Verwaltungsrecht

Feststellungsinteresse, Allgemeines Rechtsschutzbedürfnis, Widmung, Vollstreckung der Widmung

Aktenzeichen  M 2 K 19.2378

Datum:
25.1.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 8986
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 43
BayStrWG Art. 6

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagten vorher Sicherheit in gleicher Höhe leisten.   

Gründe

Die Klage ist unzulässig.
Ihr fehlt es am Feststellungsinteresse, § 43 Abs. 1 VwGO, bzw. am allgemeinen Rechtsschutzbedürfnis. Gemäß § 43 Abs. 1 VwGO erfordert die Zulässigkeit der Feststellungsklage ein berechtigtes Interesse des Klägers an der baldigen Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses. Es handelt sich um eine spezielle Ausformung des allgemeinen Rechtsschutzbedürfnisses (BVerwG, U.v. 6.11.1991 – 8 C 10/90 – juris; U.v. 5.12.2000 – 11 C 6/00 – juris Rn. 18; Sodan, in Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 43 Rn. 73). Seine Funktion besteht wie die des allgemeinen Rechtsschutzbedürfnisses grundsätzlich darin, die Gerichte vor überflüssigen, nutzlosen und mutwilligen Prozessen zu bewahren (vgl. Sodan, in Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 43 Rn 73 und § 42 Rn 335 m.w.N.).
In der hier vorliegenden Konstellation der Feststellungsklage einer Gemeinde als Hoheitsträgerin gegen Bürger erhält diese Funktion besondere Bedeutung, wenn der Hoheitsträger hinsichtlich des streitigen Rechtsverhältnisses auch einen Verwaltungsakt erlassen darf, den der Bürger dann anfechten müsste, wenn er nicht mit der hoheitlichen Regelung einverstanden ist. Zum genannten Zweck des Feststellungsinteresses der Vermeidung unnötiger Inanspruchnahme der Gerichte kommt hier hinzu, dass es dem Wesen des Verwaltungsrechtsverhältnisses zwischen Hoheitsträger und Bürger widersprechen würde, dass der Staat gerichtlich feststellen lässt, ob ein Rechtsverhältnis besteht oder nicht (vgl. Sodan, in Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 43 Rn. 111 m.w.N.). Da dem Bürger auf diese Weise das Verwaltungsverfahren genommen würde, können ihm Rechte, wie insbesondere die Anhörung gemäß Art. 28 Abs. 1 BayVwVfG, abgeschnitten werden und er wird in die Teilnahme an einem Gerichtsverfahren gedrängt. Ob und wann dennoch im Einzelfall ein Feststellungsinteresse zu bejahen sein könnte, insbesondere in dem Fall, dass angesichts der Streitlage ohnehin mit einer gerichtlichen Auseinandersetzung zu rechnen ist (vgl. BVerwG, U.v. 25.10.1967 – IV C 19.67 – juris Rn. 9 ff.; U.v. 5.3.1968 – I C 35.65 – juris Rn. 28; U.v. 2.12.2015 – 10 C 18/14 – juris Rn. 15), ist daher umstritten und in Rechtsprechung und Literatur nicht vollständig geklärt (vgl. Pietzcker, in Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, Stand: Juli 2021, § 43 VwGO Rn. 37; Kopp/Schenke, VwGO, 27. Aufl. 2021, § 43 Rn. 24; Sodan, in Sodan/Ziekow, WvGO, 5. Aufl. 2018, § 43 Rn 111; jew. m.w.N.).
Hier ist das Feststellungsinteresse zu verneinen und die Klägerin auf die Möglichkeit, ein Verwaltungsvollstreckungsverfahren durchzuführen, zu verweisen. Besondere Gründe des Einzelfalls, die dazu führen könnten, dass das Feststellungsinteresse wegen einer hohen Wahrscheinlichkeit, dass ohnehin mit einer gerichtlichen Auseinandersetzung zu rechnen ist, besteht, liegen nicht vor.
Der Klägerin steht hier die Möglichkeit offen, ihr Ziel im Rahmen des Vollstreckungsrechts zu verfolgen.
