Verwaltungsrecht

Gemeinschaftsunterkunft, Besuchsregelung, Antragsgegner, Verwaltungsgerichte, Vorläufiger Rechtsschutz, Umgangsrecht, Gewährleistungsansprüche, Antragstellers, Besuchszeiten, Unionsrechtliche Vorgaben, Prozeßbevollmächtigter, Einstweiliger Rechtsschutz, Streitwertfestsetzung, Prozeßkostenhilfeverfahren, Festsetzung des Streitwerts, Streitwertkatalog, Untermietverhältnisse, Lebensgefährtin, Beschwerdeschrift, Beschwerde gegen

Aktenzeichen  M 30 S 21.279

Datum:
4.3.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 6797
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 5
VwGO § 123
GG Art. 6
EMRK Art. 8

 

Leitsatz

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 2.500,- Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller begehrt vorläufigen bzw. einstweiligen Rechtsschutz im Zusammenhang mit einer Besuchsregelung des Antragsgegners für eine Gemeinschaftsunterkunft für Flüchtlinge.
Mit Aushang vom 11. Januar 2021 der Regierung von Oberbayern wird in der Gemeinschaftsunterkunft für Flüchtlinge in … … … … unter anderem darauf hingewiesen, dass Besucher diese Unterkunft ausschließlich Montag bis Freitag in der Zeit von 8:00 bis 16:00 Uhr besuchen dürfen. Soweit Verstöße gegen die vorgenannten Regeln festgestellt würden, könne umgehend ein Hausverbot für mindestens ein Jahr ausgesprochen werden. Bereits zuvor war mit Aushang vom 26. Juni 2020 unter anderem darauf hingewiesen worden, dass ab 1. Juni 2020 Besuche ausschließlich werktags in der Zeit von 8:00 bis 16:00 Uhr für Besuche von Bewohnern der Unterkunft möglich seien.
Der Antragsteller besucht regelmäßig seine Lebensgefährtin und deren beiden nichtgemeinschaftlichen Kinder in der Gemeinschaftsunterkunft und betreut die Kinder. Zwischenzeitlich war vom Sicherheitsdienst nicht beanstandet worden bzw. dem Antragsteller gewährt worden, sich bis 20:30 Uhr in der Unterkunft aufzuhalten. Derzeit wird der Antragsteller vom Sicherheitsdienst der Unterkunft jedoch auf die Einhaltung der Besuchszeiten hingewiesen und angehalten.
Am 16.01.2021 hat der Antragsteller daher Klage zum Verwaltungsgericht München erhoben (M 30 K 21.277) und beantragt, das Umgangsrecht mit seiner Familie so zu regeln, wie es dem Wohle der Familie entspreche. In der Begründung führt der Antragsteller aus, er wende sich dagegen, seine Familie nur noch von Montag bis Freitag von 8:00 Uhr morgens bis 16:00 Uhr nachmittags besuchen zu können, wie es neue Anweisungen der Regierung von Oberbayern vorschreiben würden. Es sei nicht nachvollziehbar, weshalb er sich in Bezug auf seine Lebensgefährtin und ihre Kinder, die er seit mehr als einem Jahr täglich nach der Arbeit besuche und sich um die Kinder kümmere, jetzt auf einmal in seinem Umgangsrecht derart einschränken lassen solle. Die Leitung der Gemeinschaftsunterkunft verstoße damit gegen Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 8 EMRK. Dabei umfasse Art. 6 GG nicht nur die Beziehung zwischen ihm und seiner Lebensgefährtin, sondern auch die rechtlichen Beziehungen zwischen den Kindern und ihrem nicht leiblichen Vater. Der Antragsteller nehme die elterliche Sorge für die beiden Söhne täglich war. Dies wisse der Antragsgegner ganz genau. Hierzu gehöre auch, dass er sich um die schulischen Belange kümmere, soweit dies erforderlich sei. Vielmehr greife der Antragsgegner in die Beziehung zwischen ihm und seiner Lebensgefährtin rechtswidrig ein. Wenngleich das Infektionsschutzgesetz bei Pandemien Einschränkungen von Grundrechten ausdrücklich vorsehe, sei der Antragsgegner gehalten, hier die Verhältnismäßigkeit zu wahren und das Grundrecht des Antragstellers nur soweit einzuschränken, als dies aufgrund der Infektionsgefahr unbedingt notwendig sei. Der Antragsteller sei nicht auf einmal ansteckender geworden oder von ihm gehe eine größere Gefahr aus als vorher. Er habe auch kein Kontakt zu anderen Mitbewohnern, da er jedes Mal auf direktem Weg zu seiner Familie gehe.
