Verwaltungsrecht

Feststellung der Dienstunfähigkeit als Voraussetzung einer Ruhestandsversetzung

Aktenzeichen  6 ZB 18.2176

Datum:
6.12.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 32481
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BBG § 44 Abs. 1
VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 1

 

Leitsatz

1. Maßstab für die Beurteilung der Dienstunfähigkeit ist das Amt im abstrakt-funktionellen Sinn. Es umfasst alle bei der Beschäftigungsbehörde dauerhaft eingerichteten Dienstposten, auf denen der Beamte amtsangemessen beschäftigt werden kann. Daher setzt Dienstunfähigkeit voraus, dass bei der Beschäftigungsbehörde kein Dienstposten zur Verfügung steht, der dem statusrechtlichen Amt des Beamten zugeordnet und gesundheitlich für ihn geeignet ist. (Rn. 4) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ein im Zurruhesetzungsverfahren verwendetes ärztliches Gutachten darf sich nicht darauf beschränken, nur ein Untersuchungsergebnis mitzuteilen. Es muss sowohl die notwendigen Feststellungen zum Sachverhalt, d.h. die in Bezug auf den Beamten erhobenen Befunde, darstellen als auch die aus medizinischer Sicht daraus abzuleitenden Schlussfolgerungen für die Fähigkeit des Beamten, seinen dienstlichen Anforderungen weiter zu genügen. (Rn. 5) (redaktioneller Leitsatz)
3. Der amtsärztlichen Stellungnahme als neutraler, unabhängiger, in Distanz zu den Beteiligten stehender Einschätzung kommt im Verhältnis zu privatärztlichen Attesten eine vorrangige Bedeutung zu. (Rn. 8) (redaktioneller Leitsatz)
4. Selbst wenn die Erkrankung des Beamten von einem Arbeitsplatzkonflikt beeinflusst worden sein mag, führt dies nicht dazu, dass der Dienstherr von der Versetzung in den Ruhestand wegen dauernder Dienstunfähigkeit Abstand nehmen müsste. (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 21 K 16.4151 2018-09-17 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 17. September 2018 – M 21 K 16.4151 – wird abgelehnt.
II. Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 37.991,40 € festgesetzt.