Eine Rechtsgrundlage hierfür liefert jedoch nicht Art. 18b BayStrWG. Diese Vorschrift regelt zwar auch eine Fallgestaltung, in der Rechte, die dem Gemeingebrauch einer gewidmeten Straße zuwiderlaufen, eingeschränkt werden, und ähnelt damit der hiesigen Konstellation. Sie betrifft aber den Sonderfall der unerlaubten Sondernutzung. Die Beklagten nutzen den streitgegenständlichen Weg hier nicht im tatbestandlichen Sinne des Art. 18b BayStrWG, sondern sie wenden sich gegen die Herstellung bzw. Wiederherstellung des Wegs.
Ein Bescheid kann auch nicht auf Art. 13 Abs. 1 BayStrWG, ggf. i.V.m. Art. 7 LStVG gestützt werden. Art. 13 Abs. 1 BayStrWG enthält keine Ermächtigungsgrundlage, sondern weist dem Straßenbaulastträger positivrechtlich die Ausübung der Rechte und Pflichten des Eigentümers zu in dem Umfang, wie es die Aufrechterhaltung des Gemeingebrauchs erfordert. Eine für die Erfüllung von Art. 7 LStVG erforderliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ist nicht ersichtlich.
Die Klägerin kann jedoch im Rahmen der Zwangsvollstreckung bezüglich der Widmung des streitgegenständlichen Wegs vorgehen.
Sie geht davon aus, dass der Weg im Bestandsverzeichnis eingetragen ist und eine Widmungsfiktion gemäß Art. 67 Abs. 4 BayStrWG eingetreten ist. Dies ist – unabhängig von der Frage, wo genau der Weg verlaufen ist, ob die Eintragung ausreichend bestimmt ist, und die Widmung möglicherweise durch Untergang des Wegs im Bachbett erloschen ist – von Beklagtenseite nicht angegriffen worden. Die Widmung ist gemäß Art. 6 BayStrWG ein rechtsgestaltender Verwaltungsakt in Form einer Allgemeinverfügung (vgl. BayVGH, U.v. 19.7.1988 – 8 B 87.00028, 8 B 87.00111 – juris; Edhofer, in PdK Bay L-12 BayStrWG, 9. Fssg. 2020, Art. 6, Erl. 2; Häußler, in Zeitler, BayStrWG, Stand: März 2020, Art. 6 Rn. 3). Sie beinhaltet die Festlegung, dass eine Grundstücksfläche die Eigenschaft einer öffentlichen Straße erhält, und die Einstufung in eine bestimmte Straßenklasse. Gleichzeitig richtet sie sich aber auch an den Grundstückseigentümer, dem sie das Eigentum zwar nicht entzieht, dessen Rechte sie aber öffentlich-rechtlichen Schranken unterwirft, sodass er alle Einschränkungen seiner Rechte dulden muss, die sich aus dem Gemeingebrauch ergeben (Edhofer, in PdK Bay L-12 BayStrWG, 9. Fssg. 2020, Art. 6, Erl. 7).
Die Widmung kann nach dem Verwaltungsvollstreckungsrecht vollstreckt werden. Allgemeinverfügungen, die auf eine Handlung, Duldung oder Unterlassung gerichtet sind, sind unmittelbar vollstreckbar. Eine namentliche Bezeichnung des Pflichtigen ist nicht erforderlich. Die Individualisierung und Klarstellung kann in der Zwangsmittelandrohung erfolgen (Stelkens, in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 9. Aufl. 2018, § 35 Rn. 276 m.w.N.; vgl. Schwarz, in Fehling/Kastner/Störmer, Verwaltungsrecht, 5. Aufl. 2021, § 35 VwVfG Rn. 114). Es wird diskutiert, ob ein Hoheitsträger bei der Vollstreckung von Allgemeinverfügungen mit normersetzendem Charakter nicht unmittelbar aus der Allgemeinverfügung vollstrecken kann, sondern zunächst eine Festsetzung der konkreten Pflicht gegenüber dem konkret Betroffenen durch eine Einzelverfügung erlassen muss. Hierfür sprechen der Ausschluss des Suspensiveffekts für Maßnahmen der Verwaltungsvollstreckung und das Verhältnismäßigkeitsprinzip. Es bleibt jedoch unklar, ob die Allgemeinverfügung dann selbst als Ermächtigungsgrundlage für den Konkretisierungsverwaltungsakt