Zudem beantragt der Antragsteller gemäß § 80 Abs. 5 VwGO:
Die aufschiebende Wirkung der Klage vom 16.01.2021 wird angeordnet.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Mit Schriftsätzen vom 21. Januar 2021 und 10. Februar 2021 nahm der Antragsgegner Stellung. Entgegen der Darstellung des Antragstellers würden die Besuchsregeln nicht erst seit Kurzem, sondern bereits seit dem 1. Juli 2020 gelten. Nachdem der Antragsteller gegen die Besuchsregelungen in der Vergangenheit verstoßen habe, seien nunmehr diese als milderes Mittel gegenüber einem vollständigen Hausverbot angewandt worden. Gemäß interner Handlungsanweisungen zum Umgang mit den Besuchszeiten seien in nachvollziehbaren Ausnahmesituationen durchaus im Zeitraum von 6:00 bis 20:30 Uhr erweiternde Ausnahmen von der Besuchsregelung möglich. Hierbei würden explizit Besuche zur Wahrnehmung des Umgangsrechts zwischen Eltern und Kindern aufgeführt. Bei den vom Antragsteller genannten Kindern handle es sich jedoch nicht um seine leiblichen Kinder, sondern um die Kinder seiner Lebensgefährtin. Wie der Antragsteller selbst erwähne, handle es sich um sogenannte „Ziehkinder“, es bestünden keine Rechte und Pflichten eines Erziehungsberechtigten. Der Anwendungsbereich des Art. 6 Abs. 1 GG und des Art. 8 EMRK sei daher nicht eröffnet. Zwar könnten gegebenenfalls auch familiäre Lebensgemeinschaften zu minderjährigen Stiefkindern von Art. 6 Abs. 1 GG umfasst sein, diese würden jedoch in der Regel eine gemeinsame Lebensführung in Form der Beistandsgemeinschaft gekennzeichnet sein. Eine solche Erziehungsgemeinschaft, welche von elterliche Verantwortung geprägt sei, sei vorliegend nicht ersichtlich. Die relativ kurze Zeitspanne von einem Jahr, in der sich der Antragsteller seinen Angaben zufolge um die Frau und die Kinder kümmere, sei angesichts der nicht vorhandenen Haushaltsgemeinschaft eher als Indiz gegen eine Erziehungsgemeinschaft zu werten. Durch die wiederholten Verstöße gegen die getroffenen Vereinbarungen und Regelungen selbst im Zusammenhang mit den erweiterten Besuchszeiten – dem Antragsteller sei durchaus zwischenzeitlich gewährt worden, regelmäßig bis 20:30 Uhr in der Unterkunft zu verbleiben – sei eine Begrenzung gegenüber dem Antragsteller notwendig geworden. Der Antragsteller habe den erweitert gewährten Zeitraum missachtet. Hierzu wurde eine Liste mit den Besuchszeiten des Antragstellers seit 13. August 2020 vorgelegt. Aus diesem Grunde sei es in Abwägung der bestehenden Interessen verhältnismäßig, den Antragsteller auf die Besuchszeiten von Montag bis Freitag 8:00 bis 16:00 Uhr zu verweisen.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten der Verfahren M 30 K 21.277 und M 30 S 21.279 sowie die hierzu vorgelegten Behördenunterlagen verwiesen.
II.
Der Antrag ist als Antrag gemäß § 123 VwGO zulässig, aber unbegründet.
1. Soweit der Antragsteller die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gemäß § 80 Abs. 5 VwGO beantragt, ist ein solcher Antrag zwar unzulässig. Das antragstellerische Vorbringen ist jedoch auslegungsfähig als Begehren vorläufigen Rechtsschutzes nach § 123 VwGO.
Vorläufiger Rechtsschutz nach § 80 Abs. 5 VwGO wäre zulässig, wenn sich der Antragsteller gegen einen ihn belastenden Verwaltungsakt i.S.v. Art. 35 BayVwVfG in der Hauptsache wenden würde. Dies ist jedoch nicht der Fall. Seitens des Antragsgegners erging ein solcher nach Aktenlage nicht. Selbst wenn die allgemeine Besuchsregelung als Allgemeinverfügung i.S.v. Art. 35 Satz 2 BayVwVfG verstanden würde – dies dürfte aus Sicht des Gerichts jedoch zu verneinen sein, da sie nicht auf eine Rechtswirkung als Ausfluss hoheitlicher Tätigkeit abzielt, sondern schlichtes Verwaltungshandeln darstellt – würde der Antragsteller mit einer Anfechtungsklage hiergegen insoweit seinem Ziel, eine aus seiner Sicht familienwohlgerechte Besuchsregelung zu erhalten, nicht erreichen.
In der Hauptsache M 30 K 21.277 begehrt der Antragsteller eine Regelung in Bezug auf sein Umgangsrecht mit seiner Familie. Damit ist gemäß der Ausführungen zur Begründetheit eine über die allgemeinen Besuchszeiten in der Gemeinschaftsunterkunft hinausgehende, dem Familienwohl entsprechende Besuchsregelung gemeint. Hierbei dürfte es sich eher um eine Leistungsklage auf tatsächlich zu gewährenden Besuch im Wege schlichten Verwaltungshandeln handeln als um eine Verpflichtungsklage auf Erlass eines Verwaltungsaktes mit entsprechender Besuchsregelung (vgl. VG München, U.v. 6. Juni 2019 – M 30 K 18.876 – beck-online Rn. 18 ff.). Für das vorliegende Verfahren kann dies jedoch dahinstehen, da in beiderlei Konstellationen einstweiliger Rechtsschutz nach § 123 VwGO zu suchen ist.
Nach § 123 Abs. 1 VwGO kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte, oder auch zur Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, nötig erscheint, um wesentliche Nachteile für den Antragsteller abzuwenden. Nach § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m.§ 920 Abs. 2 ZPO sind dabei sowohl ein Anordnungsanspruch, d. h. der materielle Anspruch, für den der Antragsteller vorläufigen Rechtsschutz sucht, als auch ein Anordnungsgrund, der insbesondere durch die Eilbedürftigkeit einer vorläufigen Regelung begründet wird, nach § 920 Abs. 2 i.V.m. § 294 Abs. 1 ZPO glaubhaft zu machen. Diese Beweiserleichterung erstreckt sich auf das Beweismaß und die Beweismittel; signifikanter Ausdruck hierfür ist die Anwendbarkeit von § 294 Abs. 1 ZPO, wonach zur Glaubhaftmachung des Sachverhalts alle Beweismittel zugelassen sind (vgl. zum Ganzen Schoch in Schoch/Schneider, VwGO, Stand Juli 2020, § 123 Rn. 92a). Das erforderliche Maß der richterlichen Überzeugung ist damit auf eine nur überwiegende Wahrscheinlichkeit festgelegt (vgl. BVerfG, B.v. 29.7.2003 – 2 BvR 311/03 – NVwZ 2004, 95 – juris Rn. 16; Happ in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 123 Rn. 51). Dabei besteht im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes dennoch eine Amtsermittlungspflicht des Gerichts, die es dem Gericht insbesondere ermöglicht, den Prozessbeteiligten die Vorlage von Unterlagen aufzuerlegen (Schoch in Schoch/Schneider, VwGO, 39. EL Juli 2020, § 123 Rn. 95 ff.).
2. Rechtsschutz nach § 123 VwGO ist jedoch unbegründet. Einen Anordnungsanspruch hat der Antragsteller nicht glaubhaft gemacht. Vielmehr bestehen gegen eine Anwendung der allgemeinen Besuchsregelung werktags von 8:00 bis 16:00 Uhr gegenüber dem Antragsteller durch den Antragsgegner bzw. vom Antragsgegner eingesetzten Sicherheitsdienst keine durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
a) Die derzeitige allgemeine Besuchsregelung bewegt sich im Rahmen des dem Antragsgegner als Betreiber der Gemeinschaftsunterkunft zustehenden allgemeinen Hausrechts und ist nicht zu beanstanden.
