Aktenzeichen AN 4 K 15.02621
ZPO ZPO § 269 VI
Leitsatz
Es ist mit Blick auf § 173 VwGO iVm § 269 VI ZPO auch im Verwaltungsprozess grundsätzlich zulässig, eine zurückgenommene Klage erneut zu erheben. (redaktioneller Leitsatz)
Für einen Feststellungsantrag, der der Vorbereitung einer Schadensersatzklage dienen soll, besteht – wenn kein Fall des § 113 I 4 VwGO vorliegt – kein Feststellungsinteresse, weil die aufgeworfene Rechtsfrage im beabsichtigten Zivilprozess als Vorfrage geklärt werden kann. (redaktioneller Leitsatz)
Gründe
Bayerisches Verwaltungsgericht Ansbach
Aktenzeichen: AN 4 K 15.02621
Im Namen des Volkes
Urteil
vom 20. April 2016
4. Kammer
Sachgebiets-Nr.: 0460
Hauptpunkte:
erneute Erhebung einer bereits zuvor erhobenen, aber zurückgenommenen identischen allgemeinen Feststellungsklage;
anwaltliches Berufsrecht;
berufsrechtliche Maßnahmen des Vorstands der Rechtsanwaltskammer;
Rechtsquellen:
In der Verwaltungsstreitsache
…
– Klägerin –
gegen
Rechtsanwaltskammer … vertreten durch den Präsidenten …
– Beklagte –
wegen Rechts der freien Berufe einschließlich Kammerrecht
erlässt das Bayerische Verwaltungsgericht Ansbach, 4. Kammer,
durch den Einzelrichter … ohne mündliche Verhandlung am 20. April 2016 folgendes Urteil:
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens
zu tragen.
Tatbestand:
Die Klägerin beanstandet im Verfahren gegen die beklagte Rechtsanwaltskammer, dass diese auf ihre massiven Beschwerden gegen verschiedene kammerzugehörige Rechtsanwälte hin nicht in der nach Ansicht der Klägerin gebotenen Weise von ihren standesrechtlichen Aufsichtspflichten Gebrauch gemacht habe. Hintergrund der Auseinandersetzung sind umfangreiche Betreuungs- bzw. Nachlassstreitigkeiten, in die die Klägerin seit Jahren verwickelt ist und in denen sie sich durch die von ihr jeweils beauftragten Rechtsanwälte schlecht vertreten fühlte.
Mit am 27. Mai 2014 beim Bayerischen Verwaltungsgericht Ansbach unter dem Aktenzeichen AN 4 K 14.00918 mit umfangreichen Anlagen eingegangenem eigenhändigen Schriftsatz vom 26. Mai 2014 erhob die Klägerin gegen die beklagte Rechtsanwaltskammer „ Klage wegen Untätigkeit“ und präzisierte auf gerichtliche Anfrage vom 27.Mai 2014 hin ihr Begehren mit Schriftsatz vom 2. Juni 2014 wie folgt:
„Es wird damit nicht ein nachträgliches Tätigwerden der Rechtsanwaltskammer … angestrebt, denn das Kind ist schon lange in den Brunnen gefallen, sondern zwecks evtl. Schadensforderung an den Freistaat Bayern die Feststellung, dass die Kammer nicht tätig wurde, obwohl sie aufgrund meiner massiven und begründeten Beschwerden zwingend hätte eingreifen müssen. Es geht dabei hauptsächlich um die Wiederherstellung meines guten Rufes.“
Nach weiterem Schriftwechsel und nach telefonischer Erörterung der Sach- und Rechtslage mit dem seinerzeit zuständig gewesenen Kammervorsitzenden erklärte die Klägerin mit Schriftsatz vom 25. Juni 2014, eingegangen am 27. Juni 2014, Klagerücknahme. Demgemäß erging im Verfahren AN 4 K 14.00918 unter dem 27. Juni 2014 Einstellungsbeschluss mit Kostenentscheidung zulasten der Klägerin.
Mit Schriftsatz vom 25. Juni 2014, bei Gericht eingegangen am 30. Juni 2014, nahm die beklagte Rechtsanwaltskammer nachträglich im Wesentlichen noch dahin Stellung, dass das Bundesverwaltungsgericht bereits mit Beschluss vom 20. Oktober 1992, Az.: 1 B 23/92, NJW 1993, 2066, festgehalten habe, dass keine Rechtsgrundlage für einen Anspruch eines Dritten gegen die Kammer auf eine fehlerfreie Ermessensentscheidung über ein etwaiges Einschreiten gegen ein Mitglied bestehe. Die berufsrechtliche Aufsicht der Rechtsanwaltskammer über ihre Mitglieder diene nicht der Wahrung individueller Belange, sondern dem öffentlichen Interesse. Im Übrigen könne nur vor den Zivilgerichten geklärt werden, ob ein eingeschalteter Rechtsanwalt richtig beraten oder vertreten habe oder ob ihm ein Fehler unterlaufen sei, der eventuell zu einem Schadenersatzanspruch führe.
