Verwaltungsrecht

Gefahrenprognose eines Ausländers wegen Ausweisung aufgrund von Straftaten

Aktenzeichen  10 ZB 17.430

Datum:
30.6.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 116984
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG § 53 Abs. 1, Abs. 2, § 54 Abs. 1 Nr. 1, § 55 Abs. 1 Nr. 1
VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 1
GG Art. 6 Abs. 1
EMRK Art. 8 Abs. 1

 

Leitsatz

Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung bestehen nur dann, wenn im Zulassungsverfahren ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten infrage gestellt wird (BVerfG BeckRS 2009, 39130 und BeckRS 2016, 48237). (Rn. 3) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 25 K 16.3237 2016-12-14 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000,- Euro festgesetzt.

Gründe

Mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt der Kläger seine in erster Instanz erfolglose Klage auf Aufhebung des Bescheids der Beklagten vom 11. Juli 2016 weiter, mit dem er aus dem Bundesgebiet ausgewiesen, die Wiedereinreise für die Dauer von fünf Jahren nach Ausreise untersagt und die Abschiebung in den Kosovo aus der Haft heraus angeordnet wurde. Nachdem ein gegen die Anordnung des Sofortvollzugs der Ausweisung gerichteter Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz erfolglos geblieben war (vgl. VG München, B.v. 14.12.2016 – M 25 S. 16.3238 – und BayVGH, B.v. 1.3.2017 – 10 CS 17.291 -), wurde der Kläger am 2. März 2017 abgeschoben.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist abzulehnen, weil sich aus dem der rechtlichen Überprüfung durch den Senat ausschließlich unterliegenden Vorbringen im Zulassungsantrag der geltend gemachte Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteil (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) nicht ergibt.
Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung bestünden nur dann, wenn der Kläger im Zulassungsverfahren einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten infrage gestellt hätte (BVerfG, B.v. 10.9.2009 – 1 BvR 814/09 – juris Rn. 11; B.v. 9.6.2016 – 1 BvR 2453/12 – juris Rn. 16). Dies ist hier jedoch nicht der Fall.
Das Verwaltungsgericht hat seine Auffassung, die Ausweisung des Klägers sei nach Abwägung aller Umstände des Einzelfalls rechtmäßig, damit begründet, dass nach wie vor eine hinreichende Wahrscheinlichkeit bestehe, der Kläger werde erneut gravierende Straftaten insbesondere gegen die körperliche Unversehrtheit seiner vormaligen Ehefrau begehen. Dies zeige insbesondere die letzte Straftat, wegen derer er zu einer zweijährigen Freistrafe wegen vorsätzlichen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr verurteilt worden sei; der Verurteilung liege ein vom Kläger vorsätzlich herbeigeführter Verkehrsunfall zugrunde, bei dem seine vormalige Ehefrau schwere Verletzungen erlitten habe. Das Verwaltungsgericht hat zur Begründung der angenommenen Wiederholungsgefahr weiter auf die entsprechenden Beschlüsse des Landgerichts Landshut sowie des Oberlandesgerichts München aus dem Jahr 2016 verwiesen, mit denen der Antrag des Klägers auf Aussetzung der Reststrafe zur Bewährung vor dem Hintergrund einer negativen Sozialprognose abgelehnt worden sei. Das Verwaltungsgericht betont, dass der Kläger fünffach vorbestraft und zweifacher Bewährungsversager sei; die Gefährlichkeit der von ihm verübten Straftaten habe sich stets gesteigert. Das im Scheidungsverfahren vereinbarte Kontaktverbot gegenüber seiner ehemaligen Frau habe er zumindest einmal durch einen Anruf missachtet. Das Motiv der Eifersucht könne nach wie vor nicht ausgeschlossen werden; dies gelte auch im Hinblick auf mögliche neue Lebenspartnerinnen des Klägers. Sein Interesse, im Bundesgebiet zu verbleiben, müsse gegenüber dem Ausweisungsinteresse als nachrangig angesehen werden, auch wenn er etwa 24 Jahre im Bundesgebiet gelebt habe und Vater zweier elf und 16 Jahre alter deutscher Töchter, für die ein Umgangsrecht bestehe, und eines hier lebenden erwachsenen Sohnes sei. Seit seiner Inhaftierung im August 2013 habe er keinen Kontakt mehr zur jüngsten Tochter gehabt. Die Einreisesperre von fünf Jahren sei ohne Ermessensfehler festgesetzt worden.
