Verwaltungsrecht

Feststellung von Abschiebungsverbot – Wiederaufgreifen des Verfahrens

Aktenzeichen  RN 15 K 19.31639

Datum:
6.10.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 26822
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Regensburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7
VwVfG § 51 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 2, Nr. 3
AsylG § 31 Abs. 3

 

Leitsatz

Bei einem Folgeantrag nach § 71 AsylG ist auch bei der Entscheidung darüber, ob nationale Abschiebungshindernisse nach §§ 60 Abs. 5, Abs. 7 AufenthG vorliegen, in einem ersten Schritt zunächst zu prüfen, ob Wiederaufnahmegründe im Sinne von  § 51 Abs. 1 Nummer 1 bis 3 VwVfG vorliegen. Wegen § 51 Abs. 5 VwVfG iVm §§ 48, 49 VwVfG ist ein Klageanspruch mit der Verpflichtungsklage geltend zu machen. (Rn. 26 – 29)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die Klage führt in dem für die gerichtliche Entscheidung gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG maßgeblichen Zeitpunkt nicht zum Erfolg.
Der Klageantrag auf Verpflichtung zur Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG ist zulässig, jedoch unbegründet.
I) In Fällen, in denen das Bundesamt die Unzulässigkeitsentscheidung mit der Feststellung verbunden hat, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG nicht vorliegen, kann durch den Schutzsuchenden zusätzlich zu der gegen die Unzulässigkeitsentscheidung möglichen Anfechtungsklage (isoliert oder hilfsweise) eine Verpflichtungsklage in Bezug auf die Verpflichtung zur Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG erhoben werden (vgl. Bundesverwaltungsgerichts, Urteil v. 12.12.2016, Az. 1 C 4.16).
II) Stellt ein Ausländer nach Rücknahme oder unanfechtbarem Abschluss eines früheren Asylverfahrens erneut einen Asylantrag (Folgeantrag), so ist nach § 71 Abs. 1 AsylG ein weiteres Asylverfahren nur dann durchzuführen, wenn die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG vorliegen, d.h. wenn sich die dem Verwaltungsakt zugrundeliegende Sach- und Rechtslage nachträglich zugunsten des Betroffenen geändert hat (§ 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG), neue Beweismittel vorliegen, die eine dem Betroffenen günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würden (§ 51 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG) oder Wiederaufnahmegründe entsprechend § 580 ZPO gegeben sind (§ 51 Abs. 1 Nr. 3 VwVfG). Der Antrag ist gemäß § 51 Abs. 2 VwVfG nur zulässig, wenn der Betroffene ohne grobes Verschulden außer Stande war, den Grund für das Wiederaufgreifen in dem früheren Verfahren geltend zu machen. Nach § 51 Abs. 3 VwVfG muss der Antrag binnen drei Monaten gestellt werden, wobei die Frist mit dem Tag beginnt, an dem der Betroffene von dem Grund für das Wiederaufgreifen Kenntnis erhalten hat. § 71 AsylG geht von einer Zweistufigkeit der Prüfung von Asylfolgeanträgen aus (BVerfG, B. v. 3.3.2000 – 2 BvR 39/98 – juris Rn. 30 ff. = DVBl 2000, 1048). Bei der Beachtlichkeits- oder Relevanzprüfung geht es zunächst – im ersten Prüfungsschritt – darum, festzustellen, ob das Asylverfahren wieder aufgenommen werden muss, also die erforderlichen Voraussetzungen für die Durchbrechung der Bestandskraft des Erstbescheides erfüllt sind (BVerwG, U. v. 10.2.1998 – 9 C 28/97 – juris = BVerwGE 106, 171). Dafür genügt bereits ein schlüssiger Sachvortrag, der nicht von vorneherein nach jeglicher vertretbaren Betrachtung ungeeignet sein darf, zur Asylberechtigung zu verhelfen; es genügt mithin schon die Möglichkeit einer günstigeren Entscheidung aufgrund der geltend gemachten Wiederaufnahmegründe (BVerfG, B.v. 13.3.1993 – 2 BvR 1988/92 – juris Rn. 23 = InfAuslR 1993, 229). Die das persönliche Schicksal des Asylbewerbers bestimmenden Umstände müssen sich so verändert haben, dass eine für diesen günstigere Entscheidung möglich erscheint (Bergmann/Dienelt/Bergmann, 12. Aufl. 2018, AsylG § 71 Rn. Randnummer 24).
