Verwaltungsrecht

Flüchtlingseigenschaft, Zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot, Subsidiärer Schutz, Beachtliche Wahrscheinlichkeit, Innerstaatlicher bewaffneter Konflikt, Vorverfolgung, Verwaltungsgerichte, Befähigung zum Richteramt, Inländische Fluchtalternative, Subsidiär Schutzberechtigter, Abschiebungsschutz, Humanitäre Bedingungen, Erniedrigende Behandlung, Allgemeine Gefahrenlage, Aufenthaltsbeendigung, Bundsverwaltungsgericht, Asylverfahren, Ausländer, Zumutbarkeit, Verfolgungsgrund

Aktenzeichen  W 10 K 19.32233

Datum:
11.12.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 42312
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 3
AsylG § 3e
AsylG § 4
AufenthG § 60 Abs. 5
AufenthG § 60 Abs. 7

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Die zulässige Klage, über die nach § 102 Abs. 2 VwGO auch in Abwesenheit eines Vertreters der Beklagten verhandelt und entschieden werden durfte, ist unbegründet. Der Kläger hat zum maßgeblichen Zeitpunkt (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) keinen Anspruch auf die begehrten Entscheidungen des Bundesamts zu seinen Gunsten. Der streitgegenständliche Bescheid vom 2. Dezember 2019 ist daher rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 VwGO.
1. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.
a) Rechtsgrundlage der begehrten Zuerkennung ist § 3 Abs. 4 und Abs. 1 AsylG (BT-Drs. 16/5065, S. 213; vgl. auch § 60 Abs. 1 Satz 3 AufenthG).
Gemäß § 3 Abs. 4 AsylG wird einem Ausländer, der Flüchtling nach § 3 Abs. 1 AsylG ist, die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, es sei denn, er erfüllt die Voraussetzungen des § 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG oder das Bundesamt hat nach § 60 Abs. 8 Satz 3 AufenthG von der Anwendung des § 60 Abs. 1 AufenthG abgesehen.
Ein Ausländer ist nach § 3 Abs. 1 AsylG Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560 – Genfer Flüchtlingskonvention), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Lands (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will. Die §§ 3 ff. AsylG setzen die Vorschriften der Art. 6 bis 10 der Richtlinie 2011/95/EU vom 13. Dezember 2013 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (Qualifikationsrichtlinie – QRL, Amtsblatt-Nr. L 337, S. 9) in deutsches Recht um.
Dem Ausländer muss eine Verfolgungshandlung drohen, die mit einem anerkannten Verfolgungsgrund (§ 3b AsylG) eine Verknüpfung bildet, § 3a Abs. 3 AsylG. Als Verfolgungshandlungen gelten gemäß § 3a AsylG solche Handlungen, die auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Art. 15 Abs. 2 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 – EMRK (BGBl. 1952 II S. 685, 953) keine Abweichung zulässig ist (Nr. 1) oder Handlungen, die in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend sind, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nr. 1 beschriebenen Weise betroffen ist (Nr. 2). Die für eine Verfolgung im Sinne des Flüchtlingsschutzes nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG relevanten Merkmale (Verfolgungsgründe) sind in § 3b Abs. 1 AsylG näher definiert. Nach § 3c AsylG kann eine Verfolgung sowohl von dem Staat, von Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen, oder auch von nichtstaatlichen Akteuren ausgehen, sofern die in Nrn. 1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 3d AsylG Schutz vor Verfolgung zu bieten. Nach § 3e AsylG wird dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft allerdings nicht zuerkannt, wenn er in einem Teil seines Herkunftslands keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d AsylG hat (Nr. 1) und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt (Nr. 2) (interner Schutz bzw. innerstaatliche Fluchtalternative).
Maßgeblich für die Beurteilung, ob sich ein Ausländer aus begründeter Furcht vor Verfolgung außerhalb des Heimatlands befindet, ist der Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit, der dem Maßstab des real risk, den der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) bei der Prüfung des Art. 3 EMRK anwendet, entspricht (vgl. EGMR, U.v. 28.2.2008 – 37201/06, NVwZ 2008, 1330 Rn. 125 ff.; U.v. 23.2.2012 – 27765/09, NVwZ 2012, 809 Rn. 114). Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) ist die Furcht des Ausländers begründet, wenn bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine qualifizierende Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann (vgl. BVerwG, U.v. 20.2.2013 – 10 C 23.12 – juris Rn. 32; U.v. 19.4.2018 – 1 C 29.17 – juris Rn. 14; VGH BW, U.v. 3.11.2016 – A 9 S 303/15 -, juris Rn. 32 ff.; NdsOVG, U.v. 21.9.2015 – 9 LB 20/14 -, juris Rn. 30).
