Verwaltungsrecht

Flüchtlingseigenschaft, Verwaltungsgerichte, Abschiebungsandrohung, Aufhebung, Subsidiärer Schutzstatus, Befähigung zum Richteramt, Abschiebungsverbot, Vorläufige Vollstreckbarkeit, mündlich Verhandlung, Prozesskostenhilfe, Prozeßbevollmächtigter, Aufenthaltsverbot, Anerkennungsrichtlinie, Prozeßkostenhilfeverfahren, Beachtliche Wahrscheinlichkeit, Nichtannahmebeschluß, Ausübung, Kostenentscheidung, Sicherheitsleistung, Gemeinde

Aktenzeichen  W 8 K 20.31281

Datum:
12.4.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 7793
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 3
AsylG § 28 Abs. 1a
AufenthG § 60
RL 2011/95/EU Art. 9
RL 2011/95/EU Art. 10 Abs. 1 Buchst. b

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Nummern 1 und 3 bis 6 des Bescheides des Bundesamtes für … vom 27. Oktober 2020 werden aufgehoben, soweit sie sich auf die Kläger zu 1) und 2) beziehen. 
Die Beklagte wird verpflichtet, den Klägern die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen. 
II. Die Kosten des Verfahrens hat die Beklagte zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben. 
III. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Voll-streckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Kläger vorher in gleicher Höhe Sicherheit leisten.

Gründe

Die Klage, über die entschieden werden konnte, obwohl nicht alle Beteiligten in der mündlichen Verhandlung erschienen sind (§ 102 Abs. 2 VwGO), ist zulässig und begründet.
Der Bescheid des Bundesamtes für … vom 27. Oktober 2020 ist in seinen Nrn. 1 und 3 bis 6 – soweit sie sich auf die Kläger zu 1) und 2) beziehen – rechtswidrig und verletzt die Kläger in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 und Abs. 5 Satz 1 VwGO). Die Kläger haben im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 AsylG) einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (§ 3 AsylG). Aus diesem Grund war der streitgegenständliche Bescheid, wie zuletzt beantragt, insoweit aufzuheben. Über die hilfsweise gestellten Anträge zum subsidiären Schutz (§ 4 AsylG) bzw. zu den nationalen Abschiebungsverboten (§ 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG) sowie zur Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG war nicht zu entscheiden.
Unter Berücksichtigung der aktuellen abschiebungsrelevanten Lage im Iran haben die Kläger einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 AsylG.
Gemäß §§ 3 ff. AsylG darf ein Ausländer in Anwendung der Genfer Flüchtlingskonvention nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit oder seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Eine Bedrohung liegt dann vor, wenn anknüpfend an Verfolgungsgründe wie die Religion (vgl. dazu Art. 10 Abs. 1 Buchst. b der RL 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13.12.2011 – so genannte Anerkennungsrichtlinie oder Qualifikationsrichtlinie bzw. § 3b AsylG) Verfolgungshandlungen im Sinne von Art. 9 der Anerkennungsrichtlinie mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen (§ 3a AsylG). Eine schwerwiegende Verletzung der Religionsfreiheit kann eine Verfolgungshandlung darstellen, wenn der Betreffende auf Grund der Ausübung dieser Freiheit tatsächlich Gefahr läuft, verfolgt oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden. Dabei ist es nicht zumutbar, von seinen religiösen Betätigungen Abstand zu nehmen, um nicht verfolgt zu werden (EuGH, U.v. 5.9.2012 – C-71/11 und C-99/11 – ABl. EU 2012, Nr. C 331 S. 5 – NVwZ 2012, 1612).
Nach Überzeugung des Gerichts besteht für die Kläger aufgrund ihrer Konversion vom Islam zum Christentum eine beachtliche Verfolgungswahrscheinlichkeit bei einer Rückkehr in den Iran.
