Verwaltungsrecht

Feststellung der Rechtswidrigkeit polizeilicher Maßnahmen

Aktenzeichen  10 ZB 18.871

Datum:
31.8.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 21844
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
GG Art. 2 Abs. 1, Abs. 2
VwGO § 113 Abs. 1 S. 4

 

Leitsatz

1 Ein tiefgreifender Grundrechtseingriff liegt insbesondere bei Grundrechtseingriffen vor, die das Grundgesetz selbst unter Richtervorbehalt gestellt hat oder die besonders sensible Rechtsgüter wie die körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG) oder die Freiheit der Person (Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG tangieren. (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)
2 Der Umstand, dass Polizeibeamte unter einer in tatsächlicher Hinsicht nicht zutreffenden Annahme gehandelt haben, ist für sich gesehen nicht geeignet, die für das besondere Rechtsschutzinteresse erforderliche Schwere des Grundrechtseingriffs zu begründen. (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 7 K 16.4201 2018-03-07 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000 Euro festgesetzt.

Gründe

Mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt der Kläger seine in erster Instanz erfolglose Klage auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der „polizeilichen Maßnahmen vom 26./27. Juni 2016“ weiter, insbesondere
– der „Behauptung, dem Kläger sei ein Hausverbot erteilt worden, weshalb der Verdacht des Hausfriedensbruchs bestehe“ (1),
– der „Aufforderung an den Kläger, das Anwesen E.-Str. 20,…M., zu verlassen und im Falle der Weigerung unmittelbaren Zwang anwenden zu dürfen“ (2), sowie
– der Androhung, den Kläger im Fall des wiederholten Antreffens in der Wohnung in Gewahrsam zu nehmen (3).
Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist unbegründet. Aus dem der rechtlichen Überprüfung durch den Senat allein unterliegenden Vorbringen im Zulassungsantrag ergeben sich die geltend gemachten ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO nicht (1.). Der weiter geltend gemachte Verfahrensfehler in Form eines Verstoßes gegen das Gebot des rechtlichen Gehörs (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO i.V.m. Art. 103 Abs. 1 GG; 2.) ist bereits nicht hinreichend dargelegt.
1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils im Sinne § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO bestünden dann, wenn der Kläger im Zulassungsverfahren einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung des Erstgerichts mit schlüssigen Gegenargumenten infrage gestellt hätte (BVerfG, B.v. 10.9.2009 – 1 BvR 814/09 – juris Rn. 11). Das ist jedoch nicht der Fall.
Das Erstgericht hat die Fortsetzungsfeststellungsklage deshalb als unzulässig abgewiesen, weil der Kläger kein berechtigtes Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit der drei polizeilichen Äußerungen bzw. Maßnahmen geltend machen könne, insbesondere kein Fall eines schwerwiegenden Grundrechtseingriffs vorliege. Die Richtigkeit dieser Annahme stellt der Kläger mit der Begründung in Abrede, mit der unrichtigen Behauptung der Polizei, es habe gegen ihn ein Hausverbot für das Anwesen E.-Straße 20 bestanden, sei eine ehrverletzende Rufschädigung in der Öffentlichkeit verbunden. Bei unbeteiligten Beobachtern des Polizeieinsatzes, insbesondere den vor Ort befindlichen Untermietern des Klägers, die ihn im Zuge der Polizeimaßnahme herbeigerufen hätten, sei sein Bild durch die nachweislich falsche Tatsachenbehauptung nachteilig beeinflusst worden. Die Feststellung im angefochtenen Urteil, die Untermieter hätten schon aufgrund fehlender Sprachkenntnisse den Sinngehalt der beanstandeten Aussage nicht zutreffend erfassen können, sei nicht nachvollziehbar, denn aufgrund der gesamten Umstände, insbesondere des lautstarken und verbal aggressiven Verhaltens der Polizei sei jedermann bewusst gewesen, dass es sich um ein polizeiliches Vorgehen gegen den Kläger gehandelt habe. Schließlich verkenne das Urteil, dass es bei Eingriffen in Art. 2 Abs. 1 GG verschiedene Intensitätsstufen gebe, die streitgegenständlichen Eingriffe jedoch so intensiv seien, dass sie ein berechtigtes Feststellungsinteresse begründeten.
