Verwaltungsrecht

Fiktive Laufbahnnachzeichnung für freigestelltes Personalratsmitglied

Aktenzeichen  3 ZB 17.2542

Datum:
7.5.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 13972
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
LlbG Art. 17a
VwGO § 124, § 124a Abs. 4 S. 4

 

Leitsatz

1. Der Dienstherr hat einen Einschätzungsspielraum hinsichtlich der Wahl der Berechnungsmethode (arithmetisches Mittel oder Median bzw. Zentralwert) und des Verfahrens zur Herstellung der Prognose über die voraussichtliche berufliche Entwicklung des Beamten ohne Freistellung (vgl. ua BayVGH BeckRS 2018, 17226 Rn. 9) und kann daher der (fiktiven) Beurteilung einen arithmetischen Mittelwert zugrunde legen (vgl. BayVGH BeckRS 2017, 111612 Rn. 28). (Rn. 13 (redaktioneller Leitsatz)
2. Der Dienstherr ist nicht gehalten, bei der Zusammenstellung der Vergleichsgruppe nur Beamtinnen und Beamte zu berücksichtigen, die eine vergleichbare berufliche Entwicklung hatten und in der letzten Beurteilung identisch doppelt gewichtete Einzelmerkmale aufweisen. Bei der Ausübung des Ermessens darf er zudem in typisierender Weise vorgehen und den Verwaltungsaufwand zur Ermittlung einer fiktiven Laufbahnentwicklung in praktikablen Grenzen halten (vgl. BayVGH BeckRS 2018, 17226 Rn. 9; BVerwG BeckRS 1997, 30936189). (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
3. Im Berufunszulassungsverfahren bleiben Änderungen der Sach- und Rechtslage nach Ablauf der Darlegungsfrist des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO unberücksichtigt (vgl. nur BayVGH BeckRS 2015, 54531 Rn. 16 m.w.N.). (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Antragsverfahrens.
III. Der Streitwert für das Antragsverfahren wird auf 5.000 € festgesetzt.

Gründe

1. In der Sache geht es um die unter dem 9. November 2015 erstellte fiktive Laufbahnnachzeichnung, mit der für die Klägerin, eine vom Dienst freigestellte Personalrätin (BesGr A 12), zum Stichtag 1. Mai 2015 folgende (fiktive) Beurteilung festgesetzt wurde:
„Gesamturteil 13 Punkte.
Die doppelt gewichteten Einzelmerkmale werden folgendermaßen festgesetzt:
3 x 13 Punkte 2 x 12 Punkte
Mit 12 Punkten werden dabei jeweils die Einzelmerkmale ‚Eigeninitiative, Selbständigkeit‘ und ‚Teamverhalten‘ bewertet.
Die weiteren Einzelmerkmale werden fiktiv durchgehend mit 13 Punkten bewertet.“
Der Beurteilung lag das Schreiben des Bayerischen Staatsministeriums des Innern, für Bau und Verkehr (IMS) vom 20. September 2015 (IC3-0384-26) zum Verfahren zur fiktiven Laufbahnnachzeichnung gemäß Art. 17a LlbG im Bereich der Bayerischen Polizei und des Bayerischen Landesamts für Verfassungsschutz zugrunde, nach dem (hier) eine Vergleichsgruppe mit 409 Beamtinnen und Beamten der Besoldungsgruppe A 12 gebildet und eine Durchschnittsbeurteilung (arithmetischer Mittelwert) von 12,61 errechnet worden ist, wobei für das Gesamturteil der errechnete Wert kaufmännisch auf eine ganze Zahl gerundet wurde.
Der Widerspruch der Klägerin wurde mit Widerspruchsbescheid vom 27. Februar 2017 zurückgewiesen. Das Verwaltungsgericht wies die Klage mit Urteil vom 26. September 2017 ab. Hiergegen wendet sich die Klägerin mit Ihrem Antrag auf Zulassung der Berufung.
Das vorgenannte IMS verlor am 1. Oktober 2018 seine Gültigkeit und wurde durch das IMS vom 1. Oktober 2018 (IC3-0384-26) ersetzt. Der Beklagte teilte unter dem 15. April 2019 mit, dass sich hinsichtlich der streitgegenständlichen Beurteilung der Klägerin auch in Anwendung des neuen IMS zum Verfahren der fiktiven Nachzeichnung vom 1. Oktober 2018 keine Änderung (d.h. weder Verbesserung noch Verschlechterung) ergebe.
2. Der auf die Zulassungsgründe des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO (ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils), des § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO (besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten der Rechtsache) sowie des § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO (grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache) gestützte Antrag bleibt ohne Erfolg.
2.1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils des Verwaltungsgerichts i.S.v. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO bestehen auf der Grundlage des Zulassungsvorbringens nicht. Solche sind nur zu bejahen, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird und die Zweifel an der Richtigkeit dieser Begründungselemente auf das Ergebnis durchschlagen. Dies ist vorliegend nicht der Fall.
2.1.1. Die Klägerin rügt, das Verwaltungsgericht habe „unerfüllbare Anforderungen an die Darlegungslast“ gestellt. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils legt die Klägerin damit nicht dar. Die angefochtene Entscheidung verhält sich nicht zur Darlegungslast einer der beiden Parteien.
2.1.2. Die Klägerin führt aus, das Verwaltungsgericht habe verkannt, dass bei der Nachzeichnung nach Art. 17a LlbG der Zweck der Bestimmung – die Erstellung einer aussagekräftigen Prognose über die voraussichtliche berufliche Entwicklung des Beamten ohne Freistellung – eine Berechnung nach dem sog. Zentralwert bzw. Median (= Heranziehung des Gesamturteils des sich in der Mitte der Vergleichsgruppe befindlichen Beamten) vorgenommen werden müsse. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils ergeben sich hieraus nicht. Der Dienstherr hat einen Einschätzungsspielraum hinsichtlich der Wahl der Methode und des Verfahrens zur Herstellung der Prognose (BayVGH, B.v. 18.7.2018 – 3 CE 18.491 – juris; OVG Saarl, U.v. 5.6.2018 – 1 A 727/16 – juris Rn. 51; OVG NW, B.v. 7.3.2017 – 1 B 1355/16 – juris Rn. 19; BVerwG, B.v. 23.12.2015 – 2 B 40.14 – juris Rn. 27) und kann daher der (fiktiven) Beurteilung einen arithmetischen Mittelwert zugrunde legen (vgl. BayVGH, B.v. 24.5.2017 – 3 CE 17.465 – juris Rn. 28).
2.1.3 Nach Ansicht der Klägerin bestehen ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils, weil das Verwaltungsgericht die innere Ausschöpfung der letzten Regelbeurteilung als nicht erforderlich ansehe, obwohl es sich hierbei um den Prüfungsschritt bei Auswahlverfahren handele, in dem regelmäßig der leistungsstärkste Bewerber festgestellt werde. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils ergeben sich auch hieraus nicht. Der Senat vermag nicht zu erkennen, auf welche Passage des Urteils bzw. des in Bezug genommenen Widerspruchsbescheids vom 27. Februar 2017 sich die Rüge beziehen soll, zudem fehlt es an (schlüssigen) Gegenargumenten.
2.2. Aus den gleichen Gründen, mit denen das Vorliegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils zu verneinen ist, folgt auch, dass der Rechtssache nicht die – im Hinblick auf die zu wählende Berechnungsmethode (arithmetisches Mittel oder Median bzw. Zentralwert) – besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten zukommen, die die Klägerin ihr zumisst.
2.3. Die Berufung ist auch nicht wegen einer grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache nach § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zuzulassen.
Grundsätzliche Bedeutung kommt einer Rechtssache zu, wenn eine konkrete Rechts- oder Tatsachenfrage für die Entscheidung des Rechtsstreits erheblich, bislang höchstrichterlich oder obergerichtlich nicht geklärt und über den zu entscheidenden Einzelfall hinaus bedeutsam ist; die Frage muss ferner im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Fortentwicklung des Rechts einer berufungsgerichtlichen Klärung zugänglich sein und dieser Klärung auch bedürfen.
Die Klägerin wirft die folgenden Rechtsfragen auf:
– „Ist der Dienstherr bei der Bildung einer Vergleichsgruppe für ein fiktive Laufbahnnachzeichnung verpflichtet, die Vergleichsgruppe so zu bilden, dass diese aus Beamtinnen und Beamten besteht, die mit dem Beamten, dessen fiktive Laufbahnentwicklung nachgezeichnet wird, hinsichtlich der bisherigen beruflichen Entwicklung vergleichbar ist?“
– „Ist der Dienstherr im Rahmen der Vergleichsgruppenbildung berechtigt, lediglich das Gesamturteil der Regelbeurteilung heranzuziehen und hierdurch diejenigen Unterschiede, die durch die doppelt gewichteten Einzelmerkmale wiedergegeben werden, auszublenden“
Diese Fragen lassen sich ohne weiteres bereits im Zulassungsverfahren beantworten. Der Dienstherr hat einen Einschätzungsspielraum hinsichtlich der Wahl der Methode und des Verfahrens zur Herstellung der Prognose (s. 2.1.2.). Er ist damit nicht gehalten, bei der Zusammenstellung der Vergleichsgruppe nur Beamtinnen und Beamten zu berücksichtigen, die eine vergleichbare berufliche Entwicklung hatten und in der letzten Beurteilung identisch doppelt gewichtete Einzelmerkmale aufweisen. Bei der Ausübung des Ermessens darf der Dienstherr zudem in typisierender Weise vorgehen und den Verwaltungsaufwand zur Ermittlung einer fiktiven Laufbahnentwicklung in praktikablen Grenzen halten (BVerwG, U.v. 10.4.1997 – 2 C 38.95 – juris Rn. 28). Auch aus diesem Grund können bei der Vergleichsgruppenbildung einzelne Aspekte bzw. weitere Differenzierungsmerkmale unberücksichtigt bleiben. In der vorliegenden Streitigkeit hat der Dienstherr beispielsweise aus diesem Grund die doppelt gewichteten Einzelmerkmale mangels praktischer Umsetzbarkeit nicht zusätzlich berücksichtigt (vgl. Widerspruchsbescheid vom 27.2.2017. Bl. 9).
3. Der Beklagte hat die streitgegenständliche Beurteilung unter Berücksichtigung der seit 1. Oktober 2018 geltenden Rechtslage überprüft, wobei sich auch in Anwendung des fortgeschriebenen Verfahrens für den Stichtag 31. Mai 2015 eine fiktive Beurteilung mit dem Gesamturteil 13 Punkte ergeben hat (vgl. Schr. des Beklagten vom 18. April 2019). Da Änderungen der Sach- und Rechtslage nach Ablauf der Darlegungsfrist des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO (hier: 24.1.2018) unberücksichtigt bleiben (vgl. nur BayVGH, B.v. 22.10.2015 – 22 ZB 15.1584 – juris Rn. 16 m.w.N.; kritisch Happ in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 124 Rn. 22), kommt es nicht darauf an, ob die streitgegenständliche Beurteilung auch bei Anwendung des fortgeschriebenen Verfahrens unverändert bleibt. Dem Antrag der Klägerin auf Aktenvorlage (hinsichtlich der Neuberechnung) und anschließender Akteneinsicht war daher nicht nachzukommen.
4. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 und 3 GKG und § 52 GKG (wie Vorinstanz).
Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


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