Verwaltungsrecht

Gemeinde, Bescheid, Kaufvertrag, Beitragspflicht, Vollziehung, Vorausleistung, Gemarkung, Bauprogramm, Anbau, Aufhebung, Aussetzung, Klage, Voraussetzungen, Verfahren, aufschiebende Wirkung, ernstliche Zweifel, Aussetzung der Vollziehung

Aktenzeichen  RN 11 S 20.1755

Datum:
30.9.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 40218
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Regensburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Der Streitwert wird auf 59.681,– EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragstellerin begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen die Festsetzung einer Vorausleistung auf den Erschließungsbeitrag.
Die Antragstellerin ist Eigentümerin des Grundstücks FlNr. 895 der Gemarkung … in der Stadt … Mit Bescheid vom 12.02.2020 setzte die Antragsgegnerin für das Grundstück der Antragstellerin eine Vorausleistung auf den Erschließungsbeitrag für die Herstellung der Erschließungsanlage „…“ in Höhe von 238.724,- € fest. Bei der Straße „…“ handelte es sich zunächst um eine Privat straße, die mit notariellem Kaufvertrag vom 16.2.2018 von der Antragsgegnerin erworben und am 22.1.2020 zur Orts straße gewidmet worden war.
Gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 12.02.2020 ließ die Antragstellerin am
3.3.2020 durch ihren Bevollmächtigten Klage erheben (Az. RN 11 K 20.358). Zugleich wurde ein Antrag gemäß § 80 Abs. 5 VwGO gestellt (Az. RN 11 S 20.356). Den Antrag gemäß § 80 Abs. 5 VwGO lehnte das Gericht mit Beschluss vom 20.3.2020 als unzulässig ab mit der Begründung, die Voraussetzungen des § 80 Abs. 6 Satz 1 VwGO seien nicht erfüllt. Ergänzend führte das Gericht aus, dass nach summarischer Prüfung die von der Antragstellerin vorgetragenen Einwände gegen die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides nicht durchgriffen.
Mit Schreiben vom 28.7.2020 beantragte die Antragstellerin daraufhin bei der Antragsgegnerin die Aussetzung der Vollziehung. Diesen Antrag lehnte die Antragsgegnerin mit Schreiben vom 17.08.2020 ab.
Die Antragstellerin stellte hierauf am 28.8.2020 einen Antrag gemäß § 80 Abs. 5 VwGO. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, es bestünden erhebliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides. Für die Erhebung eines Erschließungsbeitrages gebe es keine Rechtsgrundlage, da die abgerechnete Maßnahme nicht erschließungsbeitragsfähig sei. Die Straße habe schon längst vor Inkrafttreten des Bundesbaugesetzes Erschließungsfunktion gehabt. Hieran habe sich durch die durchgeführten Maßnahmen (Anbau einer Wendekehre / Anbringung von ein paar Straßenlaternen und dergleichen) nichts geändert. Der Gebäudebestand der Antragstellerin sei schon seit dem 19. Jahrhundert vorhanden gewesen und schon immer über die streitgegenständliche Straße erschlossen worden. Maßgeblich für das Entstehen einer Beitragspflicht sei aber, ob nach Inkrafttreten des Baugesetzbuchs ein Funktionswandel stattgefunden habe. Ein solcher Funktionswandel liege nicht vor. Alles sei unveränderter Bestand. Dies gelte auch für den Straßenbelag (alte Teerflächen). Die Antragsgegnerin habe nicht mehr gemacht, als an der in ihrer Funktion unverändert gebliebenen Straße eine Wendeplatte, Parkflächen (von denen die Antragstellerin keine Vorteile habe) sowie ein paar Laternen zu errichten. Dies zeige, dass es hier nicht um eine beitragspflichtige Erschließung gehe, sondern um Maßnahmen an einer bereits vor Inkrafttreten des Baugesetzbuches erschlossenen Straße. Der Umstand, dass die Antragsgegnerin das Grundstück erst 2018 erworben habe, führe zu keiner anderen Bewertung, da sich hierdurch nur die Eigentümerstellung ändere, nicht aber der Funktionszweck der Straße.
Die Antragstellerin beantragt,
die aufschiebende Wirkung der beim Bayerischen Verwaltungsgericht Regensburg unter dem Az.: RN 11 K 20.358 anhängigen Klage gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 12.02.2020, Az.: FAD 1. Objekt 1 über die Erhebung einer Vorausleistung auf den Erschließungsbeitrag für die Erschließungsanlage „…“ anzuordnen.
Die Antragsgegnerin teilte mit, dass von Vollzugsmaßnahmen bis zur gerichtlichen Entscheidung über den Eilantrag abgesehen werde. Ansonsten äußerte sich die Antragsgegnerin innerhalb der bis 29.9.2020 verlängerten Antragserwiderungsfrist nicht zu dem Antrag gemäß § 80 Abs. 5 VwGO.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten sowie die vorgelegten Behördenakten verwiesen.
