Verwaltungsrecht

Erteilung einer familienbezogenen Aufenthaltserlaubnis

Aktenzeichen  Au 6 K 20.2837

Datum:
22.3.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 12492
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG § 5 Abs. 1 Nr. 2, § 10 Abs. 3 S. 1, § 36 Abs. 2, § 53 Abs. 1, § 54 Abs. 2 Nr. 9, § 95 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 2

 

Leitsatz

Ein Ausweisungsinteresse iSd § 5 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG steht der Erteilung des Aufenthaltstitels regelmäßig entgegen, wenn jahrelang gegen die Passpflicht verstoßen wurde. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

Der Antrag auf Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.

Gründe

Der Kläger begehrt Prozesskostenhilfe für seine Klage auf Erteilung einer familienbezogenen Aufenthaltserlaubnis nach § 36 Abs. 2 AufenthG wegen seines senegalesischen Kindes.
I.
Der Kläger ist ausweislich eines mittlerweile vorliegenden, am 20. Juli 2020 ausgestellten Reisepasses senegalesischer Staatsangehöriger. Er reiste am 24. August 2014 unerlaubt in das Bundesgebiet ein und beantragte – angeblich wegen einer zwischenfamiliären Streitigkeit um den Kauf eines Ochsen – erfolglos Asyl; im Asylverfahren gab er unter anderem an, seinen Reisepass und Personalausweis im Senegal verloren zu haben, wo noch seine Eltern lebten. Das * (im Folgenden: *) lehnte seinen Asylantrag mit Bescheid vom 27. Januar 2017 als offensichtlich unbegründet ab, forderte ihn unter Fristsetzung zur Ausreise auf und drohte ihm die Abschiebung in den Senegal an. Seine hiergegen erhobene Klage wurde ebenfalls als offensichtlich unbegründet abgewiesen (VG Augsburg, U.v. 13.11.2017 – Au 1 K 17.32306, Behördenakte Band 1 Bl. 170).
In der Folgezeit belehrte der Beklagte den Kläger erstmals am 22. November 2017 und seither wiederholt über seine Passpflicht und seine Pflicht zur freiwilligen Ausreise, welcher der Kläger ausdrücklich nicht nachzukommen bereit war; er verweigerte sogar die Vorlage der angeblich in seiner Unterkunft lagernden Geburtsurkunde zu seiner Identifizierung (ebenda Bl. 189 f., 193). Der Kläger wurde mangels Reisepasses und damit mangels Möglichkeit zur Abschiebung geduldet.
Der Kläger ist wie folgt vorbestraft: 5 – AG, U.v. 1.10.2019 – * (Behördenakte Band 2 Bl. 45, 81): Geldstrafe von 55 Tagessätzen zu 10,00 Euro wegen jahrelangen unerlaubten Aufenthalts in Tateinheit mit unerlaubtem passlosen Aufenthalt. Der Kläger hatte sich trotz Vollziehbarkeit seiner Ausreisepflicht ohne Pass im Bundesgebiet aufgehalten und auch keinen neuen Pass beantragt, obwohl ihm das möglich und zumutbar gewesen wäre, was der Kläger gestanden habe.
Erst am 9. September 2020 legte der Kläger einen Reisepass bei der Ausländerbehörde des Beklagten unter Verweis darauf vor, am 11. März 2020 habe eine in * lebende senegalesische Staatsangehörige ein Kind geboren, dessen Vaterschaft er vorgeburtlich anerkannt habe. Mit der Kindesmutter, die zwei weitere Kinder deutscher Staatsangehörigkeit in Deutschland habe, habe er die gemeinsame Personensorge für sein Kind vereinbart (Behördenakte Band 2 Bl. 84, 89, 95 ff.). Er beantragte eine Aufenthaltserlaubnis sowie eine Arbeitserlaubnis. Der Beklagte forderte ihn zur Nachholung des Visumverfahrens auf, was der Kläger ablehnt.
