Verwaltungsrecht

Fehlende Voraussetzungen des Wiederaufgreifens des Verfahrens bei einem Zweitantrag

Aktenzeichen  B 3 K 17.32236

Datum:
20.10.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG AufenthG § 60 Abs. 5
EMRK EMRK Art. 3
AsylG AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 5, § 71a Abs. 1 S. 1
Dublin III-VO Dublin III-VO Art. 23 Abs. 3

 

Leitsatz

Eine Abschiebung kann trotz schlechter humanitärer Verhältnisse nur in sehr außergewöhnlichen Einzelfällen als unmenschliche oder erniedrigende Behandlung bewertet werden und die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 AufenthG iVm Art. 3 EMRK erfüllen. (Rn. 33) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.
3. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die Abwesenheit des Klägers in der mündlichen Verhandlung steht einer Entscheidung nicht entgegen, da in der Ladung zur mündlichen Verhandlung auf die Möglichkeit, gemäß § 102 Abs. 2 VwGO bei Ausbleiben eines Beteiligten ohne diesen zu verhandeln und zu entscheiden, hingewiesen worden war.
Von der Zulässigkeit der Klage ist mangels eines Zustellungsnachweises auszugehen. Ob darüber hinaus eine falsche Rechtsbehelfsbelehrung:(§ 74 Abs. 1 2. Halbsatz i.V.m. § 36 Abs. 3, § 71a Abs. 4 AsylG) vorliegt, ist entscheidungsunerheblich, da dies die Rechtsmäßigkeit eines Bescheides unberührt lässt und allenfalls Auswirkungen auf die Rechtsbehelfsfrist (§ 58 Abs. 2 VwGO) hat. Im Übrigen wird darauf hingewiesen, dass die in der arabischen Übersetzung genannte Wochenfrist sich auf die Ausreisefrist bezieht und nicht die Rechtsbehelfsfrist betrifft.
2. Die Klage hat keinen Erfolg.
2.1 Soweit der Kläger eine Verpflichtung der Beklagten beantragt, ist die Klage bereits unzulässig. Die Ablehnung der Durchführung eines weiteren Asylverfahrens bei Folge- und Zweitanträgen, die nach aktueller Rechtslage als Unzulässigkeitsentscheidung gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG ergeht, ist (nur) mit der Anfechtungsklage anzugreifen (vgl. BVerwG, Urteil vom 14. Dezember 2016 – 1 C 4/16 -, in juris, in Fortentwicklung von BVerwG, Urteil vom 10. Februar 1998 – 9 C 28.97 – BVerwGE 106, 171).
2.2 Im Übrigen ist die Klage im Haupt- und Hilfsantrag jedenfalls unbegründet.
Im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) liegen die Voraussetzungen des § 71a Abs. 1 Satz 1 AsylG in Verbindung mit § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG nicht vor mit der Folge, dass der angefochtene Bescheid vom 30.05.2017 im Hauptsacheverfahren rechtmäßig und das … nicht zur Durchführung eines weiteren Asylverfahrens verpflichtet ist. Auch Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG liegen nicht vor (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
2.2.1 Gemäß § 71a Abs. 1 AsylG ist ein weiteres Asylverfahren nur durchzuführen, wenn ein Ausländer nach erfolglosem Abschluss eines Asylverfahrens in einem sicheren Drittstaat im Bundesgebiet einen Asylantrag (Zweitantrag) stellt (1), wenn die Bundesrepublik zuständig ist (2) und die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG vorliegen (3).
Die Vorschrift soll gewährleisten, dass im Rahmen der europarechtlichen Vorschriften zur Bestimmung des für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Mitgliedsstaates innerhalb der Europäischen Union Asylgesuche eines Drittausländers nur noch durch einen EU-Mitgliedstaat oder einen Vertragsstaat inhaltlich geprüft und beschieden werden. Die Vorschrift bezweckt also die Gleichbehandlung erfolgloser Asylverfahren in anderen sicheren Vertragsstaaten mit solchen in Deutschland. Dies setzt aber voraus, dass der Gegenstand des ersten, in einem anderen Mitgliedsstaat durchgeführten Asylverfahrens der gleiche wie der eines in Deutschland durchzuführenden Verfahrens ist. Nur dann ist die Ablehnung der Durchführung eines weiteren Asylverfahrens gerechtfertigt.
Diese Voraussetzungen sind nicht gegeben.
(1) Zwar wurde der Antrag auf internationalen Schutz in Finnland rechtskräftig und vollumfänglich abgelehnt. Die geltende Definition des Antrages auf internationalen Schutz in gemäß. Art. 2 lit. b) Richtlinie 2013/32/EU zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes (Asylverfahrens-RL n.F.) umfasst die Zuerkennung internationalen Schutzes als auch die Gewährung subsidiären Schutzes und weist damit denselben Prüfungsumfang auf wie der Antrag auf Gewährung internationalen Schutzes in der Bundesrepublik Deutschland (§ 13 AsylG).