Denn aufgrund der aktuellen Lage, welche sich aus den in den Verfahren eingeführten Erkenntnismitteln ergibt, besteht im Iran für christliche Konvertiten, die ihren Glauben in Gemeinschaft mit anderen oder sonst öffentlichkeitswirksam ausüben, die beachtliche Gefahr von Verfolgungshandlungen. Nach der Rechtsprechung des erkennenden Gerichts (vgl. im Einzelnen VG Würzburg, U.v. 25.1.2021 – W 8 K 20.30746 – juris; U.v. 11.7.2012 – W 6 K 11.30392) sowie verschiedener Bundes- bzw. Obergerichte (vgl. BayVGH, U.v. 29.10.2020 – 14 B 19.32048 – BeckRS 2020, 34047; B.v. 26.2.2020 – 14 ZB 19.31771 – juris; B.v. 16.1.2020 – 14 ZB 19.30341 – juris; B.v. 9.5.2019 – 14 ZB 18.32707 – juris; B.v. 6.5.2019 – 14 ZB 18.32231 – juris; U.v. 25.2.2019 – 14 B 17.31462 – juris; B.v. 19.7.2018 – 14 ZB 17.31218; B.v. 9.7.2018 – 14 ZB 17.30670 – juris; B.v. 16.11.2015 – 14 ZB 13.30207 – juris sowie OVG NRW, B.v. 6.1.2021 – 6 A 3413/20.A – juris; B.v. 19.2.2020 – 6 A 1502/19.A – juris; B.v. 2.1.2020 – 6 A 3975/19.A – juris; B.v. 21.10.2019 – 6 A 3923/19.A – juris; B.v. 15.2.2019 – 6 A 1558/18.A – juris; B.v. 28.6.2018 – 13 A 3261/17.A – juris; U.v. 7.11.2012 – 13 A 1999/07.A – DÖV 2013, 323; U.v. 30.7.2009 – 5 A 982/07.A – EzAR-NF 62 Nr. 19; OVG SH, B.v. 11.11.2020 – 2 LA 35/20 – juris, U.v. 24.3.2020 – 2 LB 20/19 – juris; Thür OVG, U.v. 28.5.2020 – 3 KO 590/13 – juris; BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 3.4.2020 – 2 BvR 1838/15 – NVwZ 2020, 950; HessVGH, U.v. 18.11.2009 – 6 A 2105/08.A – ESVGH 60, 248; SächsOVG, U.v. 3.4.2008 – A 2 B 36/06 – juris; OVG Saarl., U.v. 26.6.2007 – 1 A 222/07 – InfAuslR 2008, 183; siehe auch Froese, NVwZ 2021, 43; jeweils m.w.N.) unterliegen iranische Staatsangehörige, die vom Islam zum Christentum konvertiert sind, bereits dann mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung im Sinne des Art. 9 der Anerkennungsrichtlinie, wenn sie im Iran lediglich ihren Glauben außenwirksam ausüben und an öffentlichen Riten teilnehmen. Erforderlich und ausreichend dafür ist, dass eine konvertierte Person im Iran nach außen erkennbar eine missionarische Tätigkeit entfalten, eine herausgehobene Rolle einnehmen, in Ausübung ihres Glaubens an öffentliche Riten, wie etwa Gottesdiensten teilnehmen, oder zumindest ihren neu angenommenen Glauben – und die damit verbundene Abkehr vom Islam – entsprechend ihrer christlichen Prägung sonst aktiv nach außen zeigen will bzw. nur gezwungenermaßen, unter dem Druck drohender Verfolgung auf eine Glaubensbetätigung verzichten würde. Der Glaubenswechsel muss dabei weiter auf einer festen Überzeugung und einem ernst gemeinten religiösen Einstellungswandel beruhen und nunmehr die religiöse Identität prägen. Die betreffende Person muss eine eigene ernsthafte Gewissensentscheidung getroffen haben und sie muss auf der Basis auch gewillt sein, ihre christliche Religion auch in ihrem Heimatstaat auszuüben. Das Gericht muss daher überzeugt sein, dass die Person die unterdrückte religiöse Betätigung ihres Glaubens für sich selbst als verpflichtend zur Wahrung ihrer religiösen Identität empfindet (vgl. zuletzt etwa VG Würzburg, Ue.v. 25.1.2021 – W 8 K 20.30746 – juris sowie BayVGH, U.v. 29.10.2020 – 14 B 19.32048 – juris; jeweils m.w.N.). Insgesamt betrachtet ist – unter den vorstehenden Voraussetzungen – eine religiöse Betätigung von muslimischen Konvertiten, die einer evangelikalen oder freikirchlichen Gruppierung angehören, im Iran selbst im häuslich-privaten oder nachbarschaftlich-kommunikativen Bereich nicht mehr gefahrlos möglich (vgl. HessVGH, U.v. 18.11.2009 – 6 A 2105/08.A – ESVGH 60, 248; B.v. 23.2.2010 – 6 A 2067/08.A – Entscheiderbrief 10/2010, 3; B.v. 11.2.2013 – 6 A 2279/12.Z.A – Entscheiderbrief 3/2013, 5).
