Verwaltungsrecht

Flüchtlingsrelevante religiöse Verfolgung in Afghanistan aufgrund Konversion – Keine inländische Schutzalternative

Aktenzeichen  W 9 K 18.31255

Datum:
18.9.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 39293
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 3 Abs. 1, Abs. 4, § 3a Abs. 1, 3b Abs. 1 Nr. 2, § 4
AufenthG § 11 Abs. 1, § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1
QRL Art. 9 Abs. 1a
GRCh Art. 10 Abs. 1

 

Leitsatz

1. Zum Christentum konvertierte ehemalige Moslems in Afghanistan sind gezwungen, ihren Glauben entweder ganz zu verleugnen oder ihn zumindest auch im privaten Umfeld zu verheimlichen, da anderenfalls schwerwiegende Übergriffe durch staatliche oder nicht-staatliche Akteure nicht ausgeschlossen werden können. Dauerhafter staatlicher Schutz vor derartigen Übergriffen ist derzeit – auch nur in bestimmten Landesteilen – nicht erreichbar (so auch VG Würzburg BeckRS 2018, 9410). (Rn. 27) (redaktioneller Leitsatz)
2. Eine zumutbare innerstaatliche Fluchtalternative – auch in den Städten Kabul, Herat oder Mazar-e Sharif- für glaubhaft vom Islam abgefallene ehemalige Moslems in Afghanistan scheidet landesweit aus, wenn sie nicht bereit sind, entgegen ihrer inneren Überzeugung an religiösen Riten und Feierlichkeiten teilzunehmen. (Rn. 41) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Ziffer 1 und Ziffern 3 bis 6 des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 17. März 2017 werden aufgehoben.
Die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 AsylG zuzuerkennen.
II. Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vorher in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

Gründe

Die zulässige Klage, über die trotz des Ausbleibens eines Vertreters der Beklagten in der mündlichen Verhandlung verhandelt und entschieden werden konnte (§ 102 Abs. 2 VwGO), ist auch begründet. Der Kläger hat einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 1, Abs. 4 AsylG. Der Ablehnungsbescheid des Bundesamtes vom 17. März 2017 ist, soweit seine Aufhebung begehrt wird, rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1, Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Rechtsgrundlage der begehrten Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ist vorliegend § 3 Abs. 4 und Abs. 1 AsylG. Danach wird einem Ausländer, der Flüchtling nach § 3 Abs. 1 AsylG ist, die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, soweit er keinen Ausschlusstatbestand nach § 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG erfüllt. Ein Ausländer ist Flüchtling i.S.d. Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (Genfer Konvention – GK), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will. Nach § 77 Abs. 1 AsylG ist vorliegend das Asylgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 2. September 2008 (BGBl. I S. 1798), das zuletzt durch Artikel 2 des Gesetzes vom 20. Juli 2017 (BGBl. I S. 2780) geändert worden ist (AsylG), anzuwenden. Dieses Gesetz setzt in §§ 3 bis 3e AsylG – wie die Vorgängerregelungen in §§ 3 ff. AsylVfG – die Vorschriften der Art. 6 bis 10 der Richtlinie 2011/95/EU vom 28. August 2013 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (Amtsblatt Nr. L 337, S. 9) – Qualifikationsrichtlinie (QRL) im deutschen Recht um. Nach § 3a Abs. 1 AsylG gelten als Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG Handlungen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Art. 15 Abs. 2 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 – EMRK (BGBl 1952 II, S. 685, 953) keine Abweichung zulässig ist (Nr. 1), oder die in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nr. 1 beschriebenen Weise betroffen ist (Nr. 2). Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 AsylG muss die Verfolgung an eines der flüchtlingsrelevanten Merkmale anknüpfen, die in § 3b Abs. 1 AsylG näher beschrieben sind, wobei es nach § 3b Abs. 2 AsylG ausreicht, wenn der betreffenden Person das jeweilige Merkmal von ihren Verfolgern zugeschrieben wird. Nach § 3c AsylG kann eine solche Verfolgung nicht nur vom Staat, sondern auch von nicht-staatlichen Akteuren ausgehen.
