Verwaltungsrecht

Gefahrerhöhende Umstände und Gefahrendichte in Somalia

Aktenzeichen  20 ZB 16.30599

Datum:
27.2.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 105495
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 4 Abs. 1 S. 2, § 78 Abs. 3

 

Leitsatz

1 Liegen in der Person des Klägers individuell gefahrerhöhende Umstände vor, kommt es auf die Frage der generellen Gefahrendichte nicht streitentscheidend an.  (redaktioneller Leitsatz)
2 Die Frage, wann gefahrerhöhende Umstände zu bejahen sind, entzieht sich einer generalisierenden, allgemeinen Beantwortung und hat daher keine grundsätzliche Bedeutung. (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 11 K 14.30765 2016-09-05 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Beklagte hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Der Antrag der Beklagten, die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 5. September 2016, Az. M 11 K 14.30765 zuzulassen, ist zulässig, aber nicht begründet. Die innerhalb der Frist nach § 78 Abs. 4 Satz 1 AsylG dargelegten Gründe rechtfertigen nicht die Zulassung der Berufung.
1. Der geltend gemachte Zulassungsgrund der Divergenz gem. § 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylG liegt nicht vor.
Das Verwaltungsgericht hat in dem angefochtenen Urteil keinen von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (insb. U.v. 27.4.2010 – 10 C 4.09 – juris Rn. 33) abweichenden Rechtssatz aufgestellt, was die Feststellung der individuellen Betroffenheit durch willkürliche Gewalt im Rahmen eines (innerstaatlichen) bewaffneten Konfliktes angeht. Das Verwaltungsgericht legt auf den Seiten 5 und 6 des Urteils zunächst die allgemeinen Anforderungen an die Feststellung einer Gefahr im Sinne von § 4 Abs. 1 Nr. 3 AsylG dar. Dabei findet sich auch explizit die Aussage, dass zur Annahme einer Verdichtung der allgemeinen Gefahr zu einer individuellen Gefahr für alle Bewohner der fraglichen Region eine quantitative Ermittlung des Tötungs- und/oder Verletzungsrisikos notwendig ist. Konkrete Ausführungen enthält das Urteil hierzu zwar nicht. Ein von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts abweichender Rechtssatz etwa dergestalt, dass eine solche quantitative Feststellung nicht erforderlich sei, wurde in dem Urteil aber nicht formuliert (vgl. hierzu auch das Urteil des Senats, BayVGH, U.v. 7.4.2016 – 20 B 14.30101 – juris Rn. 26). Vielmehr hat das Verwaltungsgericht angenommen, dass der in den Niederlanden geborene minderjährige Kläger, dessen Mutter nach eigenen Angaben aus Zentralsomalia (Mogadischu) stammt, dort einer aufgrund besonderer gefahrerhöhender Umstände ernsthaften individuellen Bedrohung infolge willkürlicher Gewalt i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG ausgesetzt wäre.
2. Die Rechtssache hat auch nicht die von der Beklagten angenommene grundsätzliche Bedeutung i.S.d. § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG.
a) Die von der Beklagten aufgeworfene Tatsachenfrage,
ob (noch) eine derart hohe Gefahrendichte in Süd- und Zentralsomalia feststellbar ist, dass bereits infolge des dortigen Aufenthalts oder jedenfalls dann, wenn ein aufnahme- bzw. schutzbereites Umfeld fehlt, für jede Zivilperson eine individuell konkrete Gefahr im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG vorliegt,
hat keine grundsätzliche Bedeutung. Denn diese Frage ist in einem Berufungsverfahren nicht klärungsfähig, da sie nicht entscheidungserheblich ist. Für die Frage, ob eine Rechtsfrage entscheidungserheblich im Sinne von § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG ist, ist die Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts maßgeblich (Happ in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 124, Rn. 29). Nach der Auffassung des Verwaltungsgerichts liegen im Fall des Klägers aber individuell gefahrerhöhende Umstände vor, so dass es auf die Frage, ob eine derart hohe Gefahrendichte vorliegt, dass für jede Zivilperson eine individuelle konkrete Gefahr in der Zentralregion Somalias bzw. in der Hauptstadt Mogadischu vorliegt, nicht streitentscheidend ankommt.
