Verwaltungsrecht

Flüchtlingseigenschaft (bejaht) aufgrund Konversion zum Christentum – Iran

Aktenzeichen  AN 19 K 20.30139

Datum:
1.10.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 28325
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG  § 3
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1

 

Leitsatz

Für die Frage einer Verfolgungsgefahr im Iran wegen Konversion kommt es maßgeblich darauf an, ob im Fall einer Rückkehr einer konvertierten Person in den Iran davon auszugehen ist, dass diese ihren neu aufgenommenen Glauben – und die damit verbundene Abkehr vom Islam – aktiv im Iran ausübt. (Rn. 30) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 6. Februar 2020 (Az: …*) wird in Ziffern 1) und 3) bis 6) aufgehoben.
2. Das Bundesamt wird verpflichtet, der Klägerin die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.
3. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens. Insoweit ist das Urteil vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der festgesetzten Kosten abwenden, wenn nicht die Klägerin Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Die Klage ist vollumfänglich zulässig und begründet. Der Bescheid des Bundesamtes vom 6. Februar 2020 ist im angefochtenen Umfang rechtswidrig, da die Klägerin einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 AsylG hat, § 113 Abs. 5 VwGO. Der in der Folge auch in den Ziffern 3 bis 6 zu Unrecht ergangene Bescheid war dementsprechend aufzuheben. Der in Ziffer 2 enthaltene Ausspruch zur Asylberechtigung gemäß Art. 16a GG ist nicht Gegenstand der Klage.
1. Der Klägerin steht in dem hier gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1, 1. Hs. AsylG maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung ein Anspruch dahingehend zu, ihr unter Aufhebung des angefochtenen Bescheids in den Ziffern 1 und 3 bis 6 die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO.
Denn die Klägerin ist Flüchtling im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG, ohne dass Anhaltspunkte für das Vorliegen der Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 und 3 AsylG bzw. des § 60 Abs. 8 AufenthG bestehen.
Über das Vorliegen der Zuerkennungsvoraussetzungen hat das Gericht selbst zu befinden. Eine Aufhebung des angefochtenen Bescheids und Zurückverweisung des Verfahrens zur erneuten Entscheidung durch das Bundesamt – etwa unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Gerichts – kommt nicht in Betracht, da es sich bei der Flüchtlingsanerkennung nicht um eine Ermessensentscheidung handelt. Vielmehr hat das erkennende Gericht die Spruchreife herzustellen und über den etwaigen Anspruch der Klägerin zu entscheiden, § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO (vgl. für die vorliegende Konstellation im Asylverfahren z.B. BVerwG, B.v. 9.3.1982, 9 B 360/82, juris).
2. Die Klägerin ist Flüchtling im Sinne von § 3 AsylG. Danach ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II, S. 559, 560), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb seines Herkunftslandes befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will, oder in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.
Die für § 3 Abs. 1 AsylG maßgebliche Gefährdung der Klägerin ergibt sich aus ihrer – zur Überzeugungsgewissheit des Gerichts feststehenden – auf einer ernsthaften inneren Glaubensüberzeugung beruhenden Konversion zum Christentum und der daraus folgenden, nachhaltig geprägten religiösen Identität der Klägerin, die bei Rückkehr in den Iran mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu einer Verfolgung führen würde.
2.1 Nach den Erkenntnissen über die aktuelle Situation von Konvertiten im Iran, die das Gericht unter anderem dem „Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran (Stand: Februar 2020)“ des Auswärtigen Amtes vom 26. Februar 2020 (Gz.: 508-516.80/3 IRN) entnimmt und welche den Prozessbeteiligten zur Verfügung gestellt wurden, stellt sich die Lage muslimischer Konvertiten (Lagebericht, aaO, 1.1.4.) wie folgt dar: „Muslimen ist es ebenso verboten zu konvertieren (‚Abfall vom Glauben‘) wie an Gottesdiensten anderer Religionen teilzunehmen. Die Konversion eines schiitischen Iraners zum sunnitischen Islam oder einer anderen Religion sowie Missionstätigkeit unter Muslimen können eine Anklage wegen Apostasie und schwerste Sanktionen bis hin zur Todesstrafe nach sich ziehen. Oftmals lautet die Anklage jedoch auf ‚Gefährdung der nationalen Sicherheit‘, ‚Organisation von Hauskirchen‘ und Beleidigung des Heiligen‘, wohl um die Anwendung des Scharia-Rechts und damit die Todesstrafe wegen Apostasie zu vermeiden.“
Die Klägerin darf indes nicht darauf verwiesen werden, von etwaigen religiösen Betätigungen Abstand zu nehmen, um einer Verfolgung zu entgehen. (EuGH, U.v. 5.9.2012 – C-71/11 und C-99/11 – ABl. EU 2012, Nr. C 331 S. 5 – NVwZ 2012, 1612 zur bis dahin praktizierten Unterscheidung zwischen „forum internum“ und „forum externum“). Es „ist geklärt, dass es für die Frage einer Verfolgungsgefahr im Iran wegen Konversion maßgeblich darauf ankommt, ob im Fall einer Rückkehr einer konvertierten Person in den Iran davon auszugehen ist, dass diese ihren neu aufgenommenen Glauben – und die damit verbundene Abkehr vom Islam – aktiv im Iran ausüben (BayVGH, B.v. 16.11.2015 – 14 ZB 13.30207 – juris Rn. 6 m.w.N.; B.v. 7.11.2016 – 14 ZB 16.30380 – juris Rn. 7) oder nur erzwungener Maßen, unter dem Druck drohender Verfolgung, auf eine Glaubensbetätigung verzichten wird (vgl. BVerwG, B.v. 25.8.2015 – 1 B 40.15 – BayVBl 2016, 104 Rn. 11 m.w.N.).“ (BayVGH, B.v. 9.7.2018 – 14 ZB 17.30670 -, Rn. 21, juris)
2.2 Das Gericht ist davon überzeugt, dass die bereits vor der endgültigen Ausreise der Klägerin aus dem Iran vollzogene Hinwendung zum Christentum auf einer ernsthaften inneren Glaubensüberzeugung beruht, welche ihre religiöse Identität nachhaltig prägt und nicht lediglich aus Opportunität oder aus asyltaktischen Gründen erfolgt ist.
Die ernsthafte und nachhaltige Hinwendung zum Christentum hat die Klägerin zur Überzeugung des Gerichts glaubhaft gemacht.
Allgemein ist zur Glaubhaftmachung folgendes auszuführen: Bei der Glaubhaftmachung im Asylverfahren und im anschließenden Verwaltungsgerichtsverfahren kommt dem persönlichen Vorbringen des Asylsuchenden hinsichtlich der vor Ausreise entstandenen Fluchtgründe naturgemäß eine besondere Bedeutung zu. Hinsichtlich der objektiven Nachprüfbarkeit dürfen keine überzogenen Anforderungen gestellt werden. Das Gleiche gilt für Fluchtgründe, welche im Wesentlichen auf einer inneren Überzeugung beruhen und daher objektiv ebenfalls nur schwer nachprüfbar sind. Gleichwohl müssen die Verwaltungsgerichte „selbst zu der vollen Überzeugung gelangen“ (…), „dass einem Asylbewerber wegen Konversion zum Christentum in seinem Heimatland eine Verfolgung wegen seiner Religion droht und dass die verfolgungsträchtige Glaubensbetätigung für die religiöse Identität des Betroffenen zentrale Bedeutung hat“ (vgl. BVerfG, Nichtannahmebeschluss v. 3.4.2020, 2 BVR 1838/15, juris).
Von zentraler Bedeutung sind daher die aus der ausführlichen Befragung des Gerichts in der mündlichen Verhandlung am 1. Oktober 2020 gewonnenen Erkenntnisse über den glaubhaft gemachten Religionswechsel der Klägerin.