Schutz vor Verfolgung kann gemäß § 3d AsylG nur geboten werden vom Staat oder von Parteien oder Organisationen einschließlich internationaler Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen, sofern sie willens und in der Lage sind, Schutz zu bieten. Der Schutz muss gemäß § 3d Abs. 2 AsylG wirksam und nicht nur vorübergehender Art sein. Dem Ausländer wird die Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3e AsylG jedoch nicht zuerkannt, wenn er in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zum Schutz vor Verfolgung nach § 3d AsylG hat, sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt. Bei Prüfung der Frage, ob ein Teil des Herkunftslandes diese Voraussetzungen erfüllt, sind gemäß § 3e Abs. 2 AsylG die dortigen allgemeinen Gegebenheiten und die persönlichen Umstände des Ausländers gemäß Art. 4 der RL 2011/95/EU zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag zu berücksichtigen. Nach Art. 4 Abs. 4 der RL 2011/95/EU ist die Tatsache, dass ein Ausländer bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Ausländers vor Verfolgung begründet ist bzw. dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Ausländer erneut von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht wird. Wer bereits Verfolgung bzw. einen ernsthaften Schaden erlitten hat, für den streitet somit die tatsächliche Vermutung, dass sich frühere Handlungen und Bedrohungen bei einer Rückkehr in das Herkunftsland wiederholen werden (BVerwG, U.v. 7.9.2010 – 10 C 11/09 – juris).
Bei der Beurteilung der Flüchtlingseigenschaft ist der asylrechtliche Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit zu Grunde zu legen. Dies setzt voraus, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine „qualifizierende“ Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Hierbei ist maßgeblich, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann (BVerwG, U.v. 20.2.2013 – 10 C 23/12 – BVerwGE 146, 67-89 – juris).
Der Schutzsuchende muss sein Verfolgungsschicksal glaubhaft zur Überzeugung des Gerichts darlegen. Er muss die in seine Sphäre fallenden Ereignisse, zu denen insbesondere seine persönlichen Erlebnisse fallen, in einer Art und Weise schildern, die geeignet ist, den geltend gemachten Anspruch lückenlos zu tragen. Dies ist nicht der Fall, wenn der Schutzsuchende im Laufe der Verfahrens unterschiedliche Angaben macht und sein Vorbringen unauflösbare Widersprüche enthält, wenn seine Darstellungen nach der Lebenserfahrung oder aufgrund der Kenntnis entsprechender vergleichbarer Geschehensabläufe nicht nachvollziehbar erscheinen, und auch dann, wenn er sein Vorbringen im Laufe des Verfahrens steigert, insbesondere wenn er Tatsachen, die er für sein Begehren als maßgeblich erachtet, ohne vernünftige Erklärung erst sehr spät in das Verfahren einführt (vgl. zum Ganzen: VGH BW, U.v. 27.8.2013 – A 12 S 2023/11; HessVGH, U.v. 4.9.2014 – 8 A 2434/11.A – beide juris).
Gemessen an diesen Maßstäben befindet sich der Kläger aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Religion außerhalb des Landes, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt. Aufgrund seiner Konversion zum christlichen Glauben droht ihm im Falle seiner Rückkehr nach Afghanistan eine Verfolgung im Sinne des § 3a Abs. 1 AsylG. Für den Kläger besteht auch keine Möglichkeit des internen Schutzes im Sinne des § 3e AsylG.
Eine Verfolgung im Sinne des Art. 9 Abs. 1a QRL, der durch § 3a Abs. 1 AsylG umgesetzt wurde, kann nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH, U.v. 5.9.2012 – Y und Z, C-71/11 und C-99/11 – juris Rn. 57 ff.) sowie der höchst- und obergerichtlichen Rechtsprechung (BVerwG, U.v. 20.2.2013 – 10 C 23/12 – juris Rn. 21 ff.; VGH BW, U.v. 12.6.2013 – A 11 S 757/13 – juris Rn. 41 ff.; OVG NRW, U.v. 7.11.2012 – 13 A 1999/07.A – juris Rn. 23 ff.) auch in einer schwerwiegenden Verletzung des in Art. 10 Abs. 1 GR-Charta verankerten Rechtes auf Religionsfreiheit liegen, die den Betroffenen erheblich beeinträchtigt. Die „erhebliche Beeinträchtigung“ muss nicht schon eingetreten sein, es genügt bereits, dass ein derartiger Eingriff unmittelbar droht (BVerwG, a.a.O. Rn. 21). Zur Qualifizierung eines Eingriffs in das Recht aus Art. 10 Abs. 1 GR-Charta als „erheblich“ kommt es nicht auf die im Rahmen des Art. 16a Abs. 1 GG sowie des § 51 Abs. 1 AuslG 1990 maßgebliche Unterscheidung an, ob in dem Kernbereich der Religionsfreiheit, das „religiöse Existenzminimum“ (forum internum) eingegriffen wird oder ob die Glaubensbetätigung in der Öffentlichkeit (forum externum) betroffen ist (vgl. BVerwG, U.v. 20.1.2004 – 1 C 9/03 – BVerwGE 120, 16-26 – juris Rn. 12 ff. m.w.N.). Vielmehr kann ein gravierender Eingriff in die Freiheit, den Glauben im privaten Bereich zu praktizieren, ebenso zur Annahme einer Verfolgung führen wie ein Eingriff in die Freiheit, diesen Glauben öffentlich zu leben (EuGH, a.a.O. Rn. 62 f.; BVerwG, a.a.O. Rn. 24 ff.; VGH BW a.a.O. Rn. 43; OVG NRW a.a.O. Rn. 29 ff.). Für die Frage der Erheblichkeit der Beeinträchtigungen ist daher abzustellen auf die Art der Repressionen und deren Folge für den Betroffenen (EuGH, a.a.O. Rn. 65 ff.), mithin auf die Schwere der Maßnahmen und Sanktionen, die dem Ausländer drohen (BVerwG, a.a.O. Rn. 28 ff.; VGH BW, a.a.O.; OVG NRW a.a.O.).