Wurde der betroffene Ausländer bereits verfolgt oder hat er einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten bzw. war er von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden unmittelbar bedroht und weisen diese Handlungen und Bedrohungen eine Verknüpfung mit einem Verfolgungsgrund auf, greift zu dessen Gunsten die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 QRL, wonach die Vorverfolgung bzw. Vorschädigung einen ernsthaften Hinweis darstellt, dass sich die Handlungen und Bedrohungen im Fall einer Rückkehr in das Herkunftsland wiederholen werden (vgl. BVerwG, U.v. 19.4.2018 – 1 C 29.17 – juris Rn. 15). Die Vorschrift privilegiert den betroffenen Ausländer durch eine widerlegliche Vermutung, nicht aber durch einen herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstab. Eine Widerlegung der Vermutung ist möglich, wenn stichhaltige Gründe gegen eine Wiederholung sprechen. Durch Art. 4 Abs. 4 QRL wird der Vorverfolgte bzw. Geschädigte davon befreit, stichhaltige Gründe dafür vorzubringen, dass sich die Bedrohungen erneut realisieren, wenn er in sein Heimatland zurückkehrt.
Dem Ausländer obliegt gleichwohl die Pflicht, seine Gründe für die Verfolgung schlüssig und vollständig vorzutragen, was bedeutet, dass ein in sich stimmiger Sachverhalt geschildert werden muss, aus dem sich bei Wahrunterstellung und verständiger Würdigung ergibt, dass mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgung droht. Dies beinhaltet auch, dass der Ausländer die in seine Sphäre fallenden Ereignisse und persönlichen Erlebnisse, die geeignet sind, den behaupteten Anspruch lückenlos zu tragen, wiedergeben muss (vgl. § 25 Abs. 1 und 2 AsylG, § 86 Abs. 1 Satz 1 2. Halbsatz VwGO; OVG NW, U.v. 2.7.2013 – 8 A 2632/06.A -, juris Rn. 59 f. mit Verweis auf BVerwG, B.v. vom 21.7.1989 – 9 B 239.89 -, InfAuslR 1989, 349 (juris Rn. 3 f.); B.v. 26.10.1989 – 9 B 405.89 -, InfAuslR 1990, 38 (juris Rn. 8); B.v. 3.8.1990 – 9 B 45.90 -, Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 225 (juris Rn. 2)).
Der Asylsuchende muss dem Gericht glaubhaft machen, weshalb ihm in seinem Herkunftsland die Verfolgung droht. An der Glaubhaftmachung von Verfolgungsgründen fehlt es regelmäßig, wenn er im Laufe des Verfahrens unterschiedliche Angaben macht und sein Vorbringen nicht auflösbare Widersprüche enthält, wenn seine Darstellungen nach der Lebenserfahrung oder auf Grund der Kenntnis entsprechender vergleichbarer Geschehensabläufe unglaubhaft erscheinen oder er sein Vorbringen im Laufe des Asylverfahrens steigert, insbesondere, wenn er Tatsachen, die er für sein Begehren als maßgebend bezeichnet, ohne vernünftige Erklärung erst spät in das Asylverfahren einführt. In der Regel kommt deshalb dem persönlichen Vorbringen des Asylbewerbers, seiner Persönlichkeit und Glaubwürdigkeit sowie der Art seiner Einlassung besondere Bedeutung zu (vgl. BayVGH, U.v. 26.1.2012 – 20 B 11.30468 – m.w.N.).
b) Unter Berücksichtigung vorgenannter Voraussetzungen und Maßstäbe sind die Voraussetzungen des § 3 AsylG bereits deshalb nicht erfüllt, weil auch bei Wahrunterstellung des klägerischen Vortrags stichhaltige Gründe i.S.d. Art. 4 Abs. 4 der RL 2011/95/EU gegen eine erneute Verfolgung sprechen und ein Anknüpfen an einen Verfolgungsgrund i.S.d. §§ 3 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. 3b AsylG im Übrigen nicht ersichtlich ist. Zudem kann der Kläger zumutbaren internen Schutz i.S.d. § 3e Abs. 1 AsylG in Anspruch nehmen.
aa) Im Hinblick auf die vorgetragenen Geschehnisse in Guinea im Jahr 2019 sind die Voraussetzungen des § 3 AsylG auch bei Wahrunterstellung des Vorbringens des Klägers nicht erfüllt, weil selbst im Fall einer anzunehmenden Vorverfolgung stichhaltige Gründe im Sinne des Art. 4 Abs. 4 der RL 2011/95/EU gegen eine erneute Verfolgung im Falle der Rückkehr sprechen. Ausweislich der Klagebegründung und des Vortrags in der mündlichen Verhandlung war allein die Verfolgung durch die Familie der Freundin der Grund für seine Ausreise. Die Geschehnisse im Zusammenhang mit der Zerstörung des Hauses und der Auflösung der Versammlung durch die Polizei waren nicht unmittelbar ursächlich für das Verlassen Guineas. Damit fehlt es insoweit schon am erforderlichen Zusammenhang zwischen der vorgetragenen Verfolgung und der Ausreise. Bei der vorgetragenen Verfolgung durch die Familie der Freundin handelt sich zudem um rein private Verfolgung, die keinen flüchtlings-rechtlich relevanten Bezug zu einem anerkannten Verfolgungsgrund i.S.d §§ 3 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. 3b AsylG aufweist.
bb) Darüber hinaus sind die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft selbst bei Wahrunterstellung des Vorbringens des Klägers auch deshalb nicht erfüllt, weil er sich jedenfalls auf die bestehende Möglichkeit der Inanspruchnahme internen Schutzes (innerstaatliche Fluchtalternative) verweisen lassen muss, § 3e AsylG. Nach dieser Vorschrift wird dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt, wenn er in einem Teil seines Herkunftslands keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d AsylG hat und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt.
