Verwaltungsrecht

Ermessensfehler bei einer asylrechtlichen Befristungsentscheidung

Aktenzeichen  AN 17 K 18.30799

Datum:
1.8.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 19436
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1
AufenthG § 11 Abs. 1, Abs.  2, Abs.  3, § 59, § 60 Abs. 5, Abs.  7 S. 1

 

Leitsatz

Wird im Rahmen einer Ermessensentscheidung über eine Befristung gemäß § 11 Abs. 3 S. 1 AufenthG das Bestehen einer Ehe zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung nicht berücksichtigt, liegt ein Ermessensausfall vor. (Rn. 20 – 21) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Unter Aufhebung von Ziffer 6. des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 12. Juni 2018, Az. …, wird die Beklagte verpflichtet, über die erstmalige Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbotes unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2.    Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Über die Klage konnte trotz Ausbleibens eines Vertreters der Beklagten in der mündlichen Verhandlung verhandelt und entschieden werden, da mit der Ladung zur mündlichen Verhandlung auf die Folgen des § 102 Abs. 2 VwGO hingewiesen worden war.
Die Klage ist zulässig, jedoch nur in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfange begründet.
Der streitgegenständliche Bescheid vom 12. Juni 2018 ist überwiegend rechtmäßig und verletzt den Kläger insoweit nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 5 Satz 1, Abs. 1 Satz 1 VwGO. Soweit sich die Klage gegen die erstmalige Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbotes in Ziffer 6. des Bescheides richtet, erweist sich die dort getroffene Entscheidung im Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 AsylG) als ermessensfehlerhaft (§ 114 Satz 1 VwGO i.V.m. § 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG), somit rechtswidrig und war aufzuheben.
Hinsichtlich der Klageanträge zu 1. bis 4. ist die Klage unbegründet. Dem Kläger steht weder ein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylG in Verbindung mit § 60 Abs. 1 AufenthG noch auf Anerkennung als Asylberechtigter zu (Hauptantrag) noch auf Zuerkennung des subsidiären Flüchtlingsstatus nach § 4 Abs. 1 AsylG in Verbindung mit § 60 Abs. 2 Satz 1 AufenthG oder auf Feststellung des Vorliegen von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5, Abs. 7 Satz 1 AufenthG (Hilfsanträge) zu. Da klägerseits in den die mündliche Verhandlung vorbereitenden Schriftsätzen sowie in der mündlichen Verhandlung selbst im Wesentlichen der Vortrag des Klägers vor dem Bundesamt nur wiederholt und mit rechtlichen Erwägungen vertieft wurde, beschränkt sich die Prüfung des Gerichts auf diejenigen Umstände, die der Kläger vor dem Bundesamt zur Begründung seines Asylantrages geltend gemacht hat und die dem Gericht insbesondere im Hinblick auf die aktuelle Erkenntnislage zum Herkunftsland des Klägers im Übrigen bekannt sind. Da das Bundesamt den Vortrag des Klägers im angegriffenen Bescheid umfassend gewürdigt und einer Prüfung anhand eines rechtlich zutreffenden Maßstabes unterzogen hat, macht das Gericht von der ihm gesetzlich eingeräumten Befugnis nach § 77 Abs. 2 AsylG Gebrauch und sieht von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab. Das erkennende Gericht legt seiner eigenen Entscheidung vielmehr die aus seiner Sicht zutreffenden, rechtlich nicht zu beanstandenden Gründe des angegriffenen Bescheides zugrunde und macht sich diese zu Eigen.
Ergänzend bemerkt das Gericht, dass es hinsichtlich des klägerischen Vortrages Erläuterungsbedarf gesehen hatte, der im Rahmen der am 31. Juli 2019 stattgefundenen mündlichen Verhandlung nicht ausgeräumt werden konnte, da der Kläger in Persona nicht anwesend war und der Bevollmächtigte des Klägers die aus Sicht des Gerichts noch offenen Punkte nicht beantworten konnte. Dies betraf bspw. – wie in der mündlichen Verhandlung erörtert – die Frage der vom Kläger behaupteten Gewaltintensität während seiner ersten Vorladung bei der kubanischen Polizei im Juni 2017, die ursächlich für den folgenden Krankenhausaufenthalt des Klägers gewesen sein soll. So verhält sich die in deutscher Übersetzung vorliegende Epikrise des kubanischen Krankenhauses gar nicht zu äußeren oder inneren Verletzungen des Klägers, sondern stellt allein auf eine Herz-Kreislauf-Problematik aufgrund Herzrasens beim Kläger ab. Dass der Kläger angegeben hatte, im Polizeigewahrsam im Juni 2017 einer „enormen Gewaltanwendung“ (S. 3 Pkt. 8. u. 9. d. Klagebegründungsschrift vom 12. Juli 2018) ausgesetzt gewesen zu sein, löste insoweit beim erkennenden Gericht das Bedürfnis der Nachfrage beim Kläger aus. Dies betraf im Weiteren aber auch die Art der Unterstützung bzw. Einbindung des Klägers in die oppositionelle Organisation UPAC bzw. UNPACU, die einer der Hauptgründe für die erste polizeiliche Vorladung im