Verwaltungsrecht

Erfüllungsübernahme durch den Dienstherrn gegenüber dem Beamten bei Schmerzensgeld

Aktenzeichen  3 ZB 19.1850

Datum:
23.2.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 4343
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayBG Art. 97
VwGO § 124 Abs. 2, § 124a Abs. 4

 

Leitsatz

1. Die Berücksichtigung der Genugtuungsfunktion bei der Festsetzung des Schmerzensgeldes infolge rechtswidriger tätlicher Angriffe auf Beamte ist zivilrechtlich geboten und tritt neben die Ausgleichsfunktion (ebenso BGH BeckRS 1955, 30402368); die Genugtuungsfunktion verliert nicht dadurch ihre Bedeutung, dass die Leistung im Wege der Erfüllungsübernahme durch den Dienstherrn erfolgt und nicht unmittelbar durch den Schädiger. (Rn. 5) (redaktioneller Leitsatz)
2. Zweifel an der Angemessenheit der konkreten Schmerzensgeldhöhe sind auch nicht dadurch begründet, dass die Schmerzensgeldhöhe auf einem gerichtlichen Vergleich beruht, wenn ein offensichtliches Missverhältnis zwischen körperlichen Schäden und dem vereinbarten Schmerzensgeldbetrag nicht ersichtlich ist. (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

AN 1 K 18.1545 2019-07-25 Urt VGANSBACH VG Ansbach

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Beklagte trägt die Kosten des Antragsverfahrens.
III. Der Streitwert wird für das Antragsverfahren auf 16.360 Euro festgesetzt.