Das Grundrecht aus Art. 10 Abs. 1 GR-Charta umfasst auch die sogenannte negative Religionsfreiheit, d.h. die Freiheit, eine bestimmte religiöse Überzeugung nicht zu teilen bzw. nicht an religiösen Handlungen teilzunehmen (Jarass, Charta der Grundrechte der EU, 2. Aufl. 2013, Art. 10 Rn. 10; Bernsdorff in Meyer, Charta der Grundrechte der EU, 4. Aufl. 2014, Art. 10 Rn. 12), weshalb insoweit dieselben o.g. Maßstäbe gelten wie bei der Beurteilung eines Eingriffs in die positive Religionsfreiheit. Die Beurteilung, wann eine Verletzung der Religionsfreiheit die erforderliche Schwere aufweist, um die Voraussetzungen einer Verfolgungshandlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a) QRL zu erfüllen, hängt von objektiven wie auch subjektiven Gesichtspunkten ab (EuGH, U.v. 5.9.2012 – Y und Z, C-71/11 und C-99/11 – juris Rn. 70; BVerwG, U.v. 20.2.2013 – 10 C 23/12 – juris Rn. 28 ff.).
Objektive Gesichtspunkte sind insbesondere die Schwere der dem Ausländer bei Ausübung seiner Religion drohenden Verletzung anderer Rechtsgüter wie z.B. Leib und Leben. Die erforderliche Schwere kann insbesondere – aber nicht nur – dann erreicht sein, wenn dem Ausländer durch die Teilnahme an religiösen Riten in der Öffentlichkeit die Gefahr droht, an Leib, Leben oder Freiheit verletzt, strafrechtlich verfolgt oder einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden. Bei strafrechtsbewehrten Verboten kommt es insoweit maßgeblich auf die tatsächliche Strafverfolgungspraxis im Herkunftsland des Ausländers an, weil ein Verbot, das erkennbar nicht durchgesetzt wird, keine erhebliche Verfolgungsgefahr begründet (BVerwG, U.v. 20.2.2013 – 10 C 23/12 – juris Rn. 28 m.w.N.).
Als relevanter subjektiver Gesichtspunkt ist der Umstand anzusehen, dass für den Betroffenen die Befolgung einer bestimmten gefahrenträchtigen religiösen Praxis zur Wahrung seiner religiösen Identität besonders wichtig ist (EuGH, U.v. 5.9.2012 – Y und Z, C-71/11 und C-99/11 – juris Rn. 70; BVerwG, U.v. 20.2.2013 – 10 C 23/12 – juris Rn. 29; VGH BW, U.v. 12.6.2013 – A 11 S 757/13 – juris Rn. 48; OVG NRW, U.v. 7.11.2012 – 13 A 1999/07.A – juris Rn. 35). Denn der Schutzbereich der Religionsfreiheit er-fasst sowohl die von der Glaubenslehre vorgeschriebenen Verhaltensweisen als auch diejenigen, die der einzelne Gläubige für sich selbst als unverzichtbar empfindet. Dabei kommt es auf die Bedeutung der religiösen Praxis für die Wahrung der religiösen Identität des einzelnen Ausländers an, auch wenn die Befolgung einer solchen religiösen Praxis nicht von zentraler Bedeutung für die betreffende Glaubensgemeinschaft ist (BVerwG, B.v. 9.12.2010 – 10 C 19.09 – BVerwGE 138, 270-289 – juris Rn. 43; VGH BW a.a.O.). Maßgeblich ist dabei, wie der einzelne Gläubige seinen Glauben lebt und ob die verfolgungsträchtige Glaubensbetätigung für ihn persönlich nach seinem Glaubensverständnis unverzichtbar ist (BVerwG, U.v. 20.2.2013, a.a.O. Rn. 29). Dieser Maßstab setzt nicht voraus, dass der Betroffene innerlich zerbrechen oder jedenfalls schweren seelischen Schaden nehmen würde, wenn er auf eine entsprechende Praktizierung seines Glaubens verzichten müsste (BVerwG a.a.O. Rn. 30). Jedoch muss die konkrete Glaubenspraxis ein zentrales Element seiner religiösen Identität und in diesem Sinne für ihn unverzichtbar sein. Demgegenüber reicht nicht aus, dass der Asylbewerber eine enge Verbundenheit mit seinem Glauben hat, wenn er diesen – jedenfalls im Aufnahmemitgliedstaat – nicht in einer Weise lebt, die ihn im Herkunftsstaat der Gefahr der Verfolgung aussetzen würde. Maßgeblich für die Schwere der Verletzung der religiösen Identität ist die Intensität des Drucks auf die Willensentscheidung des Betroffenen, seinen Glauben auszuüben oder hierauf zu verzichten (BVerwG a.a.O.; VGH BW a.a.O. Rn. 49).
