Verwaltungsrecht

erkennungsdienstliche Maßnahmen, vorbeugende Bekämpfung von Straftaten, Resttatverdacht trotz Verfahrenseinstellung, Wiederholungsgefahr

Aktenzeichen  10 ZB 22.1077

Datum:
16.5.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 12055
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
PAG Art. 14 Abs. 1 Nr. 3

 

Leitsatz

Verfahrensgang

Au 8 K 20.1407 2022-02-01 Urt VGAUGSBURG VG Augsburg

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000,- Euro festgesetzt.

Gründe

Mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt der Kläger seine in erster Instanz erfolglose Klage auf Aufhebung des Bescheids des Beklagten vom 24. Juli 2020 weiter, mit dem seine erkennungsdienstliche Behandlung gemäß Art. 14 Abs. 1 Nr. 3 PAG angeordnet wurde.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist unbegründet. Mit dem der rechtlichen Überprüfung durch den Senat allein unterliegenden Vorbringen im Zulassungsantrag sind weder ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, noch besondere rechtliche oder tatsächliche Schwierigkeiten der Sache im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO dargelegt (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO).
1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO bestünden dann, wenn der Kläger im Zulassungsverfahren einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung des Erstgerichts mit schlüssigen Gegenargumenten infrage gestellt hätte (BVerfG, B.v. 10.9.2009 – 1 BvR 814/09 – juris Rn. 11; B.v. 9.6.2016 – 1 BvR 2453/12 – juris Rn. 16; B.v. 8.5.2019 – 2 BvR 657/19 – juris Rn. 33). Dies ist jedoch nicht der Fall, weil die gegen die Erwägungen des Erstgerichts vorgebrachten Einwendungen nicht durchgreifen.
Der Kläger macht geltend, die angefochtene Anordnung erweise sich entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts wegen eines Anhörungsmangels als formell rechtswidrig. Die Anhörung sei nicht ordnungsgemäß nachgeholt worden, weil die Ausgangsbehörde (die Polizeiinspektion Kaufbeuren) insofern nicht mehr beteiligt worden sei. Eine erkennungsdienstliche Behandlung sei aufgrund des gegen ihn als Beschuldigten geführten Anlassstrafverfahrens nicht gerechtfertigt. Zum einen sei das Strafverfahren wegen gefährlicher Körperverletzung nach § 153a Abs. 2 StPO eingestellt worden, was für eine geringe Schuld und ein fehlendes öffentliches Interesse an der Strafverfolgung spreche (wird ausführlich dargelegt). Beim vom Verwaltungsgericht weiter angeführten Ermittlungsverfahren wegen Sachbeschädigung bestehe kein Restverdacht, das Verwaltungsgericht habe es nicht dabei bewenden lassen dürfen, dass der Kläger den Restverdacht nicht habe ausräumen können.
Damit zeigt der Kläger jedoch keine Gründe auf, die ernstliche Zweifel an der Erforderlichkeit der Anordnung erkennungsdienstlicher Maßnahmen und an der Gefahrenprognose des Verwaltungsgerichts begründen könnten.
Die Auffassung des Verwaltungsgerichts, dass der streitgegenständliche Bescheid jedenfalls aufgrund der Nachholung der Anhörung im gerichtlichen Verfahren nicht (mehr) formell rechtswidrig sei, wird mit dem Zulassungsvorbringen nicht durchgreifend in Zweifel gezogen. Entgegen der Ansicht des Klägers setzt die Heilung eines Anhörungsmangels nach Art. 45 Abs. 1 Nr. 3 BayVwVfG, die bis zum Abschluss der letzten Tatsacheninstanz des gerichtlichen Verfahrens erfolgen kann (Art. 45 Abs. 2 BayVwVfG), nicht zwingend voraus, dass auch die Ausgangsbehörde beteiligt wird (vgl. Sachs in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 9. Aufl. 2018, § 45 Rn. 78 m.w.N.). Dass die Widerspruchsbehörde, auch bei Ermessensverwaltungsakten, die Anhörung in eigener Zuständigkeit mit heilender Wirkung nachholen kann, wenn ihr die Fach- und Rechtsaufsicht obliegt, sie also die Recht- und Zweckmäßigkeit des Verwaltungsaktes überprüfen kann, entspricht der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, U.v. 18.10.1983 – 1 C 13/81 – juris Rn. 13; in diesem Sinne auch Schemmer in BeckOK VwVfG, Stand 1.1.2022, § 45 Rn. 42; Sachs in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 9. Aufl. 2018, § 45 Rn. 78; Kopp/Ramsauer, VwVfG, 22. Aufl. 2021, § 45 Rn. 40 f. m.w.N.). Im vorliegenden Fall des Vollzugs des Polizeirechts als staatlicher Aufgabe obläge einer Widerspruchsbehörde die Fach- und Rechtsaufsicht, sodass es einer Beteiligung der ursprünglich zuständigen Polizeiinspektion im Widerspruchsverfahren nicht bedürfte. Es ist nicht ersichtlich und mit dem Zulassungsvorbringen auch nicht dargelegt, warum die Anhörung in Fällen, in denen – wie hier – das Landesrecht kein Widerspruchsverfahren mehr vorsieht (Art. 12 Abs. 1 und 2 AGVwGO), nicht ebenfalls durch die (höhere) Verwaltungsbehörde, die nach den Zuständigkeitsregeln des Landes für die Vertretung vor den Verwaltungsgerichten vorgesehen ist (vgl. hier § 3 Abs. 2 Satz 6 LABV), nachgeholt können werden soll. Die Annahme des Verwaltungsgerichts, dass das Vorgehen des Beklagten im konkreten Fall die inhaltlichen Anforderungen an eine Heilung erfüllt habe, wird mit dem Zulassungsvorbringen nicht in Frage gestellt.