Gründe

Der Antrag auf Zulassung der Berufung bleibt ohne Erfolg. Die geltend gemachten Berufungszulassungsgründe liegen – soweit sie den Darlegungsanforderungen des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO entsprechend dargelegt wurden – nicht vor.
1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils des Verwaltungsgerichts i.S.v. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO bestehen auf der Grundlage des Zulassungsvorbringens nicht. Solche sind nur zu bejahen, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird und die Zweifel an der Richtigkeit dieser Begründungselemente auf das Ergebnis durchschlagen. Dies ist vorliegend nicht der Fall.
Das Verwaltungsgericht hat den Beklagten unter Aufhebung des Bescheids des Landesamts für Finanzen vom 20. Juni 2018 zur Zahlung von 16.360 Euro an den Kläger verpflichtet. Dieser habe einen Rechtsanspruch auf die im Klageverfahren geltend gemachte Erfüllungsübernahme des Schmerzensgeldanspruchs nach Art. 97 BayBG, der mit gerichtlichem Vergleich vor dem Landgericht Nürnberg-Fürth vom 7. November 2017 tituliert worden und mit Ablauf der Widerrufsfrist am 29. November 2017 wirksam geworden sei. Dieser Vergleich sei auch der Höhe nach angemessen (Art. 97 Abs. 1 Satz 2 BayBG). Er beruhe auf einem gerichtlichen Vorschlag und sei deutlich unter der ursprünglich geltend gemachten Forderung von 25.000 Euro geblieben. Für ein kollusives Zusammenwirken des Klägers und des Schädigers bestünden deshalb keine Anhaltspunkte. Die vom Einzelrichter des Landgerichts ausweislich der Sitzungsniederschrift herangezogenen Urteile (OLG München vom 10.7.2014 – 24 U 3058/13; OLG Frankfurt vom 22.2.2010 – 16 U 146/08; OLG Saarbrücken vom 15.11.2011 – 4 U 593/10) seien zwar nur teilweise mit dem vorliegenden Sachverhalt vergleichbar, bei der Prüfung der Angemessenheit der Höhe des vereinbarten Schmerzensgeldes dürften jedoch nicht nur die dem Kläger zugefügten Körperschäden und die nachfolgenden gesundheitlichen Einschränkungen berücksichtigt werden, vielmehr sei auch die mit Art. 97 BayBG verfolgte Zielsetzung in den Blick zu nehmen. Bei der Prüfung der Angemessenheit der Höhe eines durch Vergleich vereinbarten Schmerzensgeldes sei deshalb zu berücksichtigen, dass dem Schmerzensgeld vorrangig eine Genugtuungsfunktion zukomme, welcher gerade bei tätlichen Angriffen gegenüber Polizeibeamten besondere Bedeutung zukomme. Ein offensichtliches, grobes Missverhältnis zwischen den erlittenen Körperschäden und der Schmerzensgeldhöhe bestehe nicht.
Der Beklagte rügt, das Verwaltungsgericht habe zu Unrecht bei der Angemessenheitsprüfung des Schmerzensgeldes vorrangig auf dessen Genugtuungsfunktion abgestellt und nicht allein auf die zivilrechtliche Angemessenheit. Dies finde weder im Wortlaut der Vorschrift, noch in der Gesetzesbegründung eine Stütze. Letztere führe hierzu aus, dass die Erfüllungsübernahme durch den Dienstherrn verweigert werden könne, wenn dem Schmerzensgeldtitel ein Vergleich zugrunde liege, der objektiv unverhältnismäßig zu den erlittenen immateriellen Schäden sei. Entscheidend müsse allein auf die Angemessenheit zwischen Schmerzensgeld und Körperschaden abgestellt werden, nicht auf weitere Aspekte. Art. 97 BayBG sei als Ausnahmetatbestand für schwerwiegende Übergriffe konzipiert und einer Erweiterung seines Anwendungsbereichs, wie ihn das Erstgericht vornehme, nicht zugänglich. Das vom Erstgericht zitierte „Signal der Wertschätzung“ durch die Einführung des Art. 97 BayBG liege in der Übernahme einer angemessenen Schmerzensgeldforderung, die uneinbringlich sei, nicht in der Gewährung eines nicht näher bestimmbaren „Aufschlags“.
Damit kann der Beklagte nicht durchdringen. Denn es entspricht ständiger zivilgerichtlicher Rechtsprechung, dass die Genugtuungsfunktion des Schmerzensgelds neben dessen Ausgleichsfunktion tritt. Insoweit verweist der Beklagte selbst auf die grundlegende Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 6. Juli 1955 (GSZ 1/55 – juris Rn. 14 ff.). Wenn der Beklagte weiterhin der Auffassung ist, die Genugtuungsfunktion, die das Erstgericht heranziehe, sei nicht geeignet, das vorliegende Missverhältnis zwischen Schaden und Schmerzensgeldanspruch zu rechtfertigen, kann ihm nicht gefolgt werden, weil darin ein Zirkelschluss liegt. Denn die Rechtsansicht des Beklagten – die Genugtuungsfunktion könne im Rahmen der Angemessenheitsprüfung keine Rolle spielen, weil der Beamte Genugtuung, wie sich aus der besonderen Beziehung zwischen Schädiger und Geschädigtem ergebe, nur durch Leistungen des Schädigers erfahren könne, nicht durch eine Leistung des Dienstherrn – verkennt seine Bindung an Recht und Gesetz. Die Berücksichtigung der Genugtuungsfunktion bei rechtswidrigen tätlichen Angriffen auf Beamte ist zivilrechtlich geboten. Wenn dies vom Verwaltungsgericht hervorgehoben wird, liegt darin keine erneute, nochmalige Verwertung desselben Gedankens.