Gründe

Der Antrag des Klägers, die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts zuzulassen, bleibt ohne Erfolg. Der allein geltend gemachte Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) liegt nicht vor (§ 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO).
Solche Zweifel wären begründet, wenn vom Rechtsmittelführer ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung des Verwaltungsgerichts mit schlüssigen Argumenten in Frage gestellt würde und sich die Frage, ob die Entscheidung etwa aus anderen Gründen im Ergebnis richtig ist, nicht ohne weitergehende Prüfung der Sach- und Rechtslage beantworten lässt (vgl. BVerfG, B.v. 23.6.2000 – 1 BvR 830/00 – NVwZ 2000, 1163/1164; B.v. 26.3.2007 – 1 BvR 2228/02 – BayVBl 2007, 624; BayVGH, B.v. 2.7.2018 – 6 ZB 18.163 – juris Rn. 2). Das ist nicht der Fall.
Der Kläger, ein Beamter im Statusamt eines Bundesbahnhauptsekretärs (Besoldungsgruppe A 8), wendet sich gegen seine Versetzung in den Ruhestand wegen Dienstunfähigkeit. Seit dem 20. März 2015 ist der Kläger ununterbrochen dienstunfähig erkrankt. Mit Bescheid vom 18. Januar 2016 wurde er wegen Dienstunfähigkeit gemäß § 44 Abs. 1 Satz 1 und 2 BBG mit Ablauf des 31. Januar 2016 in den Ruhestand versetzt. Den von ihm erhobenen Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 29. August 2016 zurück. Das Verwaltungsgericht hat seine Klage mit Urteil vom 17. September 2018 abgewiesen. Es ist zu dem Ergebnis gelangt, dass der Kläger im maßgeblichen Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung (Widerspruchsbescheid vom 29.8.2016) als dauernd dienstunfähig nach § 44 Abs. 1 Satz 1 BBG anzusehen und nicht nach § 44 Abs. 1 Satz 3, Abs. 2 bis 4 BBG anderweitig verwendbar ist. Die mit dem Zulassungsantrag vorgebrachten Einwände des Klägers überzeugen nicht und bedürfen keiner weiteren Prüfung in einem Berufungsverfahren.
Gemäß § 44 Abs. 1 Satz 1 BBG ist ein Beamter auf Lebenszeit in den Ruhestand zu versetzen, wenn er wegen des körperlichen Zustandes oder aus gesundheitlichen Gründen zur Erfüllung der Dienstpflichten dauernd unfähig (dienstunfähig) ist. Als dienstunfähig kann gemäß § 44 Abs. 1 Satz 2 BBG auch angesehen werden, wer infolge Erkrankung innerhalb von sechs Monaten mehr als drei Monate keinen Dienst getan hat, wenn keine Aussicht besteht, dass innerhalb weiterer sechs Monate die Dienstfähigkeit wieder voll hergestellt ist. In den Ruhestand wird nicht versetzt, wer anderweitig verwendbar ist (§ 44 Abs. 1 Satz 3, Abs. 2 bis 4 BBG). Maßstab für die Beurteilung der Dienstunfähigkeit ist nicht das von dem Beamten zuletzt wahrgenommene Amt im konkret-funktionellen Sinn (Dienstposten), sondern das Amt im abstrakt-funktionellen Sinn. Es umfasst alle bei der Beschäftigungsbehörde dauerhaft eingerichteten Dienstposten, auf denen der Beamte amtsangemessen beschäftigt werden kann. Daher setzt Dienstunfähigkeit voraus, dass bei der Beschäftigungsbehörde kein Dienstposten zur Verfügung steht, der dem statusrechtlichen Amt des Beamten zugeordnet und gesundheitlich für ihn geeignet ist (vgl. BVerwG, U.v. 5.6.2014 – 2 C 22.13 – juris Rn. 14 f.; BayVGH, B.v. 2.7.2018 – 6 ZB 18.163 – juris Rn. 5). Bei der Dienstunfähigkeit handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, der der uneingeschränkten Nachprüfung der Verwaltungsgerichte unterliegt. Für die Feststellung der gesundheitsbedingten Einschränkungen der Leistungsfähigkeit des Beamten kommt dem Dienstherrn kein der Kontrollbefugnis der Gerichte entzogener Beurteilungsspielraum zu (BVerwG, U.v. 19.3.2015 – 2 C 37.13 – ZBR 2015, 379 ff.).
