Verwaltungsrecht

Feststellung des Verlusts des Rechts auf Einreise- und Aufenthalt eines ein freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgers

Aktenzeichen  AN 11 K 18.00414

Datum:
4.6.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 12989
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
FreizügG/EU § 2 Abs. 2, § 6 Abs. 1, Abs. 4, Abs. 5 S. 1, § 7
EMRK Art. 8
RL 2004/38/EG Art. 28 Abs. 2

 

Leitsatz

Ausländerbehörden und Verwaltungsgerichte haben bei der Prüfung, ob im Sinne des § 6 Abs. 2 Satz 2 FreizügG/EU eine gegenwärtige Gefährdung der öffentlichen Sicherheit durch ein persönliches Verhalten des Betroffenen zu erkennen ist, eine eigenständige Prognose zur Wiederholungsgefahr zu treffen. (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist insoweit vorläufig vollstreckbar.
3. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der festgesetzten Kosten abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die zulässige Klage hat in der Sache keinen Erfolg.
Der Bescheid der Beklagten vom 31. Januar 2018 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten; der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Verkürzung des Einreise- und Aufenthaltsverbotes (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO, Abs. 5 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO).
Die in Ziffer I verfügte Feststellung des Verlusts des Rechts auf Einreise und Aufenthalt für die Bundesrepublik D. ist ebenso wenig zu beanstanden, wie die in Ziffer III bzw. IV verfügte Annexentscheidung. Auch begegnet die unter Ziffer II verfügte Befristung der Wirkungen der Feststellung des Verlusts des Freizügigkeitsrechts auf die Dauer von acht Jahren ab Ausreise/Abschiebung derzeit keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf die zutreffenden Ausführungen in dem angefochtenen Bescheid, denen das Gericht folgt, Bezug genommen (§ 117 Abs. 5 VwGO). Ergänzend wird hierzu Folgendes ausgeführt:
Maßgeblicher Zeitpunkt für die rechtliche Beurteilung der Feststellung des Verlusts des Freizügigkeitsrechts ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (vgl. BVerwG, U.v. 16.7.2015 – 1 C 22/14 – juris Rn. 11).
1. Nach § 6 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern (FreizügG/EU) kann der Verlust des Rechts eines Unionsbürgers auf Einreise und Aufenthalt nach § 2 Abs. 1 FreizügG/EU unbeschadet des § 2 Abs. 7 und des § 5 Abs. 4 FreizügG/EU nur aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit festgestellt werden. Gemäß § 6 Abs. 2 Satz 1 FreizügG/EU genügt die Tatsache einer strafrechtlichen Verurteilung für sich alleine nicht, um die Verlustfeststellung zu begründen. Es dürfen nach § 6 Abs. 2 Satz 2 FreizügG/EU nur im Bundeszentralregister nicht getilgte strafrechtliche Verurteilungen und diese nur insoweit berücksichtigt werden, als die ihnen zugrundeliegenden Umstände ein persönliches Verhalten erkennen lassen, das eine gegenwärtige Gefährdung der öffentlichen Ordnung darstellt. Es muss gemäß § 6 Abs. 2 Satz 3 FreizügG/EU eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung vorliegen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt.
Gemäß § 6 Abs. 4 FreizügG/EU darf eine Feststellung nach Abs. 1 nach Erwerb des Daueraufenthaltsrechts nur aus schwerwiegenden Gründen getroffen werden; diese Regelung dient der Umsetzung des Art. 28 Abs. 2 RL 2004/38/EG und erhöht die Anforderungen an die Verlustfeststellung (vgl. Dienelt in Bergmann/Dienelt, 13. Aufl. 2020, § 6 FreizügG/EU Rn. 49 ff.). Darüber hinaus darf nach § 6 Abs. 5 Satz 1 FreizügG/EU die Verlustfeststellung bei Unionsbürgern, die ihren Aufenthalt in den letzten zehn Jahren im Bundesgebiet hatten, nur aus zwingenden Gründen der öffentlichen Sicherheit getroffen werden. Zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit können gemäß § 6 Abs. 5 Satz 3 FreizügG/EU u.a. nur dann vorliegen, wenn der Betroffene wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens fünf Jahren verurteilt wurde. Bei der Entscheidung über die Verlustfeststellung sind nach § 6 Abs. 3 FreizügG/EU insbesondere die Dauer des Aufenthalts des Betroffenen in D., sein Alter, sein Gesundheitszustand, seine familiäre und wirtschaftliche Lage, seine soziale und kulturelle Integration in D. und das Ausmaß seiner Bindungen zum Herkunftsstaat zu berücksichtigen.