Mit am 30. Dezember 2015 unter dem Aktenzeichen AN 4 K 15.02621 beim Bayerischen Verwaltungsgericht Ansbach eingegangenem Schriftsatz vom 28. Dezember 2015 erklärte die Klägerin mit näherer Begründung, die im Verfahren AN 4 K 14.00918 seinerzeit erhobene Klage werde erneut erhoben.
Mit Schriftsatz vom 15. Februar 2016 vertrat die beklagte Rechtsanwaltskammer, ohne einen ausdrücklichen konkreten Sachantrag zu stellen, erneut die Auffassung, die berufsrechtliche Aufsicht der Rechtsanwaltskammer über ihre Mitglieder diene nicht der Wahrung individueller Belange, sondern dem öffentlichen Interesse, so dass Dritte keinen Anspruch gegen die Kammer auf eine Aufsichtsmaßnahme oder eine fehlerfreie Ermessensentscheidung über ein etwaiges Einschreiten gegen ein Mitglied hätten. In diesem Zusammenhang verweist die beklagte Rechtsanwaltskammer auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts sowie auf Kommentarliteratur zu § 73 BRAO. Im Übrigen habe auch – aus von der beklagten Rechtsanwaltskammer näher dargelegten Gründen – kein Anlass für ein berufsrechtliches Einschreiten bestanden.
Mit Schriftsatz vom 26. Februar 2016 teilte die Klägerin u. a. mit: Ob sie ihre zum Verwaltungsgericht erhobene Klage zurückziehe, hänge vom Fortgang des zivilrechtlichen Verfahrens beim Landgericht … ab, in dem sie Beklagte sei. Die zum Verwaltungsgericht erhobene Klage sie nicht deswegen erhoben worden, um sich an den beschuldigten Anwälten zu rächen und ihnen zu schaden. Sollten sich die Probleme der Klägerin mit den „kriminellen Anwälten“ ihres „kriminellen Bruders“ beim Landgericht … lösen lassen, sehe sie keine Notwendigkeit mehr für ein Verfahren beim Verwaltungsgericht Ansbach. Falls doch eine Entscheidung des Verwaltungsgerichts erforderlich werde, bestünden keine Einwände dagegen, wenn diese im schriftlichen Verfahren ergehe.
Mit Schriftsatz vom 7. März 2016 erklärte die beklagte Rechtsanwaltskammer ebenfalls ihr Einverständnis mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren gemäß § 101 Abs. 2 VwGO.
Mit weiterem Schriftsatz vom 24. März 2016 führte die Klägerin im Wesentlichen aus: Bevor ein Einzelrichter beim Verwaltungsgericht ohne mündliche Verhandlung ihre unter dem Az.: AN 4 K 15.02691 erhobene Klage mit der Begründung abweise, es fehle am Rechtsschutzinteresse, überlasse sie eine Verfügung des Landgerichts … vom 15. März 2016, wonach „die Akten bereits an die Rechtsanwaltskammer versandt“ worden seien und sie gebeten werde, für die anstehende mündliche Verhandlung einen Notanwalt zu benennen.
Abschließend führte die Klägerin mit Schriftsatz vom 30. März 2016 u. a. noch aus: Wer einen Notanwalt brauche, gelte schnell als schwieriger Mandant. Sie sei alles andere als ein schwieriger Mandant, sie habe einfach nur Recht.
Die Kammer hat den Rechtsstreit mit Beschluss vom 14. April 2016 dem Einzelrichter zur Entscheidung übertragen.
Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakten und die vorgelegten Akten (Blatt 1 bis 355) der beklagten Rechtsanwaltskammer verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage wird abgewiesen, weil sie unzulässig ist.
Das Gericht konnte mit Einverständnis der Parteien gemäß § 101 Abs. 2 VwGO ohne mündliche Verhandlung über die erneut erhobene Klage entscheiden. Die Übertragung des Rechtsstreits auf den Einzelrichter beruht auf § 6 Abs. 1 VwGO.
Der Umstand, dass die Klägerin ihre früher bereits unter dem Aktenzeichen AN 4 K 14.00918 erhobene Klage nunmehr – unter dem neuen Aktenzeichen AN 4 K 15.02621 – „erneut erhoben“ hat, steht der Zulässigkeit dieser Klage allerdings wohl nicht entgegen. Die grundsätzliche Zulässigkeit einer erneut erhobenen Klage wird in § 173 VwGO i. V. m. § 269 Abs. 6 ZPO ausdrücklich vorausgesetzt. Ob die in § 269 Abs. 6 ZPO angesprochene Einrede fehlender Kostenerstattung aus dem vorangegangenen Verfahren auch im Verwaltungsprozess erhoben werden könnte, mag letztlich dahinstehen, denn eine solche Einrede wurde von Beklagtenseite jedenfalls im nunmehr anhängig gemachten zweiten Klageverfahren nicht erhoben. Die Klagerücknahme im vorangegangenen Verfahren beinhaltete auch keinen Klageverzicht (zum Ganzen vgl. etwa Clausing in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, RdNrn. 33 – 37; Foerste in: Musielak/Voit, ZPO, RdNrn. 18 f.; Barczak: Klageänderung, Klagerücknahme und Erledigung des Rechtsstreits im verwaltungsgerichtlichen Verfahren, JA 214, 778 ff., 781; zu einer – hier nicht gegebenen – prozessualen Sonderkonstellation vgl. VG Magdeburg, U. v. 4.4.2013, Az. 3 A 49/13, juris).