Die Versetzung eines Beamten in den vorzeitigen Ruhestand wegen dauernder Dienstunfähigkeit setzt die Feststellung seiner krankheitsbedingten Leistungseinschränkungen voraus. Diese Beurteilungsvorgänge erfordern in aller Regel besondere medizinische Sachkenntnis, über die nur ein Arzt verfügt. Den Gesundheitszustand des Beamten feststellen und medizinisch bewerten muss der Arzt, die Schlussfolgerungen hieraus für die Beurteilung der Dienstfähigkeit zu ziehen ist dagegen Aufgabe der Behörde und ggf. des Gerichts. Der Arzt wird lediglich als sachverständiger Helfer tätig, um den zuständigen Stellen diejenige Fachkenntnis zu vermitteln, die für deren Entscheidung erforderlich ist. Ein im Zurruhesetzungsverfahren verwendetes (amts-)ärztliches Gutachten darf sich daher nicht darauf beschränken, nur ein Untersuchungsergebnis mitzuteilen. Es muss auch die das Ergebnis tragenden Feststellungen und Gründe enthalten, soweit deren Kenntnis für die Behörde unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes für die Entscheidung über die Zurruhesetzung erforderlich ist (BVerwG, U.v. 31.8.2017 – 2 A 6.15 – juris Rn 63). Danach muss das Gutachten sowohl die notwendigen Feststellungen zum Sachverhalt, d.h. die in Bezug auf den Beamten erhobenen Befunde, darstellen als auch die aus medizinischer Sicht daraus abzuleitenden Schlussfolgerungen für die Fähigkeit des Beamten, seinen dienstlichen Anforderungen weiter zu genügen (vgl. BVerwG, U.v.19.3.2015 – 2 C 37.13 – NVwZ-RR 2015, 625 Rn. 12 m.w.N.). Wie detailliert eine amtsärztliche Stellungnahme danach jeweils sein muss, kann allerdings nicht abstrakt beantwortet werden, sondern richtet sich nach den Umständen des jeweiligen Einzelfalls (BayVGH, B.v. 27.11.2018 – 6 ZB 18.2115 – Rn. 5; B.v. 2.7.2018 – 6 ZB 18.163 – juris Rn. 6; U.v. 25.1.2013 – 6 B 12.2062 – juris Rn. 21 m.w.N.).
Gemessen an diesem Maßstab ist das Verwaltungsgericht zu Recht zu dem Ergebnis gelangt, dass der Dienstherr im maßgeblichen Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung (vgl. BVerwG, U.v. 5.6.2014 – 2 C 22.13 – juris Rn. 10 m.w.N.) – also bei Erlass des Widerspruchsbescheids vom 29. August 2016 – beim Kläger eine Dienstunfähigkeit nach § 44 Abs. 1 Satz 1 BBG annehmen konnte. Dies ergibt sich aus der seit dem 20. März 2015 andauernden ununterbrochenen Erkrankung des Klägers in Verbindung mit dem Gutachten des Bahnarztes Dr. H. vom 4. Dezember 2015. Dort stellt der Bahnarzt die Diagnose: anhaltende depressive Episode, Bluthochdruck und Hyperurikämie und führt u.a. aus, dass der Kläger seit 20. März 2005 arbeitsunfähig sei und dies auf unbestimmte Zeit sein werde. Die Dienstfähigkeit sei trotz Weiterführung der ambulanten Behandlung nicht absehbar. Der Kläger könne die Aufgaben auch weder im Umfang von mindestens 50 v. H. der regelmäßigen Arbeitszeit wahrnehmen noch erscheine eine Überführung in einen anderen Aufgabenbereich erfolgversprechend. Das Leistungsvermögen sei aus medizinischen Gründen so weit vermindert, dass innerhalb der nächsten 6 Monate die Dienstfähigkeit in jeglicher Tätigkeit nicht wiederhergestellt sein werde.
Die vom Kläger hiergegen vorgebrachten Einwendungen begründen keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils, die der Klärung in einem Berufungsverfahren bedürfen.
Das Gutachten des Bahnarztes über den Gesundheitszustand des Klägers vom 4. Dezember 2015 genügt entgegen der Auffassung des Klägers den Anforderungen der Rechtsprechung (vgl. BVerwG, U.v. 16.11.2017 – 2 A 5.16 – juris Rn. 23; 31.8.2017 – 2 A 6.15 – juris Rn. 63). Es legt die medizinischen Befunde und Schlussfolgerungen so plausibel und nachvollziehbar dar, dass die zuständige Behörde auf dieser Grundlage entscheiden kann, ob der Kläger zur Erfüllung der Dienstpflichten seines (abstrakt-funktionellen) Amtes dauernd unfähig ist und ob er anderweitig auf einem anderen Dienstposten eingesetzt werden kann (vgl. BVerwG, U.v. 16.11.2017 – 2 A 5.16 – juris Rn. 23; U.v. 31.8.2017 – 2 A 6.15 – juris Rn. 