Ausländerbehörden und Verwaltungsgerichte haben nach ständiger Rechtsprechung bei der Prüfung, ob im Sinne des § 6 Abs. 2 Satz 2 FreizügG/EU eine gegenwärtige Gefährdung der öffentlichen Sicherheit durch ein persönliches Verhalten des Betroffenen zu erkennen ist, ebenso wie bei einer spezialpräventiven Ausweisungsentscheidung, eine eigenständige Prognose zur Wiederholungsgefahr zu treffen (vgl. BVerwG, B.v. 11.9.2015 – 1 B 39/15 -InfAuslR 2016, 1; BayVGH, B.v. 15.10.2019 – 19 ZB 19.914 – juris Rn. 9 m.w.N.). Nach dem Gefahrenmaßstab des § 6 Abs. 2 Satz 3 FreizügG/EU muss eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung vorliegen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Dieser Maßstab verweist – anders als der Begriff der Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung im deutschen Polizeirecht – nicht auf die Gesamtheit aller Rechtsnormen, sondern auf einen spezifischen Rechtsgüterschutz, nämlich ein Grundinteresse der Gesellschaft, das berührt sein muss (vgl. NdsOVG, B.v. 5.9.2019 – 13 ME 278/19 – juris Rn. 6). Eine strafrechtliche Verurteilung kann eine Verlustfeststellung nur insoweit rechtfertigen, als die ihr zugrundeliegenden Umstände ein persönliches Verhalten erkennen lassen, das eine gegenwärtige Gefährdung der öffentlichen Ordnung darstellt (vgl. EuGH, U.v. 17.4.2018 – C-316/16 und C-424/16 – juris Rn. 92; U.v. 29.4.2004 – C-482/01 und C-493/01 – DVBl. 2004, 876, Rn. 67 m.w.N.). Es besteht keine dahingehende Regel, dass bei schwerwiegenden Taten das abgeurteilte Verhalten allein die hinreichende Besorgnis neuer Verfehlungen begründet (vgl. BVerwG, B.v. 30.6.1998 – 1 C 27.95 – InfAuslR 1999, 59). Ob die Begehung einer Straftat nach deren Art und Schwere (vgl. EuGH, U.v. 29.4.2004, a.a.O., Rn. 99) ein persönliches Verhalten erkennen lässt, welches ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt, kann nur aufgrund der Umstände des Einzelfalles beurteilt werden.
a) Bei der Prognose, ob eine Wiederholung vergleichbarer Straftaten mit hinreichender Wahrscheinlichkeit droht, sind insbesondere die Höhe der verhängten Strafe, die Schwere der konkreten Straftat, die Umstände ihrer Begehung, das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts sowie die Persönlichkeit des Täters und seine Entwicklung und die Lebensumstände bis zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt zu berücksichtigen. An die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts sind bei dieser Prognose umso geringere Anforderungen zu stellen, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist. Auch der Rang des bedrohten Rechtsguts ist dabei zu berücksichtigen; an die nach dem Ausmaß des möglichen Schadens zu differenzierende hinreichende Wahrscheinlichkeit dürfen andererseits keine zu geringen Anforderungen gestellt werden (vgl. BayVGH, B.v. 15.10.2019 – 19 ZB 19.914 – juris Rn. 9).
b) Nach Überzeugung des Gerichts liegt eine vom Kläger ausgehende gegenwärtige tatsächliche und hinreichende schwere Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung vor, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Die Verlustfeststellung ist vorliegend aus schwerwiegenden Gründen i.S.v. § 6 Abs. 4 FreizügG/EU gerechtfertigt.
Die Beklagte geht zu Gunsten des Klägers, ohne die Voraussetzungen des § 2 Abs. 2 Freizügigkeitsgesetz/EU (FreizügG/EU) im Einzelnen zu prüfen, davon aus, dass der Kläger schon auf Grund seiner rumänischen Staatsangehörigkeit ein freizügigkeitsberechtiger Unionsbürger ist. Zu Gunsten des Klägers geht die Beklagte weiter davon aus, dass der Kläger den besonderen Schutzstatus nach § 6 Abs. 4 FreizügG/EU erworben hat, weil er sich wohl seit mehr als fünf Jahren ständig rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat und damit die für ein Daueraufenthaltsrecht nach § 4 a FreizügG/EU notwendigen Voraussetzungen erfüllt sind. Den besonderen Status des § 6 Abs. 5 FreizügG/EU hat der Kläger noch nicht erworben, weil er die dafür erforderliche Aufenthaltszeit von zehn Jahren noch nicht erreicht hat.
