Verwaltungsrecht

Erlöschen der Niederlassungserlaubnis wegen Ablauf der Wiedereinreisefrist

Aktenzeichen  10 ZB 18.1906

Datum:
30.11.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 32440
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 1, Nr. 5
AufenthG § 51 Abs. 1 Nr. 6, Nr. 7
GG Art. 103 Abs. 1

 

Leitsatz

Überschreitet ein aufenthaltsberechtigter Ausländer wegen Krankheit die Wiedereinreisefrist, kann er dies zu vertreten haben, wenn die Möglichkeit bestand durch eine Vertrauensperson Kontakt mit der Ausländerbehörde oder wenigstens mit einer deutschen Auslandsvertretung aufzunehmen und einen Verlängerungsantrag zu stellen. (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 12 K 17.1760 2018-05-24 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000,- Euro festgesetzt.

Gründe

Der Antrag auf Zulassung der Berufung, mit dem der Kläger seine in erster Instanz erfolglose Klage auf Feststellung des Fortbestehens seiner Niederlassungserlaubnis weiterverfolgt, ist unbegründet. Aus dem der rechtlichen Überprüfung durch den Senat ausschließlich unterliegenden Vorbringen im Zulassungsantrag ergeben sich weder die – ohne ausdrückliche Bezeichnung dieses Zulassungsgrundes – in der Sache geltend gemachten ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO; 2.), noch ist die Berufung wegen eines der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegenden Verfahrensmangels (Verletzung des rechtlichen Gehörs gemäß Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO), auf dem die Entscheidung beruhen kann (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO; 1.), zuzulassen.
1. Die Berufung ist nicht wegen der vom Kläger gerügten Verletzung des rechtlichen Gehörs zuzulassen (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 i.V.m. Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO).
Hierzu bringt er vor, das Verwaltungsgericht habe in der angefochtenen Entscheidung bezüglich seiner Niederlassungserlaubnis neben § 51 Abs. 1 Nr. 6 AufenthG auch den Erlöschenstatbestand gemäß § 51 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG geprüft und als erfüllt angesehen, obwohl ausweislich des Akteninhalts von der Beklagten nur auf § 51 Abs. 1 Nr. 6 AufenthG abgestellt worden sei. Nachdem diesbezüglich auch kein richterlicher Hinweis in der mündlichen Verhandlung erfolgt sei, liege eine Überraschungsentscheidung vor.
Eine Überraschungsentscheidung liegt vor, wenn das Gericht einen bis dahin nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt zur Grundlage seiner Entscheidung macht und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gibt, mit der auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Prozessverlauf nicht zu rechnen braucht (stRspr, vgl. z.B. BVerfG, B.v. 1.8.2017 – 2 BvR 3068/14 – juris Rn. 51; BVerwG, B.v. 7.6.2017 – 5 C 5.17 D – juris Rn. 8 f. m.w.N.; BayVGH, B.v. 22.11.2018 – 10 ZB 18.32976 – Rn. 9). Von einer unzulässigen Überraschungsentscheidung kann aber nicht gesprochen werden, wenn das Gericht Tatsachen, zu denen sich die Beteiligten äußern konnten, in einer Weise würdigt, die nicht den subjektiven Erwartungen eines Prozessbeteiligen entspricht oder von ihm für unrichtig gehalten wird. Nach ständiger Rechtsprechung besteht keine, auch nicht aus Art. 103 Abs. 1 GG abzuleitende, generelle Pflicht des Gerichts, die Beteiligten vorab auf seine Rechtsauffassung oder die mögliche Würdigung des Sachverhalts hinzuweisen, weil sich die tatsächliche oder rechtliche Einschätzung regelmäßig erst aufgrund der abschließenden Entscheidungsfindung nach Schluss der mündlichen Verhandlung ergibt.
Nach Maßgabe dieser Grundsätze greift die Rüge einer Überraschungsentscheidung nicht durch. Zum einen wurde der Kläger ausweislich des darüber gefertigten Vermerks vom 6. April 2017 (Bl. 7 der VG-Akte M 12 K 17.1760) bereits bei einer Vorsprache bei der Ausländerbehörde der Beklagten darüber belehrt, dass in seinem Fall der Sechs-Monats-Zeitraum (s. § 51 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG) durch die verspätete Wiedereinreise am 16. Juli 2011 überschritten sei. Zum anderen hat die Beklagte in ihrer Klageerwiderung vom 8. Mai 2017 ausdrücklich auf das Vorliegen auch dieses Erlöschenstatbestands unter Angabe des Ausreise- und Wiedereinreisezeitpunkts hingewiesen (Bl. 16/17 der VG-Akte). Bereits damit war diese Rechtsfrage im erstinstanzlichen Verfahren hinreichend thematisiert. Im Übrigen hat die Prozessbevollmächtigte des Klägers in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht ein Attest des Universitätskrankenhauses in Port Harcourt vom 3. Juli 2011 übergeben, das gerade belegen soll, dass der Kläger krankheitsbedingt an einer rechtzeitigen Wiedereinreise in die Bundesrepublik gehindert war.