Die Besonderheit im Falle der Klägerin liegt darin, dass sie bereits vor ihrer endgültigen Ausreise in Deutschland getauft wurde, nämlich im Rahmen eines früheren, vorübergehenden Aufenthalts in … Dieser Umstand wurde vom Bundesamt nicht in Abrede gestellt, allerdings wurde bezweifelt, dass die Taufe am 28.Juni 2018 Ausdruck und Folge einer bereits vollzogenen ernsthaften und nachhaltig prägenden Hinwendung zum Christentum war. Etwa bestehende Zweifel konnte die Klägerin in der mündlichen Verhandlung am 1. Oktober 2020 jedoch vollständig ausräumen. Das Gericht ist nach dem Ergebnis der persönlichen Anhörung der Klägerin in der mündlichen Verhandlung und auch im Kontext ihrer Aussagen gegenüber dem Bundesamt vielmehr davon überzeugt, dass die Klägerin ihren neuen Glauben derart in ihre Gesamtpersönlichkeit integriert hat, dass von einer fortgesetzten Religionsausübung im Iran auszugehen ist, welche mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgung durch iranische Behörden nach sich ziehen wird.
So hat die Klägerin sowohl gegenüber dem Bundesamt als auch gegenüber dem Gericht ausführlich und schlüssig den Wandel in ihrer Persönlichkeit dargestellt, den sie vollzogen hat und der nach ihrer nachvollziehbaren Darstellung eng mit ihrer Konversion verknüpft ist.
In diesem Zusammenhang sind auch die beiden anderen von ihr geltend gemachten Fluchtgründe zu berücksichtigen: Die Beziehung zu einem verheirateten Mann und die deswegen und wegen eines Wirtschaftsdelikts drohende Strafverfolgung mögen zwar für sich genommen nicht für die Begründung der Flüchtlingseigenschaft genügen. Allerdings verdeutlichen sie den Kontext bzw. den – mit den Worten der Klägerin – „Lebenswandel“, aus dem sie, wie sie es in der mündlichen Verhandlung am 1. Oktober 2020 noch einmal glaubhaft geschildert hat, einen Ausweg gesucht hat.
Die in Deutschland empfangene Taufe erfolgte zudem nicht derart „spontan“, dass man eine asyltaktische Motivation unterstellen könnte, zumal die Klägerin ihr Heimatland noch nicht endgültig verlassen und ein Asylverfahren noch nicht einmal eingeleitet hatte. Dass die Klägerin bereits zu diesem Zeitpunkt geplant hatte, ihr Heimatland zu verlassen und einen auf der Konversion begründeten Asylantrag zu stellen, ist in Anbetracht der Gesamtumstände nicht naheliegend und wird wohl auch vom Bundesamt nicht angenommen.
Vielmehr hat die Klägerin nachvollziehbar geschildert, wie sie mit dem Christentum erstmals in Berührung gekommen ist. Nach ihrer glaubhaften Darstellung hat sie sich nach ihrem ersten Besuch in einer Kirche über mehrere Monate in ihrem Heimatland mit dem Christentum beschäftigt und über ihre … Freundin Kontakt zu einem evangelischen Pastor gehalten und auf diese Weise die Taufe vorbereitet. Der gewählte Taufspruch „Alles, was ihr tut, das tut im Namen des Herrn Jesus“ (Kol. 3,17) passt zu den Ausführungen der Klägerin über ihren vollzogenen Glaubenswechsel, den sie mit ihrem Persönlichkeitswandel begründet hat.
Hinzu kommt, dass die Klägerin ihren neuen Glauben auch in Deutschland lebt und versucht, andere dafür zu gewinnen. Sie ist demnach auch missionarisch tätig und sieht das als ihre „christliche Pflicht“ an. Insofern nimmt das Gericht Bezug auf die vorgelegte Bescheinigung der Freien Evangelischen Gemeinde … vom 9. Juli 2020 und auf die Ausführungen der Klägerin in der mündlichen Verhandlung am 1. Oktober 2020.
Von entscheidender Bedeutung ist, dass die Klägerin – nach der Überzeugungsgewissheit des Gerichts – das Christentum in derart identitätsprägender Weise in ihre Gesamtpersönlichkeit integriert hat, dass eine Rückkehr in den Iran eine flüchtlingsschutzrelevante Verfolgung mit hier beachtlicher Wahrscheinlichkeit nach sich ziehen würde, weil eine christliche Glaubensbetätigung für sie aufgrund ihrer religiösen Identität nunmehr unentbehrlich ist (vgl. Bl. 4 der Niederschrift über die mündliche Verhandlung am 1. Oktober 2020.
Nach alledem ist der Klägerin unter Aufhebung des angefochtenen Bescheids in dessen Ziffer 1 und in der Folge die Ziffern 3 bis 6 die Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 AsylG zuzuerkennen.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben, § 83b AsylG.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.


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