Dessen ungeachtet weist der Senat darauf hin, dass die von der Beklagten formulierte Frage dahingehend zu konkretisieren ist, dass der Einschub „jedenfalls dann, wenn ein aufnahme- oder schutzbereites Umfeld fehlt“ nicht zu berücksichtigen ist. Denn dieser bezieht sich offenbar auf die in einem Berufungsverfahren nicht klärungsfähige Frage nach tauglichen gefahrerhöhenden Umständen (siehe hierzu die Ausführungen unter b)).
b) Auch die Rechtsfrage,
ob die vom Verwaltungsgericht einbezogenen Umstände überhaupt als taugliche individuell gefahrerhöhende Umstände zugrunde gelegt werden dürfen,
rechtfertigt nicht die Zulassung der Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung nach § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG. Denn die Klärung der Frage muss aus Gründen der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder Fortbildung des Rechts im allgemeinen Interesse liegen (Roth in Beck-OK VwGO, 39. Edition, Stand 1.10.2016, § 124 VwGO, Rn. 59). Eine Rechtsfrage muss mit Auswirkung über den Einzelfall hinaus in verallgemeinerungsfähiger Form zu beantworten sein (Roth a.a.O. u.v.a. BVerwG, B.v. 30.3.2005 – 1 B 11/05 – NVwZ 2005, 709). Die hier gestellte Frage kann jedoch nicht in verallgemeinerungsfähiger Weise beantwortet werden (BayVGH, B.v. 30.1.2017 – 20 ZB 16.30685 – juris).
Das Verwaltungsgericht hat ausgeführt, dass der minderjährige Kläger, der sich noch nie in Somalia aufgehalten habe, dort mangels Verwandter oder sonstiger unterstützungsbereiter Personen im Falle einer (wegen eines bei der Mutter festgestellten Abschiebungsverbotes unterstellten) Rückkehr auf sich alleine gestellt und zudem der Stigmatisierung als Kind einer alleinerziehenden Mutter ausgesetzt wäre (UA S. 9/10). Damit hat das Verwaltungsgericht entgegen der Rüge der Beklagten nicht allein darauf abgestellt, dass der Kläger nicht auf ein aufnahmebereites Umfeld bauen könne. Dies war letztlich nur die Folge der in der Person des Klägers liegenden, im Ergebnis gefahrerhöhenden Umstände.
Eine über die bisherige Rechtsprechung hinausgehende, allgemeine Klärung der Frage, wann gefahrerhöhende Umstände zu bejahen sind, ist in einem Berufungsverfahren nicht zu erwarten. Denn diese Frage entzieht sich einer generalisierenden, allgemeinen Beantwortung. Darüber hinaus hat das Bundesverwaltungsgericht in seiner Entscheidung vom 27. April 2010 (Az. 10 C 4.09 – BVerwGE 131, 198 – Rn. 33) die für die Beurteilung dieser Frage maßgeblichen Umstände bereits festgelegt. Danach können gefahrerhöhende Umstände in erster Linie solche sein, die den Asylbewerber als von der allgemeinen, ungezielten Gewalt stärker betroffen erscheinen lassen. Darüber hinaus können aber auch Umstände, die eine Zivilperson der Gefahr gezielter Gewaltakte aussetzen, berücksichtigt werden. Damit hat das Bundesverwaltungsgericht zwei sehr unterschiedliche Gruppen von gefahrerhöhenden Umständen als denkbar angesehen. Ob ein Umstand als gefahrerhöhend anzusehen ist, ist aber eine Frage des konkreten Einzelfalls; eine weitergehende, abstrakte Definition ist nicht möglich (BayVGH, B.v. 30.1.2017 – 20 ZB 16.30685 – juris).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 83b AsylG.
Mit diesem Beschluss wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).


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