Die Tatsache, dass er die unterdrückte religiöse (Nicht-)Betätigung für sich selbst als verpflichtend empfindet, um seine religiöse Identität zu wahren, muss der Asylbewerber zur vollen Überzeugung des Gerichts nachweisen (BVerwG, U.v. 25.8.2015 – 1 B 40/15 – juris Rn. 13; U.v. 20.2.2013 – 10 C 23/12 – juris Rn. 30; B.v. 9.12.2010 – 10 C 19.09 – BVerwGE 138, 270-289 – juris Rn. 43; OVG NRW, B.v. 11.10.2013 – 13 A 2041/13.A – juris Rn. 7; U.v. 7.11.2012 – 13 A 1999/07.A – juris Rn. 13). Da es sich um eine innere Tatsache handelt, lässt sich die religiöse Identität nur aus dem Vorbringen des Asylbewerbers sowie im Wege des Rückschlusses von äußeren Anhaltspunkten auf die innere Einstellung des Betroffenen aufgrund einer ausführlichen Anhörung in der mündlichen Verhandlung feststellen (BVerwG, B.v. 25.8.2015 – a.a.O. Rn. 14; U.v. 20.2.2013 – a.a.O. Rn. 31; VGH BW, B.v. 5.12.2017 – A 11 S 1144/77 – juris Rn. 63; VGH BW, U.v. 12.6.2013 – A 11 S 757/13 – juris Rn. 50).
Gemessen an diesen Grundsätzen liegen im Falle des Klägers die erforderliche objektive (1.) und subjektive (2.) Schwere der ihm im Falle seiner Rückkehr nach Afghanistan drohenden Verletzung seiner Religionsfreiheit vor. Ihm droht deshalb aufgrund eines anzuerkennenden subjektiven Nachfluchtgrundes mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine flüchtlingsrelevante Verfolgung im Sinne des §§ 3 Abs. 1 Nr. 1, 3a Abs. 1 und 3b Abs. 1 Nr. 2 AsylG.
1. Nach der Überzeugung des Gerichtes sind zum Christentum konvertierte ehemalige Moslems in Afghanistan gezwungen, ihren Glauben entweder ganz zu verleugnen oder ihn zumindest auch im privaten Umfeld zu verheimlichen, da anderenfalls schwerwiegende Übergriffe durch staatliche oder nicht-staatliche Akteure nicht ausgeschlossen werden können. Dauerhafter staatlicher Schutz vor derartigen Übergriffen ist derzeit – auch nur in bestimmten Landesteilen – nicht erreichbar (OVG NRW, U.v. 19.6.2008 – 20 A 3886/05.A; VG Würzburg, U.v. 23.4.2018 – W 1 K 18.30052 – beide juris). Auch für Atheisten ist davon auszugehen, dass ihre Glaubensausübung nicht gestattet und praktisch auch nicht möglich ist, sie deshalb mit entsprechenden staatlichen bzw. vor allem nichtstaatlichen Diskriminierungen durch die eigene Familie oder ihr Wohnumfeld bis hin zur Todesstrafe bedroht werden, falls ihr Abfall vom Glauben in Afghanistan bekannt wird (OVG NRW, B.v. 27.4.2016 – 13 A 854/16.A; VG Magdeburg, U.v. 30.9.2014 – 5 A 193/13 MD – beide juris). Dies ergibt sich aus Folgendem:
Die Verfassung der Islamischen Republik Afghanistan erklärt den Islam zur Staatsreligion Afghanistans. Zwar ist die Religionsfreiheit in der afghanischen Verfassung verankert. Die von Afghanistan ratifizierten internationalen Verträge und Konventionen wie auch die nationalen Gesetze sind jedoch allesamt im Lichte des generellen Scharia-Vorbehalts (Art. 3 der Verfassung) zu verstehen. Die Glaubensfreiheit, die auf die freie Religionswahl beinhaltet, gilt daher de facto in Afghanistan nur eingeschränkt. Die Abkehr vom Islam (Apostasie) wird nach der Scharia als Verbrechen betrachtet, auf das die Todesstrafe steht. Allerdings sind in jüngerer Zeit keine Fälle bekannt, in denen die Todesstrafe aufgrund von Apostasie verhängt wurde. Gefahr bis hin zur Ermordung droht Konvertiten hingegen oft aus dem familiären oder nachbarschaftlichen Umfeld. Neben der drohenden strafrechtlichen Verfolgung werden Konvertiten in der Gesellschaft ausgegrenzt und zum Teil angegriffen. Allein der