Verwaltungsrecht

Fehlende Nachweisbarkeit der Art des Schutzstatus in sicherem Drittstaat wegen absichtlicher Vernichtung der Papiere geht zulasten des Schutzsuchenden

Aktenzeichen  AN 11 K 15.50451

Datum:
7.9.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 15 Abs. 1-3, § 26a Abs. 1 S. 1, § 29 Abs. 1 Nr. 2, § 34a S. 4
RL 2005/85/EG RL 2005/85/EG Art. 25 Abs. 2 lit. a

 

Leitsatz

Lässt sich auch nach ausführlicher Befragung in der mündlichen Verhandlung nicht mehr nachweisen, ob dem Kläger in einem sicheren Drittstaat Flüchtlingsschutz oder subsidiärer Schutz zuerkannt worden ist, und hat der Kläger seine Papiere vernichtet, ist zu seinen Lasten von der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft auszugehen. (redaktioneller Leitsatz)
Kann eine Abschiebungsandrohung nur dann ergehen, wenn eine Abschiebungsanordnung nicht möglich ist, hat das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge das Vorliegen dieser Voraussetzung zu prüfen und darf sich nicht darauf berufen, die Abschiebungsandrohung stelle das “mildere Mittel” gegenüber der Abschiebungsanordnung dar. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Der Bescheid der Beklagten vom 5. Oktober 2015 wird in Ziffer 2 aufgehoben. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens zu 3/4, die Beklagte zu 1/4. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
3. Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar. Jeder Beteiligte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der seitens des Gerichts festgesetzten Kosten abwenden, wenn nicht der jeweilig andere Beteiligte vor Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die Anfechtungsklage gegen Ziffer 2 des streitgegenständlichen Bescheides, in dem die Abschiebung nach Bulgarien lediglich angedroht wird, ist begründet. Im Übrigen hat sie keinen Erfolg.
1. Der Antrag des Klägers, die Beklagte zu verpflichten, den Bescheid vom 5. Oktober 2015 aufzuheben, ist vorliegend nicht als Verpflichtungsbegehren zu werten, sondern zugunsten des Klägers als Anfechtungsklage dahingehend auszulegen, dass die Aufhebung des Bescheides (durch das Gericht) begehrt wird.
2. Das Bundesamt hat den Asylantrag des Klägers in Ziffer 1 des streitgegenständlichen Bescheids zu Recht als unzulässig abgelehnt, da davon auszugehen ist, dass der Kläger in Bulgarien bereits Flüchtlingsschutz erhalten hat.
a) Der Kläger hat in seiner Anhörung beim Bundesamt am 15. Juli 2015 ausgesagt, er habe in Bulgarien internationalen Schutz beantragt und diesen auch zuerkannt bekommen. Er habe einen bulgarischen Flüchtlingspass erhalten, diesen allerdings nach der Ankunft in Deutschland zerrissen. Es lässt sich daher, auch nach ausführlicher Befragung in der mündlichen Verhandlung, nicht mehr nachweisen, ob dem Kläger in Bulgarien Flüchtlingsschutz oder subsidiärer Schutz zuerkannt worden ist. Diese Unsicherheit geht vorliegend zulasten des Klägers, der sich im Wege seines in Deutschland beantragten Asyls so behandeln lassen muss, als habe er in Bulgarien Flüchtlingsschutz erhalten. Gemäß § 15 Abs. 1 Satz 1 AsylG ist der Kläger als Asylsuchender persönlich verpflichtet, bei der Aufklärung des Sachverhaltes mitzuwirken. Nach § 15 Abs. 2 Nr. 5 i. V. m. § 15 Abs. 3 Nr. 2 und Nr. 5 AsylG ist der Kläger insbesondere verpflichtet, den Behörden Unterlagen vorzulegen, die in seinem Besitz sind; dazu gehören unter anderem von anderen Staaten erteilte Aufenthaltstitel sowie alle sonstigen Unterlagen, die für die zu treffenden asylrechtlichen Entscheidungen von Bedeutung sind. Diese Mitwirkungspflicht hat der Kläger dadurch bewusst umgangen, dass