(2) Auch ist die Bundesrepublik Deutschland gemäß Art. 23 Abs. 3 i.V.m. Abs. 2, 1. Halbsatz Dublin III-VO zur Prüfung des erneuten Asylantrages zuständig.
(3) Es liegen jedoch die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG nicht vor.
Dies hätte vorausgesetzt, dass sich entweder die dem Verwaltungsakt zugrundeliegende Sach- oder Rechtslage nachträglich zugunsten des Betroffenen geändert hat (§ 51 Abs. 1 Nr.1 VwVfG) oder neue Beweismittel vorliegen, die eine dem Betroffenen günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würden (§ 51 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG) oder aber Wiederaufnahmegründe entsprechend § 580 ZPO gegeben sind (§ 51 Abs. 1 Nr. 3 VwVfG). Gemäß § 51 Abs. 3 Satz 1 VwVfG ist der Antrag binnen einer Frist von drei Monaten zu stellen. Gemäß § 51 Abs. 3 Satz 2 VwVfG beginnt die Frist mit dem Tag, an dem der Betroffene von dem Grund für das Wiederaufgreifen Kenntnis erhalten hat. Bei (gegebenenfalls sich prozesshaft entwickelnden) Dauersachverhalten ist grundsätzlich die erstmalige Kenntnisnahme von den Umständen für den Fristbeginn maßgeblich.
Diese Voraussetzungen sind hier nicht gegeben. Zur Begründung wird auf die Gründe des angefochtenen Bescheids verwiesen, § 77 Abs. 2 AsylG, dessen Argumentation das Gericht folgt.
Hervorzuheben ist, dass der Kläger keinen neuen Sachverhalt oder eine neue Rechtslage vortrug, wie das Bundesamt in seinem Bescheid zutreffend und ausführlich dargelegt hat. Vielmehr erschöpft sich sein Sachvortrag vollinhaltlich aus Geschehnissen, die er sämtlich bereits in Finnland hätte vortragen können und müssen. Zudem hat er unterlassen, in der mündlichen Verhandlung seinem Anliegen Gehör zu verschaffen.
2.2.2 Nationale Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 AufenthG oder § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG sind ebenfalls nicht gegeben. Insoweit wird zunächst auf die zutreffenden Ausführungen im streitgegenständlichen Bescheid Bezug genommen (§ 77 Abs. 2 AsylG).
a) Hervorzuheben ist insbesondere, dass eine Abschiebung trotz schlechter humanitärer Verhältnisse nur in sehr außergewöhnlichen Einzelfällen als unmenschliche oder erniedrigende Behandlung bewertet werden kann und die Voraussetzung des § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK erfüllt.
Die derzeitigen humanitären Bedingungen im Irak führen nicht zu der Annahme, dass bei einer Abschiebung des Klägers eine Verletzung des Art. 3 EMRK vorliegt. Gemäß dem Vortrag ist die Schwelle zu einer Verletzung der Werte des Art. 3 EMRK nicht erreicht. Eventuell schlechte humanitäre Verhältnisse im Umfeld des Klägers gehen nicht über das Maß dessen hinaus, was alle Bewohner in der vergleichbaren Situation hinnehmen müssen. Es gibt keine Anhaltspunkte, dass es dem Kläger nach einer Rückkehr mit Hilfe von Familienangehörigen nicht gelingen könnte, beispielsweise im Südirak zumindest eine existenzsichernde Grundlage zu schaffen.
b) Dem Kläger droht auch keine individuelle Gefahr für Leib oder Leben, die zur Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG führen würde. Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht.
Gefahren im Sinne des § 60 Abs. 7 AufenthG, die dem Kläger bei Rückkehr in den Irak drohen könnten, wurden nicht (glaubhaft) vorgetragen und liegen auch nach Erkenntnissen des Gerichts nicht vor.
c) Nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG sind im Übrigen Gefahren, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen. Beruft sich der Ausländer demzufolge auf allgemeine Gefahren, kann er Abschiebungsschutz regelmäßig nur durch einen generellen Abschiebestopp nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG erhalten. Allgemeine Gefahren in diesem Sinne sind alle Gefahren, die der Bevölkerung des Irak auf Grund der derzeit dort bestehenden Sicherheits- und Versorgungslage allgemein drohen. Dazu zählen neben der Gefahr, Opfer terroristischer Übergriffe zu werden und Gefahren durch die desolate Versorgungslage auch Gefahren krimineller Aktivitäten und Rachebestrebungen von Privatpersonen.
2.3 Die nicht zu beanstandende Abschiebungsandrohung mit der Ausreisefrist von einer Woche beruht rechtsfehlerfrei auf § 71a Abs. 4, § 34 Abs. 1, § 36 Abs. 1 AsylG.
2.4 Gründe, die gegen die Rechtmäßigkeit des von der Beklagten festgesetzten Einreise- und Aufenthaltsverbots sprechen, wurden nicht vorgebracht und sind auch nach den Erkenntnissen in der mündlichen Verhandlung nicht ersichtlich.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nach § 83b AsylG nicht erhoben.


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