Nach den dem Gericht vorliegenden Erkenntnismitteln über die Lage in Guinea sowie einschlägiger Rechtsprechung besteht grundsätzlich in den meisten Fällen die Möglichkeit, staatlicher Verfolgung, Repressionen Dritter sowie Fällen regionaler Instabilität durch Umzug in einen anderen Teil des Landes auszuweichen (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Guinea vom 5.7.2019, Stand: Mai 2019 – im Folgenden: Lagebericht Guinea – S. 11). Dem Kläger ist es möglich und zumutbar, sich an einem anderen Ort in Guinea aufzuhalten. Er stammt eigenen Angaben zufolge aus C. und ist muslimischen Glaubens. Er kann sich daher beispielsweise in eine der anderen guineischen Großstädte, wie etwa nach Kamsar, begeben. Der Kläger genießt grundsätzlich Freizügigkeit in ganz Guinea (vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich – im Folgenden: BFA – Länderinformationsblatt der Staatendokumentation: Guinea, Stand: 2.9.2019, S. 18), sodass er seinen Wohn- und Aufenthaltsort an sich frei bestimmen kann. Wenn er nicht von sich aus Kontakt zu seinen Verfolgern aufnimmt, ist es unwahrscheinlich, dass er nach seiner mehrjährigen Abwesenheit außerhalb der Heimatregion aufgefunden wird, zumal Guinea inzwischen etwa 13 Millionen Einwohner hat (https://www.imf.org/en/Countries/GIN# countrydata, abgerufen am 11.12.2020), eine Fläche von 245.860 Quadratkilometern (https://www.laenderdaten.info/Afrika/Guinea/index.php, abgerufen am 11.12.2020) aufweist und dabei nicht über ein funktionsfähiges Meldesystem verfügt (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht Guinea vom 5.7.2019, Stand: Mai 2019, S. 15). Daher ist eine landesweite Verfolgung nicht zu erwarten, erst recht nicht durch Privatpersonen.
Zwar geht aus den vorliegenden Erkenntnismitteln hervor, dass ein Umzug in einen anderen Landesteil unter Umständen mit wirtschaftlichen und sozialen Problemen verbunden sein kann, wenn sich Einzelpersonen an einen Ort begeben, an dem sie kein soziales Umfeld haben. Insbesondere familiären Bindungen kommt in der guineischen Gesellschaft eine gesteigerte Bedeutung zu. Vom Kläger ist jedoch vernünftigerweise zu erwarten, dass er sich in dem Gebiet der innerstaatlichen Fluchtalternative niederlässt. Es ist nichts dafür ersichtlich, dass in einer der guineischen Großstädte die reale Gefahr droht, in einen gewaltsamen Konflikt hineingezogen zu werden.
Auch wenn staatliche Unterstützungsleistungen nicht gewährt werden, ist das Gericht in Anbetracht der persönlichen Situation des Klägers davon überzeugt, dass dieser unter Überwindung von Anfangsschwierigkeiten die Möglichkeit haben wird, sich eine Existenzgrundlage aufzubauen und so jedenfalls seine elementaren Grundbedürfnisse zu befriedigen (so auch VG Augsburg, U.v. 5.6.2020 – Au 3 K 18.30428 – juris Rn. 21 ff.; OVG Berlin-Bbg, B.v. 1.10.2020 – 3 N 135/20 – juris; VG Cottbus, U.v. 9.7.2020 – 5 K 755/20 A; VG Karlsruhe, U.v. 18.6.2020 – A 12 K 1714/18 – juris Rn. 30; VG Berlin, U.v. 19.9.2019 – 31 K 397.19 A – juris). Der Kläger verfügt nach seinen Angaben in der mündlichen Verhandlung über eine grundlegende Schulbildung und hat bereits berufliche Erfahrungen als Verkäufer, Reinigungskraft und Einkaufshilfe gesammelt. Es ist somit nicht ersichtlich, dass es dem Kläger als jungem Mann ohne gravierende gesundheitliche Einschränkungen und Unterhaltspflichten nicht möglich sein wird, in Guinea wieder Fuß zu fassen und den Lebensunterhalt für sich zu erwirtschaften, auch wenn er bei Annahme einer inländischen Fluchtalternative nicht auf ein familiäres Netzwerk zurückgreifen könnte. Zudem gibt es in Guinea zahlreiche Tätigkeiten, für deren Aufnahme kaum eigene Mittel erforderlich sind und die keiner besonderen Aus- oder Vorbildung bedürfen, da sie im Wege der Berufspraxis erlernt werden können (vgl. etwa ACCORD, Anfragebeantwortung zu Guinea: Möglichkeiten für einen jungen Angehörigen der Fulla ohne Unterstützung durch Familie oder Freunde und ohne spezifische Berufsausbildung, seine Existenzgrundlage zu sichern, 9.11.2015, S. 2 f.)