Mit streitgegenständlichem Bescheid vom 27. November 2020 lehnte der Beklagte den Antrag des Klägers auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 29 AufenthG ab. Zur Begründung führte der Beklagte aus, einem Anspruch des Klägers auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis stehe die Sperrwirkung des erfolglosen Asylverfahrens nach § 10 Abs. 3 AufenthG entgegen. Hiervon sei für die familienbezogene Aufenthaltserlaubnis auch nicht aufgrund des Ausnahmetatbestandes des § 10 Abs. 3 Satz 3 AufenthG abzusehen, denn dem Kläger stehe gerade kein gesetzlicher Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels zu. Vielmehr erfülle er nicht die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen, da bei ihm ein Ausweisungsinteresse nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG wegen seiner Straftaten vorliege. Zudem erfülle er auch nicht die Regelerteilungsvoraussetzung einer Einreise mit Visum, da er unerlaubt eingereist sei. Auch ausnahmsweise führten die schutzwürdigen Bindungen des Klägers im Bundesgebiet nicht zu einem Ausnahmefall gegenüber der Regelerteilungsvoraussetzung und auch nicht zu einem Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis, selbst wenn im Ermessensweg von der Nachholung des Visumverfahrens abgesehen werde. Die Nachholung sei jedoch zumutbar, da der Aufenthalt im Senegal auf ein Minimum beschränkt werden könne. So könne bereits in Deutschland ein Termin bei der Deutschen Botschaft in Dakar vereinbart werden und die Ausreise in den Senegal sodann kurz vor dem vereinbarten Termin erfolgen. Die Dauer der Trennung von der Kindesmutter und dem Kind sei durch entsprechende Gestaltung des Verfahrens nicht unverhältnismäßig lang. So habe zwar das * das gesetzliche Einreiseverbot im Fall der freiwilligen Ausreise auf zehn Monate befristet, jedoch bestehe grundsätzlich die Möglichkeit, nach seiner Ausreise einen Antrag auf Verkürzung des Einreiseverbotes zu stellen, wozu der Beklagte auch grundsätzlich bereit wäre und die deutsche Botschaft im Senegal bereits über diese beabsichtigte Verkürzung informieren würde, sodass eine Rückkehr gleich nach Abschluss des Visumverfahrens möglich wäre und die bestehende Sperre keine Verzögerung der Visumerteilung zur Folge hätte. Sollte der Kläger alle in Deutschland möglichen vorbereitenden Handlungen zur Visumerteilung in Dakar erfüllen, könne er bis zur Ausreise in den Senegal geduldet werden. Für die Dauer der Trennung könne er den Kontakt zum Kind durch moderne Kommunikationstechnik aufrechterhalten. Sonstige Anspruchsgrundlagen für eine Aufenthaltserlaubnis seien nicht ersichtlich.
Gegen diesen seinem Bevollmächtigten am 27. November 2020 zugestellten Bescheid ließ der Kläger am 28. Dezember 2020 Klage erheben und neben Prozesskostenhilfe beantragen,
Unter Aufhebung seines Bescheids vom 27. November 2020 wird der Beklagte verpflichtet, dem Kläger eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen.
Zur Begründung ließ der Kläger ausführen, er erfülle die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Aufenthaltserlaubnis, möglicherweise habe das Kind sogar die deutsche Staatsangehörigkeit von seiner Mutter erworben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung vertiefte er die Ausführungen im streitgegenständlichen Bescheid und führte aus, die Kindesmutter habe sich im Zeitpunkt der Geburt des Kindes des Klägers am 11. März 2020 noch keine acht Jahre erlaubt im Bundesgebiet aufgehalten, da ihr erstmals am 12. Dezember 2012 eine Aufenthaltserlaubnis erteilt worden sei. Daher habe das Kind nur von beiden Elternteilen die senegalesische Staatsangehörigkeit vermittelt erhalten und der Kläger habe keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 28 AufenthG. Die Voraussetzungen des § 36 Abs. 2 AufenthG einer außergewöhnlichen Härte für einen Familiennachzug seien nicht dargelegt; die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen seien ebenso nicht erfüllt (Sicherung des Lebensunterhalts durch den Kläger, fehlendes Ausweisungsinteresse, Einreise mit dem erforderlichen Visum), so dass die Sperrwirkung des erfolglosen Asylverfahrens zusätzlich greife.