Der Beklagte hält die Argumentation des Erstgerichts, ein Rechtsmissbrauch scheide aus, weil der Vergleich auf einem Vorschlag des Gerichts beruhe, für unzutreffend. Zur Verneinung der Angemessenheit sei bereits nicht erforderlich, dass ein Missbrauch vorliege. Hierfür finde sich im Gesetz und in der Gesetzesbegründung keine Stütze. Entscheidend sei allein, ob das Schmerzensgeld in der Höhe, gemessen an Vergleichsfällen angemessen sei.
Letzteres ist indes hier – entgegen der Auffassung des Beklagten – nicht ernstlich zweifelhaft. Jaeger hat in seiner Besprechung der angefochtenen Entscheidung (VersR 2020, 116/117) dargelegt, dass das Verwaltungsgericht jedenfalls auf die Entscheidung des OLG Frankfurt/M. v. 8.7.2009 – 1 U 300/08, SP 2010, 66 (Jaeger/Luckey, Schmerzensgeld, 10. Aufl. 2020, E 324) zurückgreifen hätte können. Das dort zuerkannte Schmerzensgeld in Höhe von 25.000 Euro sei für fast vergleichbare Verletzungen gewährt worden. Soweit die Folgen dort möglicherweise schwerer gewogen hätten als hier beim Kläger, sei zu berücksichtigen, dass seit der Entscheidung rund zehn Jahre vergangen seien und das Schmerzensgeldniveau seither allgemein angestiegen sei. Es reiche auch ohne weiteres aus, wenn das Verwaltungsgericht betone, dass die Genugtuungsfunktion für den Kläger hier besonders hoch sei. Vor dem Hintergrund, dass der Beklagte die behauptete Unangemessenheit der Schmerzensgeldhöhe in der Begründung des Zulassungsantrags nicht ansatzweise erläutert hat und der Bevollmächtigte des Klägers zutreffend darauf hinweist, dass der Beklagte im Verfahren noch kein von ihm für vergleichbar erachtetes zivilrechtliches Urteil vorgelegt habe, welches sich auf eine vorsätzliche Körperverletzung bezogen hätte, sind für den Senat Zweifel an der Angemessenheit der konkreten Schmerzensgeldhöhe nicht ersichtlich. Zudem wäre eine Unangemessenheit nicht bereits dann anzunehmen, wenn die Schmerzensgeldhöhe nur unwesentlich höher liegt als bei vergleichbaren Verletzungen, vielmehr wäre insoweit ein offensichtliches Missverhältnis zwischen körperlichen Schäden und dem vereinbarten Schmerzensgeldbetrag zu fordern (Buchard in BeckOK Beamtenrecht Bayern, Art. 97 BayBG Rn. 25.6). Der Sinn der Angemessenheitsprüfung des Art. 97 Abs. 1 Satz 2 BayBG liegt nach Auffassung des Senats nicht darin, den Beamten von der Geltendmachung überhöhter Schmerzensgeldforderungen abzuhalten und damit abschreckende Wirkung zu erzeugen. Kommt ein unangemessener Schmerzensgeldvergleich zustande, steht der Wortlaut des Art. 97 BayBG einer Reduzierung der Erfüllungsübernahme auf das angemessene Maß nicht entgegen (vgl. Buchard a.a.O. Rn. 26.2).
2. Soweit der Beklagte zur Begründung besonderer rechtlicher Schwierigkeiten der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO), die er hinsichtlich der Frage der Beurteilung der Angemessenheit des Vergleichs im Sinne des Art. 97 BayBG sieht, auf seine Ausführungen zum Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils verweist, genügt der Sachvortrag nicht dem Darlegungsgebot des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO.
3. Um den auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) gestützten Zulassungsantrag zu begründen, muss der Rechtsmittelführer (1.) eine konkrete Rechts- oder Tatsachenfrage formulieren, (2.) ausführen, weshalb diese Frage für den Rechtsstreit entscheidungserheblich (klärungsfähig) ist, (3.) erläutern, weshalb die formulierte Frage klärungsbedürftig ist, und (4.) darlegen, weshalb der Frage eine über die einzelfallbezogene Rechtsanwendung hinausgehende Bedeutung zukommt (Happ, a.a.O. Rn. 72).
Der Beklagte benennt als grundsätzliche Rechtsfragen, „ob ein angemessenes Schmerzensgeld i.S.d. Art. 97 BayBG auch dann vorliegen kann, wenn es deutlich über vergleichbare Zahlungen hinausgeht“ oder ob vielmehr „ein in der Höhe angemessenes Schmerzensgeld i.S.d. Art. 97 BayBG nur dann vorliegt, wenn es zivilrechtlichen Vergleichsfällen entspricht.“
Damit zeigt er indes einen Klärungsbedarf nicht auf. Wann ein Schmerzensgeld angemessen ist, ist in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs längst geklärt. Klärungsbedarf ergibt sich nicht allein dadurch, dass der Beklagte auf den Angemessenheitsbegriff des Art. 97 BayBG abstellen will, denn dieser unterscheidet sich nicht von dem des § 253 Abs. 2 BGB. Wie der Name des Rechtsinstituts Erfüllungsübernahme bereits aussagt, besteht für abweichende Erwägungen im Normzusammenhang der beamtenrechtlichen Vorschrift kein Raum.
4. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 3 GKG.
Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


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