Mit diesem – ausschließlich auf die Frage des Vorliegens eines tiefgreifenden Grundrechtseingriffs bezogenen – Vorbringen gelingt es dem Kläger nicht, die Richtigkeit des Urteils ernstlich in Zweifel zu ziehen.
Zu Recht hat das Verwaltungsgericht das für eine Fortsetzungsfeststellungsklage analog § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO erforderliche besondere Rechtsschutzinteresse mit ausreichender Begründung u.a. deshalb verneint, weil das beanstandete polizeiliche Vorgehen nicht mit einem tiefgreifenden Grundrechtseingriff im Sinne der Rechtsprechung (vgl. etwa BVerwG, U.v. 16.5.2013 – 8 C 38.12 – juris) verbunden war. Es fehlte an dem notwendigen Gewicht des Eingriffs. Dies liegt insbesondere bei Grundrechtseingriffen vor, die das Grundgesetz selbst unter Richtervorbehalt gestellt hat (z.B. BVerfG, B.v. 5.7.2013 – 2 BvR 370/13 – juris Rn. 19: Wohnungsdurchsuchung) oder die besonders sensible Rechtsgüter wie die körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) oder die Freiheit der Person (Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG; BVerfG, B.v. 5.12.2001 – 2 BvR 527/99 – juris: Abschiebungshaft; BayVGH, B.v.13.3.2017 – 10 ZB 16.965 – juris Rn. 9) tangieren.
Eine vergleichbare Grundrechtsbetroffenheit ist im vorliegenden Fall auszuschließen. Im Raum steht ausschließlich eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Klägers und seiner allgemeinen Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG; vgl. Lang in BeckOK Grundgesetz, Stand 15.5.2018, GG Art. 2 Rn. 1), die zwar grundsätzlich auch erheblicher Natur sein kann, hier jedoch nach den vorliegenden Umständen des Einzelfalls nicht als tiefgreifend einzuordnen ist.
In diesem Zusammenhang ist zunächst festzustellen, dass das unter dem Begriff „polizeiliche Maßnahmen“ zur Überprüfung gestellte und durch eine Anzeige wegen nächtlicher Ruhestörung ausgelöste Vorgehen in jener Nacht – soweit es sich auf den Klageantrag (1) bezieht – keine Maßnahme im eigentlichen Sinne, etwa einer polizeilichen Vollzugshandlung, darstellt. Vielmehr handelte es sich dabei um die Wiedergabe einer unzutreffenden Annahme der Sach- und Rechtslage bezüglich des behaupteten Hausverbot; diese falsche Annahme beruhte auf einem Irrtum der beiden handelnden Polizeibeamten, wie auch die Einstellung des staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahrens im Hinblick auf den fehlenden Vorsatz zeigt. Gegen den Kläger bestanden und bestehen zwar eine Reihe von Hausverboten für Wohnungen in der E.-Straße, nicht jedoch für die E.-Straße 20. Dieser Irrtum lag dem gesamten weiteren polizeilichen Tätigwerden gegenüber dem Kläger zugrunde, ohne dass ihm für die hier interessierende Problematik des tiefgreifenden Grundrechtseingriffs maßgebliche Bedeutung zukommt.
Denn der Umstand, dass Polizeibeamte unter einer in tatsächlicher Hinsicht nicht zutreffenden Annahme gehandelt haben, ist für sich gesehen nicht geeignet, die für das besondere Rechtsschutzinteresse erforderliche Schwere des Grundrechtseingriffs zu begründen. Die in jedem Fall vorzunehmende Gesamtschau ergibt hier, dass entgegen der Behauptung im Zulassungsvorbringen mit keiner der drei beanstandeten „Maßnahmen“ eine erhebliche Verletzung der persönlichen Ehre des Klägers einhergehen konnte, weil sich die streitgegenständlichen Vorgänge nicht in der Öffentlichkeit abgespielt haben. Vielmehr haben sie sich innerhalb eines Wohnhauses – zum Teil in einer Wohnung, zum Teil im Hausflur – zugetragen; unmittelbar anwesend