Aufgrund des persönlichen Eindrucks in der mündlichen Verhandlung besteht nach Überzeugung des Gerichts für die Kläger eine beachtliche Verfolgungswahrscheinlichkeit bei einer Rückkehr in den Iran, da die Kläger aufgrund einer tiefen inneren Glaubensüberzeugung lebensgeschichtlich nachvollziehbar den christlichen Glauben angenommen haben. Das Gericht ist weiterhin davon überzeugt, dass die Kläger aufgrund ihrer persönlichen religiösen Prägung entsprechend ihrer neu gewonnenen Glaubens- und Moralvorstellungen das unbedingte Bedürfnis haben, ihren Glauben auch in Gemeinschaft mit anderen Gläubigen öffentlich auszuüben, und dass sie ihn auch tatsächlich ausüben. Das Gerichtet erachtet weiter als glaubhaft, dass eine andauernde christliche Prägung der Kläger vorliegt und dass sie auch bei einer Rückkehr in den Iran ihren christlichen Glauben leben wollen. Das Gericht hat nach der Anhörung der Kläger in der mündlichen Verhandlung nicht den Eindruck, dass sich die Kläger bezogen auf den entscheidungserheblichen Zeitpunkt (§ 77 Abs. 1 AsylG) nur vorgeschoben aus opportunistischen, asyltaktischen Gründen dem Christentum zugewandt haben. Die Würdigung der Angaben der Kläger zu ihrer Konversion ist ureigene Aufgabe des Gerichts im Rahmen ihrer Überzeugungsbildung gemäß § 108 VwGO (BVerwG, B.v. 25.8.2015 – 1 B 40.15 – Buchholz 402.25 § 3 AsylVfG Nr. 19 und BVerfG, Nichtannahmebeschluss v. 3.4.2020 – 2 BvR 1838/15 – NVwZ 2020, 950; sowie etwa OVG SH, B.v. 11.11.2020 – 2 LA 35/20 – juris; B.v. 29.9.2017 – 2 LA 67/16 – juris; B.v. 28.6.2018 – 13 A 3261/17.A – juris; B.v. 10.2.2017 – 13 A 2648/16.A – juris; BayVGH, U.v. 29.10.2020 – 14 B 19.32048 – BeckRS 2020, 34047; B.v. 6.5.2019 – 14 ZB 18.32231 – juris; U.v. 25.2.2019 – 14 B 17.31462 – juris; B.v. 9.7.2018 – 14 ZB 17.30670 – juris; B.v. 16.11.2015 – 14 ZB 13.30207 – juris; B.v. 9.4.2015 – 14 ZB 14.30444 – NVwZ-RR 2015, 677; VGH BW, B.v. 19.2.2014 – A 3 S 2023/12 – NVwZ-RR 2014, 576; NdsOVG, B.v. 16.9.2014 – 13 LA 93/14 – KuR 2014, 263; ThürOVG, U.v. 28.5.2020 – 3 KO 590/13 – juris; OVG NRW, B.v. 10.2.2020 – 6 A 885/19.A – juris; B.v. 19.6.2019 – 6 A 2216/19.A – juris; B.v. 23.5.2019 – 6 A 1272/19.A – juris; B.v. 20.5.2019 – 6 A 4125/18.A – juris; B.v. 2.7.2018 – 13 A 122/18.A – juris), wobei keine überzogenen Anforderungen zu stellen sind, zumal Glaubens- und Konversionsprozesse individuell sehr unterschiedlich verlaufen können und nicht zuletzt von der Persönlichkeitsstruktur des/der Betroffenen, seiner/ihrer religiösen und kulturellen Prägung und seiner/ihrer intellektuellen Disposition abhängen (Berlit, jurisPR-BVerwG 22/2015, Anm. 6).