Erforderlich und ausreichend ist insoweit zudem, dass der Kläger durch eigene, notfalls auch wenig attraktive und seiner Vorbildung nicht entsprechende Arbeit, die grundsätzlich zumutbar ist, oder durch Zuwendungen von dritter Seite jedenfalls nach Überwindung von Anfangsschwierigkeiten das zu seinem notwendigen Lebensunterhalt Erforderliche erlangen kann. Zu den danach zumutbaren Arbeiten gehören auch Tätigkeiten, die nicht den überkommenen Berufsbildern entsprechen, etwa weil sie keinerlei besondere Fähigkeiten erfordern, und die nur zeitweise, etwa zur Deckung eines kurzfristigen Bedarfs, beispielsweise in der Landwirtschaft oder auf dem Bausektor, ausgeübt werden können (vgl. z.B. BVerwG, U.v. 1.2.2007 – 1 C 24.06 – NVwZ 2007, 590; OVG NW, U.v. 17.11.2008 – 11 A 4395/04.A – juris Rn. 47). Durch seine in Europa gesammelten Erfahrungen befindet sich der Kläger zudem in einer vergleichsweise guten Position, da er von diesen auch zukünftig in Guinea profitieren kann.
Überdies steht es dem Kläger frei, seine finanzielle Situation in Guinea aus eigener Kraft zu verbessern und Rückkehrhilfe in Anspruch zu nehmen oder sich an karitative Einrichtungen vor Ort zu wenden, um Unterstützung und Starthilfe zu erhalten und erste Anfangsschwierigkeiten gut überbrücken zu können. So können freiwillig zurückkehrende guineische Personen etwa Leistungen aus dem REAG-Programm, dem GARP-Programm oder dem Reintegrationsprogramm ERRIN erhalten (https://www.returningfrom-germany.de/de/countries/guinea, abgerufen am 11.12.2020). Ergänzend sei darauf hingewiesen, dass sich der Kläger nicht darauf berufen kann, dass die genannten Start- und Reintegrationshilfen ganz oder teilweise nur für freiwillige Rückkehrer gewährt werden, also teilweise nicht bei einer zwangsweisen Rückführung. Denn nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts kann ein Asylbewerber, der durch eigenes zumutbares Verhalten – wie insbesondere durch freiwillige Rückkehr – im Zielstaat drohende Gefahren abwenden kann, nicht vom Bundesamt die Feststellung eines Abschiebungsverbots verlangen (vgl. BVerwG, U.v. 15.4.1997 – 9 C 38.96 – juris; VGH BW, U.v. 26.2.2014 – A 11 S 2519/12 – juris). Dementsprechend ist es dem Kläger möglich und zumutbar, gerade zur Überbrückung der ersten Zeit nach einer Rückkehr nach Guinea freiwillig Zurückkehrenden gewährte Reisehilfen sowie Reintegrationsleistungen in Anspruch zu nehmen.
An Vorstehendem ändert auch die weltweite COVID-19-Pandemie nichts, zumal der Kläger nicht substantiiert vorgebracht hat, dass und inwieweit ihm persönlich aufgrund der Pandemie zum jetzigen Zeitpunkt eine konkrete Gefahr mit beachtlicher bzw. hoher Wahrscheinlichkeit drohen könnte.
Nach den dem Gericht zur Verfügung stehenden Erkenntnismitteln beziehungsweise allgemein zugänglichen Quellen gibt es in Guinea im maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt 13.368 bestätigte Corona-Fälle. Davon sind 12.598 Personen genesen. Außerdem gibt es 79 Todesfälle (s. etwa Johns Hopkins University, CSSE, COVID 19 Dashboard, https://corona-virus.jhu.edu/map.html, abgerufen am 11.12.2020). Der guineische Staat bleibt jedoch nicht tatenlos. Die guineische Regierung hat am 27. März 2020 den Ausnahmezustand ausgerufen (vgl. Auswärtiges Amt, Reise- und Sicherheitshinweise Guinea, abgerufen am 17.9.2020) und Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie ergriffen, insbesondere wurde zunächst eine verpflichtende Selbstquarantäne im Krankheitsfall und eine verpflichtende stationäre Quarantäne für alle Reisenden verfügt (vgl. BFA, Kurzinformation der Staatendokumentation Afrika – COVID-19 aktuelle Lage, Stand: 10.6.2020, S. 5). Der Flughafen C. ist für den kommerziellen Flugverkehr inzwischen wieder geöffnet. Reisende müssen jedoch bei Einreise einen negativen COVID-19-Test vorlegen, der maximal 72 Stunden alt sein darf (vgl. Auswärtiges Amt, Reise- und Sicherheitshinweise Guinea, abgerufen am 11.12.2020). Eine allgemeine Ausgangssperre besteht tagsüber jedoch ebenso wenig wie Einschränkungen des landesinternen öffentlichen Verkehrs. Nur für den Großraum C. besteht eine nächtliche Ausgangssperre von 0:00 bis 4:00 Uhr, für eine Fahrt von C. ins Landesinnere wird zudem ein negativer COVID-19-Test benötigt (vgl. Auswärtiges Amt, Reise- und Sicherheitshinweise Guinea, abgerufen am 11.12.2020; BFA, Kurzinformation der Staatendokumentation Afrika – COVID-19 aktuelle Lage, Stand: 9.7.2020, S. 10). Auch der innerguineische Flugverkehr findet seit Anfang Mai 2020 wieder statt (vgl. Auswärtiges Amt, Reise- und Sicherheitshinweise Guinea, abgerufen am 17.9.2020), Reisen innerhalb des Landes sind somit uneingeschränkt möglich. Auch die guineischen Präsidentschaftswahlen haben am 18. Oktober 2020 stattgefunden (vgl. Auswärtiges Amt, Reise- und Sicherheitshinweise Guinea, abgerufen am 11.12.2020).
