Verwaltungsrecht

Erlöschen des assoziationsrechtlichen Aufenthaltsrechts

Aktenzeichen  10 BV 16.1578

Datum:
23.1.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 1325
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG § 4 Abs. 5
ARB 1/80 Art. 7 S. 1

 

Leitsatz

1 Das assoziationsrechtliche Aufenthaltsrecht erlischt nicht, weil der türkische Staatsangehörige das Bundesgebiet verlässt, um einer vollziehbaren Ausreisepflicht nachzukommen, da insoweit keine freiwillige Ausreise vorliegt. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
2 Das assoziationsrechtliche Aufenthaltsrecht erlischt nicht, weil der türkische Staatsangehörige seinen Lebensmittelpunkt für einen längeren Zeitraum in die Türkei verlegt, um dort seinen Wehrdienst abzuleisten. (Rn. 22 – 23) (redaktioneller Leitsatz)
3 Ein Zeitraum von mehr als zwei Jahren zwischen Wegfall der berechtigten Gründe für die Abwesenheit im Bundesgebiet und der Wiedereinreise in das Bundesgebiet ist nicht mehr unerheblich. (Rn. 30) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 12 K 15.5829 2016-04-14 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Die Berufung wird zurückgewiesen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat zu Recht die auf Verpflichtung der Beklagten zur Erteilung der begehrten Aufenthaltserlaubnis gerichtete Klage abgewiesen.
Den Streitgegenstand des vorliegenden Klage- und Berufungsverfahrens bildet (ausschließlich) das Begehren des Klägers auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 4 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 7 Satz 1 ARB 1/80, mit der sein assoziationsrechtliches Aufenthaltsrecht (deklaratorisch) im Wege eines feststellenden Verwaltungsakts (vgl. Maor in BeckOK Ausländerrecht, Kluth/Heusch, Stand: 1.11.2017, AufenthG § 4 Rn. 45; BVerwG, U.v. 22.5.2012 – 1 C 6.11 – juris Rn. 27) festgestellt wird. Entscheidungserheblich ist dabei die Beantwortung der Frage, ob das vom erwerbstätigen Vater gemäß Art. 7 Satz 1, 2. Spiegelstrich ARB 1/80 abgeleitete assoziationsrechtliche Aufenthaltsrecht – insoweit unstrittig zwischen den Beteiligten – infolge des ca. viereinhalb Jahre (28.4.1998 bis 27.9.2002) dauernden Aufenthalts des Klägers in der Türkei erloschen ist. Diese Frage hat das Verwaltungsgericht unter Heranziehung der maßgeblichen Rechtsprechung in zutreffender Weise bejaht. Es geht zu Recht davon aus, dass der Kläger zwar am 28. April 1998 unter Inanspruchnahme eines berechtigten Grundes das Bundesgebiet verlassen und sich anschließend zur Ableistung seines Wehrdienstes bis November 1999 ebenfalls „berechtigt“ in der Türkei aufgehalten hat. Für den sich daran anschließenden Zeitraum allerdings, der bis zu seiner Wiedereinreise in das Bundesgebiet mit Schengenvisum am 27. September 2002 und damit erheblich mehr als zwei Jahre andauerte, bestand kein „berechtigter Grund“ mehr.
Der Senat weist die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung (UA, S. 20 bis 30) zurück und sieht daher von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 130b Satz 2 VwGO). Im Hinblick auf das Berufungsvorbringen ist ergänzend Folgendes auszuführen:
1. Der Kläger ist zwar am 28. April 1998 in Verfolgung eines anerkennenswerten Zieles und damit in Wahrnehmung eines berechtigten Interesses aus dem Bundesgebiet aus- und in die Türkei eingereist. Er ist nämlich der ihm obliegenden vollziehbaren Ausreisepflicht aus der Ordnungsverfügung vom 8. September 1997 nachgekommen, um seiner Abschiebung zu entgehen; in dieser Situation hat sich der Kläger „pflichtgemäß“ verhalten, so dass sein assoziationsrechtliches Aufenthaltsrecht schon mangels Freiwilligkeit der Ausreise (zu diesem Zeitpunkt) nicht erloschen ist (Oberhäuser in Hofmann, AuslR, 2. Aufl. 2016, ARB 1/80 Art. 7 Rn. 17; vgl. umfassend: Hailbronner, Ausländerrecht, Stand: August 2017, A1 § 51 Rn. 18 f.).
