Verwaltungsrecht

Flüchtlingseigenschaft (bejaht), Inländische Fluchtalternative (verneint), Female Genital, Mutilation (FGM), Minderjähriges Mädchen

Aktenzeichen  M 30 K 21.32746

Datum:
9.5.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 10517
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 3
AsylG § 3e

 

Leitsatz

Tenor

I. Unter Aufhebung des Bescheids des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom … Mai 2017 betreffend die Bescheidsadressatin zu 2. wird die Beklagte verpflichtet, der Klägerin die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.
II. Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Klägerin vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

I. Die zulässige und begründete Klage hat Erfolg.
1. Die ablehnende Entscheidung des Bundesamts vom … Mai 2017 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten, da diese zum maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach §§ 3 ff. AsylG hat (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
1.1. Nach § 3 Abs. 1 AsylG ist eine Ausländerin Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, wenn sie sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, politischer Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzt und dessen Schutz sie nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will. Von einer Verfolgung kann nur dann ausgegangen werden, wenn der Einzelnen in Anknüpfung an die genannten Merkmale gezielt Rechtsverletzungen zugefügt werden, die wegen ihrer Intensität die Betroffene dazu zwingen, in begründeter Furcht vor einer ausweglosen Lage ihr Heimatland zu verlassen und im Ausland Schutz zu suchen. An einer gezielten Rechtsverletzung fehlt es regelmäßig bei Nachteilen, die jemand aufgrund der allgemeinen Zustände in seinem Herkunftsland zu erleiden hat, etwa infolge von Naturkatastrophen, Arbeitslosigkeit, einer schlechten wirtschaftlichen Lage oder infolge allgemeiner Auswirkungen von Unruhen, Revolution und Kriegen (vgl. OVG Münster, U.v. 28.3.2014 – 13 A 1305/13.A – juris Rn. 21 f. m.w.N.). Eine Verfolgung kann dabei gemäß § 3c AsylG ausgehen von einem Staat, Parteien oder Organisationen, die den Staat oder wesentliche Teile des Staatsgebietes beherrschen oder von nichtstaatlichen Akteuren, sofern die zuvor genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder willens sind, im Sinne des § 3d AsylG Schutz vor der Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht. Weiter darf für die Ausländerin keine innerstaatliche Fluchtalternative bestehen (§ 3e AsylG), deren Inanspruchnahme zumutbar ist.
Die Furcht vor Verfolgung ist begründet, wenn der Ausländerin die vorgenannten Gefahren aufgrund der in ihrem Herkunftsland gegebenen Umstände in Anbetracht ihrer individuellen Lage tatsächlich, d.h. mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen. Der Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit setzt voraus, dass bei zusammenfassender Würdigung des zur Prüfung stehenden Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegensprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine „qualifizierende“ Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung vorzunehmen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage der Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann (BVerwG, U.v. 20.2.2013 – 10 C 23.12 – juris Rn. 32).
Hinsichtlich einer individuellen Verfolgung oder Bedrohung muss das Gericht die volle Überzeugung von der Wahrheit erlangen. Angesichts des sachtypischen Beweisnotstandes, in dem sich eine Ausländerin insbesondere hinsichtlich individueller Gründe für einen asylrechtlichen Schutzstatus befindet, genügt für diese Vorgänge in der Regel die Glaubhaftmachung. Dabei sind die Herkunft, der Bildungsstand und das Alter der Asylsuchenden sowie sprachliche Schwierigkeiten zu berücksichtigen. Der Ausländerin obliegt es aber dennoch, gegenüber dem Tatsachengericht einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern. Daher ist Voraussetzung für ein glaubhaftes Vorbringen ein geeigneter Vortrag, welcher den Asylanspruch hinsichtlich der in die eigene Sphäre der Asylsuchenden fallenden Ereignisse – insbesondere ihren persönlichen Erlebnissen – lückenlos trägt (vgl. BVerwG, U.v. 8.5.1984 – 9 C 141/83 – juris Rn. 11). Die Ausländerin muss die persönlichen Umstände ihrer Verfolgung und Furcht vor einer Rückkehr hinreichend substantiiert, detailliert und widerspruchsfrei vortragen; sie muss kohärente und plausible wirklichkeitsnahe Angaben machen (vgl. BVerwG, B.v. 21.7.1989 – 9 B 239/89 – NVwZ 1990, 171; BVerwG, U.v. 16.4.1985 – 9 C 109/84 – NVwZ 1985, 658; BVerwG, U.v. 8.5.1984 – 9 C 141/83 – juris Rn. 11).