Das Gericht bezweifelt dabei nicht, dass die derzeitige COVID-19-Pandemie und insbesondere die damit verbundenen Einschränkungen und Ausgangssperren zu weltweit – und damit auch in Guinea – spürbaren negativen ökonomischen und sozialen Auswirkungen führen werden. In vielen afrikanischen Ländern waren und sind teilweise nach wie vor Lieferketten unterbrochen, Arbeitsplätze gehen verloren, der Tourismus und auch die Nachfrage nach afrikanischen Exportprodukten (v.a. Rohstoffe) sind eingebrochen (vgl. BFA, Kurzinformation der Staatendokumentation Afrika – COVID-19 aktuelle Lage, Stand: 9.7.2020, S. 6; ebenso Bericht vom 10.6.2020, S. 3). Der Internationale Währungsfond hat Guinea deshalb einen Betrag in Höhe von 148.000.000 US-Dollar zur Bekämpfung der Folgen der Pandemie zur Verfügung gestellt (https://www.imf.org/en/News/Articles/2020/06/19/pr20244-guinea-imf-executive-board-approves-us-million-disbursement-to-address-the-covid-19-pandemic, Stand: 19.6.2020). Es ist darüber hinaus zu berücksichtigen, dass in Guinea nach den vorliegenden Erkenntnissen keine Ausgangssperre zu den Tageszeiten besteht und Reisen innerhalb des Landes möglich sind, weshalb insbesondere berufliche Tätigkeiten zur Erwirtschaftung des Lebensunterhalts auf dem informellen Sektor weiter ausgeübt werden können. Auch wenn sich somit die wirtschaftliche Situation in Guinea aufgrund der Auswirkungen der Covid-19-Pandemie möglicherweise verschlechtert, hält es das Gericht zum jetzigen maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt nicht für beachtlich wahrscheinlich, dass sich die wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse derart negativ entwickeln werden, dass der Kläger nicht mehr in der Lage wäre, zumindest sein Existenzminimum sicherzustellen.
Gegebenenfalls kann der Kläger auch auf private Hilfsmöglichkeiten oder Hilfsorganisationen zurückgreifen, sodass er nicht völlig mittellos wäre und sich in Guinea etwa auch mit Medikamenten, Desinfektionsmitteln oder Gesichtsmasken versorgen könnte. Zudem könnten dem Kläger bei Bedarf auch Medikamente, Desinfektionsmittel oder Gesichtsmasken für eine Übergangszeit mitgegeben werden (vgl. OVG NW, U.v. 24.3.2020 – 19 A 4470/19.A – juris; BayVGH, B.v. 10.10.2019 – 19 CS 19.2136).
2. Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf die hilfsweise beantragte Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 AsylG.
Nach § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG ist ein Ausländer subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Subsidiären Schutz kann nur beanspruchen, wem mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt nach § 4 Abs. 1 Satz 2 AsylG die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe (Nr. 1), Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung (Nr. 2) oder eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (Nr. 3). Die Art der Behandlung oder Bestrafung nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG muss eine Schwere erreichen, die dem Schutzbereich des Art. 3 EMRK zuzuordnen ist und für den Fall, dass die Schlechtbehandlung von nichtstaatlichen Akteuren ausgeht, muss der Staat erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sein, Schutz zu gewähren (§ 4 Abs. 3 Satz 1 AsylG i.V.m. § 3c Nr. 3 AsylG).
Nach dem Vorgesagten erfüllt der Kläger die diesbezüglichen Voraussetzungen nicht. Die Todesstrafe hat Guinea im Juli 2016 abgeschafft (BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation: Guinea, Stand: 2.9.2019, S. 13). Die dem Gericht vorliegenden Erkenntnismittel lassen einen innerstaatlichen bewaffneten Konflikt im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG in Guinea überdies nicht erkennen. Zwar hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung vorgetragen, bei Rückkehr würde ihn die Familie seiner Freundin umbringen, so dass grundsätzlich Anhaltspunkte für eine drohende unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im vorgenannten Sinne vorliegen. Der Kläger muss sich jedoch unabhängig von der Glaubhaftigkeit seines Vorbringens auf die bestehende Möglichkeit und Zumutbarkeit der Inanspruchnahme internen Schutzes verweisen lassen, § 4 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 3e AsylG. Insoweit wird auf obige Ausführungen verwiesen.
3. Dem Kläger steht letztlich auch kein zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu.
a) Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der EMRK ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.