Das Gericht ist nach informatorischer Anhörung der Kläger in der mündlichen Verhandlung sowie aufgrund der schriftlich vorgelegten Unterlagen davon überzeugt, dass diese ernsthaft vom Islam zum Christentum konvertiert sind. So legten die Kläger ein persönliches Bekenntnis zum Christentum ab. Die Kläger schilderten weiter nachvollziehbar und ohne Widersprüche glaubhaft ihren Weg vom Islam zum Christentum, Inhalte des christlichen Glaubens und ihre christlichen Aktivitäten. Die Schilderungen der Kläger sind plausibel und in sich schlüssig. Die Kläger legten verschiedene Unterlagen vor. In diesen Unterlagen werden die Taufen der Kläger, ihre Konversion zum Christentum sowie ihre christlichen Aktivitäten bestätigt.
Die Kläger haben glaubhaft ihren Weg vom Islam zu Christentum dargetan. Die Kläger erklärten wechselseitig bzw. übereinstimmend, dass sie im Iran als Moslem geboren seien. Die Klägerin zu 2) habe aufgrund ihres streng religiösen Vaters die religiösen islamischen Regeln einhalten müssen, aber sie habe schon im Iran keine Verbindung zum Islam gehabt. Der Islam sei frauenfeindlich und unterdrücke die Frauen. Sie habe keine Religion gehabt. Sie habe eine innere Leere verspürt. Der Kläger zu 1) erklärte, aufgrund der ganzen Sachen, die er im Islam immer hätte machen müssen, sei er belastet gewesen. Es habe ihn gestört. Es habe kein richtiges Vater-Sohn-Verhältnis gegeben. Ihn habe gestört, wie der Islam im Iran ausgehend von Mohammed praktiziert worden sei. Der Kläger zu 1) beschrieb dann weiter, wie er über einen Freund Kontakt zum Christentum bekommen und an einem Hauskreis teilgenommen habe. Sie hätten geplant, über Weihnachten Urlaub in Italien zu machen, bewusst zum Zeitpunkt der Geburt von Jesus Christus, um dies dann vor Ort mitzuerleben. Sie hätten vorgehabt, wieder zurückzukehren. Die Reise habe nicht stattfinden können, sondern sie sei von den weiteren Ereignissen überholt worden, die er auch schon ausführlich geschildert habe. Der Ausreisegrund seien schließlich die Vorfälle bei der Demonstration und der Beerdigung sowie die damit zusammenhängenden Vorkommnisse gewesen. Die Kläger schilderten weiter, wie sie in Deutschland Kontakt zum Christentum erhalten hätten. Die Klägerin zu 2) gab an, dass ihr Ehemann, der Kläger zu 1), sie motiviert habe, dort mitzugehen. Sie habe eine innere Leere verspürt und deshalb nach einer Religion gesucht. Sie hätten auch über Zoom Kontakt gehabt. Das seien religiöse Kurse, quasi wie Unterricht, gewesen. Direkt vor der Taufe habe es eine Taufvorbereitung gegeben durch den dortigen Pastor. Es seien speziell für die Taufvorbereitung zusätzlich zwei Termine von zwei Stunden gewesen. Bei der Taufe seien sie mit dem ganzen Körper in ein Wasserbecken getaucht worden. Sie seien gesegnet worden; die Sünden seien im Wasser geblieben. Sie seien auferstanden wie Jesus. Aktuell nähmen sie neben den Online-Kontakten an Präsenz-Gottesdiensten teil, wie auch der in der mündlichen Verhandlung anwesende Pastor aus ihrer christlichen Gemeinde bestätigte. Sie würden ihren Sohn christlich erziehen. Der Sohn sei auch schon der Schule gefragt worden, ob er Christ sei, und in der Schule wüssten sie Bescheid, dass sie konvertiert seien.
In dem Zusammenhang ist ergänzend anzumerken, dass es den Klägern nicht angelastet werden könne, wenn sie aufgrund der coronabedingten Infektionsschutzmaßnahmen – genauso wie andere Christen in Deutschland – nur eingeschränkt aktiv sein und zusammen mit anderen in der Öffentlichkeit ihren Glauben ausleben könnten.
