Verwaltungsrecht

Ermessensausfall bei verkehrsrechtlicher Anordung – eingeschränkte Halteverbotszone

Aktenzeichen  AN 10 K 19.02531

Datum:
9.11.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 33440
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
StVO § 45 Abs. 1 S. 1, Abs. 9
VwGO § 114
BayVwVfG Art. 35 S. 2, Art. 39 Abs. 1 S. 3, Art. 40

 

Leitsatz

1. Die Vorschrift des § 45 Abs. 9 S. 1 StVO und die gleichlautende Vorschrift des § 39 Abs. 1 StVO zielen darauf ab, die allgemeinen Verhaltensvorschriften im Straßenverkehr im Bewusstsein der Verkehrsteilnehmer aufzuwerten und die “Subsidiarität der Verkehrszeichenanordnung” zu verdeutlichen. “Zwingend geboten” ist ein Verkehrszeichen unter Berücksichtigung dieses Regelungszwecks und des Wortlauts der Vorschriften nur dann, wenn das Verkehrszeichen die zur Gefahrenabwehr unbedingt erforderliche oder allein in Betracht kommende Maßnahme ist. Das ist zB nicht der Fall, wenn die allgemeinen und besonderen Verhaltensregeln der Straßenverkehrsordnung mit hinreichender Wahrscheinlichkeit einen sicheren und geordneten Verkehrsablauf gewährleisten (Anschluss an VGH München BeckRS 2011, 34058 Rn. 25). (Rn. 32) (redaktioneller Leitsatz)
2. Bei einer verkehrsrechtlichen Anordnung nach § 45 Abs. 1 und Abs. 9 StVO handelt es sich um eine Ermessensentscheidung, die seitens des Gerichts nur eingeschränkt auf Ermessensfehler überprüfbar ist. Maßgeblich sind hierbei die in der verkehrsrechtlichen Anordnung selbst dargestellten Ermessenserwägungen. Die Straßenverkehrsbehörde hat eine besondere Darlegungslast, wenn sie sich für die Anbringung eines Verkehrszeichens entscheidet (Anschluss an VG Würzburg BeckRS 2020, 6663 Rn. 55; s. auch VGH München BeckRS 2021, 1658 Rn. 24). (Rn. 36) (redaktioneller Leitsatz)
3. Der von der verkehrsrechtlichen Anordnung einer eingeschränkten Halteverbotszone betroffene Grundstückseigentümer kann sich nicht auf eine Einschränkung seines Anliegergebrauchs berufen, da dieser lediglich die Zugänglichkeit des Grundstücks zur Straße schützt, soweit eine angemessene Nutzung des Grundstückseigentums die Benutzung der Straße erfordert. Nicht hingegen schützt der Anliegergebrauch vor Einschränkungen und Erschwernissen der Zufahrtsmöglichkeit für ein innerörtliches Grundstück; ebenso vermittelt der Anliegergebrauch kein Recht auf einen eigenen Parkplatz vor bzw. in unmittelbarer Nähe eines Grundstücks (Anschluss an VGH München BeckRS 2006, 23189). (Rn. 28) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die in der …Straße durch verkehrsrechtliche Anordnung des Beklagten vom 18. November 2019 in der Fassung vom 28. September 2020 verfügte eingeschränkte Halteverbotszone (Zeichen 290.1 und 290.2) wird aufgehoben.
2. Der Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.  
3. Das Urteil ist hinsichtlich der Kostenentscheidung vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die Klage, über die im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden werden konnte (§ 101 Abs. 2 VwGO), ist zulässig und begründet, da die mit Aufstellung der Verkehrszeichen 290.1 und 290.2 (Anlage 2 zu § 41 Abs. 1 StVO, lfd. Nr. 64 und 65) verlautbarte eingeschränkte Halteverbotszone in der …Straße mit der verkehrsrechtlichen Anordnung des Beklagten vom 18. November 2019 in der Fassung vom 28. September 2020 nicht rechtmäßig angeordnet wurde.