Der Kläger wurde mit Urteil des Landgerichts … vom … (Bl. 277 ff. der Behördenakte) wegen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Bedrohung zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und neun Monaten verurteilt, nachdem er am … 2016 den Geschädigten zunächst bedroht und diesem dann die drei vorgenannten Schnittverletzungen mit einem Keramikmesser zufügte; er war im Tatzeitpunkt mit einer Blutalkoholkonzentration von mindestens 2,1 Promille alkoholisiert. Im Rahmen der Strafzumessung wurde berücksichtigt, dass ein minder schwerer Fall trotz des Geständnisses des Klägers aufgrund des gezeigten zu negativen Tatbildes nicht vorliege. Zudem seien die Körperverletzungshandlungen sogar mit bedingtem Tötungsvorsatz geführt worden. Die Schuldfähigkeit des Klägers sei nicht ausschließbar nicht nur unerheblich beeinträchtigt gewesen. Zugunsten des Klägers wurde das umfassende von Reue und Schuldeinsicht getragene Geständnis gewertet, ebenso, dass bei dem (nicht erschienen) Opfer keine Spätfolgen des Tatgeschehens festgestellt wurden. Zulasten des Klägers wurden u.a. die massiven Verletzungen des Opfers, die einen Krankenhausaufenthalt mit einer Operation notwendig machten, das Tatbild (der Kläger kommt mit einem im Ärmel versteckten Messer zum Tatort und setzt dieses, nachdem er aus Eifersucht gegenüber dem vermeintlichen Nebenbuhler aggressiv geworden war, mit bedingtem Tötungsvorsatz gegen eine ihm bis dahin unbekannte Person ein, die nur streitschlichtend eingreifen wollte), die hohe Rückfallgeschwindigkeit und das Nachtatverhalten des Klägers mit der Bedrohung der Zeugin über Facebook berücksichtigt. In dem Strafurteil wurde auch festgestellt, dass bei einem Fortbestehen der Alkohol- und Opiatabhängigkeit des Klägers ein erhöhtes Risiko für die Begehung neuer Betäubungsmittel- und Aggressionsdelikte gleicher Intensität besteht. Die Unterbringung des Klägers in einer Entziehungsanstalt wurde angeordnet. Dementsprechend trat der Kläger am … 2017 eine Therapie im Bezirksklinikum … an. Der Stellungnahme der Bezirkskliniken … vom …2019 – Antrag auf Abbruch der Maßregel wegen Aussichtslosigkeit – ist zwar zu entnehmen, dass der Kläger trotz als unstet zu bezeichnender Mitarbeit Lockerungsstufen erhalten hat. Zu einem erfolgreichen Abschluss der Alkohol- und Drogentherapie ist es aber nicht gekommen, da mit Beschluss des Landgerichts … vom 4. September 2019 u.a. die angeordnete Unterbringung des Klägers für erledigt erklärt wurde; bei Gesamtwürdigung des seitens des Klägers während des Therapieverlaufs gezeigten Verhaltens sei die Strafvollstreckungskammer zu der Überzeugung gelangt, dass der Kläger aus Gründen, die in seiner Person liegen, das Therapieziel voraussichtlich nicht erreichen werde.
Es liegt demnach beim Kläger nach der Überzeugung des Gerichts immer noch ein nicht therapiertes Alkohol- und Drogenproblem vor; die Suchtproblematik des Klägers ist noch nicht überwunden. Daher erachtet die Kammer auch im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung eine gegenwärtige, tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung der öffentlichen Ordnung sowie auch die gesteigerten Anforderungen hinsichtlich des berührten Grundinteresses der Gesellschaft für gegeben. Die körperliche Unversehrtheit des Menschen ist ein überragend wichtiges Gemeinschaftsgut (vgl. BayVGH, B.v. 26.10.2016 – 19 C 15.2217 – juris) und das Ausmaß der vom Kläger verursachten Verletzungen des Geschädigten wiegt besonders schwer. Insbesondere der konkrete Einsatz des Keramikmessers belegt die hohe Gefährlichkeit seiner Handlungen für die Gesundheit und das Leben des Opfers. Das persönliche Verhalten des Klägers stellt auch eine tatsächliche und gegenwärtige Gefahr dar, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt; auch die vorgenannte Stellungnahme der Bezirkskliniken … (BKH … vom 25.6.2019) belegt letztlich die in der vorgenannten Tat zum Ausdruck kommenden bestehenden charakterlichen Defizite des Klägers. Danach erscheine es nahezu ausgeschlossen, dass dem Kläger die grundlegende Persönlichkeits- und Verhaltensänderung, die als notwendige Voraussetzung für einen erfolgreichen Therapieabschluss erachtet würde, noch gelingen könnte; das Ziel der Sucht- und Deliktfreiheit sei kaum erreichbar. Das im Strafverfahren eingeholte vorgenannte Gutachten (vom 9.4.2017) stellt fest, dass die Tat im Alkoholrausch erfolgte; ein symptomatischer Zusammenhang mit der komplexen Suchtproblematik wäre danach damit herstellbar, allerdings liege es nahe davon auszugehen, dass auch andere motivationale Faktoren (Eifersucht) bei der Tat eine Rolle gespielt haben. Danach besteht bei weiter unkontrolliertem Alkohol- und illegalem Drogenkonsum ein Risiko für neue Straftaten aus dem Bereich der Betäubungsmitteldelinquenz und auch für neue Aggressionsdelikte. Es ist beim Kläger weiterhin von einer ganz erheblichen Rückfallgefahr auszugehen. Um die Wiederholungsgefahr im Fall des Klägers ernsthaft in Zweifel ziehen zu können, wäre erforderlich, dass der Kläger die Erwartung künftig straffreien Verhaltens auch nach Straf- bzw. Therapieende – über einen längeren Zeitraum – glaubhaft gemacht hätte (BayVGH, B.v. 2.1.2019 – 10 ZB 18.1638 – juris Rn. 6). Die Kammer geht daher im Hinblick auf die längerfristig angelegte ausländerrechtliche Gefahrenprognose und den Schutz besonders gewichtiger Rechtsgüter mit hinreichender Wahrscheinlichkeit davon aus, dass der Kläger wieder straffällig wird. Von einem Grundinteresse der Gesellschaft kann in diesem Zusammenhang ausgegangen werden, da die vom Kläger ausgehende Gefahr allgemein anerkannte und gesetzlich festgelegte Werte und Normen in einem Maße beeinträchtigt, so dass ein Einschreiten seitens des Staates erforderlich ist.
c) Die Beklagte hat bei Erlass der Verlustfeststellung das ihr eingeräumte Ermessen pflichtgemäß ausgeübt. Im Rahmen der gebotenen Ermessensentscheidung ist abzuwägen, ob das öffentliche Interesse am Schutz der öffentlichen Ordnung das private Interesse des Unionsbürgers – bzw. des Familienangehörigen eines Unionsbürgers – an seinem Verbleib im Bundesgebiet deutlich überwiegt (BVerwG, U.v. 3.8.2004 – 1 C 30/02 – juris Rn. 27). Es ist insoweit der nach Art. 6 GG und Art. 8 EMRK garantierte Schutz des Familienfriedens zu Gunsten des Betroffenen zu beachten. Hierbei ist gemäß § 6 Abs. 3 FreizügG/EU insbesondere die Dauer des Aufenthalts des Betroffenen in D., sein Alter, sein Gesundheitszustand, seine familiäre und wirtschaftliche Lage, seine soziale und kulturelle Integration in D. und das Ausmaß seiner Bindungen zum Herkunftsstaat zu berücksichtigen.