1.2 In Anwendung dieser Maßstäbe liegen die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß §§ 3 ff AsylG bei der Klägerin vor. Eine begründete Furcht vor Verfolgung ist gegeben.
1.2.1 Die gegen den Willen der Betroffenen durchgeführte weibliche Geneitalverstümmelung ist eine geschlechtsspezifische Verfolgung i.S.d. §§ 3 Abs. 1, 3b Abs. 1 Nr. 4 AsylG, die i.S.d. § 3a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 6 AsylG eine schwerwiegende, der Folter vergleichbare Verletzung der körperlichen Unversehrtheit, des Rechts auf Leben und des Selbstbestimmungsrechts darstellt (vgl. VG Düsseldorf, U.v. 15.8.2014 – 13 K 4740/13.A – juris Rn. 45 f. m.w.N.; VG München, U.v. 20.6.2001 – M 21 K 98.50394 – juris Rn. 92 ff.; Wittmann in Decker/Bader/Kothe, BeckOK Migrations- und Integrationsrecht, 11. Edition Stand: 15.04.2022, § 3a AsylG Rn. 51; Kluth in Kluth/Heusch, BeckOK Ausländerrecht, 32. Edition Stand: 01.01.2022 – § 3a AsylG Rn. 19).
1.2.2 Die in Sierra Leone durchgeführten weiblichen Genitalverstümmelungen gehen auch von einem nichtstaatlichen Akteur i.S.d. § 3c Nr. 3 AsylG aus, da die Staatsmacht Sierra Leones weder Willens noch in der Lage ist, Schutz vor Verfolgung zu bieten.
In Sierra Leone gibt es kein gesetzliches Verbot der weiblichen Zwangsbeschneidung und Genitalverstümmelung (engl. Female Genital Mutilation, fortan: „FGM“). FGM ist in Sierra Leone weder in der Verfassung noch durch einfaches Gesetz unmittelbar verboten (vgl. TERRE DES FEMMES – Menschenrechte für die Frau e.V., Schriftsatz vom 20.1.2022 in Beantwortung des Beweisbeschlusses vom 6. Mai 2021 im Verfahren M 30 K 17.44261 (fortan: „TDF, Antwortschreiben“), Nr. 1.1; EASO, COI Query (Q24-2021), FGM/C, Sierra Leone, 13.8.2021, S. 2 f.; US Department of State (USDOS), Sierra Leone 2020 Human Rights Report, 30.3.2021, S. 16 f.). Zwar sieht Section 33 (1) des „Child Rights Act“ von 2007 eine Geld- oder Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren bei Folter an sowie unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung bzw. Bestrafung von Kindern vor (vgl. Auswärtiges Amt in seiner Stellungnahme vom 8. Februar 2022 in Beantwortung des Beweisbeschlusses vom 6. Mai 2021 im Verfahren M 30 K 17.44261 (fortan: „AA, Antwortschreiben“), S. 1; TDF, Antwortschreiben, Nr. 1.1). FGM wird in Sierra Leone aber als wichtige soziale Norm und traditioneller Ritus angesehen, die keine menschenunwürdige oder menschenrechtsverletzende Praktik darstelle (TDF, Antwortschreiben, Nr. 1.1; vgl. Bertelsmann Stiftung, BTI 2020 Country Report – Sierra Leone, Gütersloh (fortan „Bertelsmann Stiftung, BTI 2020“) S. 22). Soweit in einigen Chiefdoms zwischen dem jeweiligen Paramount Chief und den traditionellen Beschneiderinnen ein „Memorandum of Understanding“ (fortan „MoU“) geschlossen worden ist, wonach FGM unter minderjährigen Mädchen nicht und bei volljährigen Frauen nur mit deren Einverständnis durchgeführt werden soll, erfolgen solche MoUs auf freiwilliger Basis und ohne einen Anspruch auf Rechtsgültigkeit (TDF, Antwortschreiben, Nr. 1.1).
Selbst wenn man in Section 33 (1) des „Child Rights Act“ von 2007 ein gesetzliches Verbot von FGM annehmen wollte und den Domestic Violence Act von 2007, den Registration of Customary Marriage and Divorce Act von 2007 sowie den Sexual Offences Act von 2012 als Gesetzgebung zur Bekämpfung von Diskriminierung wegen FGM ansähe, steht den Betroffenen auf der (polizeilichen) Verwaltungs- und (Straf-) Vollstreckungsebene kein wirksamer staatlicher Schutz zur Verfügung (vgl. Bertelsmann Stiftung, BTI 2020, S. 22; TDF, Antwortschreiben, Nr. 2.2). In der Praxis wird der „Child Rights Act“ weitestgehend ignoriert (Juliane Westphal, Länder-Informations-Portal (LIPortal), Sierra Leone, Stand Dezember 2020, S. 22); ebenso werden die MoUs in der Praxis meist nicht eingehalten (TDF, Antwortschreiben, Nr. 1.1). Soweit das Auswärtige Amt vorträgt, eine nicht näher bezeichnete „NGO“ habe von nachweisbaren Gerichtsverhandlungen bzgl. FGM berichtet (AA, Antwortschreiben, S. 2), reicht dies zur Annahme eines ausreichenden Schutzes i.S.d. § 3c AsylG nicht aus. Zwar mag es nicht ausgeschlossen sein, dass vereinzelt Gerichtsverfahren wegen FGM geführt werden, die in Einzelfällen sogar mit einer Geldstrafe enden können. Solche Verfahren stellen aber eine absolute Ausnahme dar, aus der sich ein effektiver staatlicher Schutz nicht herleiten lässt. So werden (An-)Klagen wegen FGM, sofern zuvor die Polizei überhaupt Ermittlungen aufgenommen hat, in der Regel abgewiesen; auch werden Verfahren aufgeschoben und relevante Akten verschwinden (vgl. TDF, Antwortschreiben, Nr. 2.2 und 7.3).
Eine Veränderung der Gesetzeslage oder des Gesetzesvollzuges lässt sich, auch aufgrund des Einflusses der FGM befürwortenden Geheimgesellschaften (z.B. Bondo) auf den politischen Wettbewerb, nicht absehen; vielmehr ergibt sich aus den der Entscheidung zugrundeliegenden Erkenntnismitteln, dass Politiker – einschließlich der Frau des amtierenden Staatspräsidenten – aus Angst vor der öffentlichen Meinung, insbesondere vor Wahlen, keine FGMkritischen Positionen einnehmen oder sich sogar aktiv gegen eine Beschränkung von FGM aussprechen, vielmehr zum Teil sogar als „Sponsoren“ für Beschneidungen auftreten (vgl. TDF, Antwortschreiben, Nr. 1.1, 2.3 und 4.6; EASO, a.a.O., S. 3; Bertelsmann Stiftung, BTI 2020, S. 11).
Die Schutzunwilligkeit des Staates ergibt sich ferner aus der erfolgten Registrierung des „National Sowei Council“ beim sierra-leonischen Ministry of Social Welfare, Gender and Children´s Affairs. Die Beschneiderinnen (sog. „Sowei“) haben auf Grund des von der Bevölkerung und ausländischen Nichtregierungsorganisationen ausgehenden Drucks und Kampagnen gegen FGM die interne Vernetzung vorangetrieben und 1993 die heute überregional agierende Organisation namens „National Sowei Council“ gegründet, welche zur Beeinflussung der politischen Willensbildung zugunsten FGM genutzt wird (TDF, Antwortschreiben, Nr. 5.3; Ngambouk Vitalis Pemunta in Cogent Social Scienes, Cultural power, ritual symbolism and human rights violations in Sierra Leone, 3.3.2017, S. 12 ff.). Die staatliche Registrierung ermöglicht es dieser Organisation, zum einen grundsätzliche staatliche finanzielle Unterstützungsleistungen zu erhalten (AA, Antwortschreiben, S. 3) und zum anderen führt sie zu Einladungen der Regierung Sierra Leones zu zahlreichen Veranstaltungen und Aktivitäten (TDF, Antwortschreiben, Nr. 5.5).
1.2.3 Anderweitige Akteure i.S.d. § 3d AsylG, die Schutz vor Verfolgung bieten würden, sind auf Grundlage der der Entscheidung zugrundeliegenden Erkenntnismittel nicht erkennbar. Zwar gibt es auch in Sierra Leone Nichtregierungsorganisationen, die sich gegen FGM aussprechen und entsprechend engagieren. Ihr Einfluss und die ihnen zur Verfügung stehenden Mittel reichen zur Überzeugung des Gerichts jedoch nicht aus, wirksamen und nicht nur vorübergehenden Schutz vor FGM zu bieten oder gar (dauerhafte) Zufluchtsorte zu schaffen. Konkrete Anhaltspunkte hierfür lassen sich den vorliegenden Erkenntnismittel nicht entnehmen. Soweit das Auswärtige Amt vorträgt, nach Auskunft einer nicht näher bezeichneten „NGO“ würden Schutzeinrichtungen von nichtstaatlichen Einrichtungen und Organisationen betrieben, die Mädchen und Frauen – auf staatliche Bitte hin – unterbringen und schützen würden, folgt hieraus nichts anderes (AA, Antwortschreiben, S. 2). Diese Ausführung des Auswärtigen Amtes bleibt pauschal, vage und ohne hinreichend beachtliche Substanz. 
