterkunft zu fordern ist, weil aufgrund der abgegebenen allgemeinen Garantie und den sich daraus ergebenden Erkenntnissen zu den Aufnahmebedingungen geschlussfolgert werden kann, dass den Belangen von vulnerablen Personen besonders Rechnung getragen wird (vgl. BayVGH, B.v. 17.9.2019 – 10 ZB 19.50024 – juris Rn. 6; vgl. auch BVerfG, B.v. 29.8.2017 – 2 BvR 863/17 – juris Rn. 17; B.v. 31.7.2018 – 2 BvR 714/18 – juris Rn. 19 f. m.w.N).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylG nicht erhoben.
Mit dieser gemäß § 80 AsylG unanfechtbaren Entscheidung wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).


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