II.
Der Antrag gemäß § 80 Abs. 5 VwGO hat keinen Erfolg.
Der Antrag ist zwar zulässig, insbesondere liegen die Voraussetzungen des § 80 Abs. 6 VwGO vor, da die Antragsgegnerin den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung mit Schreiben vom 17.8.2020 abgelehnt hat.
Der Antrag ist jedoch unbegründet.
Gemäß § 80 Abs. 5 VwGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung einer Klage anordnen, wenn sie gemäß § 80 Abs. 2 Nrn. 1 – 3 VwGO kraft Gesetzes oder durch behördliche Anordnung gemäß § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO ausgeschlossen ist. Nach § 80 Abs. 2 Nr. 1 VwGO kommt im vorliegenden Fall der von der Antragstellerin erhobenen Klage kraft Gesetzes keine aufschiebende Wirkung zu, weil mit dem angefochtenen Bescheid der Antragsgegnerin eine Vorausleistung auf den Erschließungsbeitrag, also eine öffentliche Abgabe, gefordert wird.
§ 80 Abs. 5 VwGO sagt nichts darüber, unter welchen Voraussetzungen die aufschiebende Wirkung anzuordnen ist. Nach der ständigen Rechtsprechung des Gerichts und des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (BayVGH) ist unter Berücksichtigung der für die Aussetzung der Vollziehung durch die Widerspruchsbehörde in § 80 Abs. 4 Satz 3 VwGO enthaltenen Bestimmung bei öffentlichen Abgaben die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs dann anzuordnen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Pflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Da es sich um ein Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes handelt, kann und muss sich das Gericht auf eine summarische Prüfung beschränken. Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts sind dann anzunehmen, wenn so erhebliche Bedenken bestehen, dass eine Aufhebung oder Änderung des Verwaltungsakts mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit erwartet werden kann. Hierbei ist ein strenger Maßstab anzulegen.
Vorliegend bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes in diesem Sinne. Die von der Antragstellerin vorgetragenen Einwände gegen die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides greifen nach summarischen Prüfung nicht durch.
Entgegen der Meinung der Antragstellerin handelt es sich bei der abgerechneten Anlage nicht um eine bereits vor Inkrafttreten des Bundesbaugesetzes am 30.6.1961 vorhandene Erschließungsanlage im Sinne des § 242 Abs. 1 BauGB.
Die Antragstellerin argumentiert, die abgerechnete Anlage sei schon seit dem 19. Jahrhundert vorhanden und habe schon immer den Gebäudebestand der Antragstellerin erschlossen. Einen Funktionswandel habe es nie gegeben, die Straße unterliege daher als historische Straße gemäß § 242 BauGB nicht der Beitragspflicht.
Bei dieser Argumentation verkennt die Antragstellerin, dass eine Anbau straße nicht erstmalig endgültig hergestellt sein kann, solange die Gemeinde mangels rechtlicher Einwirkungsmöglichkeit ihren Ausbauwillen nicht zum Tragen bringen konnte. Auch unter der Geltung des alten Rechts konnte von einer Orts straße, also einer örtlichen Erschließungsanlage, nur dann gesprochen werden, wenn die Gemeinde wenigstens teilweise Trägerin der Straßenbaulast war. Wo die Gemeinde beim Bau und der Unterhaltung der Straße nicht entscheidend mitgewirkt hat, kann eine vorhandene Orts straße im Sinne des § 242 Abs. 1 BauGB schon deshalb nicht angenommen werden, weil es an dem Willen der Gemeinde, diese Straße in einem bestimmten Ausbauzustand als fertige Anlage zu akzeptieren, fehlte. Privatstraßen, die im Eigentum eines Dritten stehen, können deshalb im Regelfall keine vorhandenen Erschließungsanlagen im Sinn von § 242 Abs. 1 BauGB bzw. des bis zum 30.6.1987 geltenden § 180 Abs. 2 BBauG und somit auch keine bereits vor Inkrafttreten des neuen Erschließungsbeitragsrechts hergestellte Erschließungsanlagen sein (BayVGH, B.v. 3.2.2004 – 6 CS 03.2254 – juris; BayVGH, U.v. vom 12.7.2001 – 6 B 98.1298 – juris).