Besonders zu erwähnen ist in dem Zusammenhang, dass die Kläger ihren Glauben nicht nur öffentlich und nach außen hin leben, sondern dass sie sich auch für ihren Glauben engagieren. Die Kläger erklärten: Die Missionierung sei die größte Aufgabe. Sie sollten anderen Menschen den Weg zeigen. Dies ergebe sich direkt aus der Bibel. Der Kläger zu 1) erklärte, er habe schon den im Iran erschossenen Esmael missioniert. Er wolle auch seine eigene Mutter im Iran zum Christentum bringen. Sie sei eine streng gläubige Muslimin gewesen; darum sei es ein längerer Prozess. Sie habe zunächst zu ihm gesagt, er sei ein Mortad, ein Abtrünniger, dem die Todesstrafe drohe. Er habe durch seine Konversion zum Christentum die Ehre und den Stolz verletzt. Mittlerweile habe aber die Mutter sein Verhalten akzeptiert und er schicke ihr immer wieder Bibeltexte bzw. religiöse Seiten. Außerdem habe er in Deutschland schon einen Freund, der Christ geworden sei. Die Klägerin zu 2) erklärte, sie habe ihrer Schwester das Christentum nähergebracht. Sie habe ihr gesagt, dass es beim Christentum – wie sie selbst gelernt habe – darum gehe, dass man zu den anderen lieb und nett sei und es nicht um Auge und Auge gehe und man, wenn man geschlagen werde, nicht zurückschlagen solle. Langsam habe sie das Gefühl, dass sich bei der Schwester deren Herz öffne und sie sich dem Christentum annähere. Demgegenüber sei ihr Bruder nicht religiös und habe abweisend reagiert. Auch ihrer Mutter habe sie erzählt, dass sie Christin geworden sei. Diese sei aber nicht daran interessiert. Die Mutter habe zu ihr gesagt, wenn die Klägerin öfters über ihre Religion reden wolle, dann solle sie besser aufhören zu telefonieren. Vor diesem Hintergrund wird der Eindruck bestätigt, dass die Kläger bei ihrer Glaubensbetätigung auch nicht vor ihrer Heimat Halt machen, was für eine nachhaltige und ehrliche Konversion sowie für eine entsprechende Glaubensbestätigung auch bei einer eventuellen Rückkehr in den Iran spricht.
Die Kläger verdeutlichten in der mündlichen Verhandlung des Weiteren plausibel und glaubhaft ihre Beweggründe für die Abkehr vom Islam und die Hinwendung zum Christentum. In dem Zusammenhang legten sie – in ihren Worten und im Rahmen ihrer Persönlichkeit und intellektuellen Disposition (vgl. BVerwG, B.v. 25.8.2015 – 1 B 40.15 – Buchholz 402.25 § 3 AsylVfG Nr. 19; Berlit, jurisPR-BVerwG 22/2015, Anm. 6) – auch zentrale Elemente des christlichen Glaubens als für sich wichtig dar. Gerade mit ihren Aussagen zur Stellung von Jesus Christus im Christentum sowie zur Erbsünde machten die Kläger zentrale Elemente des christlichen Glaubens und den fundamentalen Unterschied zwischen Islam und Christentum deutlich und zeigten, dass sie dies verinnerlicht haben. Die Kläger erklärten: Im Islam müsse man immer bestimmte Sachen machen. Man müsse beten und fasten. Es sei um Gewalt gegangen. Mohammed sei ein Lügner gewesen. Die Bräuche und Gesetzes des Korans, wie Handabhacken und Steinigen, passten nicht dazu, dass Gott eine nette und liebe Person sein solle. Das Ganze sei ausgehend von Mohammed praktiziert worden. Man müsse Abgaben leisten oder zum Dschihad gehen, um Gott näher zu kommen. Im Christentum sei es das Gegenteil. Jesus Christus habe sich kreuzigen lassen. Man müsse nur an ihn glauben und müsse nicht bestimmte Sachen machen wie im Islam. Im Christentum reiche es, wenn man an Gott glaube und gläubig bleibe. Jesus zeige den Weg. Er habe ein neues Leben und die Rettung geschenkt. Jesus Christus sei ein Gott, während Mohammed nur ein Vermittler sei und ein Mensch wie jeder andere. Es gebe den Vater und den Sohn und den Heiligen Geist. Es seien Drei in einer Person. Kein Mensch sei ohne Sünde. Gott habe uns aber retten wollen, deshalb sei er zu unserer Rettung selbst Mensch geworden und zu uns gekommen. Er sei selbst unschuldig gewesen und habe sich dann für unsere Sünden geopfert. Er habe die Schuld auf sich genommen und sich geopfert, um uns zu retten.
