Verwaltungsrecht

Für volljährige, alleinstehende und arbeitsfähige afghanische Staatsangehörige besteht keine Rückkehrgefährdung

Aktenzeichen  13a ZB 18.30862

Datum:
2.10.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 26739
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG § 60 Abs. 5, § 60 Abs. 7 S. 1
EMRK Art. 3
AsylG § 78 Abs. 3 Nr. 1, Abs. 4 S. 4

 

Leitsatz

In der Rspr. des BayVGH ist grds. geklärt, dass für aus dem europäischen Ausland zurückkehrende volljährige, alleinstehende und arbeitsfähige afghanische Staatsangehörige angesichts der aktuellen Auskunftslage im Allgemeinen derzeit weiterhin nicht von einer Gefahrenlage auszugehen ist, die zur Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 AsylG oder eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 S. 1 AufenthG führen würde (BayVGH BeckRS 2020, 16899 u. BeckRS 2020, 14579). (Rn. 5) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 17 K 17.32962 2018-02-27 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Kläger haben die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Der Antrag der Kläger auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 27. Februar 2018 hat keinen Erfolg. Zulassungsgründe nach § 78 Abs. 3 AsylG sind nicht gegeben.
Die Kläger haben ihren Zulassungsantrag damit begründet, dass die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung habe (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG). Klärungsbedürftig sei, „ob ein verheiratetes Paar ohne Kinder, Hazara, schiitischen Glaubens, Analphabeten, ohne Ausbildung, ohne engere Verwandte in der Heimatprovinz Ghazni oder in Kabul, Herat etc. bei einer gemeinsamen Rückkehr eine ausreichende Existenzgrundlage hat bzw. dass vielmehr bei realistischer Betrachtungsweise lediglich für den Ehemann eine Arbeitsmöglichkeit besteht und insoweit wegen seiner Unterhaltsverpflichtung gegenüber der Frau die Situation der entsprechenden Verpflichtung gegenüber minderjährigen Kindern gleichzusetzen ist mit der Folge, dass wegen der von der Rechtsprechung überwiegend angenommenen nicht bestehenden Möglichkeit der Verpflichtung – sei es gegenüber minderjährigen Kindern, sei es gegenüber der selbst nicht arbeiten könnenden Ehefrau – Unterhaltszahlungen zu leisten, ein Abschiebungsverbot gem. § 60 Ab. 5 oder Abs. 7 AufenthG auszusprechen ist“. Dass eine zurückkehrende Frau eine Arbeit finden könne, die zumindest ihre eigene Existenz sichere, sei nicht ersichtlich. Die aufgeworfene Frage sei bislang obergerichtlich nicht entschieden. Das Urteil beruhe auf der Annahme, dass die Unterhaltsverpflichtung gegenüber der Ehefrau eine minder schwerwiegende Belastung darstelle als die diejenige gegenüber Kindern. Angesichts der konkreten Situation müsste der Ehemann (fiktiv) so viel verdienen, dass das erforderliche Existenzminimum für beide Ehepartner gesichert wäre.
Der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG) setzt voraus, dass die im Zulassungsantrag dargelegte konkrete Rechts- oder Tatsachenfrage für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts von Bedeutung war, ihre Klärung im Berufungsverfahren zu erwarten und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zur Weiterentwicklung des Rechts geboten ist und ihr eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 124 Rn. 36). Die Grundsatzfrage muss nach Maßgabe des Verwaltungsgerichtsurteils rechtlich aufgearbeitet sein. Dies erfordert regelmäßig eine Durchdringung der Materie und eine Auseinandersetzung mit den Erwägungen des Verwaltungsgerichts (vgl. BayVGH, B.v. 21.12.2018 – 13a ZB 17.31203 – juris Rn. 4; B.v. 13.8.2013 – 13a ZB 12.30470 – juris Rn. 4 m.w.N.).