Soweit ein Ausländer isoliert begehrt, dass eine mit einer früheren ablehnenden Asylentscheidung verbundene Feststellung, dass Abschiebungshindernisse im Sinne von § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Aufenthaltsgesetzes nicht vorliegen, aufgehoben bzw. das Verfahren wieder aufgenommen wird (isolierter Folgeschutzantrag bezüglich nationaler Abschiebungshindernisse), ist nach der allgemeinen Gesetzessystematik ebenfalls zur Durchbrechung der Bestandskraft das Vorliegen der Voraussetzungen des § 51 VwVfG erforderlich.
Diese Prüfung der Voraussetzungen des § 51 VwVfG ist grundsätzlich auch bei einer beantragten Feststellung von Abschiebungsverboten i.S.d. § 60 Abs. 5 bzw. 7 AufenthG im Rahmen einer Folgeantragstellung erforderlich.
Lehnt das Bundesamt auf einen Folgeantrag nach § 71 AsylG hin die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens mit der Begründung ab, die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG lägen insoweit nicht vor, ist es gleichwohl für die Prüfung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG grundsätzlich zuständig. Nach § 31 Abs. 3 S. 1 AsylG hat das Bundesamt in Entscheidungen über unzulässige Asylanträge – nach § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG ist ein Folgeantrag unzulässig, wenn ein weiteres Asylverfahren nicht durchzuführen ist – festzustellen, ob die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG vorliegen.
Nach der bisher wohl vorherrschenden Meinung in Rechtsprechung und Literatur hat das Bundesamt seit Inkrafttreten des Integrationsgesetzes vom 31.07.2016 (BGBl. I S. 1939) am 06.08.2016 das Vorliegen von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG unabhängig davon zu prüfen, ob die Voraussetzungen für ein Wiederaufgreifen des Verfahrens nach § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG oder nach § 51 Abs. 5 i.V.m. §§ 48, 49 VwVfG gegeben sind (SächsOVG, Urt. v. 21.06.2017, 5 A 109/15.A, juris, Rn. 26; VG Würzburg, Urt. v. 02.04.2019, W 2 K 18.31876, juris, Rn. 20; VG Regensburg, Beschluss vom 07.08.2018, RO 14 E 18.31925, juris, Rn. 39 f.; VG Bayreuth, Beschluss vom 27.02.2018, B 4 S 18.30058, juris, Rn. 37; VG Magdeburg, Urt. v. 30.11.2017, 3 A 184/17, juris, Rn. 20; VG München, Urt. v. 14.03.2017, M 2 K 16.33065, juris, Rn. 16; VG Oldenburg, Beschluss vom 16.03.2017, 3 B 1322/17, juris, Rn. 11; Bergmann/Dienelt/Bergmann, 13. Aufl. 2020, AsylG § 31 Rn. 3; ebenso, wenn auch kritisch hierzu: BeckOK AuslR/Heusch, 24. Ed. 1.8.2019, AsylG § 31 Rn. 14, 21; Dickten, in: aaO., § 71, Rn. 28; offengelassen von VG Hannover, Urt. v. 26.10.2019, 6 A 1342/17, juris, Rn. 25; OVG Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 18.06.2019, 13 A 3930/18.A, juris, Rn. 22; VG Cottbus, Beschluss vom 21.03.2018, 3 L 122/18.A, juris, Rn. 25). Zur Begründung wird im Wesentlichen auf den eindeutigen Wortlaut des § 31 Abs. 3 S. 1 AsylG in der Fassung, die er durch Art. 6 Nr. 11c) des Integrationsgesetzes erhalten hat, verwiesen. Danach habe das Bundesamt in Entscheidungen über unzulässige Asylanträge festzustellen, ob die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG vorliegen.
Nach der Gegenansicht besteht ein Anspruch auf Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 AufenthG – entsprechend der Gesetzeslage vor Inkrafttreten des Integrationsgesetzes – nur dann, wenn insoweit die Voraussetzungen für ein Wiederaufgreifen des Verfahrens nach § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG vorliegen (VG Gießen, Urt. v. 15.05.2019, 2 K 3083/17.GI.A, juris, Rn. 30; VG Sigmaringen, Urt. v. 10.03.2017, A 3 K 3493/15, juris, Rn. 40; Diesterhöft, HTK-AuslR / § 71 AsylG / Abschiebungsverbote, Stand: 17.12.2019, Rn. 8 ff.; hierzu tendierend wohl auch VG Karlsruhe, Urt. v. 22.03.2019, A 2 K 7843/17, juris, Rn. 23 ff.)
Die Kammer schließt sich der letztgenannten Auffassung an.
Anderes ergibt sich insbesondere nicht aus § 31 Abs. 3 Satz 1 AsylG, indem dort vorgegeben wird, dass in Entscheidungen über unzulässige Asylanträge festzustellen ist, ob die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 oder 7 des Aufenthaltsgesetzes vorliegen. Die in Bezug genommene Gesetzesformulierung bestimmt nicht, unter welchen Voraussetzungen (d. h. nach welchem Prüfungsmaßstab) die Prüfung der nationalen Abschiebungsverbote des § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG zu erfolgen hat. War die Prüfung nationaler Abschiebungsverbote – wie hier – bereits Gegenstand des vorangegangenen nationalen Verfahrens und resultiert auch eine Abschiebungsandrohung oder -anordnung hieraus, kommt eine erneute Prüfung nur in Betracht, wenn Wiederaufgreifensgründe i. S. v. § 51 VwVfG vorliegen. Dies ergibt sich nach Auffassung der Kammer sowohl aus Sinn, Zweck und Systematik der Vorschrift, als auch aus der Begründung des Gesetzentwurfs zum Integrationsgesetz vom 6.8.2016 (BT-Drucks. 18/8615 S.15), wonach die Hinzufügung des unzulässigen Asylantrags in § 31 Abs. 3 AsylG nur als Folgeänderung der Neufassung des § 29 AsylG zu verstehen ist. Eine inhaltliche Änderung des Prüfungsmaßstabs war nach der Gesetzesbegründung ersichtlich nicht beabsichtigt.
Nach § 24 Abs. 2 AsylG (welcher durch das Integrationsgesetz nicht geändert wurde) obliegt dem Bundesamt nach Stellung eines Asylantrags auch die Entscheidung, ob ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 oder 7 Aufenthaltsgesetz vorliegt. Auch ein Asylfolgeantrag ist ein Asylantrag im Sinne von § 24 Abs. 2 Asylgesetz (vgl. Urteil des BVerwG vom 31. 3. 2000, 9 C 41/99, juris, Rn. 6). Hierzu hat das Bundesverwaltungsgericht (bereits vor Inkrafttreten des Integrationsgesetzes) entschieden, dass auch bei (unerheblichen) Asylfolgeanträgen nach § 24 Abs. 2 AsylG Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder 7 Aufenthaltsgesetz nur unter Berücksichtigung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 51 VwVfG zu prüfen sind (vergleiche BVerwG aaO). Indem der Gesetzgeber nunmehr diese Rechtslage im Gesetzeswortlaut des § 31 Abs. 3 Satz 1 Asylgesetz (n.F.) klarstellend und wiederholend (unter Verweis in der Gesetzesbegründung auf eine Folgeänderung) mit aufnimmt, ist ein Neugestaltungs- und Änderungswille für die Kammer hieraus nicht ersichtlich.
Eine anderweitige Auslegung wäre auch systemwidrig. Ein Antragsteller, der aufgrund des vermeintlichen Vorliegens nationaler Abschiebungsverbote den zutreffenden (isolierten) Wiederaufgreifensantrag stellt, wäre andernfalls schlechter gestellt als derjenige, der (zusätzlich) einen unzulässigen Folgeantrag erheben würde. Damit bestünde ein Anreiz, sinnlose und nicht gewollte Folgeanträge zu stellen, nur um in einen Maßstab der Vollüberprüfung der Tatbestandsmerkmale von § 60 Abs. 5 und 7 Aufenthaltsgesetz zu gelangen. Ferner würde eine immer wiederkehrende, umfassende erneute Prüfung auch das gesetzgeberische Ziel, eine faktische Aufenthaltsverfestigung durch das Stellen immer neuer Asylanträge zu verhindern, konterkarieren (so auch Urteil des VG Hamburg, vom 16. 3. 2020,17 AE 1084/20 juris, Rn. 33).
Nachdem über § 51 Absatz 5 VwVfG in Verbindung mit § § 48, 49 VwVfG ein mit einer Verpflichtungsklage geltend zu machender Anspruch auf ermessensfehlerfreie Überprüfung einer Rücknahme bzw. eines Widerrufes der alten Entscheidung unabhängig davon, ob die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 VwVfG vorliegen oder nicht, besteht, sieht die Kammer insoweit auch keinen Widerspruch zur Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts im Urteil vom 04.12.2016 (Az. 1C4/16), wonach wegen der zu erfolgenden Sachprüfung der Anspruch auf nationale Abschiebungshindernisse im Folgeverfahren als Verpflichtungsklage (hilfsweise) geltend zu machen ist.
Schließlich ist hierüber auch der Anspruch auf effektiven Rechtsschutz gewahrt und es wird verhindert, dass aus rein „formalen Gründen“ tatsächlich bestehende nationale Abschiebungshindernisse nicht mehr berücksichtigt werden könnten, und durch aufenthaltsbeende Maßnahmen schwerwiegende und irreversible Rechtsverletzungen eines Betroffenen gleichsam „sehenden Auges“ in Kauf genommen würden.
Vorliegend sind die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 Nummer 1 bis 3 VwVfG nicht gegeben:
Die von der Klägerin vorgetragene psychische Erkrankung wurde bereits im Erstverfahren vorgebracht, insoweit handelt es sich nicht um einen neuen Sachverhalt. Selbst wenn in der Vorlage des Betreuerausweises vom 10.09.2018 bzw. des Entlassungsberichtes der … vom 02.10.2018 ein neuer Sachverhalt bzw. ein neues (für den Sachvortrag rechtlich relevantes) Beweismittel im Sinne von § 51 Abs. 1 Nummer 1 und Nummer 2 VwVfG (etwa wegen wesentlicher Verschlechterung des gesundheitlichen Zustandes und damit einer neuen rechtlichen Qualität) gesehen werden sollte, wurden diese neuen Tatsachen bzw. neuen Beweismittel nicht innerhalb der gesetzlichen Frist von 3 Monaten nach § 51 Abs. 3 Satz 1 VwVfG vorgebracht. Aus den weiter vorgelegten ärztlichen Bestätigungen ist lediglich eine Wiederholung der gestellten Diagnosen mit neuem Datum entnehmbar, insoweit kein neuer, relevanter Sachverhalt. Auch wurde weder vorgetragen noch wird aus den Akten ersichtlich, weshalb der Vortrag nicht schon im Erstverfahren substantiierter hätte sein können. Diesbezüglich wird ergänzend auf die Begründungen im angegriffenen Bescheid nach § 77 Abs. 2 Asylgesetz ergänzend verwiesen.
Der Klägerin steht auch kein Anspruch nach §§ 51 Abs. 5 iVm 48, 49 VwVfG in Gestalt eines krankheitsbedingten Abschiebungsverbotes im Sinne von § 60 Abs. 7 Sätze 1 und 2 AufenthG in Form einer Ermessensreduzierung auf Null zur Seite. Die Beklagte hat insoweit ein Abschiebungshindernis zu Recht verneint.
Gemäß § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG liegt eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden (§ 60 Absatz 7 Satz 2 AufenthG). Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist (§ 60 Absatz 7 Satz 3 AufenthG). Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist (§ 60 Absatz 7 Satz 4 AufenthG). Dabei erfasst diese Regelung nur solche Gefahren‚ die in den spezifischen Verhältnissen im Zielstaat begründet sind‚ während Gefahren‚ die sich aus der Abschiebung als solche ergeben‚ nur von der Ausländerbehörde als inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis berücksichtigt werden können (st. Rspr. zu § 53 Absatz 6 Satz 1 AuslG; vgl. BVerwG‚ U.v. 29.10.2002 – 1 C 1.02 – DVBl 2003, 463; U.v. 25.11.1997 – 9 C 58.96 – BVerwGE 105‚ 383 m.w.N.). Eine „erhebliche konkrete Gefahr“ im Falle einer zielstaatsbezogenen Verschlimmerung einer lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankung ist daher gegeben, wenn sich der Gesundheitszustand alsbald nach der Rückkehr in den Heimatstaat wegen der dortigen Behandlungsmöglichkeiten wesentlich oder gar lebensbedrohlich verschlechtern würde (vgl. BVerwG, U.v. 22.3.2012 – 1 C 3.11 – BVerwGE 142, 179; B.v. 17.8.2011 – 10 B 13.11 – juris; BayVGH, U.v. 17.3.2016 – 13a B 16.30007 – juris). Gründe hierfür können nicht nur fehlende Behandlungsmöglichkeiten im Zielstaat sein, sondern etwa auch die tatsächliche Nichterlangbarkeit einer an sich vorhandenen medizinischen Behandlungsmöglichkeit aus finanziellen oder sonstigen persönlichen Gründen (vgl. BVerwG, U.v. 17.10.2006 – 1 C 18/05 – juris Rn. 20).
Um ein entsprechendes Abschiebungsverbot feststellen zu können, ist eine hinreichend konkrete Darlegung der gesundheitlichen Situation erforderlich, die in der Regel durch ein ärztliches Attest zu untermauern ist. Zwar ist der Verwaltungsprozess grundsätzlich durch den in § 86 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 VwGO statuierten Amtsermittlungsgrundsatz geprägt. Aus § 86 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 VwGO und § 74 Abs. 2 AsylG ergibt sich jedoch die Pflicht der Beteiligten, an der Erforschung des Sachverhalts mitzuwirken, was in besonderem Maße für Umstände gilt, die – wie eine Erkrankung – in die eigene Sphäre des Beteiligten fallen. Insoweit ist von einem Ausländer, der sich zur Begründung eines Abschiebungsverbotes auf eine Erkrankung beruft, ein substantiierter, durch ein (fach-)ärztliches Attest belegter Vortrag zu erwarten.
Aus den von der Klägerin vorgelegten Attesten ergibt sich bereits nicht, dass für die Klägerin in Aserbaidschan eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen besteht. Die vorgelegten Atteste sind zum einen nicht aktuell (das letzte stammt vom 18.11.2019), und entsprechen zum anderen nicht den Anforderungen, die ein ärztliches Attest oder Gutachten erfüllen muss, um die Voraussetzungen für ein durch eine Krankheit bedingtes Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG substantiiert darzutun oder zu einer weiteren Sachaufklärung zu veranlassen. Der sich auf eine seiner Abschiebung entgegenstehende Erkrankung berufende Ausländer muss diese durch eine qualifizierte, gewissen Mindestanforderungen genügende ärztliche Bescheinigung glaubhaft machen (BayVGH, B.v. 27.11.2017 – 9 ZB 17.31302 – juris, Rn. 4). Es entspricht inzwischen gefestigter Rechtsprechung (vgl. BayVGH, B.v. 9.11.2017 – 21 ZB 17.30468 – juris, Rn. 4; B.v. 10.1.2018 – 10 ZB 16.30735 – juris, Rn. 8; OVG NRW, B.v. 9.10.2017 -13 A 1807/17A – juris Rn. 19 ff.; OVG LSA, B.v. 28.9.2017 – 2 L 85/17 – juris, Rn. 2 ff.), dass die Anforderungen an ein ärztliches Attest, wie sie mittlerweile gemäß § 60a Abs. 2c AufenthG gesetzlich konkretisiert wurden (eingefügt durch Gesetz zur Einführung beschleunigter Asylverfahren vom 11. März 2016, BGBl I 2016, BGBl Jahr 2016 I S. 390), auf die Substantiierung der Voraussetzungen eines krankheitsbedingten Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 7 AufenthG zu übertragen sind (vgl. BayVGH, B.v. 24.1.2018 – 10 ZB 18.30105 – juris, Rn. 7). Aus diesem muss sich nachvollziehbar ergeben, auf welcher Grundlage der Facharzt seine Diagnose gestellt hat und wie sich die Krankheit im konkreten Fall darstellt. Dazu gehören etwa Angaben darüber, seit wann und wie häufig sich der Patient in ärztlicher Behandlung befunden hat und ob die von ihm geschilderten Beschwerden durch die erhobenen Befunde bestätigt werden. Des Weiteren sollte das Attest Aufschluss über die Schwere der Krankheit, deren Behandlungsbedürftigkeit sowie den bisherigen Behandlungsverlauf (Medikation und Therapie) geben. Wird das Vorliegen der Krankheit auf traumatisierende Erlebnisse gestützt und werden die Symptome erst längere Zeit nach der Ausreise aus dem Heimatland vorgetragen, so ist auch eine Begründung dafür erforderlich, warum die Erkrankung nicht früher geltend gemacht worden ist (vgl. BVerwG, U.v. 11.9.2007 – 10 C 8/07 – juris). Derartige Ausführungen, insbesondere zur geltend gemachten posttraumatischen Belastungsstörung, fehlen bei den vorgelegten Entlassungsberichten gänzlich. Ferner wird auch dargestellt, dass die Klägerin die vorgeschlagene Medikation nicht einhielt bzw. einhält. Zudem wäre die Medikation (Paroxetin) auch in Aserbaidschan möglich. Insoweit wird u.a. auf die Auskunft des Medical Advicers Office BMA vom 09.07.2014 an die Niederlande verwiesen (request number AZ 3773 2014 EUR). Auch die diagnostizierte Depression bzw. PTBS ist in Aserbaidschan grundsätzlich behandelbar (vgl. insoweit auch Ausführungen des Verwaltungsgerichtes Regensburg im Erstverfahren im Gerichtsbescheid vom 01.02.2017, RN 9 K 16.33163 mwN sowie Nichtzulassungsbeschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofes vom 6. März 2017, 2 ZB 17.30264).
Hinsichtlich des individuellen Zugangs muss sich die Klägerin zunächst auf ihre eigene Arbeitskraft verweisen lassen. Zudem ist sie gehalten, erforderlichenfalls ergänzende staatliche Leistungen in Anspruch zu nehmen. Die Ausführungen der Klägerin in der mündlichen Verhandlung, in ihrer Familie dürfe man als Frau nicht arbeiten, überzeugen insoweit nicht.
III.) Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG), so dass die Festsetzung eines Streitwerts nicht veranlasst ist.
IV.) Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils beruht auf §§ 167 Abs. 2 i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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