1.2.4 Es ist auch beachtlich wahrscheinlich, dass die Klägerin bei einer Rückkehr nach Sierra Leone Opfer von FGM wird.
FGM wird mit Ausnahme der Krio, welche lediglich 5% der Gesamtbevölkerung ausmachen (Juliane Westphal, LIPortal, a.a.O., S. 33) und FGM gänzlich ablehnen, von allen ethnischen Gruppen Sierra Leones, insbesondere den Gruppen der Mende und der Temne, praktiziert (EASO, a.a.O., S. 2; TDF, Antwortschreiben, Nr. 6.1). In Sierra Leone sind – in absoluter Hinsicht – aktuell fast neun von zehn Frauen im Alter von 15 bis 49 Jahren beschnitten (AA, Antwortschreiben, S. 3; UNICEF, Statistical Profile on Female Genital Mutilation/Cutting, Februar 2016 und vom Januar 2019; zur Annahme einer beachtlichen Wahrscheinlichkeit bereits bei einer FGM-Rate von 80 bis 90% vgl. HessVGH, U.v. 23.3.2005 – 3 UE 3457/04.A – juris Rn. 41). Weiter ist festzustellen, dass FGM nach aktuellen Erhebungen zu 69% bereits im Alter unter 15 Jahren erfolgt (TDF, Antwortschreiben, Nr. 3.1), was einem Rückgang von 12 Prozentpunkten im Vergleich zum UNICEF Bericht aus dem Februar 2016 mit seinem damaligen Anteil von 81% entspricht, im Vergleich zu dem UNICEF Bericht aus dem Januar 2019 mit seinem Anteil von 63% jedoch eine Steigerung von 6 Prozentpunkten darstellt. Der zwischenzeitlich erfolgte Einbruch bei der Beschneidung minderjähriger Mädchen sowie die nachfolgende Erholung lassen sich mit der Ebola-Epidemie von 2014 bis 2016 hinreichend erklären. Während dieser Zeit bestand bis zum August 2016 – aus reinen Infektionsschutzgründen – ein staatlich verordnetes und größtenteils vollzogenes Moratorium bzgl. der Beschneidung minderjähriger Mädchen (USDOS, Sierra Leone 2015 Human Rights Report, S. 18; Sierra Leone 2016 Human Rights Report, S. 12; Sierra Leone 2017 Human Rights Report, S. 18). Weiter ist festzustellen, dass spätestens ab der Altersgruppe der 30-jährigen deutlich über 90% der Frauen FGM erlitten haben (UNICEF, ebd.). Der weitere Anstieg der FGM-Quote auch deutlich jenseits des 15. Lebensjahres erklärt sich zur Überzeugung des Gerichts insbesondere durch den bestehenden sozialen wie wirtschaftlichen Druck, und damit verbundenen Heiratsbemühungen – auch zur Erreichung eines sozialen Aufstiegs – sowie die gegenüber unbeschnittenen Frauen vorherrschende soziale Ächtung, Stigmatisierung und Diskriminierung (vgl. TDF, Antwortschreiben, Nr. 3.1, 3.2, 3.6, 6.3, 6.5 und 7.1; Deutsche Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit, Weibliche Genitalverstümmelung in Sierra Leone, S. 2).
Zwar herrscht hinsichtlich FGM in Sierra Leone ein Stadt-Land-Gefälle vor. Die FGM-Prävalenz in urbanen Gebieten, in welchen ca. 42-43% der Gesamtbevölkerung leben, sank zuletzt von 80% auf 74,6%, bei einer FGM-Prävalenz von über 90% im ländlichen Raum (vgl. TDR, Antwortschriftsatz, Nr. 6.2; UNICEF, Statistical Profile on Female Genital Mutilation/Cutting, Februar 2016 und Januar 2019; Juliane Westphal, LIPortal, a.a.O., S. 34). Als Faustregel gilt damit weiterhin, dass FGM und dessen Akzeptanz umso wahrscheinlicher ist, je ländlicher, je geringer gebildet und je stärker verwurzelt in der afrikanischen Tradition die betreffende Personen und Personenkreise sind (so bereits HessVGH, a.a.O., juris Rn. 41 unter Berufung auf Institut für Afrika-Kunde, Beantwortung der Anfrage des VG Frankfurt am Main v. 8.3.2002, 10.4.2002, S. 4 Ad 3.). Die in urbanen Gebieten niedrigere FGM-Prävalenz führt aber aufgrund der dennoch beachtlich hohen Quote zur Überzeugung des Gerichts nicht zum Ausschluss einer beachtlichen Wahrscheinlichkeit für eine Verfolgung in diesen Gebieten.