Der Kläger zeigt demgegenüber im Zulassungsverfahren mit seinem Vorbringen keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung auf. Die fehlende Bewilligung der Aussetzung der Reststrafe zur Bewährung sei damit zu erklären, dass der Kläger – bereits zum zweiten Male – Bewährungsversager sei und sich die drei zuletzt abgeurteilten schwergewichtigen Taten alle gegen die gleiche Person gerichtet hätten. Aus dieser in strafrechtlicher Hinsicht nachvollziehbaren Begründung könne jedoch eine ausländerrechtliche Wiederholungsgefahr für die Allgemeinheit nicht abgeleitet werden, zumal die Ehe des Klägers inzwischen geschieden sei und eine Einigung über die Ausübung des Umgangsrechts vorliege. Der Hinweis des Verwaltungsgerichts auf die bloß „formalrechtliche“ Natur der Scheidung sei unverständlich. Der Annahme der Wiederholungsgefahr liege jedenfalls keine schlüssige Tatsachenfeststellung zu Grunde. Das angefochtene Urteil messe auch dem Umstand, dass der Kläger – von zwei kleineren Verurteilungen abgesehen – ausschließlich Straftaten gegen seine damalige Ehefrau aus dem Motiv der Eifersucht heraus begangen habe, zu Unrecht keine Bedeutung bei.
Das Verwaltungsgericht hat zu Recht eine zulasten des Klägers gehende Gefahrenprognose angestellt. Es ist nicht nachvollziehbar, warum die im straf- und strafvollstreckungsrechtlichen Verfahren festgestellten Umstände nicht auch im ausländerrechtlichen Verfahren für die Gefahrenprognose verwendet werden sollten. Die Ausführungen im Beschluss des Oberlandesgerichts München vom 10. Oktober 2016 (S. 3) sprechen für sich; dort wird der Umstand, dass die Ehe nunmehr rechtskräftig geschieden sei, als unmaßgeblich für die weiter bestehende erhebliche Gefahr, die der vormaligen Ehefrau vom Kläger nach wie vor droht, bezeichnet, insbesondere vor dem Hintergrund, er werde im Hinblick auf das Umgangsrecht mit den gemeinsamen Kindern erneut Kontakt zu ihr aufnehmen. In diesem Zusammenhang spielen auch die festgestellte Rückfallgeschwindigkeit des Klägers sowie die Tatsache, dass er sich zweimal von einer verhängten Bewährungsstrafe unbeeindruckt gezeigt und weitere Straftaten verübt hat, für die ausländerrechtliche Gefahrenprognose eine maßgebliche Rolle. Auch der Senat vermag keinerlei Indizien dafür zu erkennen, dass der Kläger – spätestens nach Scheidung der Ehe im September 2016 – das Unrecht seiner Taten gegenüber der vormaligen Ehefrau eingesehen hat und sich künftig ihr gegenüber gewaltfrei verhalten wird. Hierfür spricht im Übrigen auch das offenbar im Scheidungsverfahren vereinbarte Kontaktverbot, auf das das Verwaltungsgericht München im angefochtenen Urteil (UA, 1.1.3) hinweist und zugleich feststellt, der Kläger habe in der mündlichen Verhandlung selbst einen Verstoß eingeräumt, indem er entgegen der Vereinbarung seine vormalige Ehefrau angerufen habe. Schließlich ist festzuhalten, dass der Kläger mit seiner letzten Straftat nicht nur seine damalige Ehefrau schwer verletzt hat, sondern darüber hinaus auch eine gegen die Sicherheit des Straßenverkehrs und damit gegen die Allgemeinheit gerichtete Straftat (gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr nach § 315b StGB) begangen hat, indem er seinen PKW dazu benutzt hat, den vor ihm fahrenden PKW seiner damaligen Ehefrau durch ein provozierten Unfall zum Anhalten zu zwingen; damit hat er über das eigentliche Objekt seiner Eifersucht hinaus erstmals auch Dritte in erheblichem Umfang gefährdet, wie sich aus den Feststellungen des Strafurteils des Amtsgerichts Erding vom 11. März 2015 ergibt (vgl. VG München, UA, 1.1.4).
Das verwaltungsgerichtliche Urteil unterliegt ernstlichen Zweifeln an seiner Richtigkeit auch nicht wegen der geltend gemachten Fehlerhaftigkeit der Gesamtabwägung der betroffenen Interessen (vgl. § 53 Abs. 2 AufenthG). Der Kläger trägt insoweit vor, die Beendigung seines Aufenthalts im Bundesgebiet verstoße gegen Art. 8 EMRK; die Dauer seines Aufenthalts von 24 Jahren werde nicht entsprechend gewürdigt, ebensowenig der Umstand, dass er drei Kinder groß gezogen habe und immerhin für die zwei noch nicht volljährigen Kinder ein Umgangsrecht besitze. Sinnvoller wäre die Einräumung des gemeinsamen elterlichen Sorgerechts angesichts der Möglichkeit gewesen, dass sich der Gesundheitszustand der Mutter jederzeit verschlechtern könne. Dass er aus der Haft heraus und erst recht nach einer Abschiebung in den Kosovo keinen Unterhalt leisten könne, sei nicht vorwerfbar. Vom Kosovo aus und damit in einer Entfernung von mehreren 1000 km könne er die Beziehungen zu seinen Kindern nicht mehr aufrechterhalten. Schließlich sei es auch der Wunsch der Familie, dass er im Bundesgebiet verbleiben könne.