Jahr 2017 gewesen sein soll. Schließlich betraf der gerichtliche Klärungsbedarf zudem die Frage des Umgangs der kubanischen Polizei mit dem Kläger im unmittelbaren Zusammenhang mit der Zustellung bzw. Übergabe der beiden Vorladungsschreiben im Jahr 2018, wobei aus dem Vortrag des Klägers vor dem Bundesamt nur ersichtlich wird, dass eine Verhaftung des Kläger an Ort und Stelle nicht erfolgte und er jedenfalls seit dem letzten Vorladungstermin, den er wohl nicht mehr wahrgenommen hatte, und seiner Ausreise aus Kuba eine weitere Woche unbehelligt geblieben war und letztlich auch ohne Hindernisse aus Kuba ausreisen konnte. Unter Zugrundelegung der Bewertung der Aussagen des Klägers vor dem Bundesamt kommt auch das Gericht zu dem Schluss, dass – selbst bei Wahrunterstellung des vom Kläger vorgetragenen Sachverhaltes insbesondere zu polizeilichen Willkürhandlungen im Juni 2017 – es an einer asylerheblichen Intensität dieser Handlungen fehlt und der Kläger jedenfalls nicht in einem Maße im Fokus des kubanischen Staates stand, dass daraus der Schluss gezogen werden kann, dieser behandle den Kläger als Staatsfeind oder oppositionell treibende Kraft, die es verstärkt zu bekämpfen gilt.
Für den Erfolg des Antrags muss das Gericht die volle Überzeugung von der Wahrheit des vom Asylsuchenden behaupteten individuellen Schicksals erlangen. Angesichts des typischen Beweisnotstands, in dem sich Asylsuchende insbesondere hinsichtlich asylbegründender Vorgänge im Herkunftsland befinden, kommt dabei dem persönlichen Vorbringen des Asylsuchenden und dessen Würdigung für die Überzeugungsbildung eine gesteigerte Bedeutung zu. Demgemäß setzt ein Anspruch auf der Grundlage des § 3 Abs. 1 AsylG voraus, dass der Asylsuchende den Sachverhalt, der seine Verfolgungsfurcht begründen soll, schlüssig darlegt. Dabei ist es seine Sache, unter genauer Angabe von Einzelheiten und gegebenenfalls unter Ausräumung von Widersprüchen und Unstimmigkeiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern, der geeignet ist, das Asylbegehren lückenlos zu tragen (BVerwG, U.v. 8.5.1984 – 9 C 141.83 – Buchholz § 108 VwGO Nr. 147). Diese Chance hat sich der Kläger durch seine Abwesenheit in der mündlichen Verhandlung genommen, was im Ergebnis zu seinen Lasten geht.
Erfolg hat die Klage in ihrem Antrag zu 5., der in der mündlichen Verhandlung erstmals gestellt wurde. Die Ermessensentscheidung ist rechtswidrig. Denn bei der Ermessensentscheidung im Rahmen der Befristung gemäß § 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG sind neben den zulässigerweise heranzuziehenden spezial- und generalpräventiven Gesichtspunkten auch familiäre sowie andere erhebliche persönliche Belange unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit zu berücksichtigen. Sämtliche im konkreten Kontext schutzwürdigen Interesse des Klägers sind in den Blick zu nehmen und mit dem öffentlichen Interesse in einen praktisch verträglichen verhältnismäßigen Ausgleich zu bringen (vgl. VG Würzburg, G.v. 8.12.2015 – W 6 K 15.30722 – juris m.w.N. sowie etwa U.v. 28.1.2019 – W 8 K 18.32124 – juris; U.v. 29.4.2019 – 8 K 18.32593, BeckRS 2019, 8268).
Vorliegend ist ein Ermessensausfall gegeben, weil die Beklagte erhebliche schutzwürdige Belange des Klägers nicht berücksichtigt hat. Im streitgegenständlichen Bescheid ist ausdrücklich ausgeführt, dass der Kläger im Bundesgebiet über keine wesentlichen Bindungen verfüge, die zu berücksichtigen wären. Anhaltspunkte für eine kürzere Fristsetzung aufgrund schutzwürdiger Belange, seien weder vorgetragen worden noch lägen sie nach den Erkenntnissen des Bundesamtes vor. Die Beklagte hat im Rahmen ihrer Ermessensentscheidung nicht berücksichtigt und nicht gewürdigt, dass der Kläger mit einer deutschen Staatsangehörigen verheiratet ist, mit der er mittlerweile auch zusammengezogen ist, weil dieser relevante Umstand erst nach Bescheidserlass eingetreten ist. Abzustellen ist jedoch auf den maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 AsylG). Der Klägerbevollmächtigte hatte erst mit Schreiben vom 22. Oktober 2018 unter Vorlage entsprechender Unterlagen mitgeteilt, dass der Kläger am … 2018 eine deutsche Staatsangehörige geheiratet habe und ein Zusammenzug mit ihr erfolgt sei. Vor diesem Hintergrund spricht bei Würdigung der vorliegenden Gesamtumstände im konkreten Fall des Klägers bei sachgerechter Ermessensausübung vieles für eine Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots auf eine Länge deutlich unter 30 Monate.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 161 Abs. 1, 154 Abs. 1, 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO § 83b AsylG. Die Kosten konnten dem Kläger ganz auferlegt werden, weil die Beklagte betreffend die Nr. 6 des streitgegenständlichen Bescheides nur zu einem (ganz) geringen Teil unterlegen ist.


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