1. Die Klage ist als gegen die verkehrsrechtliche Anordnung des Beklagten vom 18. November 2019 in der Fassung vom 28. September 2020 zur Aufstellung des Verkehrszeichens „Beginn eines eingeschränkten Halteverbotes für eine Zone“ (Zeichen 290.1) und „Ende eines eingeschränkten Halteverbotes für eine Zone“ (Zeichen 290.2) gerichtete Anfechtungsklage zulässig, § 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO. Die verkehrsrechtliche Anordnung des Beklagten wurde durch die Aufstellung der entsprechenden Verkehrszeichen bekanntgemacht.
Die durch Verkehrszeichen verlautbarte verkehrsrechtliche Anordnung einer eingeschränkten Halteverbotszone in der …Straße stellt einen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung in Form einer Allgemeinverfügung im Sinne des Art. 35 Satz 2 BayVwVfG dar (BVerwG, U.v. 27.1.1993 – 11 C 35/92 – BVerwGE 93, 32). Verkehrszeichen bedürfen einer (vorangehenden) verkehrsrechtlichen Anordnung der zuständigen Straßenverkehrsbehörde, die üblicherweise – wenn auch nicht zwingend – schriftlich ergeht und aus der sich die tragenden Gründe für die Anordnung ergeben (Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 45. Auf. 2018, § 39 Rn. 31, § 45 Rn. 41). Erst die von den aufgestellten Verkehrszeichen ausgehenden Verbote sind dann als Verwaltungsakte verbindlich. Aufgrund der Rechtsnatur als Allgemeinverfügung mit Dauerwirkung beansprucht das Verkehrszeichen Geltung und entfaltet als Handlungsgebot oder – verbot Rechtswirkung gegenüber demjenigen, von dem es wahrgenommen werden kann bzw. der sich der Regelung des Verkehrszeichens gegenübersieht (vgl. BayVGH, B.v. 21.10.1998 – 11 CS 98.2123 – juris).
Hiergegen kann gemäß § 42 Abs. 1 VwGO Anfechtungsklage erhoben werden, deren Anfechtungsfrist (§ 74 Abs. 1 VwGO) für einen Verkehrsteilnehmer erst dann zu laufen beginnt, wenn sich der Betroffene als Verkehrsteilnehmer erstmals der Regelung des Verkehrszeichens gegenübersieht (BVerwG, U.v. 13.12.1979 – 7 C 46.78 – juris Rn. 19; bestätigend BVerfG, B.v. 10.9.2009 – 1 BvR 814/09 – juris Rn. 15 f.; s. auch VG Stuttgart, U.v. 18.12.2019 – 17 K 99/17 – juris Rn. 40). Die gemäß § 58 Abs. 2 VwGO wegen fehlender Rechtsmittelbelehrunggeltende einjährige Rechtsbehelfsfrist ist nicht abgelaufen, da das Verkehrszeichen erst am 19. November 2019 aufgestellt worden ist und der Kläger frühestens mit Aufstellung dem Verkehrszeichen erstmals von der Regelung betroffen war. Die Klage wurde vorliegend am 17. Dezember 2019 und damit unproblematisch innerhalb eines Jahres erhoben.
Der Kläger ist im Sinne des § 42 Abs. 2 VwGO klagebefugt. Er kann geltend machen, durch die mit verkehrsrechtlicher Anordnung des Beklagten vom 18. November 2019 in der Fassung vom 28. September 2020 verfügte eingeschränkte Halteverbotszone in eigenen Rechten verletzt zu sein. Ein Verkehrsteilnehmer kann als Verletzung seiner Rechte geltend machen, die rechtssatzmäßigen Voraussetzungen für eine auch ihn betreffende Verkehrsbeschränkung nach § 45 Abs. 1 StVO seien nicht gegeben (BVerwG, U.v. 27.1.1993 – 11 C 35/92 – BVerwGE 92, 32). In diesem Recht auf allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 GG) ist auch der Kläger selbst von der eingeschränkten Halteverbotszone als Verkehrsteilnehmer betroffen.