waren außer den Untermietern des Klägers – arabischstämmigen Touristen – keine weiteren Personen und der maßgebliche Geschehensablauf war innerhalb eines überschaubaren Zeitraums (von 23:47 Uhr bis kurz nach Mitternacht) abgeschlossen. Die in der Zulassungsbegründung angeführten „unbeteiligten Beobachter des Polizeieinsatzes“ hat es nicht gegeben. Vor diesem Hintergrund spielt es keine Rolle, ob und inwieweit die offenbar des Deutschen nicht mächtigen Untermieter den maßgeblichen Kern der Auseinandersetzung zwischen dem Kläger und den Polizeibeamten verstanden haben oder nicht, nämlich die Frage, ob ein Hausverbot besteht oder nicht. Ebenso wenig ist von Bedeutung, dass sich der Kläger und die Polizeibeamten offenbar einen teilweise lautstarken und verbal aggressiven „Schlagabtausch“ innerhalb des Hauses geliefert haben. Dass die Untermieter von der Person des Klägers wegen des Ablaufs der Geschehnisse möglicherweise einen „negativen Eindruck“ gewonnen haben könnten, reicht für die Bejahung eines gewichtigen Eingriffs in Art. 2 Abs. 1 GG nicht aus, zumal der Kläger die Möglichkeit hat nachzuweisen, dass das ihm vorgehaltene Hausverbot nicht besteht.
Zu Recht weist das Verwaltungsgericht auch darauf hin, dass die allgemeine Handlungsfreiheit des Klägers durch die Anordnung des Verlassens des Anwesens und die Androhung der Ingewahrsamsnahme im Falle eines neuerlichen Betretens auch deshalb lediglich marginal berührt wurde, weil nach der polizeilichen Feststellung der Personalien seiner Untermieter keine Gründe für seinen weiteren Aufenthalt in deren Wohnung dargetan wurden oder ersichtlich waren, zumal diese ihn erst nach Eintreffen der Polizei zur Hilfestellung herbeigerufen hatten. Auf dieses Argument geht die Zulassungsbegründung nicht ein.
2. Die Berufung ist auch nicht wegen eines Verfahrensfehlers in Form des geltend gemachten Gehörsverstoßes (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO i.V.m. Art. 103 Abs. 1 GG) zuzulassen. Das Zulassungsvorbringen ist nicht geeignet, einen Gehörsverstoß zu belegen.
Es lägen besondere Umstände vor, die deutlich machten, dass tatsächliches Vorbringen des Klägers nicht zur Kenntnis genommen worden sei. Im Hinblick auf den Klageantrag (3) habe der Kläger geschildert, dass ihm die Ingewahrsamsnahme konkret angedroht und nicht nur auf eine entsprechende rechtliche Handhabe hingewiesen worden sei. Von letzterem gehe jedoch das angefochtene Urteil (UA S. 5, 15) aus, ohne das gegenteilige Vorbringen des Klägers zu berücksichtigen.
Zwar trifft es zu, dass der Tatbestand des angefochtenen Urteils (UA S. 5, 1. Abs.) so abgefasst ist, als sei lediglich ein rechtlicher Hinweis auf die Möglichkeit einer Ingewahrsamsnahme des Klägers für den Fall seiner Rückkehr an den Ort des Geschehens gegeben worden, ohne die gegenteilige Auffassung des Klägers mitzuteilen. Entscheidend im Hinblick auf den geltend gemachten Gehörsverstoß ist allerdings, dass das Urteil in den Entscheidungsgründen (UA S. 15, 2. Abs) zugunsten des Klägers davon ausgeht, dass es sich bei der angefochtenen Maßnahme um eine Androhung, den Kläger in Gewahrsam zu nehmen, handelt (vgl. auch: „Unabhängig davon, dass es sich bei dieser Äußerung nicht um eine Androhung…, sondern um einen bloßen Hinweis gehandelt haben dürfte…“). Damit wird deutlich, dass dem Verwaltungsgericht die Auffassung des Klägers, ihm gegenüber sei einer Androhung ergangen, nicht nur vor Augen stand, sondern dass es diese Auffassung auch zu Grunde gelegt hat. Ein Gehörsverstoß liegt schon aus diesem Grunde nicht vor.
Die Kostenentscheidung folgt nach alledem aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 und 3 und § 52 Abs. 2 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).
Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).

Jetzt teilen:

Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen