Verwaltungsrecht

Fehlende deutsche Sprachkenntnisse führen nicht zur Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand

Aktenzeichen  M 8 S 16.50931

Datum:
16.1.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwZG VwZG § 3 Abs. 2 S. 2
ZPO ZPO § 181 Abs. 1 S. 4, § 222 Abs. 1
VwGO VwGO § 57 Abs. 2, § 60, § 80 Abs. 5
AsylG AsylG § 34a Abs. 2
Dublin III-VO Dublin III-VO Art. 18 Abs. 1

 

Leitsatz

Fehlende deutsche Sprachkenntnisse führen nicht zur Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand, da von einem Ausländer im Rahmen seiner Sorgfaltspflichten zumutbare Anstrengungen verlangt werden können, sich innerhalb angemessener Frist Gewissheit über den genauen Inhalt des Schriftstücks zu verschaffen, wenn er die Bedeutung des Schreibens jedenfalls soweit erfassen kann, dass es sich um ein amtliches Schreiben handeln könnte, das eine ihn belastende Entscheidung enthält (BVerwG BeckRS 1993, 31230544). (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Gründe

I.
Der Antragsteller begehrt im vorläufigen Rechtsschutzverfahren die Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen die mit Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 5. Oktober 2016 angeordnete Abschiebung nach Italien.
Der Antragsteller ist nach eigenen Angaben Staatsangehöriger von Eritrea und wurde am … November 1991 in … geboren. Er reiste am 24. oder 27. Oktober 2015 in das Bundesgebiet ein, ohne im Besitz eines Aufenthaltstitels oder von Ausweispapieren zu sein, und stellte am 20. Mai 2016 einen Antrag auf Asyl.
In der Akte des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) finden sich die Niederschrift über das mit Hilfe eines Sprachmittlers geführte Gespräch zur Bestimmung des für die Prüfung des Antrags zuständigen Mitgliedstaats (Erstbefragung) vom 20. Mai 2016 sowie die Niederschrift über die Anhörung gemäß § 25 AsylG vom 25. Mai 2016.
Eine EURODAC-Recherche durch das Bundesamt ergab am 20. Mai 2016 einen Treffer der ersten Kategorie für Italien, EURODAC-Nr. IT1 …
Am 20. Juli 2016 wurde vom Bundesamt ein Wiederaufnahmegesuch an Italien gerichtet. Im Akt des Bundesamts findet sich neben dem Wiederaufnahmegesuch eine automatisch generierte Eingangsbestätigung Italiens vom 20. Juli 2016.
Mit dem streitgegenständlichen Bescheid vom 5. Oktober 2016 wurde in Ziffer 1 der Antrag als unzulässig abgelehnt, in Ziffer 2 festgestellt, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG nicht vorliegen, in Ziffer 3 die Abschiebung nach Italien angeordnet und in Ziffer 4 das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG auf sechs Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet. Der Asylantrag sei gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG unzulässig, da Italien auf Grund des dort bereits gestellten Asylantrags gemäß Art. 18 Abs. 1 b) Dublin III-VO für die Behandlung des Asylantrages zuständig sei. Im Übrigen wird auf die Ausführungen im angefochtenen Bescheid verwiesen.
Der Bescheid wurde dem Antragsteller mit Postzustellungsurkunde am 11. Oktober 2016 durch Niederlegung in der dafür bestimmten Niederlegungsstelle (Postfiliale) zugestellt.
Am 27. Oktober 2016 hat der Antragsteller in der Rechtsantragsstelle des Bayerischen Verwaltungsgerichts München zur Niederschrift Klage erhoben und beantragt, den Bescheid vom 5. Oktober 2016 aufzuheben. Zugleich beantragte er: Hinsichtlich der Abschiebungsanordnung nach Italien wird die aufschiebende Wirkung der Klage gemäß § 80 Abs. 5 VwGO angeordnet.
Der Antragsteller befürchte, in Italien aufgrund der dortigen Systemmängel kein korrektes und faires Asylverfahren zu erhalten, sondern sofort nach Eritrea abgeschoben zu werden.
Mit Schreiben vom 31. Oktober 2016 legte die Bevollmächtigte des Antragstellers eine Vollmacht vor. Mit Schreiben vom 7. November 2016 teilte sie mit, dass der Antragsteller am 27. Oktober 2016 persönlich Klage erhoben habe.
Das Bundesamt hat mit Schreiben vom 2. November 2016 die Asylakte vorgelegt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtssowie die vorgelegte Behördenakte des Bundesamts Bezug genommen.
II.
Der Antrag nach § 80 Abs. 5 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die im Bescheid vom 5. Oktober 2016 verfügte Anordnung der Abschiebung nach Italien hat keinen Erfolg.
1. Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO ist bereits unzulässig.