Dagegen kann sich der Kläger nicht auf eine Einschränkung seines Anliegergebrauchs berufen, da dieser lediglich die Zugänglichkeit des Grundstücks zur Straße schützt, soweit eine angemessene Nutzung des Grundstückseigentums die Benutzung der Straße erfordert. Nicht geschützt wird jedoch vor Einschränkungen und Erschwernissen der Zufahrtsmöglichkeit für ein innerörtliches Grundstück; ebenso vermittelt der Anliegergebrauch kein Recht auf einen eigenen Parkplatz vor bzw. in unmittelbarer Nähe eines Grundstücks (BayVGH, U.v. 15.3.2006 – 8 B 05.1356 – juris). Solche abwägungserheblichen qualifizierten (Anlieger-)Interessen des Klägers waren vorliegend nicht gegeben, da die Zugänglichkeit des klägerischen Grundstücks zur Straße durch die verkehrsrechtliche Anordnung selbst nicht tangiert war (vgl. VG Würzburg, U.v. 8.4.2020 – W 6 K 19.1174 – juris Rn. 28).
Die Kammer vermag nicht zu erkennen, dass dem Kläger kein schutzwürdiges Interesse an der begehrten gerichtlichen Entscheidung zustehen könnte. Ein Rechtsschutzinteresse fehlt nur dann, wenn die begehrte gerichtliche Entscheidung dem Kläger keinen rechtlichen Vorteil bringt, es einfachere oder effektivere Möglichkeiten des Rechtsschutzes gibt oder sich die Inanspruchnahme gerichtlichen Rechtsschutzes als rechtsmissbräuchlich erweist (Kopp/Schenke, VwGO, 24. Aufl. 2018, Vor § 40 Rn. 37). Hiervon ist entgegen der Auffassung der Beklagtenbevollmächtigten nicht auszugehen. Zwar mag mit der nun durch den Beklagten getroffenen Regelung dem Anliegen des Klägers, die Zufahrt zu seinem Grundstück zu gewährleisten, nachgekommen worden sein. Dem Schreiben des Klägers vom 9. Oktober 2020 ist aber nicht zu entnehmen, dass eine Beschilderung der …Straße als „eingeschränkte Halteverbotszone“ gefordert wurde. Dass sich die Klage vor diesem Hintergrund als rechtsmissbräuchlich erweist, ist nicht ersichtlich. Im Übrigen ist für die Frage des Rechtsschutzinteresses der von dem Beklagten aufgeworfene Umstand, der Kläger verfüge über eigenen Parkplätze auf seinem Grundstück, unerheblich.
2. Die Anfechtungsklage ist auch begründet. Die von dem Beklagten in der …Straße vorgenommene Anordnung einer eingeschränkten Halteverbotszone, verlautbart durch Verkehrszeichen 290.1 und 290.2 (Anlage 2 zu § 41 Abs. 1 StVO, lfd. Nr. 64 und 65), ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO, da ihr keine rechtmäßige verkehrsrechtliche Anordnung zugrunde liegt. Es fehlt jedenfalls an der materiellen Rechtmäßigkeit der streitgegenständlichen verkehrsrechtlichen Anordnung.
Rechtsgrundlage für die verkehrsrechtliche Anordnung vom 18. November 2019 in der Fassung vom 28. September 2020 sind die § 45 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 9 StVO. Nach § 45 Abs. 1 Satz 1 StVO können die Verkehrsbehörden die Benutzung bestimmter Straßen oder Straßenstrecken aus Gründen der Sicherheit oder Ordnung des Verkehrs beschränken oder verbieten und den Verkehr umleiten. Vorliegend stellt das eingeschränkte Halteverbot für eine Zone eine Beschränkung der Benutzung der Straße dar.