Die Ausübung des Hausrechts muss grundsätzlich willkürfrei und von Sachgründen getragen sein. Anhaltspunkte dafür, dass eine auf Werktage und die Zeit von 8:00 bis 16:00 Uhr beschränkte Besuchsregelung gegen das Sachlichkeitsgebot verstoßen könnte, sind nicht ersichtlich. Insbesondere ergibt sich aus den Ausführungen des Antragsgegners, dass aufgrund interner Handlungsanweisungen durchaus verlängerte Besuchszeiten in Ausnahmesituationen, zu denen auch die Ausübung von Umgangsrecht mit Kindern bestehe, möglich sind. Dadurch kann der Verwirklichung der Rechte aus Art. 6 GG und Art. 8 EMRK sowie der unionrechtlichen Vorgaben aus der RL 2013/33/EU, z.B. in Art. 18 Abs. 2 Buchst. a) und c) in Bezug auf die Gewährleistung des Schutzes des Familienlebens und Zugangsgewährung für Familienangehörige, hinreichend Rechnung getragen werden. Auf eine Rechtfertigung für eine derartige Besuchsregelung durch die derzeitigen Auswirkungen bzw. infektionsschutzrechtlichen Anforderungen aus der Corona-Pandemie kommt es somit nicht an.
b) Der Antragssteller mag grundsätzlich für sich die Eröffnung des Schutzbereichs nach Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 8 EMRK in Anspruch nehmen ((1)). Eine Verpflichtung für den Antragsgegner, dem Antragsteller längere Besuchszeiten zu gewähren, ergibt sich daraus nicht ((2)).
(1) Zu Gunsten des Antragstellers kann unterstellt werden, sich auf den Schutzbereich von Art. 6 Abs. 1 GG bzw. Art. 8 EMRK in Bezug auf den Schutz der Familie berufen zu können.
Der Begriff der Familie nach Art. 6 Abs. 1 GG umfasst eine tatsächliche Lebens- und Erziehungsgemeinschaft von Eltern und Kindern (Jarass/Pieroth, GG, 15. Auflage 2018, Art. 6 Rn. 8 m.w.N.), eine Hausgemeinschaft muss nicht notwendiger Weise bestehen. Auch Art. 8 EMRK ist nicht allein auf durch Ehe begründete Beziehungen beschränkt, sondern kann auch andere de-facto-„Familienbeziehungen“ umfassen (EGMR, U.v. 3.12.2009 – 22028/04 Zaunegger/Deutschland – beck-online Rn. 37). Ob ein Familienleben besteht, hängt im Wesentlichen von den konkreten Umständen ab. Dabei kommt es darauf an, ob tatsächlich enge persönliche Bindungen bestehen, insbesondere das nachweisbare Interesse des Vaters an dem Kind und das Bekenntnis zu ihm (EGMR, a.a.O.). Der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nach lässt sich eine dem Schutzzweck des Art. 6 GG entsprechende Eltern-Kind-Gemeinschaft nicht allein quantitativ etwa nach Daten und Uhrzeiten persönlichen Kontakts oder genau am Inhalt der einzelnen Betreuungshandlungen bestimmen, vielmehr verbietet sich eine schematische Einordnung (BVerfG, B.v. 8.12.2005 – 2 BvR 1001/04 – beck-online m.w.N.). Dabei ist in der Rechtsprechung und Kommentarliteratur ein immer weitergehendes Verständnis vom Begriff der Familie erkennbar (vgl. Schmidt in Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 21. Auflage 2021, Art. 6 GG, Rn. 6 m.w.N.). Allerdings wird die Schutzwirkung abgestuft sein, je nachdem, ob es sich um eine Lebens- und Erziehungsgemeinschaft, eine Hausgemeinschaft oder eine bloße Begegnungsgemeinschaft handelt (Schmidt, a.a.O. m.w.N.).