a) Der Antragsteller hat die nach § 34a Abs. 2 Satz 1 des Asylgesetzes (AsylG) vorgesehene Antragsfrist von einer Woche nach Bekanntgabe der Abschiebungsanordnung versäumt.
Ausweislich der in der Akte befindlichen Postzustellungsurkunde hat der Zusteller, weil weder die Einlegung in einen Briefkasten (vgl. § 180 Zivilprozessordnung ZPO) noch die Ersatzzustellung in der Gemeinschaftsunterkunft möglich war (vgl. § 178 Abs. 1 Nr. 3 ZPO), die Sendung entsprechend § 3 Abs. 2 Satz 2 des Verwaltungszustellungsgesetzes (VwZG) bei der Postfiliale niedergelegt und eine schriftliche Mitteilung über die Niederlegung in der bei gewöhnlichen Briefen üblichen Weise abgegeben, nämlich beim Sicherheitsdienst der Gemeinschaftsunterkunft (§ 181 Abs. 1 Satz 3 ZPO). Gemäß § 181 Abs. 1 Satz 4 ZPO gilt der Bescheid des Bundesamtes vom 5. Oktober 2016 mit der Abgabe der schriftlichen Mitteilung am 11. Oktober 2016 als zugestellt. Anhaltspunkte für Zustellmängel bestehen nicht und wurden vom Antragsteller auch nicht geltend gemacht. Die Antragsfrist begann somit am Mittwoch, dem 12. Oktober 2016 zu laufen (vgl. § 57 Abs. 2 VwGO, § 222 Abs. 1 ZPO, § 187 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch – BGB) und endete am Dienstag, den 18. Oktober 2016 um 24.00 Uhr (vgl. § 57 Abs. 2 VwGO, § 222 Abs. 1 ZPO, § 188 Abs. 2 BGB, § 193 BGB). Damit ist die erst am 27. Oktober 2016 vom Antragsteller zur Niederschrift erhobene Klage bereits verfristet. Das gilt ebenso für den damit verbundenen Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO.
Für die Fristberechnung war vorliegend auch nicht die Jahresfrist des § 58 Abs. 2 VwGO maßgeblich. Nach dieser Vorschrift ist die Einlegung des Rechtsbehelfs innerhalb eines Jahres seit Zustellung zulässig, wenn die Rechtsbehelfsbelehrung:unterblieben oder unrichtig erteilt worden ist. Dies ist hier jedoch nicht der Fall und wird vom Antragsteller auch nicht geltend gemacht (vgl. VG München, B. v. 27.7.2016 – M 12 S. 16.50477- juris; VG Gelsenkirchen, B. v. 9.7.2014 – 6a L 911/14.A – juris; OVG des Saarlandes, B.v. 15.1.2001- juris; BVerfG, B. v. 2.6.1992 – 2 BvR 1401/91- juris).
b) Dem Antragsteller kann auch keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 60 VwGO gewährt werden.
Weder der Antragsteller noch die von ihm zwischenzeitlich beauftragte Bevollmächtigte haben einen Antrag auf Wiedereinsetzung beantragt und auch keine Umstände vorgetragen, die auf das Vorliegen eines Wiedereinsetzungsgrundes schließen ließen.
Die Beweislast dafür, dass eine Fristversäumung nicht auf Verschulden beruht, trägt der säumige Beteiligte. Im vorliegenden Fall ist dafür nichts vorgetragen.
Auch der Umstand, dass nach Aktenlage der Antragsteller der deutschen Sprache nicht mächtig ist, führt im vorliegenden Fall nicht zur Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand. Denn für den Fall, dass einem Ausländer ein Bescheid zugestellt wird, dessen Inhalt und Rechtsmittelbelehrungihm unverständlich sind, werden von ihm im Rahmen seiner Sorgfaltspflichten zumutbare Anstrengungen verlangt, sich innerhalb angemessener Frist Gewissheit über den genauen Inhalt des Schriftstücks zu verschaffen, wenn er die Bedeutung des Schreibens jedenfalls soweit erfassen kann, dass es sich um ein amtliches Schreiben handeln könnte, das eine ihn belastende Entscheidung enthält (zum Ganzen: BVerwG, B. v. 17.12.1993 – Az. 1 B 177/93 – juris; BayVGH, B. v. 16.8.2011 – Az. 13a ZB 10.30412 – juris; VG Düsseldorf, U. v. 11.4.2012 – Az. 22 K 6259/11.A – juris). Ist der gesamte Aufenthalt eines Asylbewerbers auf den Asylbescheid hin orientiert, ist es ihm zuzumuten, dass er sich bei Eingang eines erkennbar amtlichen Schreibens umgehend und intensiv darum bemüht, dessen Inhalt zu erkunden (vgl. BVerfG, B. v. 2.6.1992 – 2 BvR 1401/91 – juris Rn. 23). Eine Versäumung der Frist, innerhalb derer der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zu stellen ist, kann daher nicht mehr mit mangelnden Sprachkenntnissen entschuldigt werden (vgl. BVerfG, B. v. 2.6.1992 – 2 BvR 1401/91 – juris Rn. 24).
Der Antrag ist nach alledem bereits unzulässig und war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen. Das Verfahren ist nach § 83b AsylG gerichtskostenfrei.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben