Verwaltungsrecht

Feststellung der Entschädigung; günstigere Entscheidung durch neue Urkunde

Aktenzeichen  5 B 11/09

Datum:
27.1.2010
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
Dokumenttyp:
Beschluss
Normen:
§ 2 S 5 NS-VEntschG
§ 4 Abs 1 S 3 EntschG
§ 4 Abs 2 EntschG
§ 580 Nr 7b ZPO
Spruchkörper:
5. Senat

Verfahrensgang

vorgehend VG Berlin, 12. Dezember 2008, Az: 4 A 340.07, Urteil

Gründe

1
Die Beschwerde hat keinen Erfolg.
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1. Der Rechtssache kommt keine grundsätzliche Bedeutung nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zu.
3
Die Beschwerde hält im Zusammenhang mit § 2 Satz 5 NS-VEntschG in Verbindung mit § 4 Abs. 1 Satz 3 und Abs. 2 EntschG in Verbindung mit § 580 Nr. 7b ZPO die Frage für grundsätzlich klärungsbedürftig,
“ob und unter welchen Umständen eine nach der Schädigung entstandene Urkunde (hier der Bericht des früheren Hauptbuchhalters F. von 1948) einen Wiederaufnahmegrund im Sinne des § 580 ZPO in Verbindung mit § 4 Abs. 1 und 2 des EntschG in Verbindung mit § 2 des NS-VEntschG darstellt und zur Unverwertbarkeit des letzten, vor der Schädigung festgestellten Einheitswertes im Rahmen der Feststellung der Entschädigung führen kann” (Beschwerdebegründung S. 29).
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Diese Frage würde sich auf der Grundlage des vom Verwaltungsgericht festgestellten Sachverhalts in einem künftigen Revisionsverfahren nicht entscheidungserheblich stellen. Denn das Verwaltungsgericht hat mangels insoweit erhobener durchgreifender Verfahrensrügen mit bindender Wirkung für das Bundesverwaltungsgericht (§ 137 Abs. 2 VwGO) festgestellt, dass der Einheitswert zum 1. Januar 1936 im Anschluss an eine Betriebsprüfung, die in der Zeit vom 24. Mai bis 2. Juni 1938 und damit nach der Schädigung am 29. Januar 1938 vorgenommen wurde, im Wege der Wertfortschreibung ermittelt und in dem Bericht des Finanzbeamten vom 25. Oktober 1938 festgehalten wurde. Es hat mithin nicht dahin erkannt, dass bereits vor der Schädigung ein gesonderter Einheitswertbescheid für das Jahr 1936 ergangen ist.
5
Im Übrigen ist diese Frage nicht klärungsbedürftig, weil sie in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bereits hinreichend beantwortet ist. Danach kann der für die Bemessung der Entschädigungshöhe einer in der NS-Zeit erfolgten Unternehmensschädigung nach § 2 Satz 2 NS-VEntschG maßgebliche, vor der Schädigung zuletzt festgestellte, Einheitswert unter den erschwerten Voraussetzungen des – für sich gesehen in § 2 Satz 5 NS-VEntschG nicht für entsprechend anwendbar erklärten – § 580 ZPO in Frage gestellt werden (vgl. Beschluss vom 10. Juli 2007 – BVerwG 5 B 3.07 – Buchholz 428.42 § 2 NS-VEntschG Nr. 3). Für den Wiederaufnahmegrund des § 580 Nr. 7b ZPO bedarf es einer neuen Urkunde, die eine dem Betroffenen günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würde, wenn sie bereits im vorausgegangenen Verfahren (hier dem steuerlichen Verfahren zur Ermittlung und Feststellung des Einheitswertes) hätte verwendet werden können. Sie muss zudem so beschaffen sein, dass sie die Richtigkeit der tatsächlichen Entscheidungsgrundlage des Erstbescheids erschüttert. Sie muss zu der sicheren Überzeugung führen können, dass die Behörde damals von falschen tatsächlichen Verhältnissen ausgegangen ist und in Kenntnis der wirklichen Verhältnisse zugunsten des Betroffenen entschieden haben würde (vgl. Beschluss vom 30. Mai 1990 – BVerwG 3 CB 25.89 – IFLA 1990, 132). Die Beschwerde lässt nicht erkennen, welche über diese Grundsätze hinausgehende abstrakte Rechtsfrage vorliegend durch ein Revisionsverfahren geklärt werden könnte.