Wegen der Einzelheiten wird auf die Gerichts- und die beigezogenen Behördenakten verwiesen.
II.
Der Antrag auf Prozesskostenhilfe unter Beiordnung des Bevollmächtigten ist unbegründet, weil die Erfolgsaussichten des Klageverfahrens im hier maßgeblichen Zeitpunkt der Bewilligungsreife der Prozesskostenhilfe nicht gegeben sind.
Gemäß § 166 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 Zivilprozessordnung (ZPO) erhält eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Hinreichende Erfolgsaussicht ist etwa dann gegeben, wenn schwierige Rechtsfragen zu entscheiden sind, die im Hauptsacheverfahren geklärt werden müssen. Auch wenn eine Beweisaufnahme ernsthaft in Betracht kommt und keine konkreten Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass diese mit großer Wahrscheinlichkeit zum Nachteil des Mittellosen ausgehen wird, ist vorab Prozesskostenhilfe zu gewähren (vgl. BVerfG, B.v. 14.4.2003 – 1 BvR 1998/02 – NJW 2003, 2976). Insgesamt dürfen die Anforderungen an die Erfolgsaussichten eines gerichtlichen Verfahrens nicht überspannt werden, eine gewisse Wahrscheinlichkeit des Erfolges genügt (Happ in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 166 Rn. 26). Die Beiordnung eines Rechtsanwalts ist im Verfahren ohne Vertretungszwang immer geboten, wenn es in einem Rechtsstreit um nicht einfach zu überschauende Tat- und Rechtsfragen geht (Happ in Eyermann, a.a.O., Rn. 38).
Dem Klagebegehren – Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 36 Abs. 2 AufenthG – steht bereits die Nichterfüllung der allgemeinen Erteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG wegen Ausweisungsinteresses entgegen, da – wie der Beklagte zutreffend geltend macht – kein Ausnahmefall vorliegt; ebenso steht die Erteilungssperre nach § 10 Abs. 3 Satz 1 AufenthG entgegen.
1. Dem Klagebegehren steht die Nichterfüllung der allgemeinen Erteilungsvorausset zung des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG wegen eines Ausweisungsinteresses entgegen.
a) Im Fall des Klägers besteht mindestens ein generalpräventives Ausweisungsinte resse.
Der Aufenthalt des Klägers gefährdet die öffentliche Sicherheit und Ordnung der Bundesrepublik Deutschland, weil der Kläger vorsätzliche und nicht geringfügige Straftaten begangen hat und ein generalpräventives Interesse (vgl. zum Ganzen BVerwG, U.v. 12.7.2018 – 1 C 16/17 – juris Rn. 15 ff., 20 m.w.N.; so auch BayVGH, B.v. 20.8.2018 – 10 C 18.1361 – juris Rn. 13) an der Ausweisung des Klägers zur Abschreckung anderer abgelehnter, nicht freiwillig ihrer Ausreisepflicht entsprechender und an der Passbeschaffung nicht hinreichend mitwirkender abgelehnter Asylbewerber besteht.
Das Ausweisungsinteresse wiegt vorliegend nach § 53 Abs. 1 i.V.m. § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG schwer, weil der Kläger keinen vereinzelten und auch keinen nur geringfügigen Verstoß gegen Rechtsvorschriften begangen hat. Der Kläger ist u.a. vorbestraft wegen eines seit dem Jahr 2017 andauernden unerlaubten Aufenthalts in Tateinheit mit unerlaubtem passlosen Aufenthalt (AG, U.v. 1.10.2019 -, Behördenakte Band 2 Bl. 45, 81), also zweier Vorsatzdelikte von nicht unerheblichem Gewicht angesichts ihrer Dauerbegehung. Insbesondere der jahrelange passlose Aufenthalt wiegt als Dauerdelikt schwer.
b) Die Ausweisung wäre auch konkret geeignet, andere Ausländer von der Begehung vergleichbarer langjähriger Verletzungen der Passpflicht abzuhalten:
Die Ausweisung führt zum Verlust etwaiger Aufenthaltstitel (§ 51 Abs. 1 Nr. 5 AufenthG), hindert in der Regel die Erteilung eines Aufenthaltstitels insbesondere auch für abgelehnte Asylbewerber (§ 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG), beendet oder verhindert damit einen erlaubten Aufenthalt in der Bundesrepublik und begründet demnach eine Ausreisepflicht des Ausländers. Des Weiteren wird bei einer fehlenden freiwilligen Ausreise besonders die Abschiebung von ausgewiesenen Straftätern forciert und eine bestandskräftige Ausweisung fällt bei etwaigen behördlichen Ermessensentscheidungen, beispielsweise bei der Prüfung einer Beschäftigungserlaubnis im Rahmen einer Duldung, regelmäßig als erheblicher, negativer Gesichtspunkt ins Gewicht. In Anbetracht dieser erheblichen Konsequenzen, die weit über eine strafrechtliche Verurteilung hinausgehen, erscheint eine drohende Ausweisung als geeignet, andere Ausländer von der Begehung von gleichartigen Delikten abzuhalten ungeachtet der Frage, ob der Beklagte den Kläger auch tatsächlich ausweist.
c) Das generalpräventive Ausweisungsinteresse wegen Verletzung der Passpflicht und unerlaubten passlosen Aufenthalts ist noch aktuell.
Das generalpräventive Ausweisungsinteresse muss noch aktuell sein. Dabei ist zu berücksichtigten, dass jedes generalpräventive Ausweisungsinteresse mit zunehmendem Zeitabstand an Bedeutung verliert und ab einem bestimmten Zeitpunkt nicht mehr herangezogen werden kann. Für die zeitliche Begrenzung eines generalpräventiven Ausweisungsinteresses, das an strafrechtlich relevantes Handeln anknüpft, ist für die vorzunehmende gefahrenabwehrrechtliche Beurteilung eine Orientierung an den Fristen der §§ 78 ff. StGB zur Strafverfolgungsverjährung angezeigt. Diese verfolgen zwar einen anderen Zweck, geben dem mit zunehmendem Zeitabstand eintretenden Bedeutungsverlust staatlicher Reaktionen (die an Straftaten anknüpfen) aber einen zeitlichen Rahmen, der nicht nur bei repressiven Strafverfolgungsmaßnahmen, sondern auch bei der Bewertung des generalpräventiven Ausweisungsinteresses herangezogen werden kann. Dabei bildet die einfache Verjährungsfrist des § 78 Abs. 3 StGB, deren Dauer sich nach der verwirklichten Tat richtet und die mit Beendigung der Tat zu laufen beginnt, eine untere Grenze. Die obere Grenze orientiert sich hingegen regelmäßig an der absoluten Verjährungsfrist des § 78c Abs. 3 Satz 2 StGB, die regelmäßig das Doppelte der einfachen Verjährungsfrist beträgt. Innerhalb dieses Zeitrahmens ist der Fortbestand des Ausweisungsinteresses anhand generalpräventiver Erwägungen zu ermitteln. Bei abgeurteilten Straftaten bilden die Tilgungsfristen des § 46 BZRG zudem eine absolute Obergrenze, weil nach deren Ablauf die Tat und die Verurteilung dem Betroffenen im Rechtsverkehr nach § 51 BZRG nicht mehr vorgehalten werden dürfen (BVerwG, U.v. 12.7.2018 – 1 C 16/17 – juris Rn. 22 ff. m.w.N.).
Unerlaubter Aufenthalt in Tateinheit mit unerlaubten passlosen Aufenthalts wird nach § 95 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 AufenthG mit Freiheitsstrafe von bis zu einem Jahr bestraft. Nach § 78 Abs. 3 Nr. 5, Abs. 4 StGB beträgt die Verjährungsfrist drei Jahre, wobei die Verfolgungsverjährung nach § 78a Satz 1 StGB am Tag der Tatbeendigung des Dauerdelikts beginnt, hier also am 9. September 2020 mit Vorlage des Reisepasses; sie endet am 9. September 2023. Selbst wenn zu Gunsten des Klägers auf das Urteil abgestellt würde (AG, U.v. 1.10.2019 – *), endete die Verjährungsfrist am 1. Oktober 2022. Ob sich die Verjährung wegen etwaiger Unterbrechungen (vgl. § 78c Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Satz 1 StGB) verlängert, kann mangels Entscheidungserheblichkeit offenbleiben. Zum entscheidungserheblichen Zeitpunkt ist jedenfalls noch keine Verjährung eingetreten und damit noch nicht einmal die Untergrenze eines etwaigen Bedeutungsverlustes erreicht. Erst recht liegt die Obergrenze von hier sechs Jahren nach § 78c Abs. 3 Satz 2 StGB in weiter Ferne. Die Straftaten des Klägers sind auch noch nicht aus dem Bundeszentralregister getilgt bzw. nach § 51 Abs. 1 BZRG zu tilgen. Die hier fünfjährige Tilgungsfrist nach § 46 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a BZRG ist offensichtlich noch nicht abgelaufen. Ein aktueller Ausweisungsanlass besteht daher noch.