Das Verwaltungsgericht hat – den Entscheidungsgründen des Ausweisungsbescheids folgend – die aus Art. 8 Abs. 1 EMRK zu entnehmenden und für einen weiteren Verbleib des Klägers im Bundesgebiet sprechenden Gesichtspunkte in die Abwägungsentscheidung mit eingestellt; es hat ihnen jedoch mit ausführlicher Begründung kein derart hohes Gewicht zugemessen, dass damit das Ausweisungsinteresse als nachrangig angesehen werden könnte. So kann der Kontakt zwischen dem Kläger und seinen beiden minderjährigen Töchtern zumindest im Ansatz mithilfe der bekannten elektronischen Medien aufrechterhalten werden; die Töchter können außerdem in den Schulferien zusammen mit ihrem volljährigen Bruder den Vater im Kosovo besuchen. Die Entfernung zwischen München und Prishtina beträgt weniger als 1.000 km (Luftlinie), für die Fahrt mit dem Auto sind etwa 15 Stunden zu veranschlagen. Was den vom Kläger behaupteten schlechten Gesundheitszustand seiner vormaligen Ehegattin anbelangt, der möglicherweise seine Anwesenheit zur Betreuung der gemeinsamen Töchter erforderlich machen könne, wird im angefochtenen Urteil zu Recht auf die Möglichkeit hingewiesen, hierauf gegebenenfalls mit einer nachträglichen Verkürzung des Einreise- und Aufenthaltsverbots reagieren zu können (vgl. Beschluss des Senats vom 1.3.2017, BA 2.1). Mit seiner Aussage, der Kläger zahle für seine Töchter aktuell keinen Unterhalt und habe dies auch in der Vergangenheit seit 2011 nicht getan, hat das Verwaltungsgericht nicht ein „Argument gegen den Kläger“ verwendet und ihn damit „unfair“ behandelt, sondern den Umfang der Beziehungen zwischen dem umgangsberechtigten Vater und seinen zwei minderjährigen Kindern dargestellt und damit den Blick auf „die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige“ (vgl. § 53 Abs. 2 AufenthG) gerichtet. Schließlich wird die Abwägungsentscheidung auch nicht dadurch unvertretbar, dass ein weiterer Verbleib des Klägers im Bundesgebiet angeblich „Wunsch der Familie“ sei; zunächst liegen hierfür keine eindeutigen Aussagen vor, aber selbst wenn die Aussage zutreffen sollte, könnte im vorliegenden Fall auch ein entsprechender Wunsch der Angehörigen die Ausweisung des Klägers wegen der bei ihm zu stellenden Gefahrenprognose nicht abwenden.
Einwendungen gegen die Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils, soweit es die Klage gegen die Befristungsentscheidung abgewiesen hat, werden im Zulassungsantrag mit der Begründung erhoben, die fünfjährige Wiedereinreisesperre sei „reine Heuchelei“ angesichts der Abschiebung aus der Haft heraus, die dazu geführt habe, dass der Einreise des Klägers nun die zehnjährige Verjährungsfrist für die Vollstreckung der Reststrafe entgegenstehe. Mit diesem Vortrag verkennt der Kläger zum einen die den unterschiedlichen Rechtsmaterien geschuldeten verschiedenartigen Regelungsziele einerseits der ausländerrechtlichen Befristung der Wirkungen einer Ausweisung und andererseits des Instruments der vollstreckungsrechtlichen Verjährung einer verhängten Freiheitsstrafe. Zudem steht dem Kläger zu gegebener Zeit die Möglichkeit zur Verfügung, vom Ausland aus – also schon vor seiner Einreise in das Bundesgebiet – einen Antrag auf Aussetzung des Vollstreckungshaftbefehls bzw. auf Aussetzung der Reststrafe zur Bewährung nach § 57 Abs. 1, 2 StGB zu stellen und damit bei Vorliegen der entsprechenden ausländerrechtlichen Voraussetzungen wieder einreisen zu können, ohne die Nachholung der Vollstreckung der Restfreiheitsstrafe nach § 456a Abs. 2 Satz 1 StPO befürchten zu müssen (vgl. hierzu OLG Köln, B.v. 9.1.2009 – 2 Ws 644- 645/08 -; OLG Bamberg, B.v. 12.10.2010 – 1 Ws 561/10 – jeweils juris).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 und Abs. 3 und § 52 Abs. 2 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


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