Allerdings ist hierbei § 45 Abs. 9 StVO zu beachten, der die Ermächtigungsgrundlagen konkretisiert und modifiziert. Nach § 45 Abs. 9 Satz 1 StVO sind Verkehrszeichen nur dort anzuordnen, wo dies aufgrund der besonderen Umstände zwingend geboten ist. Die Vorschrift des § 45 Abs. 9 Satz 1 StVO und die gleichlautende Vorschrift des § 39 Abs. 1 StVO zielen darauf ab, die allgemeinen Verhaltensvorschriften im Straßenverkehr im Bewusstsein der Verkehrsteilnehmer aufzuwerten und die „Subsidiarität der Verkehrszeichenanordnung“ zu verdeutlichen (vgl. die Begründung des Bundesrates, VkBl. 1997, 687, 689 Nr. 9 und 690 Nr. 22). „Zwingend geboten“ ist ein Verkehrszeichen unter Berücksichtigung dieses Regelungszwecks und des Wortlauts der Vorschriften daher nur dann, wenn das Verkehrszeichen die zur Gefahrenabwehr unbedingt erforderliche oder allein in Betracht kommende Maßnahme ist. Das ist z.B. nicht der Fall, wenn die allgemeinen und besonderen Verhaltensregeln der Straßenverkehrsordnung mit hinreichender Wahrscheinlichkeit einen sicheren und geordneten Verkehrsablauf gewährleisten (vgl. BayVGH, U.v. 28.9.2011 – 11 B 11.910 – juris).
Das Aufstellen von Verkehrszeichen hat damit Ausnahmecharakter. Die Straßenverkehrsbehörde hat eine besondere Darlegungslast, wenn sie sich für die Anbringung eines Verkehrszeichens entscheidet. Die zuständige Straßenverkehrsbehörde ist vor Erlass einer verkehrsrechtlichen Anordnung zu einer Prüfung der objektiven Gefahrenlage für die öffentliche Sicherheit und Ordnung verpflichtet (vgl. VG Würzburg, U.v. 8.4.2020 – W 6 K 19.1174 – juris Rn. 35 m.w.N.).
Maßgeblich ist aufgrund des Charakters der Verkehrsregelung als Dauerverwaltungsakt die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung bzw. wenn eine solche nicht durchgeführt wird, der Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (vgl. BVerwG, U.v. 23.9.2010 – 3 C 32/09 – juris Rn. 17). So können gemäß § 114 Satz 2 VwGO noch im Klageverfahren Ermessenserwägungen hinsichtlich des Verwaltungsaktes ergänzt werden. Hierbei handelt es sich jedoch nur um Fälle, in welchen unvollständige Ermessenserwägungen ergänzt werden, nicht hingegen jene, in denen es an Ermessenserwägungen bisher fehlte oder wesentliche Teile der Ermessenerwägungen nachträglich nachgeschoben wurden (Kopp/Schenke, VwGO, 24. Aufl. 2018, § 114 Rn. 50; VG Würzburg, U.v. 8.4.2020 – W 6 K 19.1174 – juris Rn. 36).
Ob diese strengen Tatbestandsvoraussetzungen für eine verkehrsrechtliche Anordnung nach § 45 Abs. 1 Satz 1, Abs. 9 StVO, d.h. eine objektive Gefahrenlage für die öffentliche Sicherheit und Ordnung im Sinne des § 45 Abs. 1 Satz 1 StVO, vorliegend erfüllt sind, kann im Ergebnis dahinstehen. Insofern weist das Gericht lediglich darauf hin, dass für die Beurteilung, ob eine entsprechende objektive Gefahrenlage tatsächlich besteht, zunächst die Feststellung der Verkehrsverhältnisse vor Ort erforderlich ist, etwa durch eine Verkehrsschau mit der örtlich zuständigen Polizeidienststelle. Dem Beklagten kommt als zuständige örtliche Verkehrsbehörde jedoch insofern eine Einschätzungsprärogative zu.
Unabhängig davon fehlt es jedenfalls an der erforderlichen Ermessensausübung des Beklagten. Denn bei einer verkehrsrechtlichen Anordnung nach § 45 Abs. 1 und Abs. 9 StVO handelt es sich um eine Ermessensentscheidung, die seitens des Gerichts nur eingeschränkt auf Ermessensfehler überprüfbar ist (§ 114 Satz 1 VwGO). Maßgeblich sind hierbei die in der verkehrsrechtlichen Anordnung selbst dargestellten Ermessenserwägungen (vgl. Art. 39 Abs. 1 Satz 3 BayVwVfG). Die Straßenverkehrsbehörde hat eine besondere Darlegungslast, wenn sie sich für die Anbringung eines Verkehrszeichens entscheidet (vgl. auch VG Würzburg, U.v. 8.4.2020 – W 6 K 19.1174 – juris Rn. 57).