Verdacht, jemand könnte zum Christentum konvertiert sein, kann dazu führen, dass diese Person bedroht oder angegriffen wird. Für christliche Afghanen gibt es keine Möglichkeit der Religionsausübung außerhalb des häuslichen Rahmens, wobei diese selbst dort aus Sicherheitsgründen meist nicht eingeladen werden (vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amtes v. 31.5.2018, S. 10 f.; Auswärtiges Amt, Auskunft an das VG Hamburg v. 22.12.2004, Az.: 508-516.80/43288; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Afghanistan: Update – Die aktuelle Sicherheitslage, v. 14.9.2017, S. 26 f.; UNHCR, Eligibility Guidelines for assessing the international protection needs of asylum-seekers from Afghanistan, v. 30.8.2018, S. 58 ff.; EASO, Country of Origin Information Report – Individuals targeted under societal and legal norms, Dezember 2017, S. 23; Internationale Gesellschaft für Menschenrechte – IGFM, Situation christlicher Konvertiten in Afghanistan – Stellungnahme v. 27.2.2008, S. 1, 8 ff.; Dr. Mostafa Danesch, Gutachten v. 13.5.2004 an das VG Braunschweig). Nach den in Afghanistan vorherrschenden (sunnitischen und schiitischen) Rechtsschulen muss ein vom Islam Abgefallener zur Reue aufgefordert werden. Der Betroffene hat dann drei Tage Bedenkzeit. Widerruft er bis dahin seinen Glaubenswechsel nicht, so ist sein Leben nach islamischer Rechtsauffassung verwirkt (UNHCR, Eligibility Guidelines for assessing the international protection needs of asylum-seekers from Afghanistan, v. 30.8.2018, S. 64; EASO, Country of Origin Information Report – Individuals targeted under societal and legal norms, Dezember 2017, S. 23; IGFM, Stellungnahme v. 27.2.2008, S. 8). Aus diesen Gründen sind in Afghanistan zum Christentum konvertierte ehemalige Moslems gezwungen, ihren Glauben zu verheimlichen. Es ist ihnen nicht möglich, an Gottesdiensten teilzunehmen, die ohnehin nur in privaten Häusern abgehalten werden könnten, und sie können ihren Glauben nicht einmal im familiären bzw. nachbarschaftlichen Umfeld ausüben (Lagebericht des Auswärtigen Amtes v. 31.5.2018, S. 11; Auswärtiges Amt, Auskunft an das VG Hamburg v. 22.12.2004, Az.: 508-516.80/43288; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Afghanistan: Update – Die aktuelle Sicherheitslage, v. 14.9.2017, S. 26 f.; UNHCR, Eligibility Guidelines for assessing the international protection needs of asylum-seekers from Afghanistan, v. 30.8.2018, S. 63 f.; Dr. Mostafa Danesch, Gutachten v. 13.5.2004 an das VG Braunschweig). Es wäre Christen auch nicht möglich, sich der Teilnahme an muslimischen Riten wie dem fünf Mal täglichen Gebet, dem Moscheebesuch oder islamischen Feierlichkeiten zu entziehen (Dr. Mostafa Danesch a.a.O.). Damit sind zum Christentum konvertierte Moslems in Afghanistan für den Fall, dass sie ihren Glauben nicht ablegen bzw. nicht verleugnen wollen, der Gefahr erheblicher Repressalien auch im privaten Umfeld bis hin zu Ehrenmorden ausgesetzt (Lagebericht des Auswärtigen Amtes v. 31.5.2018, S. 11; Auswärtiges Amt, Auskunft an das VG Hamburg v. 22.12.2004, Az.: 508-516.80/43288; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Afghanistan: Update – Die aktuelle Sicherheitslage, v. 14.9.2017, S. 26 f.; UNHCR, Eligibility Guidelines for assessing the international protection needs of asylum-seekers from Afghanistan, v. 30.8.2018, S. 63 f.; IGFM, Situation christlicher Konvertiten in Afghanistan – Stellungnahme v. 27.2.2008, S. 1, 5, 8 f.; Dr. Mostafa Danesch a.a.O.).