2. Soweit der Kläger im Zusammenhang mit seiner Gehörsrüge (hilfsweise) geltend macht, er hätte aufgrund eines durch Attest belegten Krankenhausaufenthalts in Nigeria nicht rechtzeitig innerhalb von sechs Monaten nach Deutschland zurückkehren und vom Krankenhaus aus auch keine Verlängerung der Wiedereinreisefrist durch die Ausländerbehörde bzw. über die deutsche Botschaft in Lagos erreichen können, wird kein zur Zulassung der Berufung führender Grund dargelegt.
Das rechtliche Gehör als prozessuales Grundrecht (Art. 103 Abs. 1 GG) sichert den Parteien insbesondere das Recht, dass sie mit ihren Ausführungen und Anträgen gehört werden (BVerfG, B.v. 30.4.2003 – 1 PBvU 1/02 – BVerfGE 107, 395/409 = NJW 2003, 1924). Es gewährleistet im Sinn der Wahrung eines verfassungsrechtlich gebotenen Mindestmaßes, dass ein Kläger die Möglichkeit haben muss, sich im Prozess mit tatsächlichen und rechtlichen Argumenten zu behaupten (BVerfG, B.v. 21.4.1982 – 2 BvR 810/81 – BVerfGE 60, 305 = NJW 1982, 1636). Das Verwaltungsgericht hat diesem Anspruch genügt und sich mit diesem Vorbringen des Klägers eingehend auseinandergesetzt. Dabei ist es zu dem Ergebnis gelangt, dass er auch unter Berücksichtigung der geltend gemachten Erkrankung nicht aus von ihm nicht zu vertretenden Gründen an einer fristgerechten Rückkehr oder an der Stellung eines fristgerechten Antrags auf Verlängerung der Wiedereinreisefrist gehindert gewesen sei. Es sei nicht erkennbar, warum er nicht in der Lage gewesen sein sollte, erforderlichenfalls auch über eine Vertrauensperson Kontakt mit der Ausländerbehörde oder wenigstens mit der deutschen Auslandsvertretung in Nigeria aufzunehmen und einen Verlängerungsantrag zu stellen.
Wenn der Kläger diesbezüglich rügt, das Verwaltungsgericht habe sich bei seiner Einschätzung nicht genügend mit den Verhältnissen in nigerianischen Krankenhäusern auseinandergesetzt und sei demgemäß zu einer unrichtigen Bewertung gelangt, macht er letztlich Richtigkeitszweifel am Urteil des Verwaltungsgerichts geltend.
Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts bestünden jedoch nur dann, wenn der Kläger im Zulassungsverfahren einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten infrage gestellt hätte (BVerfG, B.v. 10.9.2009 – 1 BvR 814/09 – juris Rn. 11; B.v. 9.6.2016 – 1 BvR 2453/12 – juris Rn. 16). Solche schlüssigen Gegenargumente liegen bereits dann vor, wenn im Zulassungsverfahren substantiiert rechtliche oder tatsächliche Umstände aufgezeigt werden, aus denen sich die gesicherte Möglichkeit ergibt, dass die erstinstanzliche Entscheidung unrichtig ist (BVerfG, B.v. 20.12.2010 – 1 BvR 2011/10 – NVwZ 2011, 546). Dies ist hier aber nicht der Fall. Denn der Kläger ist den vom Verwaltungsgericht in nachvollziehbarer und schlüssiger Weise dargelegten Möglichkeiten, zumindest über eine Vertrauensperson rechtzeitig Kontakt mit der deutschen Auslandsvertretung oder der Ausländerbehörde aufzunehmen und auf eine krankheitsbedingte Verlängerung der Wiedereinreisefrist (s. § 51 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG) hinzuwirken (zu den Voraussetzungen und möglichen Ausnahmen unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben in außergewöhnlichen Situationen vgl. Tanneberger in BecKOK Ausländerrecht, Kluth/Heusch, Stand: 1.5.2018, § 51 Rn. 12 m.w.N.), lediglich mit der unsubstantiierten Behauptung entgegengetreten, das Gericht gehe von falschen tatsächlichen Verhältnissen in nigerianischen Krankenhäusern aus.
3. Greifen demnach die auf den Erlöschenstatbestand gemäß § 51 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG bezogenen Rügen des Klägers nicht durch, kommt es nicht mehr entscheidungserheblich darauf an, ob die bezüglich des vom Erstgericht daneben angenommenen Erlöschenstatbestands gemäß § 51 Abs. 1 Nr. 6 AufenthG geltend gemachten Zulassungsgründe – Gehörsrüge, ernstliche Zweifel an der Richtigkeit sowie Abweichung von der Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (U.v. 25.7.2011 – 19 B 10.2547 – juris) – für sich betrachtet vorliegen würden. Denn ist wie vorliegend das angefochtene Urteil des Verwaltungsgerichts auf mehrere selbständig (kumulativ) tragende Gründe gestützt, so sind Zulassungsgründe wegen eines jeden die Entscheidung tragenden Grundes darzulegen (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, Kommentar, 15. Aufl. 2019, § 124a Rn. 61 mit Rsprnachweisen).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 2 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


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