§ 60 Abs. 5 AufenthG verweist auf die EMRK, soweit sich aus dieser zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse ergeben. Gemäß Art. 3 EMRK darf niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Bestrafung oder Behandlung unterworfen werden. Insbesondere genügt nach der Rechtsprechung des EGMR der Umstand, dass im Fall einer Aufenthaltsbeendigung die Lage des Betroffenen erheblich beeinträchtigt würde, nicht aus, um einen Verstoß gegen Art. 3 EMRK zu begründen. Art. 3 EMRK verpflichtet die Staaten nicht, Fortschritte in der Medizin sowie Unterschiede in sozialen und wirtschaftlichen Standards durch freie und unbegrenzte Versorgung von Ausländern ohne Bleiberecht auszugleichen (EGMR, U.v. 27.5.2008 – Nr. 26565/05, N./Vereinigtes Königreich – NVwZ 2008, 1334 Rn. 44). Etwas anderes gilt nur in außergewöhnlichen Ausnahmefällen. Ein Ausnahmefall, in dem humanitäre Gründe zwingend gegen die Aufenthaltsbeendigung sprechen, liegt beispielsweise dann vor, wenn die Versorgungslage im Herkunftsland völlig unzureichend ist (vgl. EGMR, a.a.O. Rn. 42; U.v. 28.6.2011 – Sufi und Elmi/Vereinigtes Königreich, Nr. 8319/07 – NVwZ 2012, 681; U.v. 13.10.2011 – Husseini/Schweden, Nr. 10611/09 – NJOZ 2012, 952).
Gemessen an diesen Grundsätzen sind die humanitären Bedingungen in Guinea nicht derart ungünstig, dass sie zur Feststellung der Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung i.S.d. Art. 3 EMRK führen könnten.
Trotz des hohen wirtschaftlichen Potentials (Reichtum an Rohstoffen, fruchtbare Böden) gehört Guinea zu den ärmsten Ländern der Welt. Ein Großteil der Bevölkerung lebt unter prekären wirtschaftlichen Bedingungen, mindestens 50 Prozent der guineischen Bevölkerung lebt unterhalb der Armutsschwelle (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht Guinea vom 5.7.2019, Stand: Mai 2019, S. 13; BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation: Guinea, Stand: 2.9.2019, S. 19). Ein Problem der Erwerbsmöglichkeiten und Lebensmittelversorgung in der Landwirtschaft stellt der – teilweise entschädigungslose – Verlust von Ackerflächen durch den Bergbau dar, wodurch einheimische Bewohner ihre Lebensgrundlage verlieren können (vgl. BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation: Guinea, Stand: 2.9.2019, S. 19). Gerade die junge Bevölkerung, auch in den Großstädten, ist zu einem Großteil von Arbeitslosigkeit betroffen (vgl. ACCORD, Anfragebeantwortung zu Guinea: Möglichkeiten für einen jungen Angehörigen der Fulla, ohne Unterstützung durch Familie oder Freunde und ohne spezifische Berufsausbildung seine Existenzgrundlage zu sichern, 9.11.2015). Staatliche Unterstützung für Mittellose oder eine Arbeitslosenversicherung existieren ebenso wenig wie kostenlose medizinische Versorgung, so dass Behandlungskosten selbst aufgebracht werden müssen (vgl. BFA; Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zu Guinea: Aktuelle Informationen zur Rückkehrsituation, bzw. Hilfe bei Rückkehr, 9.1.2018, S. 1; ACCORD, Anfragebeantwortung v. 9.11.2015, a.a.O.). Die Ebola-Epidemie hat deutlich gemacht, dass das staatliche Gesundheitswesen generell unzureichend ist (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht Guinea vom 5.7.2019, Stand: Mai 2019, S. 14). Im Jahr 2015 begann die Regierung daher eine Sanierung des Gesundheitssystems, die sich auf die Rekrutierung und Ausbildung von medizinischem Personal, den Bau und Wiederaufbau der Infrastruktur und die Entwicklung der medizinischen Forschung konzentrierte (vgl. Medical Country of Origin Information, Country Fact Sheet – Access to Healthcare: Guinea, Stand: August 2019, S. 95). Die allgemeine Lage in Guinea ist daher in ihrer Gesamtschau problematisch und bleibt deutlich hinter europäischen Standards zurück. Gleichwohl liegt keine derart unzureichende Versorgungslage vor, die einen besonderen Ausnahmefall im oben genannten Sinne begründet. Im Jahr 2017 hat die IOM (Internationale Organisation für Migration) die Umsetzung der AVRR-Programme (Assisted Voluntary Return and Reintegration) fortgesetzt, um den Migranten Guineas sichere und würdige Rückkehrmöglichkeiten zu bieten (vgl. BFA, Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zu Guinea: Aktuelle Informationen zur Rückkehrsituation bzw. Hilfe bei Rückkehr, 9.1.2018, S. 4). Für erwerbsfähige, nach Guinea zurückkehrende Personen kann somit keine beachtliche Wahrscheinlichkeit dafür festgestellt werden, dass die humanitären Bedingungen das notwendige Maß einer zur Verletzung von Art. 3 EMRK führenden Behandlung erreichen (vgl. VG Berlin, U.v. 19.9.2019 – 31 K 397.19 A – juris Rn. 36).