2. Im Falle des Klägers liegt auch die erforderliche subjektive Schwere der Verletzung der Religionsfreiheit vor, weil es nach Überzeugung des Gerichts ein unverzichtbarer Bestandteil seiner religiösen Identität ist, seinen Glauben nicht zu verheimlichen, sondern ihn offen auszuüben, insbesondere an christlichen Gottesdiensten teilzunehmen und in der Bibel zu lesen.
Der formale Glaubenswechsel des Klägers ist durch den bereits vollzogenen Akt der Taufe am … … 2018 belegt. Darüber hinaus ist jedoch für die Annahme einer Verfolgungsgefahr und damit für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft erforderlich, dass der Glaubenswechsel, insbesondere wenn er erst nach der Ausreise aus dem Herkunftsland durchgeführt wurde, nicht rein aus asyltaktischen Gründen erfolgt, sondern auf einem ernsthaften, dauerhaften religiösen Einstellungswandel beruht und nunmehr die religiöse Identität des Betroffenen prägt (BayVGH, B.v. 20.4.2015 – 14 ZB 13.30257 – juris Rn. 4; B.v. 9.4.2015 – 14 ZB 14.30444 – juris Rn. 7; HessVGH, U.v. 26.7.2007 – 8 UE 3140/05.A – juris Rn. 20 ff.; OVG NRW, U.v. 7.11.2012 – 13 A 1999/07.A – juris Rn. 37 ff.). Auf eine solche echte Glaubensüberzeugung kommt es nur dann nicht an, wenn im Herkunftsland bereits die Tatsache des formalen Glaubenswechsels genügt, um eine Verfolgungsgefahr zu begründen, selbst wenn der Betroffene seinen Glauben verheimlichen oder gar verleugnen würde (HessVGH a.a.O.). Letzteres ist in Afghanistan nach der Erkenntnislage und der Rechtsprechung (vgl. z.B. HessVGH a.a.O.), der sich das erkennende Gericht anschließt, jedoch nicht der Fall.
Das Gericht ist aufgrund des in der mündlichen Verhandlung gewonnenen Eindrucks von der Ernsthaftigkeit des vom Kläger geschilderten Glaubenswechsels überzeugt.
Der Kläger machte auf die erkennende Einzelrichterin in der mündlichen Verhandlung einen sehr ehrlichen, ernsthaften und authentischen Eindruck. Seine Antworten auf die Fragen des Gerichts waren stets spontan und ohne Zögern. An keiner Stelle drängte sich dem Gericht der Eindruck auf, dass der Kläger in seinen Aussagen inhaltlich übertreiben würde oder auswendig Gelerntes wiedergeben würde. Vielmehr ist das Gericht davon überzeugt, dass der Kläger stets in jeder Hinsicht wahrheitsgemäß von tatsächlichen eigenen Überzeugungen und Erlebnissen berichtet hat. Der Kläger erschien dem Gericht daher persönlich glaubwürdig.
Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung die Hintergründe und Motive seines Glaubenswechsels – unter Berücksichtigung seines geringen Bildungsstandes – zur vollen Überzeugung des Gerichts glaubhaft machen können. Das Gericht hat hierbei den Eindruck gewonnen, dass der Kläger sich aus voller innerer Überzeugung von seinem bisherigen Bekenntnis zum islamischen Glauben gelöst und in einem längeren Wandlungsprozess dem Christentum zugewandt hat.
Zu seinem diesbezüglichen Werdegang befragt, hat der Kläger nachvollziehbar dargelegt, dass er mangels anderweitiger Kenntnisse und Alternativen in seinem Heimatland zunächst als Moslem aufgewachsen sei. Als Schiit habe er drei Mal am Tage gebetet. Die ersten zwei Jahre in Deutschland habe er sich nicht für den christlichen Glauben interessiert. Erst als ein Freund, der Christ sei, dem Kläger eines Sonntags angeboten habe, ihn zu einem Gottesdienst zu begleiten, sei das Interesse des Klägers für den christlichen Glauben geweckt worden. Der Kläger habe bei dem ersten Gottesdienst nicht alles verstanden. Er habe jedoch verstanden, dass der Priester auch für andere Länder wie zum Beispiel Afghanistan oder den Iran gebetet habe. Diese Liebe für unbekannte Menschen habe ihn fasziniert. Am islamischen Glauben habe ihm missfallen, dass es keine Vergebung gebe. Auch könne man sich in islamischen Ländern über keine andere Religion informieren. In der Moschee in Afghanistan seien Christen als Ungläubige bezeichnet worden. Im Gegensatz hierzu durchziehe die Liebe den christlichen Glauben. Der Kläger sei dann zwei bis drei weitere Sonntage zur Kirche gegangen. Weil er nicht alles verstanden habe, habe er sich eine Bibel auf Farsi besorgt und darin gelesen. Das Lesen in der Bibel habe in ihm selbst viel bewirkt, insbesondere die Geschichte des verlorenen Sohns habe ihn besonders beeindruckt. Der Kläger habe dafür gebetet, wie seine Mitbewohner zur Berufsschule gehen zu können. Als auch er eine Zusage erhalten habe, habe er gewusst, dass, wenn man von Herzen glaube, man etwas erreichen könne. Der Kläger habe sich entschieden, regelmäßig sonntags zur Kirche zu gehen. Dies habe er fünf bis sechs Wochen lang getan. Dann habe der Priester dem Kläger aufgrund von dessen Interesse für den christlichen Glauben die Telefonnummer von B… S… gegeben. In der A… M… habe der Kläger circa ein Jahr lang jeden Sonntag den Gottesdienst und anschließend den Taufvorbereitungsunterricht in der A… M… besucht. Am Osterfest 2018 sei er getauft worden. Der Kläger hat in diesem Zusammenhang auch glaubhaft dargelegt, wie er trotz der Sprachbarriere die christlichen Glaubensinhalte hat aufnehmen können. Insbesondere der Taufunterricht in M… habe auf Persisch stattgefunden und er habe eine Bibel auf Farsi erhalten.