6
Soweit mit der Grundsatzrüge beanstandet wird, dass das Verwaltungsgericht die Verwertbarkeit des im Wege der Wertfortschreibung zum 1. Januar 1936 festgestellten Einheitswertes nicht im Hinblick auf den Bericht des Wirtschaftsberaters und Buchsachverständigen sowie früheren Mitarbeiters des Unternehmens Herrn F. vom 19. März 1948 verneint habe, betrifft dies die richtige Rechtsanwendung im Einzelfall. Mit der Rüge der fehlerhaften Rechtsanwendung im Einzelfall kann die rechtsgrundsätzliche Bedeutung einer Sache nicht begründet werden.
7
2. Die Revision ist auch nicht wegen der geltend gemachten Verfahrensfehler nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zuzulassen.
8
Die Beschwerde sieht einen Verfahrensverstoß darin, dass das Verwaltungsgericht den im Wege der Wertfortschreibung zum 1. Januar 1936 festgestellten Einheitswert nicht im Hinblick auf den Bericht des Wirtschaftsberaters und Buchsachverständigen sowie früheren Mitarbeiters des Unternehmens Herrn F. vom 19. März 1948 nach § 2 Satz 5 NS-VEntschG in Verbindung mit § 4 Abs. 1 Satz 3 EntschG in Verbindung mit § 580 Nr. 7b ZPO für unverwertbar angesehen sowie die Höhe der Entschädigung nicht anhand des unter Zugrundelegung dieses Berichtes nach § 4 Abs. 2 EntschG zu ermittelnden Reinvermögens bemessen habe. Sie rügt insbesondere, dass das Verwaltungsgericht nicht ohne Einholung eines Sachverständigengutachtens sowie ohne Beiziehung und Auswertung der Betriebsprüfungsakten zur J. N. AG aus dem Jahre 1938 hätte feststellen dürfen, dass der Bericht vom 19. März 1948 als Urkunde im Sinne des § 580 Nr. 7b ZPO ungeeignet sei. Darüber hinaus beanstandet die Beschwerde als verfahrensfehlerhaft, dass sich das Verwaltungsgericht nicht mit den von der Klägerin im Rahmen der Klagebegründung im Einzelnen angeführten Positionen, die auf den Angaben in dem Bericht vom 19. März 1948 basierten und zu einer Erhöhung des Reinvermögens sowie des Entschädigungsbetrages geführt hätten, auseinandergesetzt habe, obwohl dieser Bericht – ihrer Ansicht nach – den Wert des Unternehmens zum Zeitpunkt der Arisierung exakter darstelle als der zum 1. Januar 1936 fortgeschriebene Einheitswert. Mit diesen Ausführungen zum vermeintlichen Vorliegen eines Verfahrensmangels hat die Beschwerde die geltend gemachte Verletzung der gerichtlichen Aufklärungspflicht (§ 86 Abs. 1 VwGO), des Überzeugungsgrundsatzes (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) oder des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO) nicht bezeichnet.
9
Die Beschwerde greift damit der Sache nach vielmehr die aus ihrer Sicht fehlerhafte Sachverhaltswürdigung und Rechtsanwendung des Verwaltungsgerichts im Einzelfall an und setzt dieser eine eigene abweichende tatsächliche und rechtliche Beurteilung entgegen. In erster Linie wendet sie sich dabei gegen das Ergebnis der Subsumtion des Berichtes vom 19. März 1948 unter das Tatbestandsmerkmal der Urkunde im Sinne des § 580 Nr. 7b ZPO durch das Verwaltungsgericht.