Daraus allein folgt aber nicht, dass der dargestellte „Zwang zur Ausreise“ auch für die gesamte, sich anschließende Dauer des Aufenthalts in der Türkei wirksam geblieben ist, so dass hierdurch quasi automatisch ein späterer Wegfall des „berechtigten Grundes“ für eine beliebig lange Zeitspanne ausgeschlossen wäre. Vielmehr kann unter Berücksichtigung der besonderen Umstände im Einzelfall (vgl. u. 3.) auch das weitere Verbleiben im Ausland – nach einem zunächst für die Rechtsstellung unschädlichen, weil unfreiwilligen Verlassen des Bundesgebiets – unter bestimmten Umständen zu einem Fortfall des „berechtigten Grundes“ führen und damit einem Verlassen ohne „berechtigten Grund“ gleichgesetzt werden (OVG NW, U.v. 6.12.2011 – 18 A 2765/10 – juris Rn. 70, 71 m.w.N.). Denn auch in dieser Konstellation erfordern Sinn und Zweck die Anwendung des Erlöschenstatbestands, der der Beseitigung des erreichten Integrationszusammenhangs infolge (freiwilliger) Aufgabe des Lebensmittelpunkts im Bundesgebiet (vgl. BVerwG, U.v. 25.3.2015 – 1 C 19.14 – juris Rn. 18) durch Verlust des assoziationsrechtlichen Aufenthaltsrechts Rechnung tragen will; denn es macht keinen Unterschied, ob das dauerhafte Verbleiben im Ausland nach Aufgabe des Lebensmittelpunkts im Bundesgebiet bereits im Zeitpunkt der Ausreise feststeht oder sich erst zu einem späteren Zeitpunkt – etwa nach Fortfall des bis dahin bestehenden „berechtigten Grundes“ – dokumentiert (OVG Berlin-Bbg, U.v. 17.7.2014 – OVG 7 B 40.13 – juris Rn. 29).
2. Das Aufenthaltsrecht des Klägers ist auch noch nicht während des Zeitraums vom Mai 1998 bis November 1999, in dem er seinen Wehrdienst in der Türkei abgeleistet hat, erloschen.
Zwar hat es sich hierbei um einen längeren Zeitraum von etwa eineinhalb Jahren gehandelt, während dessen sein Lebensmittelpunkt nicht mehr im Bundesgebiet lag. Jedoch stellt die Ableistung des Wehrdienstes durch einen Ausländer im jeweiligen Staat seiner Staatsangehörigkeit einen „berechtigten Grund“ für die Abwesenheit vom Bundesgebiet dar, denn sie dient der Erfüllung einer staatsbürgerlichen Pflicht und ist zwangsläufig – ungeachtet der konkreten Dauer des Wehrdienstes – mit einer längeren Abwesenheit vom Bundesgebiet verbunden (vgl. OVG Berlin-Bbg, U.v. 11.5.2010 – OVG 12 B 26.09 – juris Rn. 38; BayVGH, B.v. 15.10.2009 – 19 CS 09.2194 – juris Rn. 8; VGH BW, B.v. 31.7.2007 – 11 S 723/07 – juris). Im Übrigen ist auch für Unionsbürger anerkannt, dass die Kontinuität ihres Aufenthalts im Aufnahmemitgliedstaat nicht durch längere Abwesenheiten infolge der Erfüllung militärischer Pflichten berührt wird (vgl. Art. 16 Abs. 3 Richtlinie 2004/38/EG). Im vorliegenden Zusammenhang ist auch darauf hinzuweisen, dass auch ein nationaler Aufenthaltstitel dann nicht nach § 51 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG erlischt, wenn der Ausländer die dort genannte Sechsmonatsfrist lediglich „wegen Erfüllung der gesetzlichen Wehrpflicht im Heimatstaat“ überschreitet und binnen drei Monaten nach seiner Entlassung aus dem Wehrdienst wieder einreist (§ 51 Abs. 3 AufenthG).