Dem Bundesamt ist zwar zuzustimmen, dass Eltern einen nicht unerheblichen Einfluss auf die Anwendungswahrscheinlichkeit von FGM haben. Aus den Erkenntnismitteln geht aber hervor, dass diese nicht die alleinige Entscheidungsgewalt hierüber besitzen. Sowohl die Großfamilie als auch das soziale oder traditionelle Umfeld üben ihren Einfluss aus (AA, Antwortschreiben, S. 2; TDF, Antwortschreiben, Nr. 3.3 und 4.4; vgl. Institut für Afrika-Kunde, a.a.O., S. 4 f. Ad. 4 und Ad. 5). Dabei können auch Parlamentarier oder Chiefs die Übernahme von Verantwortung für sich beanspruchen und entscheiden, dass Mädchen beschnitten werden (TDF, Antwortschreiben, Nr. 3.7). Soweit das Auswärtige Amt in seiner Stellungnahme (Antwortschreiben, S. 2) ohne nähere Begründung ausführt, dass FGM gegen den Willen der Eltern minderjähriger Frauen äußerst selten sei, steht dem die Einschätzung von TERRE DES FEMMES (Antwortschreiben, Nr. 3.7) entgegen. Unter Berücksichtigung der weiterhin hohen Zustimmungswerte bzgl. FGM in der Bevölkerung (TDF, Antwortschreiben, Nr. 2.3 a.E.) ist davon auszugehen, dass bereits der überwiegende Teil der Eltern, insbesondere die bei dieser Frage besonders einflussreichen weiblichen Familienmitglieder (vgl. TDF, Antwortschreiben, Nr. 3.3), keine Einwendungen gegen FGM erheben dürften, weshalb die Auskunft des Auswärtigen Amtes im entsprechenden Kontext zu betrachten ist und sich dadurch relativiert. Ferner stellen Beschneidungen eine bedeutende und häufig die einzige längerfristige Einnahmequelle der Soweis, die meist keine anderen beruflichen Fähigkeiten erlernt haben, dar (AA, Antwortschreiben, S. 2 f.; TDF, Antwortschreiben, Nr. 4.3). Daher ist es nachvollziehbar, dass Soweis ihre einflussreiche gesellschaftliche Stellung nutzen, um das soziale Umfeld dazu zu bewegen, sehr starken Druck auf unbeschnittene Frauen und ihre Familien auszuüben, sich FGM zu unterziehen und die Sowei entsprechend zu entlohnen (vgl. TDF, Antwortschreiben, Nr. 4.4). So schließt auch das Auswärtige Amt nicht aus, dass Soweis im Einzelfall gezielt nach unbeschnittenen Frauen suchen (AA, Antwortschreiben, S. 3). Ferner ergibt sich aus den Erkenntnismitteln, dass Soweis FGM als Strafe, etwa bei (vermeintlichen) Verstößen gegen Regeln der weiblichen Geheimgesellschaften (z.B. Bondo) oder bei öffentlicher Kritik an FGM, einsetzen, wobei in einigen Fällen die Betroffenen zusätzlich verpflichtet werden, für die erzwungene FGM die entsprechend vorgesehene Initiierungsgebühr zu entrichten und bis zur Bezahlung von den Geheimgesellschaften festgehalten werden können (TDF, Antwortschreiben, Nr. 4.6).
Im Rahmen einer Gesamtwürdigung der vorgetragenen Umstände steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass unbeschnittene Mädchen bzw. minderjährige Frauen, wie vorliegend die Klägerin, in Sierra Leone grundsätzlich mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Opfer von FGM werden. Dies gilt aufgrund der besonders hohen Prävalenz – auch in den urbanen Gebieten -, dem vorherrschenden sozialen Druck sowie der gesellschaftlichen Stellung der Soweis und deren finanziellen Motivationswie Interessenlage auch unabhängig von der Frage, ob klägerseits eine FGMbefürwortende Großfamilie im Herkunftsland noch vorhanden ist oder nicht. Besondere Umstände, die dazu führen würden – ausnahmsweise – die dargelegte beachtliche Wahrscheinlichkeit zu verneinen, sind vorliegend nicht ersichtlich. Zu den besonderen Umständen, die im Einzelfall die beachtliche Wahrscheinlichkeit für eine Verfolgung entfallen lassen können, gehören insbesondere: eine besonders herausgehobene wirtschaftliche oder soziale Stellung der Eltern bzw. Sorgeberechtigten oder eine Großfamilie, die FGM ablehnt und daher zusätzlichen Schutz i.S.e. Unabhängigkeit von Hilfeleistungen und Einflussnahmen durch das soziale Umfeld bieten kann.