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Soweit die Beschwerde vor allem beanstandet, das Verwaltungsgericht hätte den fortgeschriebenen Einheitswert 1936 nicht zugrunde legen dürfen, weil dem der Bericht des Herrn F. vom 19. März 1948 als Urkunde im Sinne von § 580 Nr. 7b ZPO entgegengestanden hätte, befasst sie sich nur mit der Aussage im angegriffenen Urteil, es könne “insbesondere” nicht festgestellt werden, dass die nachträglich aufgefundene Urkunde zu der sicheren Überzeugung hätte führen können, die Behörde sei damals (sc. bei der Fortschreibung des Einheitswertes) von falschen tatsächlichen Voraussetzungen ausgegangen und würde in Kenntnis der (sc. durch die Urkunde belegten oder zumindest durchgreifend in Zweifel gezogenen und gegebenenfalls neu ermittelten) tatsächlichen Verhältnisse zugunsten des Betroffenen entschieden haben (UA S. 6 Abs. 3 und Abs. 4 Satz 1). Die hierauf gestützten Angriffe der Beschwerde gehen schon deshalb fehl, weil das Verwaltungsgericht die Voraussetzungen des § 580 Nr. 7b ZPO aus einem weiteren Grund hätte verneinen müssen (vgl. § 144 Abs. 4 VwGO). Der Bericht vom 19. März 1948 ist nämlich auch deswegen keine Urkunde im Sinne dieser Bestimmung, weil er nicht bereits zum hier maßgeblichen Zeitpunkt der Festsetzung des fortgeschriebenen Einheitswertes 1936 vorhanden war und lediglich erst später aufgefunden worden ist (vgl. dazu etwa: Guckelberger, in: Sodann/Ziekow, VwGO, 2. Aufl. 2006, § 153 Rn. 73 und 75 sowie Greger, in: Zöller, ZPO, 28. Aufl. 2010, § 580 Rn. 15 ff. jeweils m.w.N.). Für eine Ausnahme davon, dass die zur Restitution führende Urkunde schon zur Zeit des Vorprozesses (hier: der Entscheidung über den Einheitswert 1936) errichtet gewesen sein muss, ist nichts vorgetragen und ersichtlich.
11
Dessen ungeachtet zeigt die Beschwerde, soweit sie sich gegen die Erwägungen des Verwaltungsgerichts zur mangelnden Eignung des Berichtes vom 19. März 1948, eine dem Betroffenen günstigere Entscheidung herbeizuführen, wendet, nicht auf, hinsichtlich welcher insoweit entscheidungserheblichen Tatsachenfragen sich dem Verwaltungsgericht eine weitere Sachverhaltsaufklärung hätte aufdrängen müssen. Mit einem in das Gewand der Verfahrensrüge gekleideten Angriff gegen die Anwendung und Auslegung des materiellen Rechts lässt sich aber ein Verfahrensmangel im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO nicht dartun. Denn die Grundsätze der Sachverhalts- und Beweiswürdigung sind revisionsrechtlich grundsätzlich dem sachlichen Recht zuzuordnen (stRspr, vgl. Beschlüsse vom 12. Januar 1995 – BVerwG 4 B 197.94 – Buchholz 406.12 § 22 BauNVO Nr. 4, vom 11. August 1999 – BVerwG 11 B 61.98 – Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 1 VwGO Nr. 19 und vom 11. April 2003 – BVerwG 5 B 24.03 – juris). Anhaltspunkte für das Vorliegen eines möglichen Ausnahmefalles einer gegen Denkgesetze verstoßenden (vgl. Urteil vom 19. Januar 1990 – BVerwG 4 C 28.89 – BVerwGE 84, 271 ; Beschluss vom 12. Januar 1995 a.a.O. S. 4) oder sonst von Willkür geprägten Sachverhaltswürdigung sind von der Beschwerde nicht dargetan und auch nicht ersichtlich. Ein Tatsachengericht hat nicht schon dann gegen die Denkgesetze verstoßen, wenn es nach Meinung des Beschwerdeführers unrichtige oder fern liegende Schlüsse gezogen hat. Ebenso wenig genügen objektiv nicht überzeugende oder sogar unwahrscheinliche Schlussfolgerungen. Es muss sich vielmehr um einen aus Gründen der Logik schlechthin unmöglichen Schluss handeln (stRspr, Urteil vom 20. Oktober 1987 – BVerwG 9 C 147.86 – Buchholz 310 § 86 Abs. 3 VwGO Nr. 37 S. 1, 4 m.w.N.). Nach dem Sachverhalt darf denkgesetzlich ausschließlich eine einzige Folgerung möglich sein, die das Gericht nicht gezogen hat (vgl. Beschluss vom 12. Januar 1995 a.a.O. S. 4).