er nach seiner Ankunft in Deutschland seine Papiere zerrissen hat. Es ist dadurch nicht mehr nachweisbar, ob der Kläger in Bulgarien nur subsidiären oder darüber hinaus Flüchtlingsschutz erhalten hat. Diese Unsicherheit geht zulasten des Klägers, so dass in dem Asylverfahren von der Zuerkennung von Flüchtlingsschutz in Bulgarien auszugehen ist, auch vor dem Hintergrund, dass der Kläger angegeben hat, einen bulgarischen Flüchtlingspass erhalten zu haben. Sollte der Kläger nur subsidiären Schutz erhalten haben, wäre es an ihm gelegen, dies nachzuweisen. Die materielle Beweislast geht somit aufgrund der bewussten Beweisvereitelung zu seinen Lasten.
b) Bulgarien ist ein sicherer Drittstaat nach § 26a Abs. 1 Satz 1 AsylG, Art. 16 Abs. 2 GG. Reisen Asylantragsteller wie der Kläger aus einem sicheren Drittstaat ein, so ist es bei der Zuerkennung von Flüchtlingsschutz, wie ihn der Kläger erhalten hat, grundsätzlich möglich, die Durchführung eines erneuten Asylverfahrens wegen der Gewährung des Flüchtlingsschutzes in einem anderen Mitgliedstaat abzulehnen. Dabei konnte sich das Bundesamt auf § 60 Abs. 2 Satz 2 i. V. m. Abs. 1 Satz 3 und 4 AsylG bzw. nunmehr § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG stützen, auch wenn der Kläger seinen Antrag vor dem 20. Juli gestellt hat, da diese Norm – im vorliegenden Fall der bereits bestehenden Flüchtlingsanerkennung – Art. 25 Abs. 2 a) der Richtlinie 2005/85/EG entspricht. Nach Art. 25 Abs. 2a) der Richtlinie 2005/85/EG können die Mitgliedstaaten einen Asylantrag als unzulässig betrachten, wenn ein anderer Mitgliedstaat die Flüchtlingseigenschaft zuerkennt. So liegt der Fall hier. Das Bundesamt ist zwar grundsätzlich nicht verpflichtet, bei der Einreise aus einem sicheren Drittstaat danach vorzugehen. Die amtliche Begründung spricht für eine Wahlmöglichkeit (BT-Drs. 12/4450, S. 23). Das Bundesamt hat regelmäßig ein Verfahrensermessen, ob es eine Prüfung von Flüchtlingsschutz, subsidiärem Schutz und Abschiebungsverboten durchführen will. Allein die Anforderungen für die Asylberechtigung sind nicht zu prüfen, da nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bereits der Schutzbereich des Art. 16 a GG nicht eröffnet ist. Vorliegend hat das Bundesamt erkennbar sein Verfahrensermessen dahingehend ausgeübt, dass es wegen der Einreise des Klägers aus einem sicheren Drittstaat eine inhaltliche Prüfung seines Asylantrags nicht vornehmen wolle. Deshalb lehnte es den Antrag auch als unzulässig ab. Dies ist nach den vorgenannten Bestimmungen rechtlich nicht zu beanstanden.
§ 34 a AsylVfG, der die Abschiebung ohne materielle Prüfung des in der Bundesrepublik Deutschland gestellten Asylantrags zulässt, beruht auf dem sogenannten Konzept der normativen Vergewisserung, vgl. Bundesverfassungsgerichts, Urteil vom 14. Mai 1996, 2 BvR 1938.93, 2 BvE 2315.93. Grundlage und Rechtfertigung des gemeinsamen europäischen Asylsystems ist die Vermutung, dass das Asylverfahren und die Aufnahme der Asylbewerber in jedem Mitgliedsstaat in Einklang stehen mit den Anforderungen der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention.