Hiervon ausgehend ist eine grundsätzliche Bedeutung nicht ausreichend dargelegt gemäß § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG. Unabhängig davon, dass schon die Frage in Bezug auf etwaige Unterhaltsverpflichtungen nicht verständlich ist, haben die Kläger diese auch nicht nach Maßgabe des Urteils aufgearbeitet. Das Verwaltungsgericht hat ausgeführt, der Kläger sei vor seiner Ausreise in der Landwirtschaft und als Viehhändler tätig gewesen; die Kläger hätten nicht den Eindruck gemacht, dass sie allein aufgrund ihrer geringen Schulbildung nicht in der Lage wären, ihre Existenz zu sichern (UA S. 13 f.). Die Lage bei Familien mit minderjährigen Kindern könne nicht auf Paare im berufsfähigen Alter übertragen werden. Arbeitsfähige junge Männer sowie verheiratete Paare seien auch ohne besondere Qualifikation oder nennenswertes Vermögen und familiären Rückhalt in der Lage, ein ausreichendes Einkommen zu erwirtschaften. Insbesondere hätten die Kläger bereits in der Vergangenheit Geld verdient und ihren Lebensunterhalt sowie ihre Ausreisekosten erwirtschaften können (UA S. 24 f.). Hierbei hat sich das Verwaltungsgericht auch mit der Situation der Hazara befasst (UA S. 14 ff.). Mit den dortigen Feststellungen setzen sich die Kläger in keiner Weise auseinander, sondern zitieren lediglich aus der Entscheidung und verweisen darauf, dass noch keine obergerichtliche Rechtsprechung vorliege. Inwiefern die Einschätzungen des Verwaltungsgerichts nicht zutreffend wären, zeigen sie nicht auf. Insbesondere nennen sie keinerlei Erkenntnisse, aus denen sich ergäbe, dass die Situation von kinderlosen Paaren entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts mit derjenigen von Familien mit minderjährigen Kindern vergleichbar wäre.
Ungeachtet dessen ist in der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs grundsätzlich geklärt, dass für aus dem europäischen Ausland zurückkehrende volljährige, alleinstehende und arbeitsfähige afghanische Staatsangehörige angesichts der aktuellen Auskunftslage im Allgemeinen derzeit weiterhin nicht von einer Gefahrenlage auszugehen ist, die zur Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 AsylG oder eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG führen würde (BayVGH, U.v. 6.7.2020 – 13a B 18.32817 – juris Rn. 46 ff., 35 ff.; U.v. 6.2.2020 – 13a B 19.33510 – juris Rn. 17 ff.; in Fortführung der bisherigen Rechtsprechung, vgl. auch: U.v. 28.11.2019 – 13a B 19.33361 – juris Rn. 17 ff.; U.v. 14.11.2019 – 13a B 19.31153 – juris Rn. 31 ff., 57 ff.; U.v. 14.11.2019 – 13a B 19.33359 – juris Rn. 17 ff.; U.v. 14.11.2019 – 13a B 19.33508 – juris Rn. 18 ff. U.v. 8.11.2018 – 13a B 17.31918 – juris Rn. 14 ff.). Die genannte Rechtsprechung, der sich das Verwaltungsgericht anschließt, erfordert nicht das Vorhandensein eines familiären oder sonstigen Unterstützungsnetzwerks im Heimatland. Sie gilt ferner für Volkszugehörige der meist schiitischen Hazara, selbst wenn sie im Ausland – etwa im Iran – geboren bzw. aufgewachsen sind oder eine längere Zeit dort gelebt haben, soweit sie sich in einer der afghanischen Landessprachen verständigen können (vgl. BayVGH, U.v. 14.11.2019 – 13a B 19.31153 – juris Rn. 25; U.v. 8.11.2018 – 13a B 17.31918 – juris; B.v. 21.12.2018 – 13a ZB 17.31203 – juris Rn. 6). Zudem geht die Rechtsprechung davon aus, dass neben alleinstehenden leistungsfähigen afghanischen Männern auch Paare in erwerbsfähigem Alter als Rückkehrer grundsätzlich ihren zumutbaren Lebensunterhalt in Afghanistan sicherstellen können, selbst wenn sie auf kein Unterstützungsnetzwerk zurückgreifen können (siehe neben den o.g. U.v. 14.11.2019 auch bereits zu kinderlosen Paaren BayVGH, B.v. 19.2.2018 – 13a ZB 17.31900).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, § 83b AsylG.


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