Das Gericht kann die Ermessensentscheidung der Beklagten gemäß § 114 Satz 1 VwGO lediglich darauf hin überprüfen, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht worden ist. Gemessen an diesen Vorgaben ist die Entscheidung der Beklagten nicht zu beanstanden. Die Beklagte hat ermessensfehlerfrei festgestellt, dass das öffentliche Interesse am Schutz der öffentlichen Ordnung das private Interesse des Klägers an seinem Verbleib im Bundesgebiet deutlich überwiegt. Sie hat in ihrer Ermessensentscheidung zutreffend berücksichtigt, dass sich der Kläger seit etwa 2012 in der Bundesrepublik aufgehalten hat, mehrfach straffällig wurde und nach Aktenlage keine schützenswerten Beziehungen im Bundesgebiet hat. Eine soziale Integration sei dem Kläger trotzt des mehrjährigen Aufenthalts nicht gelungen, wie schon die Anzahl und Schwere der abgeurteilten Straftaten zeige. Auch unter Berücksichtigung des Art. 6 GG und des Art. 8 EMRK ist die Feststellung des Verlusts des Freizügigkeitsrechts des Klägers nicht unverhältnismäßig. Zwar wurde im Rahmen der mündlichen Verhandlung insbesondere geltend gemacht, die im Bundesgebiet lebende Schwester des Klägers sei dessen wichtigste Bezugsperson und könne diesen in Rumänien nicht beaufsichtigen bzw. unterstützen. Die Beklagte hat aber in die Ermessensentscheidung in zutreffender Weise ergänzend eingestellt, dass allein die Tatsache, dass die Schwester den volljährigen Kläger unterstützen wolle, insoweit zu keiner anderen Beurteilung führt; abgesehen davon, könne sie dies ggf. auch in Rumänien tun. Diese Erwägungen sind nicht zu beanstanden. Der Kläger beging seine erste Straftat im Bundesgebiet bereits zeitnah nach seiner Einreise, trotz Hafterfahrung wurde er am …2016 erneut massiv straffällig und war im Tatzeitpunkt alkoholisiert. Es liegt demnach eine hohe Rückfallgeschwindigkeit vor. Die Suchtproblematik des Klägers, der auch bei seiner Rückkehr ins BKH (am …2019) intoxikiert war, besteht nach wie vor. Die Beklagte hat daher in rechtlich nicht zu beanstandender Weise das öffentliche Interesse an einer Beendigung des Aufenthalts des Klägers höher gewichtet, als dessen Interesse, weiterhin im Bundesgebiet zu leben.
2. Gegen die Rechtmäßigkeit der Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung (Nr. III und IV des Bescheids) bestehen keine durchgreifenden rechtlichen Bedenken (§ 7 Abs. 1 Satz 2 und 3 FreizügG/EU). Die Frist, das Bundesgebiet innerhalb von einem Monat nach Eintritt der Unanfechtbarkeit der Entscheidung zu verlassen, erscheint angemessen.
3. Ebenfalls keinen rechtlichen Bedenken begegnet die in Ziffer II des streitgegenständlichen Bescheids verfügte Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots auf die Dauer von acht Jahren ab Ausreise/Abschiebung. Rechtsgrundlage ist insoweit § 7 Abs. 2 FreizügG/EU. Dabei ist jeweils auf die aktuelle Tatsachenlage im Zeitpunkt der Überprüfungsentscheidung abzustellen (vgl. EuGH, U.v. 17.6.1997 – C-65/95, C-111/95 – Rn. 39 ff.). Die Frist ist unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles festzusetzen und darf fünf Jahre nur in den Fällen des § 6 Abs. 1 FreizügG/EU – wie hier – überschreiten (§ 7 Abs. 2 Satz 6 FreizügG/EU). Eine Höchstfrist für Verlustfeststellungen nach § 6 Abs. 1 FreizügG/EU ist nicht vorgesehen (vgl. BVerwG, U.v. 25.3.2015 – 1 C 18/14 – juris Rn. 23). Die Beklagte geht zutreffend davon aus, dass von dem Kläger auch künftig Straftaten zu erwarten sind und dass eine zeitnahe Befristung im Hinblick auf die von dem Kläger ausgehende Wiederholungsgefahr hinsichtlich neuer Straftaten den Verlustfeststellungszweck konterkarieren würde. In der mündlichen Verhandlung erklärte die Beklagte, dass die Befristung der Einreisesperre auf acht Jahre der gleichmäßigen Ermessenshandhabung der Beklagten entspreche. Die Kammer erachtet die Frist von acht Jahren im Hinblick auf die von dem Kläger ausgehenden Gefahren als angemessen, insbesondere verhältnismäßig.
Einer künftigen positiven Entwicklung des Klägers – etwa durch eine erfolgreiche Alkohol- und Drogentherapie – kann ggf. durch eine nachträgliche Verkürzung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 7 Abs. 2 Satz 8 FreizügG/EU Rechnung getragen werden (vgl. BVerwG, U.v. 25.3.2015 – 1 C 18.14 – DVBl 2015, 780 Rn. 22 ff.).
4. Die Klage war nach alledem mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.
Die vorläufige Vollstreckbarkeit im Kostenpunkt beruht auf § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 ZPO.


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