Im vorliegenden Fall stand die Straße „…“ bis zum Jahre 2018 im Privateigentum der Grundstücks GmbH. Mit notariellem Kaufvertrag vom 16.2.2018 verkaufte diese die Straßenfläche an die Antragsgegnerin. Besitz, Nutzungen und Lasten gingen ab dem 16.2.2018 auf die Antragsgegnerin über (Ziffer V Absatz 1 Satz 1 des notariellen Kaufvertrages). Frühestens ab diesem Zeitpunkt erhielt die Antragsgegnerin die Möglichkeit, ihre Ausbauvorstellungen für den Straßenbau zu entwickeln und durchzusetzen. Die Straßenverhältnisse vor diesem Zeitpunkt müssen außer Betracht bleiben (BayVGH, B.v. 3.2.2004 – 6 CS 03.2254 – juris; BayVGH v. 9.11.1990 – 6 CS 90.02169 – juris; BayVGH v. 28.9.1987 BayVBl 1988, 755).
Maßgeblich ist demnach, ob die abgerechnete Anlage nach ihrer Übernahme durch die Antragsgegnerin bereits vor Durchführung der nun abgerechneten Straßenbaumaßnahmen erstmalig endgültig hergestellt im Sinne des Erschließungsbeitragsrechts war.
Dies ist nach Aktenlage nicht der Fall. Es fehlte an ihrer endgültigen technischen Herstellung.
Endgültig technisch fertiggestellt ist eine Erschließungsanlage, wenn sie dem gemeindlichen Bauprogramm für die flächenmäßigen und sonstigen Teileinrichtungen sowie dem technischen Ausbauprogramm vollständig entspricht (vgl. BayVGH, U.v. 14.11.2013 – 6 B 12.704 – BayVBl 2014, 241 Rn. 22; B.v. 30.3.2016 – 6 ZB 15.2426 – juris Rn. 9; B.v. 29.6.2016 – 6 ZB 15.2786 – juris Rn. 15). Vorliegend entsprach die von der Antragsgegnerin übernommene Straße im Zeitpunkt des Übergangs von Besitz, Nutzungen und Lasten aber weder dem gemeindlichen Bauprogramm noch dem technischen Ausbauprogramm. Das Bauprogramm sah vielmehr vor, die Straße mit einer Wendekehre auszuführen. Hieran fehlte es bislang. Das technische Ausbauprogramm sah noch eine Ergänzung der Straßenbeleuchtung vor.
Folglich wurde die Straße „…“ erst durch die nun durchgeführten und abgerechneten Straßenbaumaßnahmen erstmalig endgültig entsprechend dem gemeindlichen Bauprogramm und dem technischen Ausbauprogramm hergestellt. Zweifel an der Erschließungsbeitragsfähigkeit der abgerechneten Maßnahmen bestehen daher nicht.
Weitere Einwände gegen die Rechtmäßigkeit der streitgegenständlichen Vorausleistungserhebung wurden von der Antragstellerin im vorliegenden Verfahren gemäß § 80 Abs. 5 VwGO nicht erhoben.
Soweit im Klageverfahren (Az. RN 11 K 20.358) sowie im vorangegangenen Verfahren gemäß § 80 Abs. 5 VwGO (Az. RN 11 S 20.356) noch weitere Einwände gegen die Rechtmäßigkeit des streitgegenständlichen Vorausleistungsbescheides vorgetragen worden waren, so wurde bereits auf den Seiten 5 ff. der Gründe des Beschlusses des Gerichts vom 20.3.2020 im Verfahren RN 11 S 20.356 dargelegt, dass diese Einwände nach der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes allein möglichen und gebotenen summarischen Prüfung nicht durchgreifen. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf diese Ausführungen im Beschluss vom 20.3.2020 verwiesen.
Nach summarischer Prüfung erweist sich der angefochtene Bescheid damit als rechtmäßig.
Unter Zugrundelegung der oben beschriebenen Grundsätze wäre die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragstellerin gegen den streitgegenständlichen Vorausleistungsbescheid vorliegend daher nur dann anzuordnen, wenn die Vollziehung des Bescheides für die Antragstellerin eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Anhaltspunkte für das Vorliegen einer derartigen Härte sind jedoch nicht ersichtlich. Auch von Seiten der Antragstellerin wurde diesbezüglich nichts vorgetragen. Allein aus der Höhe der festgesetzten Vorausleistung folgt noch nicht, dass die Vollziehung des Bescheides eine unbillige Härte darstellt. Für die Beurteilung, ob die Vollziehung im Hinblick auf die Höhe der festgesetzten Vorausleistung eine unbillige Härte darstellt, kommt es entscheidend auch auf die wirtschaftlichen Verhältnisse der Antragstellerin an. Zu diesen hat die Antragstellerin aber keine Angaben gemacht. Das Vorliegen einer unbilligen Härte wurde demnach nicht glaubhaft gemacht.
Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage der Antragstellerin war nach alledem mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 52 Abs. 3, 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG i.V.m. Ziffer 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (1/4 des für das Hauptsacheverfahren anzunehmenden Streitwerts).


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