Aus der verkehrsrechtlichen Anordnung vom 18. November 2019 und der beigezogenen Verwaltungsakte ist aber nicht ersichtlich, dass der Beklagte seiner nach Art. 40 BayVwVfG obliegenden Pflicht nachgekommen ist, das ihm eingeräumte Ermessen auszuüben. In der verkehrsrechtlichen Anordnung vom 18. November 2019 heißt es insoweit nur, dass die verkehrsrechtliche Anordnung aus Gründen der Sicherheit und Ordnung zu vollziehen ist. Aus dieser Formulierung ist nicht erkennbar, ob sich der Beklagte bewusst war, dass die Anordnung im Ermessen der Straßenverkehrsbehörde steht. Irgendwelche Erwägungen, ob eine solche Regelung zweckmäßig ist und warum sie gewollt wurde, lässt sich auch der Akte nicht recht entnehmen. Der Akte lässt sich insoweit nur entnehmen, dass der Beklagte aufgrund eines Nachbarschaftsstreits, der Polizei, Rathaus und Landratsamt beschäftigt, gehandelt hat. Erwägungen, aus denen sich z.B. entnehme ließe, ob der Beklagte die Belange von Personen, deren Interessen durch die getroffene Maßnahme u.U. nachteilig berührt werden, in dem gebotenen Umfang erfasst hat, und ob diese Aspekte in rechtsfehlerfreier Weise mit den Gesichtspunkten abgewogen wurden, die ggf. für die Einrichtung einer eingeschränkten Halteverbotszone sprechen, enthält weder die verkehrsrechtliche Anordnung selbst noch die beigezogene Behördenakte. Soweit die Beklagtenbevollmächtigte vorträgt, man habe sich ausführliche Gedanken gemacht, ist entgegenzuhalten, dass sich solche Erwägungen in der verkehrsrechtlichen Anordnung vom 18. November 2019 jedenfalls nicht widerspiegeln.
Die verkehrsrechtliche Anordnung ist deshalb ermessensfehlerhaft, da der Beklagte keinerlei Ermessen ausgeübt hat und nicht erkannte, dass ihm bezüglich der Anordnung Ermessen zusteht (sog. Ermessensausfall).
Eine Heilung des hier vorliegenden Ermessensausfalls ist auch über die Vorschrift des § 114 Satz 2 VwGO durch Nachschieben von Ermessenserwägungen nicht möglich. Danach kann die Verwaltungsbehörde ihre Ermessenserwägungen hinsichtlich des Verwaltungsaktes auch noch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren ergänzen. Wie sich bereits aus dem Wortlaut „ergänzen“ in § 114 Satz 2 VwGO ergibt, handelt es sich um Fälle, in denen bei einem Ermessensverwaltungsakt unvollständige Ermessenserwägungen ergänzt werden. Die Anwendung der Vorschrift scheidet aus, wenn es an Ermessenserwägungen bisher fehlte, das Ermessen also gänzlich nicht ausgeübt wurde. Damit kann ein (völliges) Auswechseln der Ermessenserwägungen ebenso wie eine erstmalige Begründung einer Ermessensentscheidung, z.B., weil erst im Prozess erkannt wird, dass der Behörde ein Ermessensspielraum eröffnet ist, nicht unter § 114 Satz 2 VwGO subsumiert werden.