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Abgesehen davon trifft es nicht zu, dass sich das Verwaltungsgericht nicht mit dem Vorbringen der Klägerin zu bestimmten Positionen (z.B. der für die K. GmbH gegebenen Bürgschaft und ihrer Behandlung im Rahmen und nach der Arisierung, der Behandlung der Vorstandsgehälter und Pensionen, dem von der Klägerin verlangten Ansatz eines Firmenwertes und von Kurs- statt Buchwerten bei den Effekten, dem Abzug des Warenbestandes des Lagers Hamburg, der Entziehung der Filialen vom 1. April 1933 bis 29. Januar 1938) auseinander gesetzt hat. Es hat daraus aber andere Schlüsse als die Klägerin gezogen. Weder der Überzeugungsgrundsatz noch der Anspruch auf rechtliches Gehör vermitteln aber einen Anspruch darauf, dass ein Gericht dem zur Kenntnis genommenen Vorbringen eines Beteiligten auch in der Sache folgt.
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Im Übrigen kann sich das Gericht im Rahmen der ihm durch § 108 Abs. 1 Satz 2 VwGO auferlegten Aufgabe, die für die richterliche Überzeugungsbildung leitend gewesenen Gründe anzugeben, auf die wesentlichen Gründe beschränken. Im Allgemeinen genügt es, wenn der Begründung – wie hier – entnommen werden kann, dass das Gericht eine vernünftige und der jeweiligen Sache angemessene Gesamtwürdigung und Beurteilung vorgenommen hat. Daraus, dass das Gericht sich nicht mit allen Gesichtspunkten des Vorbringens der Beteiligten und des festgestellten Sachverhalts in den Gründen seiner Entscheidung ausdrücklich auseinander gesetzt hat, kann daher noch nicht geschlossen werden, es habe die fraglichen Gesichtspunkte bei seiner Entscheidung unberücksichtigt gelassen (stRspr, z.B. Beschlüsse vom 11. April 2003 – BVerwG 5 B 24.03 – juris und vom 12. Juli 1999 – BVerwG 9 B 374.99 – Buchholz 310 § 130a VwGO Nr. 43).
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3. Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (§ 133 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO).
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4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
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5. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 und 2, § 52 Abs. 1 und 4 GKG. Nach dem Sinn und Zweck der Regelung, das Gerichtskostenrisiko sowohl für die Berechtigten als auch für die öffentliche Hand zu begrenzen, gilt § 52 Abs. 4 GKG, nach dem in Verfahren vor den Gerichten der Verwaltungsgerichtsbarkeit über Ansprüche nach dem Vermögensgesetz der Streitwert nicht über 500 000 € angenommen werden darf, auch in Fällen, in denen eine Rückgabe nach dem Vermögensgesetz ausgeschlossen und deshalb nach dem NS-Verfolgtenentschädigungsgesetz Entschädigung zu gewähren ist oder der Berechtigte Entschädigung gewählt hat (stRspr, vgl. Beschlüsse vom 22. Februar 2006 – BVerwG 3 B 118.05 -, vom 10. Juli 2007 – BVerwG 5 B 3.07 -, vom 19. Juli 2007 – BVerwG 5 B 84.06 – und vom 8. Mai 2008 – BVerwG 5 C 6.07 -).


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