Im Übrigen hat das erkennende Gericht auch keine Zweifel daran, dass der junge und kinderlose Kläger ohne gravierende Gesundheitsbeeinträchtigungen, der über eine grundlegende Schulbildung und Arbeitserfahrung verfügt, im Anschluss an eine Rückkehr nach Guinea seine wirtschaftliche Existenz sichern können wird. Dies hat der mittlerweile volljährige Kläger auf seiner selbst organisierten Ausreise unter Beweis gestellt, bei einer Rückkehr werden ihm die in Europa gemachten Erfahrungen ebenfalls zum Vorteil gereichen.
b) Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf die Feststellung eines Abschiebungsverbots im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG.
Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Dabei ist unerheblich, von wem die Gefahr ausgeht oder wodurch sie hervorgerufen wird, die Regelung stellt alleine auf das Bestehen einer konkreten Gefahr ab, unabhängig davon, ob sie vom Staat ausgeht oder ihm zuzurechnen ist (vgl. BVerwG, U.v. 17.10.1995 – 9 C 9/95 – BVerwGE 99, 324). Es gilt der Gefahrenmaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit.
§ 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG setzt das Vorliegen einer zielstaatsbezogenen Gefahr voraus, die den Ausländer konkret und in individualisierbarer Weise betrifft. Eine unmittelbare Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG scheidet allerdings dann aus, wenn die Gefahr eine Vielzahl von Personen im Herkunftsland in gleicher Weise betrifft, so z. B. allgemeine Gefahren im Zusammenhang mit Hungersnöten oder Naturkatastrophen, § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG. Diese allgemeinen Gefahren sind stattdessen bei Aussetzungsanordnungen durch die obersten Landesbehörden nach § 60 Abs. 7 Satz 5 i.V.m. § 60a Abs. 1 AufenthG zu berücksichtigen. Gleichwohl kann ein Ausländer nach der Rechtsprechung des BVerwG im Hinblick auf die im Herkunftsland herrschenden Existenzbedingungen trotz Fehlens einer politischen Leitentscheidung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG Abschiebungsschutz beanspruchen, wenn er im Fall der Rückkehr aufgrund dieser Bedingungen mit hoher Wahrscheinlichkeit einer Extremgefahr für Leib, Leben oder Freiheit ausgesetzt wäre. Dann gebieten es die Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 GG, dem betroffenen Ausländer im Wege verfassungskonformer Auslegung Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu gewähren (vgl. BVerwG, U.v. 29.6.2010 – 10 C 10.09, NVwZ 2011, 48 Rn. 14 f.). Wann sich allgemeine Gefahren zu einem Abschiebungsverbot verdichten, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab und entzieht sich einer rein quantitativen oder statistischen Betrachtung. Es muss sich aber jedenfalls um Gefahren handeln, die nach Art, Ausmaß und Intensität von erheblichem Gewicht sind. Dies ist der Fall, wenn der Ausländer gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert werden würde (vgl. BVerwG, U.v. 12.7.2001 – 1 C 5.01 – BVerwGE 115, 1 ff. m.w.N.; BayVGH. U.v. 17.2.2009 – 9 B 08.30225 – juris m.w.N.; für den Fall einer schlechten Lebensmittelversorgung, die den Betroffenen im Fall der Rückkehr nach seiner speziellen Lebenssituation in die konkrete Gefahr des Hungertods bringen würde: vgl. etwa BVerwG, U.v. 29.6.2010 – 10 C 10.09 -; BVerwG, U.v. 8.9.2011 – 10 C 14.10 -; BVerwG, U.v. 29.9.2011 – 10 C 24.10 -; BVerwG, U.v. 13.6.2013 – 10 C 13.12 -; BayVGH, U.v. 16.1.2014 – 13a B 13.30025 -, alle juris). Bezüglich der Wahrscheinlichkeit des Eintritts der drohenden Gefahren ist von einem im Vergleich zum Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit erhöhten Maßstab auszugehen.
Wie bereits dargestellt, ist die Versorgungslage in Guinea problematisch. Die allgemeine schlechte wirtschaftliche Lage in Guinea kann aber kein generelles Abschiebungsverbot i.S.d. § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG begründen, da es sich hierbei um eine allgemeine Gefahr handelt, die einen Großteil der guineischen Bevölkerung betrifft, mit der Folge, dass grundsätzlich die Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG eingreift. Gleiches gilt für die derzeitige COVID-19-Pandemie. Ausgehend von den oben dargestellten Maßstäben kann alleine in wenigen besonders gelagerten Einzelfällen eine mit hoher Wahrscheinlichkeit bestehende Extremgefahr für Leib, Leben oder Freiheit angenommen werden, welche die allgemeine Gefahr zu einem Abschiebungsverbot verdichtet.
Im Fall des Klägers kann eine derartige Extremgefahr jedoch nicht prognostiziert werden. Auch insoweit gilt, wie bereits ausgeführt, dass das Gericht davon überzeugt ist, dass es ihm möglich sein wird, seine Lebensgrundlage – auch unter Berücksichtigung der COVID-19-Pandemie – durch eigene Erwerbstätigkeit zu sichern. Es gibt auch keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür, dass die Gefahr für den Kläger, sich in Guinea mit SARS-CoV-2 zu infizieren, nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht ist, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung die begründete Furcht ableiten lässt, er werde in erheblicher Weise ein Opfer der extremen allgemeinen Gefahrenlage.