Die Kläger offenbarten weiter konkrete wesentliche Glaubensinhalte und Glaubenskenntnisse, die ihre Glaubensentscheidung und ihren Gewissensschritt zusätzlich belegen. Die Kläger benannten in dem Zusammenhang einzelne christliche Feiertage sowie christliche Gebote. Des Weiteren kannten die Kläger auch christliche Gebete, wie das Vaterunser. Die Kläger bezogen sich zudem wiederholt auf die Bibel und auf einzelne Bibelstellen.
Die Kläger erklärten glaubhaft weiter, sie könnten sich nicht vorstellen, vom Christentum wieder zum Islam zurückzukehren. Das Christentum sei der Weg zu Gott, den Gott selbst gezeigt habe. Sie seien in Dunkelheit gewesen und seien nicht gesegnet gewesen. Sie hätten im Islam die Liebe nicht gehabt. Sie hätten dort alles nicht gefunden. Die Kläger gaben glaubhaft an, dass sie sich nicht vorstellen könnten, ihre Religion und ihren christlichen Glauben bei einer Rückkehr in den Iran zu verheimlichen. Sie könnten ihren Glauben nicht verleugnen. Dies sei der große Befehl Gottes. Sie hätten auch keine Angst, wenn Gott bei ihnen sei. Es sei ihre Aufgabe, zu missionieren und allen anderen zu zeigen, was im Heiligen Buch stehe.
Zusammenfassend ist festzuhalten, dass das gesamte Verhalten der Kläger vor und nach ihrer Einreise im Zusammenhang mit der Konversion zum Christentum sowie die von ihnen vorgetragenen Glaubensinhalte und Glaubenskenntnisse über die christliche Religion – auch in Abgrenzung zum Islam – eine ehrliche Konversion glaubhaft machen und erwarten lassen, dass die Kläger bei einer angenommenen Rückkehr in ihre Heimat ihrer neu gewonnenen Religion entsprechend leben würde. Die Kläger haben lebensgeschichtlich nachvollziehbar ihre Motive für die Abkehr vom Islam und ihre Hinwendung zum christlichen Glauben dargestellt. Sie haben ihre Konversion anhand der von ihnen gezeigten Glaubenskenntnisse über das Christentum und durch ihre Glaubensbetätigung gerade auch in Bezug zur Öffentlichkeit nachhaltig und glaubhaft vorgebracht. Der Eindruck einer ernsthaften Konversion wird dadurch verstärkt, dass die Kläger missionarische Aktivitäten entwickeln, indem sie bei anderen für den christlichen Glauben werben. Weiter ist nicht davon auszugehen, dass die Kläger bei einer theoretischen Rückkehr in den Iran ihre Konversion ohne Not verheimlichen würden, da prognostisch von einer andauernden christlichen Prägung auszugehen ist. Abgesehen davon kann einem Gläubigen nicht als nachteilig entgegengehalten werden, wenn er aus Furcht vor Verfolgung auf eine Glaubensbetätigung verzichtet, sofern die verfolgungsrelevante Glaubensbetätigung wie hier die religiöse Identität des Schutzsuchenden kennzeichnet. Ein so unter dem Druck der Verfolgungsgefahr erzwungener Verzicht auf die Glaubensbetätigung kann die Qualität einer Verfolgung erreichen und hindert nicht die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (vgl. BVerwG, B.v. 25.8.2015 – 1 B 40.15 – Buchholz 402.25 § 3 AsylVfG Nr. 19; U.v. 20.2.2013 – 10 C 23/12 – BVerwGE 146, 67; Berlit, juris PR-BVerwG 22/2015, Anm. 6 und 11/2013, Anm. 1; Marx, Anmerkung, InfAuslR 2013, 308). Umgekehrt kann einem Gläubigen von den deutschen Behörden bzw. Gerichten nicht zugemutet werden, bei einer Rückkehr in den Iran von seiner religiösen Betätigung Abstand zu nehmen, um nicht verfolgt zu werden (EuGH, U.v. 5.9.2012 – C-71/11 und C-99/11 – ABl EU 2012, Nr. C 331 S. 5 – NVwZ 2012, 1612).