3. Das assoziationsrechtliche Aufenthaltsrecht des Klägers ist jedoch spätestens Anfang März 2000 erloschen, weil zu diesem Zeitpunkt die bis dahin anzuerkennenden berechtigten Gründe entfallen waren, ohne dass neue hinzugetreten sind (3.1). Die sich anschließende Zeitspanne von etwa zweieinhalb Jahren bis zu seiner Wiedereinreise in das Bundesgebiet am 27. September 2002 ist nicht „unerheblich“ (3.2).
3.1 Es ist Sache des Klägers, der sich auf den Bestand eines assoziationsrechtlichen Aufenthaltsrechts beruft, in geeigneter Form zu nachzuweisen, dass er das Bundesgebiet aus berechtigten Gründen nur für einen unerheblichen Zeitraum verlassen hat (EuGH, U.v. 16.3.2000 – C-329/97, Ergat – juris Rn. 50). Dies ist dem Kläger für die Zeit nach Beendigung seines Wehrdienstes (zuzüglich einer vom Senat zu seinen Gunsten angenommenen dreimonatigen „Orientierungszeit“) nicht gelungen. Die für die Beurteilung maßgeblichen objektiven Umstände legen im Gegenteil nahe, dass er (spätestens zu diesem Zeitpunkt) seinen Lebensmittelpunkt im Bundesgebiet aufgegeben und in die Türkei verlagert hat. Im Rahmen seiner informatorischen Anhörung vor dem Verwaltungsgericht hat er ausgesagt, von November 1999 bis September 2002 abwechselnd bei seinem Vater und seiner Mutter gewohnt zu haben, und zwar im Sommer in Alanya, wo er seinen Vater beim Betrieb eines Restaurants unterstützt habe, im Winter hingegen in der Wohnung seiner Mutter in Istanbul. Offenbar hatten seine Eltern bereits seit längerem ihre eigene Übersiedlung in die Türkei geplant und diese dann im April 1998 bzw. Mai 1999 durchgeführt (vgl. UA S. 28) Dass der Kläger noch Kontakte in das Bundesgebiet aufrechterhalten hat, wie ein „besuchsweiser“ Aufenthalt 2001 mit Visum (vgl. Niederschrift über die mündliche Verhandlung am 14.4.2016) zeigt, spricht nicht für ein Aufrechterhalten des Lebensmittelpunkts in Deutschland, sondern als objektiver Umstand eher dagegen. Dass der Kläger eventuell abweichende subjektive Vorstellungen im Hinblick auf die Frage nach seinem Lebensmittelpunkt hatte, spielt keine Rolle. Auch aus seiner Biografie, die durch seine Geburt und einen jahrelangen Aufenthalt im Bundesgebiet gekennzeichnet ist, lässt sich für die hier interessierende Frage nichts ableiten. Im Übrigen verfügte der Kläger nach seiner Ausreise im April 1998 über keinen inländischen Wohnsitz mehr und hat sich dementsprechend an seinem bisherigen Wohnsitz abgemeldet.
Ein berechtigter Grund ergibt sich auch nicht (mehr) aus einem – grundsätzlich denkbaren – Fortwirken der aus der Ordnungsverfügung vom 8. September 1997 folgenden Ausreisepflicht des Klägers. Es hätte dem Kläger nämlich frei gestanden, nach Ableistung des Wehrdienstes (spätestens etwa anlässlich seines Aufenthalts im Jahr 2001 im Bundesgebiet) einen entsprechenden Antrag auf Feststellung des Bestehens eines assoziationsrechtliches Aufenthaltsrechts zu stellen und weiter zu verfolgen; damit hätte er nach außen deutlich gemacht, dass trotz längerer Abwesenheit vom Bundesgebiet nach wie vor ein Integrationszusammenhang fortbesteht und er seinen Lebensmittelpunkt nur unter dem fortwirkenden Zwang der verfügten Ausreisepflicht in die Türkei verlagert hat. An einem solchen Vorgehen hätte ihn auch nicht die nach Erlass des Widerspruchsbescheids vom 21. Oktober 1998 bestandskräftig gewordene Ordnungsverfügung gehindert, zumal sie sich mit der vorliegenden Problematik eines möglicherweise bestehenden assoziationsrechtliches Aufenthaltsrechts in keiner Weise befasst hat. Unabhängig von der damit verbundenen Frage nach dem Umfang der materiellen Bestandskraft der Ordnungsverfügung steht nämlich fest, dass der Kläger nach der gebotenen objektiven Betrachtung den Eindruck vermittelt hat, ihm sei an einer dauerhaften Rückkehr in das Bundesgebiet nicht mehr gelegen, weil er keine Rechtsmittel gegen die Ordnungsverfügung ergriffen und auch die spätere Geltendmachung von Ansprüchen (etwa aus dem ARB 1/80) unterlassen hat.