In seinem überzeugenden Schreiben vom 31. Juli 2018 hat B… A… S… bestätigt, dass der Kläger seit Mai 2017 zum Gottesdienst und zum anschließenden Unterricht in der A… M… gegangen sei. In der mündlichen Verhandlung hat sich das Gericht einen Eindruck von Herrn S… verschafft und sieht keinerlei Grund an dessen persönlicher Glaubwürdigkeit zu zweifeln. Aus dem Schreiben ergibt sich darüber hinaus, dass der Kläger den Aufwand betrieben habe, jeden Sonntag mit dem Fahrrad von K… nach M… (Entfernung von circa 10 – 15 Kilometern) zu fahren. In der mündlichen Verhandlung hat Herr S… dies glaubhaft bestätigt.
Eine andere Einschätzung ergibt sich auch nicht daraus, dass der Kläger bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt noch nichts von seinem Abfall vom islamischen Glauben und der Hinwendung zum Christentum berichtet hat. Hierauf angesprochen hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung glaubhaft und überzeugend versichert, dass er sich zum Zeitpunkt der Anhörung – dem 20. Mai 2016 – noch keine Gedanken zu diesem Thema gemacht habe. Die beschriebene Entwicklung habe erst danach eingesetzt. Vor circa eineinhalb Jahren sei er erstmals mit dem christlichen Glauben in K… in Kontakt gekommen und seit circa einem Jahr und vier Monaten gehe er zur A… M… Dies deckt sich mit den anderweitigen Aussagen in der mündlichen Verhandlung, wonach er nach fünf- bis sechswöchigen regelmäßigen Gottesdienstbesuch vom Priester die Telefonnummer von Herrn S… erhalten habe und nach circa einem Jahr Taufvorbereitung Ostern 2018 getauft worden sei. Auch deckt es sich mit den Angaben von Herrn S… in dessen Schreiben.
Der Kläger hat darüber hinaus auch glaubhaft machen können, sich nicht nur mit den wesentlichen Grundzügen seiner neuen Religion vertraut gemacht hat zu haben, sondern sich darüber hinaus auch inhaltlich mit dem Christentum auseinandergesetzt zu haben. So hat der Kläger bei der Frage, was für ihn das Wichtigste am Glauben sei, erklärt, dass es der Glaube selbst sei. Zur Begründung bezog der Kläger mittelbar eine Bibelstelle (Markus 10, 46 – 52, die Heilung des blinden Bartimäus) auf seine eigene Einstellung. Er erklärte, dass Jesus Christus, als er die Menschen geheilt habe, gesagt habe, der Glaube habe die Menschen gerettet. Auch sagte der Kläger, dass es im Glauben nicht darum gehe, Frage zu beantworten. Vielmehr müsse man von Herzen glauben, um ein überzeugter Christ zu sein. Der Kläger hat die wichtigsten christlichen Feiertage benannt und ohne Nachfrage des Gerichts inhaltlich korrekt deren Bedeutung erläutert. Auch die Geschichte des verloren Sohns erzählte der Kläger von sich aus ohne Nachfrage des Gerichts. Er gab den Inhalt zutreffend wieder und leistete sogar eine eigene Transferleistung, indem er Gott mit dem Vater verglich und schlussfolgerte, dass alle Menschen Kinder Gottes seien. Als der Kläger sagte, dass er im Taufunterricht unteranderen gelernt habe, wie sich Christen zu verhalten hätten, konnte er diese „Regeln“ als die zehn Gebote bezeichnen und inhaltlich wiedergeben. Das wichtigste sei nach seiner Meinung, andere Menschen zu lieben und zu beten. Auch gab der Kläger an, er würde jeden Sonntag in der Kirche das Abendmahl feiern.