63). Der Kläger hält dem Gutachten lediglich seine eigene Würdigung der als unzureichend angesehenen medizinischen Feststellungen und Bewertungen entgegen, ohne damit aber Gesichtspunkte aufzuzeigen, die Zweifel an der erstinstanzlichen Entscheidung begründen. Das schlichte Bestreiten der vom Amtsarzt beim Kläger gestellten Diagnose genügt ebensowenig wie die pauschale Behauptung, die Untersuchungen des Klägers seien ungenügend gewesen, um die amtsärztliche Bewertung substantiiert in Frage zu stellen. Immerhin ist der Kläger von dem Bahnarzt seit dem Jahr 2011 bereits viermal untersucht worden. Der bahnärztlichen Bewertung steht das ärztliche Attest der Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. S. vom 11. September 2018 ebenfalls nicht entgegen. Der amtsärztlichen Stellungnahme als neutraler, unabhängiger, in Distanz zu den Beteiligten stehender Einschätzung kommt im Verhältnis zu privatärztlichen Attesten eine vorrangige Bedeutung zu (ständige Rechtsprechung, vgl. BVerwG, U.v. 16.11.2017 – 2 A 5.16 – juris Rn. 24). Abgesehen davon steht die in dem ärztlichen Attest aufgestellte Behauptung, dass der Kläger zwar arbeitsunfähig, aber nicht dienstunfähig sei, im Widerspruch zu der Tatsache, dass er seit dem 20. März 2015 seinen Dienst nicht mehr verrichtet hat, sondern ununterbrochen erkrankt ist. Auch der Einwand des Klägers, es sei davon auszugehen, dass bei ihm im Laufe des Jahres 2015 wieder die volle Dienstfähigkeit hergestellt gewesen sei, steht zu seiner Dauererkrankung im Widerspruch.
Der Einwand des Klägers, seine „vorübergehende Arbeitsunfähigkeit“ sei durch einen Arbeitskonflikt mit herabwürdigender und „deformierender“ Behandlung verursacht worden, greift nicht durch. Für die Frage der Dienstunfähigkeit mit der Folge der Ruhestandsversetzung gemäß § 44 Abs. 1 BBG ist nicht entscheidend, auf welche Umstände sie zurückzuführen ist (BayVGH, B.v. 12.9.2016 – 6 ZB 152386 – juris Rn. 8). Selbst wenn die Erkrankung des Klägers von einem Arbeitsplatzkonflikt beeinflusst worden sein mag, führt dies nicht dazu, dass der Beklagte von der Versetzung in den Ruhestand wegen dauernder Dienstunfähigkeit hätte Abstand nehmen müssen. Im Gegenteil verblieb ihm kein dahingehender Entscheidungsspielraum mehr, weil der Kläger nach dem bahnärztlichen Gutachten aus gesundheitlichen Gründen dauerhaft nicht mehr in der Lage ist, seinen Dienst zu verrichten (vgl. BayVGH, B.v. 12.9.2016 – 6 ZB 152386 – juris Rn. 8; vgl. auch OVG NW, B.v. 23.5.2016 – 6 A 915/14 – juris Rn. 70 unter Hinweis darauf, dass der Dienstherr bei Dienstunfähigkeit des Beamten zur Zurruhesetzung verpflichtet ist und ihm insoweit kein Ermessensspielraum bleibt).
Ebenfalls keinen Bedenken begegnet die Feststellung des Verwaltungsgerichts, dass nach dem bahnärztlichen Gutachten vom 4. Dezember 2015 beim Kläger bezogen auf sein abstrakt-funktionelles Amt kein feststellbares Restleistungsvermögen vorhanden sei, um nach Maßgabe von § 44 Abs. 1 Satz 3, Abs. 2 bis 4 BBG weiterbeschäftigt zu werden (S. 12 bis 14 des Urteils). Auch diese Beurteilung begegnet unter Berücksichtigung der bahnärztlichen Begutachtung in Verbindung mit der langen Dienstunfähigkeit des Klägers keinen Zweifeln. Aus der letzten bahnärztlichen Stellungnahme ergibt sich eindeutig, dass der Kläger in anderen Tätigkeiten nicht eingesetzt werden könne und eine Überführung in einen anderen Aufgabenbereich nicht erfolgversprechend erscheine. Dies umfasst auch dienstliche Tätigkeiten im Sinn des § 44 Abs. 2 bis 4 und § 45 BBG.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 47, § 52 Abs. 6 Satz 1 Nr. 1 GKG i.V.m. Nr. 10.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit ihm wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


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