Hilfsweise, für den Fall, dass man – dem Bundesamt folgend – aufgrund des vorliegenden Mangels einer Großfamilie mütterlicherwie väterlicherseits eine beachtliche Wahrscheinlichkeit verneinen wollen würde, liegt im vorliegenden, konkreten Fall dennoch eine beachtliche Beschneidungswahrscheinlichkeit vor, da die Klägerin aufgrund der Schwerbehinderung ihres Vaters besonders vulnerabel ist. Aufgrund der Normsystematik der §§ 3 ff. AsylG, insbesondere des § 3e AsylG, ist der maßgebliche geographische Anknüpfungspunkt hierbei weder das gesamte Staatsgebiet der Herkunftslandes noch die Region, in die die Ausländerin im Fall einer Rückkehr wahrscheinlich zurückkehren wird; vielmehr ist auf die Herkunftsregion, also die Region, in welcher die Ausländerin zuletzt ihren Lebensmittelpunkt hatte, abzustellen (Wittmann in Decker/Bader/Kother, BeckOK Migrations- und Integrationsrecht, 11. Edition Stand: 15.04.2022, § 3 Rn. 37 f.). Demnach ist in örtlicher Hinsicht auf die Lebensmittelpunkte der klägerischen Eltern vor ihrer Ausreise abzustellen. Ob die Eltern samt der Klägerin verpflichtet sind, sich an einem Ort aufzuhalten und niederzulassen, an welchem eine Verfolgung nicht droht bzw. der Klägerin Schutz vor einer solchen geboten wird, ist – entgegen der Auffassung des Bundesamtes – erst im Rahmen des § 3e AsylG zu prüfen. Wegen den mit der Schwerbehinderung des Vaters einhergehenden Belastungen und Nachteile (vgl. VG München, U.v. 10.2.2022 – M 30 K 17.44276) wäre die Familie angewiesen, sich in eine erweiterte Abhängigkeit vom sozialen Umfeld zu begeben, sofern sie in Sierra Leone überleben will. Ferner lassen die Erkenntnismittel erkennen, dass es gegenüber behinderten Menschen zu Diskriminierungen kommt (Bertelsmann Stiftung, BTI 2020, S. 21), womit des Weiteren zu befürchten steht, dass sich das soziale Umfeld in innerfamiliäre Fragen einmischt oder die örtlichen (weltlichen wie traditionellen) Autoritäten die Entscheidung über FGM gänzlich selbst in die Hand nehmen. Dies gilt insbesondere hier, da sich die Familie gegen die gesellschaftlich fest verankerten sozialen Normen wendet, indem sie FGM ablehnt.
1.2.5 Der Klägerin steht keine inländische Fluchtalternative i.S.d. § 3e AsylG zur Verfügung.
1.2.5.1 Eine inländische Fluchtalternative i.S.d. § 3e Abs. 1 Nr. 1 AsylG gegenüber der Bedrohungslage von FGM besteht grundsätzlich nicht. Zum einen ist FGM landesweit verbreitet und wird überall im Land praktiziert. Zum anderen lassen sich den Erkenntnismitteln keine konkreten Orte ermitteln, die unmittelbaren Schutz vor FGM bieten würden. Auch der Umstand, dass die Gruppe der Krio FGM gänzlich ablehnt, führt zu keiner anderen Betrachtung. So leben die Krio, die überwiegend zur Elite des Landes gehören, zwar fast ausschließlich in der Western Area, jedoch nicht konzentriert an einem einzigen Ort, weshalb ihnen hinsichtlich FGM in Sierra Leone keine beachtliche Bedeutung beizumessen ist.
1.2.5.2 Hilfsweise, selbst wenn man eine grundsätzliche inländische Fluchtalternative annehmen würde, kann von der Klägerin i.S.d. § 3e Abs. 1 Nr. 2 AsylG nicht erwartet werden, sich am Ort des internen Schutzes niederzulassen; eine solche Niederlassung ist ihr unzumutbar, da für sie ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG festzustellen wäre (vgl. hierzu BVerwG, U.v. 18.2.2021 – 1 C 4/20 – juris; Wittmann in Decker/Bader/Kothe, BeckOK Migrations- und Integrationsrecht, 11. Edition Stand: 15.04.2022, § 3e Rn. 40).
Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf eine Ausländerin nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der EMRK ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Gemäß Art. 3 EMRK darf niemand der Folter oder unmenschlichen oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden. Im Falle einer Abschiebung wird eine Verantwortlichkeit der Bundesrepublik Deutschland nach Art. 3 EMRK dann begründet, wenn erhebliche Gründe für die Annahme bestehen, dass die Betroffene für den Fall ihrer Abschiebung tatsächlich Gefahr läuft, einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu sein. Auch wenn es an einem verantwortlichen Akteur für eine erniedrigende Behandlung i.S.v. Art. 3 EMRK fehlt, können auch schlechte humanitäre Verhältnisse ein Abschiebeverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK begründen (VGH BW, U.v. 12.10.2018 – A 11 S 316/17 – juris Rn 164 m.w.N.), allerdings nur in besonderen Ausnahmefällen, wenn außerordentliche individuelle Umstände hinzutreten. Dabei können außergewöhnliche individuelle Umstände auch solche sein, die eine Person mit anderen Personen teilt, die Träger des gleichen Merkmals sind bzw. sich in einer im Wesentlichen vergleichbaren Lage befinden (VGH BW, a.a.O. Rn 172 m.w.N.). Es sind also im Rahmen von § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK nicht nur Gefahren für Leib und Leben berücksichtigungsfähig, die seitens eines Staates oder einer staatsähnlichen Organisation drohen, sondern auch „nichtstaatliche“ Gefahren aufgrund prekärer Lebensbedingungen, wobei dies nur in ganz außergewöhnlichen Einzelfällen in Betracht kommt. Hierbei sind indes eine Vielzahl von Faktoren und somit die jeweiligen Gesamtumstände zu berücksichtigen, darunter etwa der Zugang für Rückkehrer zur Arbeit, Wasser, Nahrung, Gesundheitsversorgung sowie die Chance, eine adäquate Unterkunft zu finden, der Zugang zu sanitären Einrichtungen und nicht zuletzt die finanziellen Mittel zur Befriedigung elementarer Bedürfnisse, auch unter Berücksichtigung von Rückkehrhilfen usw. (BayVGH, U.v. 23.3.2017 – 13a B 17.30030 – juris Rn 23; VGH BW, a.a.O. Rn 174 m.w.N.). Auch wenn es sich bei den national begründeten Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK und dem nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG um einen einheitlichen und nicht weiter teilbaren Verfahrensgegenstand handelt (BVerwG, U.v. 8.9.2011 – 10 C 14.10 – juris Leitsatz), lässt sich der nationale Maßstab für eine extreme Gefahr nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht auf die in § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK getroffene Regelung übertragen. Erforderlich, aber auch ausreichend, ist vielmehr die tatsächliche Gefahr („real risk“), d.h. es muss eine ausreichend reale, nicht nur auf bloßer Spekulation, denen eine hinreichende Tatsachengrundlage fehlt, gegründete Gefahr bestehen, was dem Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit entspricht (vgl. BVerwG, U.v. 7.9.2010 – 10 C 11/09 – juris Rn. 14; VGH BW, a.a.O. Rn 183 ff.).