Aufgrund der klägerischen Ausführungen steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass dieser im Laufe seines Aufenthalts in Deutschland einen bewussten Prozess des inneren religiösen Einstellungswandels vollzogen hat, der in nachvollziehbarer Weise durch eine Vielzahl neuer Eindrücke, Erfahrungen und Lernprozesse sowie durch die Reflexion seines eigenen lebensgeschichtlichen Hintergrundes unterstützt und gefestigt wurde.
Auch ergibt sich aus dem Schreiben von B… S… vom 31. Juli 2018, dass der Kläger tiefgründige Aussagen bei dem Unterricht getätigt habe und von ganzen Herzen Gott suche. Die sei Ausdruck tiefer Frömmigkeit. Ein Gottsucher sei nicht schnell zufrieden oder glaube sich am Ziel, sondern sei bestrebt, spirituell wach zu bleiben. In der mündlichen Verhandlung hat Herr S… glaubhaft seine Überzeugung bestätigt, dass der Glaube für den Kläger eine echte Herzensangelegenheit sei.
Der Kläger konnte schließlich auch darlegen, dass er seinen neuen Glauben in Deutschland praktiziert und dies auch in Afghanistan würde tun wollen. Er hat in diesem Zusammenhang in der mündlichen Verhandlung überzeugend dargelegt, dass er sonntags regelmäßig den Gottesdienst besuche und in der Bibel auf Farsi lese. Dass der Kläger den christlichen Glauben regelmäßig und ernsthaft praktiziert, lässt sich zudem dem Schreiben des B… A… S… vom 31. Juli 2018 entnehmen. Der Kläger hat schließlich sehr klar und deutlich bekräftigt, dass er auch in Afghanistan – selbst im Bewusstsein der ihm drohenden Schwierigkeiten und Gefahren – seinen christlichen Glauben würde beibehalten wollen. Nach den islamischen Glaubensregeln erneut zu leben, könne er sich nicht vorstellen. Damit hat er glaubhaft gemacht, auch in Afghanistan unter Inkaufnahme von Risiken als Christ leben zu wollen. Es steht somit fest, dass der Kläger sich zur Wahrung seiner religiösen Identität auch in Afghanistan zu seinem Glauben bekennen würde. Es wäre ihm deshalb im Herkunftsland nicht möglich, seine Religion entsprechend seinem religiösen Selbstverständnis auszuüben, ohne der Gefahr einer Verfolgung durch staatliche oder nichtstaatliche Akteure im Sinne des § 3c Nr. 1 und 3 AsylG ausgesetzt zu sein.
Dem Kläger steht auch keine innerstaatliche Fluchtalternative zur Verfügung. Die oben geschilderten Gefahren für vom Glauben abgefallene Muslime und Konvertiten drohen in Afghanistan landesweit, auch in den Städten Kabul, Herat oder Mazar-e Sharif. Zwar mögen insbesondere nach den Erkenntnissen des Auswärtigen Amtes Repressionen gegen Konvertiten in städtischen Gebieten aufgrund der größeren Anonymität weniger als in Dorfgemeinschaften zu befürchten seien. Selbst dort würde aber ein vom Glauben abgefallener Muslim unweigerlich auffallen und selbst im privaten, familiären Umfeld bedroht sein. Schutz vor Übergriffen ist jedoch in keinem Landesteil Afghanistans dauerhaft zu erreichen (vgl. Auswärtiges Amt, Auskunft an das VG Hamburg v. 22.12.2004, Az.: 508-516.80/43288; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Afghanistan: Update – Die aktuelle Sicherheitslage, v. 14.9.2017, S. 26; Internationale Gesellschaft für Menschenrechte – IGFM, Situation christlicher Konvertiten in Afghanistan – Stellungnahme v. 27.2.2008, S. 1). Das erkennende Gericht schließt sich im vorliegenden Verfahren aufgrund der Ausführungen in den zitierten Erkenntnismitteln der Auffassung an, wonach eine innerstaatliche Fluchtalternative für glaubhaft vom Islam abgefallene ehemalige Moslems in Afghanistan ausscheidet, wenn sie nicht bereit sind, entgegen ihrer inneren Überzeugung an religiösen Riten und Feierlichkeiten teilzunehmen. Ein derartiges Verhalten wäre dem Kläger nicht zumutbar, da es, wie in der mündlichen Verhandlung deutlich wurde, seine religiöse Identität verletzen würde.
Nach alledem war der Klage mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO stattzugeben. Das Verfahren ist gerichtskostenfrei, § 83b AsylG. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 1 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.


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