Der Antragsteller ist zwar nicht der Vater der Kinder. Auch ein rechtliches Sorge- oder Umgangsrecht ist nicht glaubhaft gemacht. Angesichts der Übersicht über die fast täglichen Besuche des Antragstellers seit August 2020 und des antragstellerischen Vortrags, sich um die Kinder zu kümmern, wenn seine Lebensgefährtin Besorgungen tätigt oder einen Deutsch-Kurs besucht und die Lebensgefährtin somit ihre Kinder dem Antragsteller regelmäßig anvertraut, dürfte vorliegend – zumindest nach den im Eilrechtsschutzverfahren geltenden Maßstäben – bereits mehr als eine bloße Begegnungsgemeinschaft zu bejahen sein. Dabei sind aus Sicht des Gerichts durchaus die konkreten Rahmenbedingungen und Schwierigkeiten zu beachten, denen sich der Antragsteller in seiner individuellen Situation (er lebt in einem Untermietverhältnis) sowie seine Lebensgefährtin mit ihren Kindern als Flüchtlinge in einer Gemeinschaftsunterkunft stellen müssen. Insbesondere, dass der Antragsteller nicht mit seiner Lebensgefährtin und deren Kinder zusammenlebt, hindert vorliegend nicht die Annahme einer zumindest familiennahen Konstellation.
(2) Aus dem verfassungsrechtlich und menschenrechtlich verankerten Schutz der Familie, auf den sich jedes Mitglied der Familie berufen kann (Jarass/Pieroth, a.a.O. Rn. 12) ergibt sich für den Antragsgegner jedoch keine Pflicht, dem Antragsteller außerhalb der allgemeinen Besuchszeiten Zugang zur Gemeinschaftsunterkunft zu gewähren.
aa) Aus Art. 6 Abs. 1 GG sowie Art. 8 EMRK folgt unmittelbar kein Gewährleistungsanspruch auf den antragsstellerseits begehrten zeitlich erweiterten Zugang zur Gemeinschaftsunterkunft.
Der grundsätzlich bestehende Zugang – auch i.S.v. der AufnahmeRL 2013/33/EU – zu seiner Familie in der Gemeinschaftsunterkunft wird dem Antragsteller nicht verwehrt, allerdings nur im zeitlichen Umfang werktags bis 16:00 Uhr.
Die Gewährleistung eines zeitlich darüber hinaus gehenden ständigen oder zeitlich weitumfassenden Familienlebens im Rahmen von besonderen Unterbringungsformen in Gemeinschaftsunterkünften wie Kliniken, Heimen, Wohngemeinschaften und auch Unterkünften für Flüchtlinge lässt sich unmittelbar weder aus Art. 6 GG noch Art. 8 EMRK ableiten, ebensowenig aus den unionrechtlichen Vorgaben.
Vielmehr verlangt die sich aus Art. 6 Abs. 1 GG ergebende Schutz- und Förderpflicht der Familie vorrangig nach entsprechend gesetzlicher Ausgestaltung (vgl. Jarass/Pieroth, a.a.O. Rn. 18), im Rahmen deren auch gewisse Gewährleistungsansprüche entstehen können. Dies ist vorliegend in zeitlicher Hinsicht bezüglich des Zugang von Familienangehörigen zu Gemeinschaftsunterkünften für Flüchtlinge nicht der Fall.
bb) Soweit der Antragsgegner dem Antragsteller hingegen die verlängerten Besuchszeiten für Familienangehörige gemäß dessen Handlungsempfehlungen und praktischen Anwendung verwehrt, stellt dies zwar einen grundrechtsrelevanten, wenngleich nicht tiefgehenden Eingriff dar.
Das Gericht sieht diese Beeinträchtigung als gerechtfertigt an, insbesondere vor dem Hintergrund, dass die Besuchszeitreduzierung vom Antragsgegner als milderes Mittel zu einem Hausverbot aufgrund von Verstößen des Antragstellers herangezogen wird. Ein solches würde einen erheblich tieferen Eingriff darstellen.