Das Zulassungsvorbringen stellt nicht in Abrede, dass das Verwaltungsgericht im Hinblick auf die Anlasstat vom 27. März 2020 (Verdacht der gefährlichen Körperverletzung), die zur Anordnung der erkennungsdienstlichen Behandlung des Klägers geführt hat, den nach Art. 14 Abs. 1 Nr. 3 PAG erforderlichen Restverdacht zu Recht bejaht hat. Vielmehr versucht der Kläger aus dem Umstand, dass die Einstellung des Verfahrens nach § 153a StPO (Einstellung gegen Auflage) erfolgte, zu schließen, dass die erkennungsdienstliche Behandlung nicht erforderlich sei, weil seine Schuld nicht schwer gewogen habe und keine Wiederholungsgefahr bestehe. In diesem Sinne ist wohl auch der Hinweis zu verstehen, bei dem vom Verwaltungsgericht (allerdings bei der Frage der Wiederholungsgefahr) auch herangezogenen Ermittlungsverfahren Anfang 2020 wegen Sachbeschädigung sei es lediglich um Bagatellkriminalität gegangen. Damit wird die Richtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung jedoch nicht durchgreifend in Zweifel gezogen, denn abgesehen davon, dass das Anlassdelikt nach ständiger Rechtsprechung ohnehin kein besonders hohes Maß an Gemeinschädlichkeit aufweisen muss (vgl. BVerwG, U.v. 27.6.2018 – 6 C 39.16 – juris Rn. 23; BayVGH, B.v. 16.3.2022 – 10 ZB 21.779 – juris Rn. 8; B.v. 5.2.2020 – 10 ZB 19.2459 – juris Rn. 7 jew. m.w.N. – jeweils zur erkennungsdienstlichen Behandlung nach § 81b StPO), hat das Verwaltungsgericht zu Recht festgestellt, dass das Köperverletzungsdelikt vom März 2020 als Anlasstat die körperliche Unversehrtheit und damit ein hochrangiges, verfassungsrechtlich durch Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG geschütztes Rechtsgut beeinträchtigte. Von einem Bagatelldelikt kann demnach keine Rede sein.
Soweit das Zulassungsvorbringen rügt, im Hinblick auf das Ermittlungsverfahren wegen der Sachbeschädigung an einer Zufahrtsschranke eines Parkhauses habe das Verwaltungsgericht zu Unrecht einen Restverdacht angenommen und es insbesondere zu Unrecht damit bewenden lassen, der Kläger habe den Restverdacht nicht ausräumen können, begründet auch dies keine durchgreifenden Zweifel an der Rechtmäßigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung. Das Verwaltungsgericht hat es (im Rahmen der Prüfung einer Wiederholungsfahr) gerade nicht dabei bewenden lassen, der Kläger habe den Restverdacht nicht ausgeräumt. Es hat vielmehr – wie der Beklagte – auf konkret belegte Tatumstände (mehrfacher Versuch des Klägers, die Schranke händisch zu öffnen) verwiesen und daraus einen verbleibenden Restverdacht abgeleitet. Hierauf geht das Zulassungsvorbringen nicht ein. Unabhängig davon hat das Verwaltungsgericht die Wiederholungsgefahr entsprechend der Rechtsprechung des Senats den gesamten strafrechtlichen Werdegang des Klägers seit 2007 mit mehreren Ermittlungsverfahren und einer strafrechtlichen Verurteilung wegen gefährlicher Körperverletzung im Jahr 2009 gewürdigt. Angesichts des Restverdachts einer gefährlichen Körperverletzung im März 2020 ist nicht ersichtlich und mit dem Zulassungsvorbringen auch nicht dargetan, dass das Ermittlungsverfahren wegen Sachbeschädigung einen entscheidungserheblichen Einfluss auf die Annahme einer Wiederholungsgefahr gehabt hätte.
2. Besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO liegen ebenfalls nicht vor.
Solche Schwierigkeiten weist eine Rechtssache dann auf, wenn sie in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht voraussichtlich größere, d.h. überdurchschnittliche, das normale Maß nicht unerheblich überschreitende Schwierigkeiten verursacht (vgl. BayVGH, B.v. 1.2.2019 – 10 ZB 18.2455 – juris Rn. 15; B.v. 4.3.2019 – 10 ZB 18.2195 – juris Rn. 17 m.w.N.). Es ist eine Begründung dafür anzugeben, weshalb die Rechtssache an den entscheidenden Richter (wesentlich) höhere Anforderungen stellt als im Normalfall (vgl. BayVGH, B.v. 20.2.2019 – 10 ZB 18.2343 – juris 18). Hierzu ist mit dem Zulassungsantrag nichts Substanzielles vorgetragen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 und 3 und § 53 Abs. 2 Nr. 2 und § 52 Abs. 2 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


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