dienen kann (vgl. zum Ganzen Stelkens, in Stelkens/Bonk/Sachs, § 35 VwVfG, 9. Aufl. 2018 Rn. 276a m.w.N.). Die Fragen, ob die Widmung als normersetzende Allgemeinverfügung anzusehen ist, ob die Verhältnismäßigkeit eine Konkretisierung der Pflicht und des Pflichtigen gebietet und ob die Widmung als Grundlage für einen konkretisierenden Verwaltungsakt dienen kann, bedürfen hier im Rahmen der Prüfung des Feststellungsinteresses aber keiner abschließenden Klärung. Hier genügt das Ergebnis, dass der Klägerin die Möglichkeit, im Rahmen der Vollstreckung vorzugehen, offensteht. Ob die erforderliche Konkretisierung per Bescheid als konkretisierende Anordnung oder im Rahmen einer Zwangsgeldandrohung erfolgt, kann an dieser Stelle dahinstehen. Jedenfalls ist ein Bescheiderlass zur vollstreckungsrechtlichen Durchsetzung der Widmung möglich.
Das Feststellungsinteresse ist hier auch nicht etwa aufgrund von Besonderheiten des Einzelfalls zu bejahen, insbesondere weil ohnehin mit einer gerichtlichen Auseinandersetzung zu rechnen ist, s.o. Zwar ist hier aufgrund der unklaren Beweislage zur Frage, wo der Weg tatsächlich verlief/verläuft, aus jetziger Sicht durchaus mit einer gerichtlichen Auseinandersetzung zu rechnen. Dies setzt in der hiesigen speziellen Konstellation jedoch nicht die Funktion des Feststellungsinteresses der Vermeidung unnötiger Gerichtsverfahren außer Kraft, sondern diese Funktion tritt hier gerade insofern in den Vordergrund, als vorliegend die vollständige Ermittlung des Sachverhalts vorschnell auf das Gericht verlagert würde. Die Klägerin hat keine weiteren Anstrengungen zur Aufklärung der Tatsachen unternommen. Sie hat lediglich eine Reihe pauschaler, überwiegend gleichlautender Bürgereingaben sowie schriftliche Angaben von Zeugen, deren Glaubwürdigkeit nicht von vornherein feststeht und deren Angaben kein konkret bestimmter Verlauf des Wegs entnommen werden kann, gesammelt sowie eine Aussage des Wasserwirtschaftsamts eingeholt, die wenig aussagekräftig ist und überdies in Widerspruch zur Aussage von 2017 steht. Brauchbare Ergebnisse der Ortseinsicht des Bauausschusses der Klägerin sind nicht ersichtlich. Sie hat außerdem das Wasserwirtschaftsamt beispielsweise nicht um eine ausführliche Stellungnahme zur Historie des Verlaufs der Böschungsoberkante und zur Auflösung des Widerspruchs zur früheren Aussage gebeten. Sie hat auch keinen Ortstermin mit den Beklagten durchgeführt oder andere Erkenntnisquellen, z.B. das Landratsamt, bemüht. Bei Bejahung des Feststellungsinteresses verbliebe die vollständige Aufklärungsarbeit beim Gericht. Somit entsteht eine unnötige Belastung des Gerichts, die diejenige übersteigt, die dadurch entsteht, dass das Gericht sowohl mit der vorliegenden Klage befasst wurde als auch möglicherweise mit einer weiteren Klage gegen einen noch zu erlassenden konkretisierenden Bescheid angerufen werden wird. Einer solchen künftigen Klage ist dann idealerweise ein Verwaltungs(-vollstreckungs-) verfahren vorangegangen, in dem Ermittlungen angestellt und bewertet wurden, die dann vom Gericht überprüft werden. Dies entspricht dem Zweck und Wesen des Verwaltungsverfahrens-, -vollstreckungs- und -prozessrechts.
Nach alledem war die Klage abzuweisen.
Die Kostenfolge ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 Abs. 1, 2 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.


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