So liegt der Fall hier, weil die streitgegenständliche verkehrsrechtliche Anordnung überhaupt keine Ermessensausübung erkennen lässt. Das Nachschieben von Ermessenserwägungen durch die Beklagtenbevollmächtigte im verwaltungsgerichtlichen Verfahren bewirkt deshalb nicht die Heilung der vorher ermessensfehlerhaften verkehrsrechtlichen Anordnung. Der Beklagte konnte auch durch die erlassene ergänzende Anordnung vom 28. September 2020 keine Ermessenserwägungen nachschieben. Das Gericht geht davon aus, dass in der Anordnung vom 28. September 2020 keine neue verkehrsrechtliche Anordnung zu sehen ist mit einer ggf. (ausdrücklichen oder konkludenten) Aufhebung der verkehrsrechtlichen Anordnung vom 18. November 2019, da dies dem ausdrücklichen Wortlaut der „Anordnung zur Ergänzung der Anordnung vom 18. November 2019“ widersprechen würde. Auch die Beklagtenbevollmächtigte selbst geht insoweit von einer Änderung der ursprünglichen verkehrsrechtlichen Anordnung aus. Die ergänzende Anordnung vom 28. September 2020 ist insgesamt ersichtlich auf die Ergänzung von Ermessenserwägungen gerichtet, was sich jedoch im konkreten Fall nach oben Gesagtem als unzulässig darstellt und nicht zur Rechtmäßigkeit der verkehrsrechtlichen Anordnung führt.
Soweit die Beklagtenbevollmächtigte vorträgt, das der Behörde eingeräumte Ermessen sei zu einer Rechtspflicht verdichtet gewesen, kann sie nicht durchdringen. Eine Ermessensreduzierung auf Null ist nicht ersichtlich. Insbesondere ist nicht erkennbar, dass die angeordnete Maßnahme der eingeschränkten Halteverbotszone alternativlos ist. Dies zeigt sich bereits daran, dass der Beklagte vorträgt, man habe auch andere Anordnungen, beispielsweise die Anordnung eines verkehrsberuhigten Bereichs, geprüft. Diese Erwägungen verdeutlichen, dass der Beklagte selbst nicht von einer Ermessensreduktion auf Null ausgegangen ist. Im Übrigen ist vorliegend nicht ersichtlich, ob anstelle der eingeschränkten Halteverbotszone nicht auch andere Maßnahmen, beispielsweise Grenzmarkierungen, dieselbe Wirkung erzielen könnten.
Der Kläger ist als Verkehrsteilnehmer durch die rechtswidrige Anordnung der eingeschränkten Halteverbotszone in seinen Rechten verletzt.
Die verkehrsrechtliche Anordnung zur Aufstellung der Verkehrszeichen einer eingeschränkten Halteverbotszone war daher aufzuheben. Dem Beklagten ist aufzugeben, die aufgestellten Verkehrszeichen zu beseitigen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Kostenausspruchs beruht auf § 167 Abs. 1 VwGO i.V. m. §§ 708 ff. ZPO.
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen dieses Urteil steht den Beteiligten die Berufung zu, wenn sie vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zugelassen wird. Die Zulassung der Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils beim Bayerischen Verwaltungsgericht Ansbach, Promenade 24 – 28, 91522 Ansbach zu beantragen.
Der Antrag muss das angefochtene Urteil bezeichnen. Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist; die Begründung ist, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist, beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof, Ludwigstraße 23, 80539 München (auswärtige Senate in Ansbach: Montgelasplatz 1, 91522 Ansbach) einzureichen.
Die Berufung ist nur zuzulassen, wenn ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen,
die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten aufweist,
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
das Urteil von einer Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs, des Bundesverwaltungsgerichts, des gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder wenn ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.
Vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof müssen sich die Beteiligten durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof eingeleitet wird, d.h. insbesondere bereits für die Einlegung des Rechtsmittels beim Verwaltungsgericht. Als Bevollmächtigte sind Rechtsanwälte oder Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz mit Befähigung zum Richteramt oder die in § 67 Abs. 2 Satz 2 Nrn. 3 bis 7 VwGO bezeichneten Personen und Organisationen zugelassen. Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse können sich auch durch eigene Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt oder durch Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt anderer Behörden oder juristischer Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse vertreten lassen.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 5.000,00 EUR festgesetzt (§ 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Ziffer 46.15 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit).
Rechtsmittelbelehrung
Gegen diesen Beschluss steht den Beteiligten die Beschwerde an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zu, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 200 EUR übersteigt oder die Beschwerde zugelassen wurde.
Die Beschwerde ist innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, beim Bayerischen Verwaltungsgericht Ansbach, Promenade 24 – 28, 91522 Ansbach, einzulegen.
Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, kann die Beschwerde auch noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.


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