Die Reduzierung der Besuchsmöglichkeit auf die allgemeine Besuchszeit statt 20:30 Uhr ist zudem angemessen. Sie ist nach Aktenlage Folge einiger Verstöße des Antragsstellers gegen die bestehenden Regelungen. Ausweislich der vorgelegten Besuchsliste hat sich der Antragsteller mehrfach nicht abgemeldet (9.8., 7.9., 22.10., 21.11., 21.12., 31.12., 12.1., 14.1., 9.2.) bzw. sogar die Zeit von 20:30 Uhr überschritten (17.9., 9.11., 11.11., 15.12., 17.12., 18.12., 29.12., 30.12., 8.1., 9.1., 11.1. 13.1., 21.1., 8.2.). Dass der Antragsteller sich an die 16:00 Uhr-Regelung nicht hielt, nachdem ihm im Januar 2021 keine Erweiterung bis 20:30 Uhr mehr gewährt wurde, hat er selbst mit Schreiben vom 2. Februar 2021 eingeräumt. Damit hat er vorsätzlich, nicht unerheblich und wiederholt gegen die Besuchsregeln verstoßen. Im Aushang über die Besuchsregeln wird hingegen deutlich auf ein drohendes Hausverbot bei Verstößen hingewiesen. Den Akten lässt sich zudem deutlich entnehmen, dass es zwischen ihm und dem Sicherheitsdienst bzw. der Verwaltung der Gemeinschaftsunterkunft immer wieder Probleme und Schwierigkeiten gibt (siehe u.a. Email vom 10. Februar 2021 (Anlage 3) sowie die vorgelegte Beiakte).
Das Zusammenleben in der Gemeinschaftsunterkunft und deren Organisation verbunden mit entsprechenden Sicherheitsvorkehrungen verlangt eine angemessene Hausordnung und insbesondere Besuchsregeln, die dem erhöhten Schutzbedürfnis der Bewohner sowie den notwendigen Sicherheitsanforderungen entspricht. Dies gilt derzeit aufgrund der Auswirkungen der Corona-Pandemie umso mehr. Aus der Aktenlage lässt sich erkennen, dass der Antragsteller mit seinem Verhalten nicht nur den Sicherheitsdienst erheblich über das normale Maß hinaus beschäftigt und regelmäßig Sicherheitsroutinen auslöst, wenn er sich beispielsweise nicht abmeldet oder nach der erlaubten Zeit noch in der Unterkunft aufhält, bzw. diesen in Diskussionen verwickelt oder Vorhaltungen macht, Drohungen ausspricht etc., sondern auch anscheinend zunehmend Unruhe bei den Mitbewohnern aufgrund seines Kommen und Gehens entsteht. Ist aber durch das Verhalten des Antragstellers der Hausfrieden und der reibungslose Ablauf des Sicherheitsdienstes gestört, hat die sich aus Art. 6 GG und Art. 8 EMRK ergebende Rechtsposition des Antragstellers gegenüber den unionsrechtlich und verfassungsrechtlich geschützten Bedürfnissen der übrigen Unterkunftsbewohner zurückzutreten. Die Ausübung des Hausrechts, in deren Rahmen die Besuchsgewährung erfolgt, dient der Aufrechterhaltung der Funktionsfähigkeit der staatlichen Institution, vorliegend auch unter Berücksichtigung der unionsrechtlichen Vorgaben aus der Aufnahmerichtlinie etc.. Dies bringt nicht nur das Erfordernis eines reibungslosen Ablaufs im Bereich der Sicherheitsvorkehrungen mit sich, sondern erfordert auch hausrechtliche Regelungen und Maßnahmen des Unterkunftsbetreibers als Sachwalter und in gewissem Umfang Fürsorgepflichtigen für den Schutz der Mitbewohner mit ihren Grundrechten und besonderen Bedürfnissen. Dem Antragsteller steht hingegen frei, sein Familienleben auch außerhalb der Gemeinschaftsunterkunft zu organisieren. Zudem unterstellt das Gericht dem Antragsgegner, dass in der konkreten Anwendung der Besuchszeiten durchaus angemessen berücksichtigen werden wird, wenn eine längere Betreuungszeit der Kinder etwa wegen nachweisbarer, nicht verschiebbarer Termine, z.B. eines stattfindenden Deutsch-Kurses, wichtigen Arzttermins o.ä. der Lebensgefährtin, geboten sein könnte.
Einer über die allgemeine Besuchszeit hinausgehende Regelungsanordnung des Gerichts im Wege des § 123 VwGO ist somit vorliegend nicht begründet. Der vorliegende Grundrechtseingriff durch eine Beschränkung der Besuchszeit bis 16:00 Uhr werktags ist gerechtfertigt und daher die Ausübung des Hausrechts durch den Antragsgegner von willkürfreien und sachlichen Erwägungen getragen.
Der Antrag war daher abzulehnen. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 1 GKG, § 52 Abs. 2 GKG i.V.m. Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013.


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