Zu keinem anderen Ergebnis führt schließlich der Vortrag, die Rechtsprechung zur Frage des Erlöschens von ARB-Rechten sei in den hier maßgeblichen Jahren (Ende der 1990er, Anfang der 2000er) noch nicht ausreichend entwickelt und auch die Rechtsanwaltschaft nicht entsprechend sensibilisiert gewesen; eine Rechtsverfolgung sei wegen der auch vom damaligen Rechtsvertreter des Klägers angenommenen fehlenden Erfolgsaussicht weiterer rechtlicher Schritte nicht zumutbar gewesen. Dem ist entgegenzuhalten, dass spätestens seit dem Ergat-Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH, U.v. 16.3.2000 – C-329/97, Ergat – juris Rn. 48 unter Hinweis auf: U.v. 17.4.1997 – C-351/95, Kadiman – juris Rn. 48; vgl. hierzu BVerwG, U.v. 25.3.2015 – 1 C 19.14 – juris Rn. 14 – 16) die Voraussetzungen, unter denen ein ARB-Recht erlischt, zumindest in den Grundsätzen bekannt waren. Rechtsmittel wären daher sicherlich nicht von vornherein aussichtslos gewesen. Hat der Kläger Rechtsmittel wegen unzureichender Beurteilung der Erfolgsaussichten durch seine damaligen Bevollmächtigten auf deren Rat hin nicht ergriffen, so ist ihm dieses Verhalten zuzurechnen. Aber selbst wenn man davon ausgehen wollte, dass etwa die Erhebung einer Verpflichtungsklage nach Erlass des Widerspruchsbescheids vom 21. Oktober 1998 erfolglos geblieben wäre, hätte sich damit der Wille des Klägers manifestiert, seinen Lebensmittelpunkt im Bundesgebiet beizubehalten bzw. wieder aufzunehmen. In Anbetracht dieses Aspekts ist es unerheblich, dass keine rechtliche Verpflichtung besteht, gegen eine behördliche Maßnahme vorzugehen. Hierauf weist der Kläger zwar grundsätzlich zu Recht hin; allerdings könnte das Unterlassen des Versuchs, den Eintritt der Bestandskraft durch den Gebrauch von Rechtsmitteln zu verhindern, auch im Sinne eines „Verschuldens gegen sich selbst“ gewertet werden, aufgrund dessen die Verwaltungsbehörde (wohl) auch nicht zur Rücknahme ihrer Maßnahme verpflichtet wäre (vgl. zu dieser Problematik EuGH, U.v. 13.1.2004 – C -453/00, Kühne & Heitz – sowie U.v. 19.9.2006 – C 392/04 u. C-422/04, i 21, Arcor – jew. juris; BGH, U.v. 15. 11.1990 – III ZR 302/89 – juris Ls. 3 u. Rn. 14 zu einem Amtshaftungsanspruch bei bestandskräftigem Verwaltungsakt).
Angesichts der vorstehenden Ausführungen vor dem Hintergrund einer umfassenden Bewertung sämtlicher Umstände des Einzelfalls (BVerwG, U.v. 25.3.2015, a.a.O., Rn. 18) lässt sich ein über das Ende des Wehrdienstes hinaus andauernder „Zwang“ im Sinne eines berechtigten Grundes für das weitere Verbleiben des Klägers in der Türkei nicht erkennen.