Die Kläger haben insgesamt durch ihr Auftreten in der mündlichen Verhandlung und durch die Darlegung ihrer Beweggründe nicht den Eindruck hinterlassen, dass sie nur aus opportunistischen und asyltaktischen Gründen motiviert dem christlichen Glauben nähergetreten sind, sondern aufgrund einer ernsthaften Gewissensentscheidung und aus einer tiefen Überzeugung heraus den religiösen Einstellungswandel vollzogen haben. Dieser Eindruck erhärtet sich durch das schriftliche Vorbringen sowie die vorgelegten Unterlagen.
Dazu tragen auch die Ausführungen ihrer Beistände aus der christlichen Gemeinde in der mündlichen Verhandlung bei. Insbesondere der Pastor aus der christlichen Gemeinde erklärte: Auch, wenn er nicht in ihr Herz hineinschauen könne, sei er der Überzeugung, dass bei den Klägern der Weg des Glaubens vom Islam zum Christentum stattgefunden habe, auch, wenn die Kläger weiterhin noch Begleitung und Unterweisung bräuchten.
Nach § 28 Abs. 1a AsylG kann sich ein Kläger bzw. eine Klägerin bei der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 AsylG auch auf Umstände stützen, die nach Verlassen des Herkunftslandes entstanden sind. Dies gilt gerade, wenn wie hier vorliegend ein Iraner seine religiöse Überzeugung aufgrund ernsthafter Erwägungen wechselt und nach gewissenhafter Prüfung vom Islam zum Christentum übertritt (Bergmann in Renner/Bergmann/Dienelt, AuslR, 13. Aufl. 2020, § 28 AsylG Rn. 17).
Nach alledem ist den Klägern unter Aufhebung der betreffenden Antragsablehnung in Nr. 1 des streitgegenständlichen Bescheides die Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 AsylG zuzuerkennen. Infolgedessen besteht kein Anlass für eine weitere Entscheidung über die Zuerkennung des subsidiären Schutzes gemäß § 4 AsylG oder sonstige Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG, so dass die Nrn. 3 und 4 des Bescheides des Bundesamtes ebenfalls aufzuheben waren (vgl. § 31 Abs. 2 Satz 1 AsylG [„oder“] und § 31 Abs. 3 Satz 2 AsylG). Über die hilfsweise gestellten Anträge, insbesondere zum subsidiären Schutz (§ 4 AsylG) bzw. zu den nationalen Abschiebungsverboten (§ 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG), war nicht zu entscheiden.
Des Weiteren sind auch – bezogen auf die Kläger – die verfügte Abschiebungsandrohung und die Ausreisefristbestimmung (Nr. 5 des Bundesamtsbescheids) rechtswidrig und daher aufzuheben. Denn das Bundesamt für … erlässt nach § 34 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 und § 60 Abs. 10 AufenthG die Abschiebungsandrohung nur, wenn der Ausländer nicht als Asylberechtigter anerkannt und ihm die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt wird. Umgekehrt darf im Fall der Flüchtlingszuerkennung eine Abschiebungsandrohung nicht ergehen. Letzteres ist im gerichtlichen Verfahren – wenn auch noch nicht rechtskräftig – festgestellt.
Schließlich war auch die Anordnung und Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 Abs. 1 bis 3 AufenthG (Nr. 6 des Bundesamtsbescheids) aufzuheben, weil mit der Aufhebung der Abschiebungsandrohung auch die Voraussetzungen für diese Entscheidungen entfallen (vgl. § 75 Nr. 12 AufenthG).
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO, §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.


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