Die Klage ist jedoch jedenfalls deswegen als unzulässig abzuweisen, weil schon ein „berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung“, wie gemäß § 43 Abs. 1 VwGO erforderlich, nicht dargetan und ersichtlich ist:
Soweit der Feststellungsantrag der Vorbereitung einer eventuellen Schadensersatzklage/Amtshaftungsklage gegen „den Freistaat Bayern“ (!) dient (vgl. Schriftsatz der Klägerin vom 26.5.2014), besteht nach gefestigter ständiger Rechtsprechung – außer im Fall des § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO, der hier jedoch nicht vorliegt – hierfür von vorneherein kein Bedürfnis, weil die aufgeworfene Rechtsfrage im beabsichtigten Zivilprozess als Vorfrage geklärt werden kann (vgl. etwa BVerwG, U. v. 24.1.1992, Az.: 7 C 24/91, juris, RdNr. 11, m. w. N.). Im Übrigen ist
Voraussetzung für die Zulässigkeit der Feststellungsklage, dass das Feststellungsinteresse gerade gegenüber dem Beklagten besteht. Ein Feststellungsinteresse gegenüber einem Dritten genügt nicht (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, § 43, Rn. 24).
Dass der Feststellungsantrag etwa der Vorbereitung einer eventuellen Schadenersatzklage gegen die beklagte Rechtsanwaltskammer dienen sollte, macht die Klägerin selbst nicht geltend, sie erwähnt vielmehr ausschließlich, wie oben bereits dargelegt, eine „evtl. Schadensforderung an den Freistaat Bayern“. Im Übrigen würde insoweit das im vorstehenden Absatz Ausgeführte ebenfalls gelten.
Auch gegenüber einzelnen Rechtsanwälten beabsichtigt die Klägerin offenbar keine Schadensersatzklagen, wie aus ihrem Schriftsatz vom 26. Februar 2016 hervorgeht. Auch insoweit wäre im Übrigen, wenn es anders wäre, auf das oben bereits Ausgeführte zu verweisen.
Soweit es der Klägerin um die „Wiederherstellung“ ihres „guten Rufes“ geht, ist schon nicht dargelegt, dass und inwieweit etwa bereits eine Rufschädigung eingetreten sein soll.
Nach alledem ist die Klage mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.
Lediglich rein hilfsweise sei abschließend noch ergänzt, dass die erhobene Feststellungsklage, sollte sie entgegen den vorstehenden Ausführungen zulässig sein, aus den von der beklagten Rechtsanwaltskammer genannten Gründen jedenfalls unbegründet wäre.
Rechtsmittelbelehrung
Gegen dieses Urteil steht den Beteiligten die Berufung zu, wenn sie vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zugelassen wird. Die Zulassung der Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils beim Bayerischen Verwaltungsgericht Ansbach,
Hausanschrift:
Promenade 24 – 28, 91522 Ansbach, oder
Postfachanschrift:
Postfach 616, 91511 Ansbach,
schriftlich zu beantragen.
Der Antrag muss das angefochtene Urteil bezeichnen. Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist; die Begründung ist, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist, beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof,
Hausanschrift:
Ludwigstraße 23, 80539 München;
Postfachanschrift:
Postfach 34 01 48, 80098 München, oder in
in Ansbach:
Montgelasplatz 1, 91522 Ansbach
einzureichen.
Die Berufung ist nur zuzulassen, wenn
ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen,
die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten aufweist,
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
das Urteil von einer Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs, des Bundesverwaltungsgerichts, des gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
wenn ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.
Vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof müssen sich die Beteiligten durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof eingeleitet wird. Als Bevollmächtigte sind Rechtsanwälte oder Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz mit Befähigung zum Richteramt oder die in § 67 Abs. 2 Satz 2 Nrn. 3 bis 7 VwGO bezeichneten Personen und Organisationen zugelassen. Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse können sich auch durch eigene Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt oder durch Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt anderer Behörden oder juristischer Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse vertreten lassen.
Der Antragsschrift sollen vier Abschriften beigefügt werden.
Beschluss:
Der Streitwert wird auf 5.000,00 EUR festgesetzt
(§ 52 Abs. 2 GKG).
Rechtsmittelbelehrung
Gegen diesen Beschluss steht den Beteiligten die Beschwerde an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zu, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 200 EUR übersteigt oder die Beschwerde zugelassen wurde.
Die Beschwerde ist innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, beim Bayerischen Verwaltungsgericht Ansbach,
Hausanschrift:
Promenade 24 – 28, 91522 Ansbach, oder
Postfachanschrift:
Postfach 616, 91511 Ansbach,
schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen.
Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, kann die Beschwerde auch noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.
Der Beschwerdeschrift sollen vier Abschriften beigefügt werden.