3.2 Der Kläger hat auch nicht nur für einen unerheblichen Zeitraum das Bundesgebiet verlassen und seinen Lebensmittelpunkt in der Türkei inne gehabt.
Dabei lässt sich die Frage, ab wann ein Ausländer seinen Lebensmittelpunkt aus Deutschland wegverlagert hat, nicht isoliert von den Gründen beantworten, die für das Verlassen des Bundesgebiets verantwortlich waren. Vielmehr besteht zwischen ihnen ein Zusammenhang; je länger der Ausländer sich im Ausland aufhält, desto eher spricht dies dafür, dass er seinen Lebensmittelpunkt in Deutschland aufgegeben hat (BVerwG, U.v. 25.3.2015, a.a.O., Rn. 18). Daran gemessen, ist hier – ausgehend von einem etwa zweieinhalb Jahre andauernden Aufenthalt ohne berechtigten Grund – der Zeitraum nicht mehr unerheblich gewesen. Er übersteigt sogar die für Unionsbürger und ihre Familienangehörigen in Art. 16 Abs. 4 Richtlinie 2004/38/EG geregelte Mindestfrist von zwei Jahren für den Verlust des Daueraufenthaltsrechts; die Unionsbürger betreffenden Regelungen wirken dabei auf die richterrechtliche Ausformung der assoziationsrechtlichen Stellung und ihrer Verlustgründe als Orientierungsrahmen ein. Je länger der Aufenthalt im Ausland andauert, desto eher kann von der Aufgabe des Lebensmittelpunktes des Ausländers in Deutschland ausgegangen werden. Dauert der Auslandsaufenthalt mehr als ein Jahr an, müssen gewichtige Anhaltspunkte für die Annahme vorliegen, der Ausländer habe seinen Lebensmittelpunkt noch im Bundesgebiet (BVerwG, U.v. 25.3.2015, a.a.O. und U.v. 30.4.2009 – 1 C 6.08 – juris Rn. 27, 28; BayVGH, U.v. 13.5.2014 – 10 BV 12.2382 – juris Rn. 33, 34). Eine Dauer von mehr als zwei Jahren Auslandsaufenthalt ist damit grundsätzlich nicht unerheblich. Zu Recht hält das Verwaltungsgericht einen derartig langen Auslandsaufenthalt für geeignet, die Integration eines türkischen Staatsangehörigen im Bundesgebiet grundlegend infrage zu stellen, selbst wenn dieser hier geboren wurde und hier seine Sozialisation erfahren hat, ohne vor der Ausreise längere Zeiträume im Ausland zugebracht zu haben. Nach den (unter 3.1) dargestellten objektiven Gegebenheiten hat der Kläger nach Beendigung seines Wehrdienstes in der Türkei ein „neues Leben“ begonnen und eine erhebliche Zeit mit den dorthin übersiedelten Eltern zusammengelebt. Ausreichende Indizien dafür, dass mit dieser Lebensplanung, die er für weit mehr als zwei Jahre realisiert hat, von vornherein keine endgültige Abkehr vom Bundesgebiet verbunden sein sollte, konnte der Kläger weder vortragen noch sind solche ersichtlich.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung stützt sich auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.
Die Revision ist nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen. Die Frage, ob ein assoziationsrechtliches Aufenthaltsrecht eines türkischen Staatsangehörigen erloschen ist, weil dieser das Bundesgebiet für einen nicht unerheblichen Zeitraum ohne berechtigte Gründe verlassen hat, ist einer grundsätzlichen Betrachtung nicht zugänglich, sondern vielmehr vor dem Hintergrund einer Gesamtbewertung der konkreten Umstände des jeweiligen Einzelfalls zu beantworten (BVerwG, U.v. 25.3.2015 – 1 C 19.14 – juris Rn. 18). Gleiches gilt für die hier maßgebliche Frage, zu welchem Zeitpunkt die Wirkung des bei Ausreise aus dem Bundesgebiet zunächst gegebenen „berechtigten Grundes“ entfällt.


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