Abweichungen von diesem Konzept sind nach der Rechtsprechung in eng begrenzten Ausnahmefällen möglich und nötig. Das Konzept der normativen Vergewisserung wird vor allem dann durchbrochen, wenn ernsthaft zu befürchten steht, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber im Zielstaat der Abschiebung systemische Mängel aufweisen, die eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung des Asylbewerbers nach Art. 3 EMRK implizieren (EuGH U. v. 21.12.2011, Az. C-411/10 zu Art. 4 Grundrechtscharta). Es ist deshalb zu prüfen, ob bei der Behandlung von Asylbewerbern in Bulgarien die Mindeststandards im Allgemeinen eingehalten werden. Nicht jede Fehlleistung im Einzelfall lässt das Konzept der normativen Vergewisserung hinfällig werden. Erst wenn das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber im aufnahmebereiten Staat grundlegende, systembedingte Mängel aufweisen, die gleichsam zwangsläufig eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung der in diesen Mitgliedstaat überstellten Asylbewerber befürchten lassen, scheidet eine Abschiebung in diesen Mitgliedstaat aus.
Solch systemische Mängel, die das Konzept der normativen Vergewisserung durchbrechen, liegen in Bulgarien nach Auffassung der Kammer nicht vor. Insofern verweist das Gericht auf die Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshof (BayVGH v. 29.1.2015 – 13a B 14.50039 – Rn. 29 ff.), dessen Meinung es vollständig teilt. Diese Einschätzung wird durch die seit Januar 2015 bekannt gewordenen Auskünfte nicht infrage gestellt. Seit der genannten Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs ist insbesondere der Bericht von Pro Asyl e.V. vom April 2015 „Erniedrigt, misshandelt, schutzlos: Flüchtlinge in Bulgarien“ bekannt geworden. Dieser Bericht vermag die oben dargestellte Einschätzung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs bereits aus dem Grunde nicht zu widerlegen, da er sich vor allem auf bereits bekannte Einzelfälle aus den Jahren 2013 und 2014 stützt und diese lediglich neu bewertet.
3. Erfolgsaussicht besteht jedoch, soweit die Klage auf die Aufhebung von Ziffer 2 des Bescheides gerichtet ist. Die Beklagte hat sich als Rechtsgrundlage auf § 34 a AsylG bezogen. Dieser bestimmt in Satz 4 (n. F.), dass eine Abschiebungsandrohung ergehen kann, wenn eine Abschiebungsanordnung nach Satz 1 oder 2 nicht ergeben kann. Diese Voraussetzungen hat das Bundesamt vorliegend nicht geprüft. Er hat die Anwendung von § 34 a AsylG ausschließlich damit begründet, dass dies ein „milderes Mittel“ gegenüber der Abschiebungsanordnung darstelle. Dies genügt für das Zurückgreifen auf die Abschiebungsandrohung anstatt der primär auszusprechen Abschiebungsanordnung nicht. Vielmehr hätte das Bundesamt positiv prüfen müssen, ob eine Abschiebungsanordnung möglich ist und erst bei Ausschluss einer solchen die Abschiebungsandrohung aussprechen dürfen. Auch eine andere Rechtsgrundlage für Ziffer 2 des Bescheids ist weder beklagtenseits dargetan noch sonst wie ersichtlich. Insbesondere kann § 34 AsylG hierfür nicht herangezogen werden, da dieser eine Sachprüfung des Asylantrags erfordert, die hier gerade unterblieben ist. Insofern kommt es vorliegend nicht darauf ab, ob die vom Kläger vorgetragenen Krankheiten Abschiebungshindernisse darstellen.
4. Ermessensfehler bezüglich der Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG sind nicht ersichtlich.
5. Der Antrag, festzustellen, dass in der Person des Klägers die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft vorliegen, ist bereits unzulässig, da eine materielle Prüfung aufgrund der Unzulässigkeit des Asylantrags entfällt. Nachdem die Abschiebungsandrohung aufgehoben wurde, besteht für die Feststellung von Abschiebungshindernissen kein Rechtsschutzbedürfnis, weshalb der Hilfsantrag ebenfalls als unzulässig abzuweisen ist.
6. Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 VwGO i. V. m. § 83 b AsylG.
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 Abs. 2 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.


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