d) Ein Ausnahmefall von der Regelerteilungsvoraussetzung ist nicht ersichtlich.
Es ist auch bei entsprechender Gewichtung der persönlichen Belange des Klägers nicht ersichtlich, dass ein Abweichen von der Regelversagung gerechtfertigt wäre. Ein Ausnahmefall ist nur dann gegeben, wenn ein atypischer Geschehensablauf vorliegt, der so bedeutsam ist, dass er das jedenfalls sonst ausschlaggebende Gewicht des gesetzlichen Regelversagungsgrundes beseitigt. Es muss sich um eine Abweichung handeln, die die Anwendung des Regelfalls nach Sinn und Zweck als derart unverhältnismäßig erscheinen lässt, dass es unzumutbar wäre, an ihr festzuhalten (BayVGH, U.v. 9.12.2015 – 19 B 15.1066 – juris Rn. 35 m.w.N.). Dies ist hier nicht der Fall. Im Gegenteil liegt beim Kläger angesichts der langjährigen hartnäckigen Ausreiseverweigerung und Passlosigkeit – der Kläger hatte sich trotz vielfacher Aufforderung jahrelang keinen Reisepass beschafft – ein Sachverhalt vor, der die Anwendung des Regelfalls gerade nahelegt. Dies gilt umso mehr, als die Verletzung der Ausreise- und Passpflicht ein Massenphänomen ist (zum Stichtag 31.12.2019 hatten 83.465 ausreisepflichtige Ausländer in Deutschland eine Duldung allein wegen fehlender Reisedokumente, vgl. BT-Drs. 19/19333 S. 29).
Der Beklagte hat zu Recht nicht im Ermessenswege vom Erfordernis der Regelerteilungsvoraussetzung abgesehen (§ 5 Abs. 3 Satz 2 AufenthG), weil diese Absehensbefugnis auf eine Aufenthaltserlaubnis nach § 36 Abs. 2 AufenthG unanwendbar ist.
Etwas Anderes ergibt sich auch nicht aus Art. 6 GG und Art. 8 EMRK. Art. 6 GG ist hier nicht verletzt, weil der ausreisepflichtige Kläger kein Vertrauen in die Fortdauer seines unerlaubten und passlosen Aufenthalts schöpfen konnte, mithin mit der Durchsetzung seiner Ausreisepflicht rechnen musste. Sollte zwischen dem in Senden wohnenden Kläger und seinem in * bei der Kindesmutter lebenden Kind tatsächlich eine familiäre Lebensgemeinschaft bestehen, wofür bislang nichts nachgewiesen ist, kann diese nach der kurz zu haltenden Unterbrechung durch die Nachholung des Visumverfahrens wiederaufgenommen werden. Bis dahin überwiegt das öffentliche Interesse an seiner Aufenthaltsbeendigung. Dies gilt auch für sein Recht aus Art. 8 EMRK auf Achtung seines Familien- und Privatlebens.
2. Dem Klagebegehren steht auch die Titelerteilungssperre des § 10 Abs. 3 Satz 1 AufenthG entgegen, denn der Asylantrag des Klägers wurde mit dem bestandskräftigen Bescheid des * als offensichtlich unbegründet abgelehnt.
Es liegt keine Ausnahme von der Titelerteilungssperre vor. Die Ausnahme nach § 10 Abs. 3 Satz 3 AufenthG wegen eines Anspruchs auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis ist nicht erfüllt, da hierfür ein strikter Anspruch erforderlich ist (vgl. BVerwG, U.v. 16.12.2008 – 1 C-37/07 – juris Rn. 21), dem jedoch die Nichterfüllung der allgemeinen Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG durch den Kläger entgegensteht.
Hiernach sind die Erfolgsaussichten für die Klage nicht mehr offen und es ist Prozesskostenhilfe zu versagen. Es kommt mangels Erfolgsaussichten der Klage nicht mehr darauf an, ob Kläger bedürftig im Sinne der Prozesskostenhilfe ist.


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