Sierra Leone gehört trotz seines Rohstoffreichtums zu den ärmsten Ländern der Erde. Nach den Jahren des Bürgerkriegs erholt sich das Land wirtschaftlich nur langsam. Sierra Leone ist eines der am wenigsten entwickelten Länder der Welt. Die Wirtschaft Sierra Leones ist geprägt von der Landwirtschaft (überwiegend kleinbäuerliche Subsistenzwirtschaft) und der Rohstoffgewinnung. Das Land ist mit einem Bruttoinlandsprodukt von ca. 4,2 Milliarden US-Dollar und einem Pro-Kopf-Einkommen von ca. 526,7 US-Dollar (FCDO, Foreign, Commonwealth & Development Office, Economic Factsheet, Stand Oktober 2021) eines der ärmsten Länder der Welt und belegt nach dem Human Development Index von 2019 Rang 182 der 189 untersuchten Länder. Ein Großteil der Bevölkerung (ca. 70%) lebt in absoluter Armut und hat weniger als 1,25 bis 2 US-Dollar pro Tag zur Verfügung; die Arbeitslosenrate im Land ist sehr hoch wobei die Jungendarbeitslosigkeit ein besonderes Problem darstellt (Bertelsmann Stiftung, BTI 2020; Juliane Westphal, LIPortal, a.a.O.). Staatliche oder nichtstaatliche finanzielle Fördermöglichkeiten wie Sozial- oder Arbeitslosenhilfe existieren nicht. Erwerbslose, Kranke, Behinderte und ältere Menschen sind ganz besonders auf die Unterstützung der traditionellen Großfamilie angewiesen. Auch nichtstaatliche oder internationale Hilfsorganisationen bieten in der Regel keine konkreten Hilfen zum Lebensunterhalt. Die Wirtschaft wird mit etwa 61,3% am Bruttoinlandsprodukt vom landwirtschaftlichen Sektor dominiert; der Dienstleistungssektor trägt mit 29,9% und der Industriesektor mit 6,2% zum Bruttoinlandsprodukt bei (FCDO ebd.). Die Mehrheit versucht mit Gelegenheitsjobs oder als Händler/in ein Auskommen zu erwirtschaften. Die Subsistenzwirtschaft wird in Familien oft parallel oder alternativ genutzt, um den Lebensunterhalt zu sichern (BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Sierra Leone, Wien am 4.7.2018). Ungelernten Arbeitslosen gelingt es nur durch Hilfstätigkeiten, Gelegenheitsarbeiten (z.B. im Transportwesen), Kleinhandel (z.B. Verkauf von Obst, Süßigkeiten, Zigaretten) und ähnlichen Tätigkeiten etwas Geld zu verdienen und in bescheidenem Umfang ihren Lebensunterhalt sicher zu stellen (vgl. zu damals noch prekäreren Verhältnissen: OVG NRW, B.v. 6.9.2007 – 11 A 633/05.A – juris Rn 28).
Die tatsächlichen individuellen Umstände der Klägerin werden es ihr aber nicht ermöglichen, ihren Lebensunterhalt im Rahmen dieser humanitären Verhältnisse in Sierra Leone zu sichern. Als minderjähriges Mädchen im Alter von fast acht Jahren ist diese nicht in der Lage, sich eigenständig ein Existenzminimum zu sichern. Auch bei einem Abstellen auf die klägerischen Eltern ist nicht davon auszugehen, dass diese das Existenzminimum der Klägerin werden sichern können. Vorliegend ist zunächst entsprechend der bundesverwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung eine gemeinsame Rückkehrprognose (vgl. BVerwG, U.v. 4.7.2019 – 1 C 45/18 – juris) der in einem gemeinsamen Haushalt lebenden klägerischen Kernfamilie, bestehend aus ihren Eltern und ihrer Schwester, anzustellen. Aufgrund der Schwerbehinderung des Vaters und der damit einhergehenden Einschränkung von dessen Erwerbsfähigkeit sowie der geringen Schulausbildung und Berufserfahrung der Mutter ist, selbst bei Berücksichtigung etwaiger Rückkehrhilfen, nicht davon auszugehen, dass die Familie in der Lage sein wird, sich in den schwierigen wirtschaftlichen und humanitären Verhältnissen Sierra Leones ein Existenzminimum aufzubauen und dauerhaft zu sichern. Auf die Begründung des Urteils vom 10. Februar 2022 betreffend das Verfahren des Vaters (M 30 K 17.44276 – vgl. dort Rn. 20) wird Bezug genommen und von einer erneuten Darstellung abgesehen.
2. Als Folge der Verpflichtung, die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, waren auch die Entscheidungen in Ziffern 3 und 4 des Bescheids des Bundesamts vom … Mai 2017 aufzuheben (zur ausführlichen gesetzessystematischen Begründung vgl. insoweit VG Trier, U.v. 23.11.2017 – 2 K 9945/16.TR – juris Rn. 48). Die auf der Ablehnung des Asylantrags als unbegründet beruhende Ausreiseaufforderung mit 30tägiger Ausreisefrist und die Abschiebungsandrohung gemäß §§ 34, 38 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG sowie das Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 AufenthG und dessen Befristung sind in der Folge der Rechtswidrigkeit des Bescheids bzgl. Ziffer 1 und dem sich aus der zuzuerkennenden Flüchtlingseigenschaft ergebenden Bleiberecht der Klägerin ebenfalls rechtswidrig.
II. Nachdem die Klage bereits im Hauptantrag zulässig und begründet ist, bedurfte es keiner Entscheidung über die hilfsweise gestellten weiteren Klageanträge.
III. Die Klage ist daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).
IV. Die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung und die Abwendungsbefugnis ergeben sich aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO


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