Eine solche extreme, konkrete Gefahrenlage ist für den Kläger im Hinblick auf die Verbreitung des Coronavirus für das Gericht derzeit nicht erkennbar. Der 18 Jahre alte Kläger ohne erkennbare relevante Vorerkrankungen gehört nicht zu der Personengruppe mit einem höheren Risiko für einen schweren, möglicherweise lebensbedrohlichen Verlauf der COVID-19-Erkrankung (vgl. Robert Koch-Institut, Informationen und Hilfestellungen für Personen mit einem höheren Risiko für einen schweren COVID-19-Krankheitsverlauf; https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Risikogruppen.html, Stand: 29.10.2020). Unter Berücksichtigung der oben aufgeführten Fallzahlen und des damit einhergehenden Ansteckungsrisikos besteht in Guinea derzeit nach dem oben genannten Maßstab keine hohe Wahrscheinlichkeit eines schweren oder tödlichen Verlaufs der Erkrankung für die Personengruppe, welcher der Kläger angehört. Er muss sich letztlich, wie hinsichtlich etwaiger anderer Erkrankungen, wie etwa Malaria, HIV, Masern, Cholera, Lassa-Fieber, Meningitis oder Tuberkulose, bei denen die Wahrscheinlichkeit einer Ansteckung und eines schweren Verlaufs teilweise um ein Vielfaches höher liegt als bei dem Coronavirus (vgl. zu Ebola VG Münster, U.v. 19.9.2014 – 1 K 2268/13.A – juris), im Bedarfsfalle auf die Möglichkeiten des – zugegebenermaßen mangelhaften – guineischen Gesundheits- und Sozialsystems (vgl. BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Guinea, Stand: 2.9.2019, S. 20; Auswärtiges Amt, Lagebericht Guinea, Stand: Mai 2019, vom 5.7.2019, S. 14) verweisen lassen (§ 60 Abs. 7 Satz 4 AufenthG).
Des Weiteren ist festzuhalten, dass die Ansteckungsgefahr mit dem Coronavirus auch in Guinea nicht in allen Landesteilen gleich hoch ist. Vielmehr gibt es erhebliche regionale Unterschiede (vgl. BFA, Kurzinformation der Staatendokumentation Afrika, COVID-19 – aktuelle Lage vom 9.7.2020, S. 5 f., 8 sowie vom 10.6.2020, S. 5 f., 8) beim Risiko, angesteckt zu werden. Darüber hinaus bestehen – wie auch in anderen Staaten, wie etwa in Deutschland – individuell persönliche Schutzmöglichkeiten, wie das Tragen einer Gesichtsmaske oder die Wahrung von Abstand zu anderen Personen, um das Risiko einer Ansteckung durch eigenes Verhalten zu minimieren.
Wie schon ausgeführt, hat das Gericht weiter keine triftigen Anhaltspunkte, geschweige denn konkrete Belege, dass sich die Lebensverhältnisse und die humanitären Lebensbedingungen in Folge der Covid-19-Pandemie in Guinea in der Weise verschlechtert hätten oder alsbald verschlechtern würden, dass generell für jeden Rückkehrer eine extreme Gefahr im oben zitierten Sinn mit hoher Wahrscheinlichkeit drohen würde. Gerade angesichts der regionalen Unterschiede bestehen weiterhin ausreichende Möglichkeiten, sich ein Existenzminimum zu erwirtschaften, so dass eine Rückkehr nach Guinea zumutbar ist. Bei der Nahrungsmittel- und Wasserversorgung kommt es zudem zu keinem Mangel, der über das übliche Maß hinausgehen würde (vgl. BFA, Kurzinformation der Staatendokumentation Afrika, COVID-19 – aktuelle Lage vom 9.7.2020, S. 8 f. sowie vom 10.6.2020, S. 9).
Nach alledem gibt es keine belastbaren Anhaltspunkte dafür, dass sich die Wirtschafts- und Versorgungslage der Bevölkerung trotz internationaler humanitärer Hilfe und trotz lokaler Hilfsbereitschaft infolge der Pandemie derart verschlechtern würde, dass der Kläger nicht mehr in der Lage wäre, den Lebensunterhalt für sich sicherzustellen (vgl. OVG Berlin-Bbg, B.v. 1.10.2020 – 3 N 135/20 – juris; VG Cottbus, U.v. 9.7.2020 – 5 K 755/20 A). Das Gericht verkennt – auch unter Berücksichtigung der COVID-19-Pandemie – nicht die mitunter schwierigen Lebensverhältnisse in Guinea. Diese betreffen jedoch guineische Staatsangehörige in vergleichbarer Lage in gleicher Weise wie den Kläger.
4. Letztlich bestehen auch an der Rechtmäßigkeit der Ausreiseaufforderung und der auf §§ 34 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1, 38 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG beruhenden Abschiebungsandrohung nach Guinea keine Bedenken. Dies gilt auch im Hinblick auf die Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung. Ermessensfehler (§ 114 Satz 1 VwGO) sind weder ersichtlich, noch vorgetragen.
5. Nach alledem war die Klage mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Das Verfahren ist gerichtskostenfrei, § 83b AsylG.


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