Verwaltungsrecht

gerichtliche Aufhebung eines Entziehungsbescheids wegen Ermessensausfalls beim Erlass der Beibringungsanordnung, Erlass einer erneuten Beibringungsanordnung keine entgegenstehende Rechtskraft, keine Nichtigkeit des erneuten Entziehungsbescheids

Aktenzeichen  11 ZB 21.3055

Datum:
17.2.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 4431
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 121
FeV § 11 Abs. 8

 

Leitsatz

Verfahrensgang

B 1 K 21.551 2021-11-02 Urt VGBAYREUTH VG Bayreuth

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 15.000,- EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Der Kläger wendet sich gegen die Entziehung seiner Fahrerlaubnis der Klassen A, A18, A1, B, BE, C1, C1E, L, M und T.
Im April 2019 wurde der Fahrerlaubnisbehörde des Landratsamts F. aufgrund einer polizeilichen Mitteilung bekannt, dass der Kläger am 29. März 2019 eine Nötigung im Straßenverkehr begangen hatte. Mit seit 25. Juli 2019 rechtskräftigem Strafbefehl vom 21. Mai 2019 verurteilte ihn das Amtsgericht Forchheim wegen Nötigung zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen. Der hiergegen erhobene Einspruch beschränkte sich auf die Höhe des Tagessatzes.
Unter Bezugnahme auf diese Verurteilung ordnete das Landratsamt mit Schreiben vom 21. Oktober 2019 gemäß § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 FeV die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens an und entzog dem Kläger mit Bescheid vom 28. Januar 2020 die Fahrerlaubnis, weil er kein Gutachten vorgelegt hatte. Den Entziehungsbescheid hob das Verwaltungsgericht Bayreuth mit rechtskräftigem Gerichtsbescheid vom 30. April 2020 (B 1 K 20.110) wegen eines Ermessensausfalls bei Erlass der Beibringungsanordnung auf. Die im Fahreignungs-Bewertungssystem nicht mit Punkten bewertete Nötigung könne zwar unter den Umständen des Einzelfalls durchaus als erhebliche Straftat im Sinne von § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 FeV gewertet werden. Es fehlten jedoch einzelfallbezogene Ermessenserwägungen zu der Frage, ob die Straftat derartige charakterliche Eignungsmängel deutlich werden lasse, dass jenseits des Punktesystems ausnahmsweise die Anordnung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens gerechtfertigt sei. Die inhaltlich zutreffenden nachträglichen Erwägungen genügten insofern nicht. Das Landratsamt verzichtete auf Rechtsmittel.
Mit Schreiben vom 2. September 2020 forderte das Landratsamt den Kläger erneut auf, ein medizinisch-psychologisches Gutachten zu der Frage beizubringen, ob es trotz der aktenkundigen Straftat im Zusammenhang mit dem Straßenverkehr zu erwarten sei, dass er künftig nicht erheblich oder wiederholt gegen verkehrsrechtliche Bestimmungen verstoßen werde, und begründete dies mit der rechtskräftigen Verurteilung vom 25. Juli 2019 und dem in wiederholten Äußerungen, bei Vorsprachen, in Anzeigen und Beschwerden des Klägers offenbarten Verhaltensmuster, aus dem sich Zweifel an der Kraftfahreignung ergäben. Die besonderen Umstände des Falls rechtfertigten die ergriffenen Maßnahmen in Abweichung vom Punkte-System.
Hiergegen wandte sich der Kläger mit verschiedenen Schreiben an das Verwaltungsgericht, die Regierung von Oberfranken (als Dienst- und Fachaufsichtsbehörde) und das Innenministerium. Mit Schreiben an den Landrat vom 22. November 2020 legte er Widerspruch ein.
Mit Bescheid vom 4. Dezember 2020 entzog ihm das Landratsamt abermals gestützt auf § 11 Abs. 8 FeV die Fahrerlaubnis der Klassen A, A18, A1, B, BE, C1, C1E, L, M und T und forderte ihn unter Androhung eines Zwangsgelds auf, seinen Führerschein innerhalb einer Woche nach Zustellung des Bescheids bei der Führerscheinstelle abzugeben.
Am 9. Dezember 2020 sprach der Kläger im Landratsamt vor. Dabei lehnte er die Abgabe seines Führerscheins ab und erklärte, er verstehe nicht, weshalb ihm erneut die Fahrerlaubnis entzogen werde, nachdem er vor Gericht Recht bekommen habe. Am 10. Dezember 2020 schrieb er an die Bayerischen Ministerien der Justiz und des Innern, „stellte Klage und Aufsichtsbeschwerde“ bzw. begehrte „Widerruf wegen nicht nachvollziehbarer grob fahrlässiger Beurteilung eines Sachverhaltes“ und beschwerte sich darüber, dass das Landratsamt sich über ein Gerichtsurteil hinwegsetze. Am 28. Januar 2021 erkundigte sich der Kläger im Landratsamt telefonisch u.a., weshalb er eine Mahnung für die Kosten des Entziehungsbescheids erhalte, nachdem das Gericht im Mai 2020 zu seinen Gunsten entschieden habe.
Mit gegen Postzustellungsurkunde am 30. Januar 2021 zugestelltem Schreiben vom 29. Januar 2021 teilte das Landratsamt dem Kläger unter Beifügung einer Kopie des Entziehungsbescheids samt Kostenrechnung mit, dass er die Verfahrenskosten zu tragen habe.
Mit am 3. Februar 2021 eingegangenem Schreiben vom 1. Februar 2021 an den Landrat „stellte“ der Kläger unter Verweis darauf, dass er „mit Führerscheinentzug verfolgt“ werde, und unter Bezugnahme auf die Beibringungsanordnung vom 2. September 2020 „hiermit aus Zeitgründen kurz Widerruf“.
Mit Bescheid vom 9. Februar 2021 forderte das Landratsamt den Kläger unter Androhung unmittelbaren Zwangs nochmals auf, seinen Führerschein bis zum 19. Februar 2021 abzugeben. Mit Schreiben vom 8. März 2021 teilte ihm das Landratsamt mit, es lege das an den Landrat gerichtete Schreiben vom 1. Februar 2021 als Widerspruch aus, der aber nicht fristgerecht eingegangen und daher unzulässig, jedenfalls nicht begründet sei. Die Vorsprache am 9. Dezember 2020 genüge nicht der Schriftform.
Nach einem Aktenvermerk vom 15. März 2021 bat der Kläger darum, den als Widerspruch behandelten „Widerruf“ nicht sogleich der Regierung vorzulegen, sondern die Frist zur angebotenen Rücknahme bis 2. April 2021 abzuwarten.
Am 18. März 2021 stellte die Polizei seinen Führerschein sicher.
Am 6. Mai 2021 ließ der Kläger durch seinen Bevollmächtigten Klage mit dem Antrag erheben festzustellen, dass der Entziehungsbescheid vom 4. Dezember 2020 nichtig sei, und gleichzeitig im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes beantragen, dem Beklagten aufzuerlegen, dem Kläger seinen Führerschein wieder auszuhändigen.
Mit Beschluss vom 11. Juni 2021 lehnte das Verwaltungsgericht den Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes ab. Eine Beschwerde (11 CE 21.1881) hatte keinen Erfolg.
Mit Urteil vom 2. November 2021 wies das Verwaltungsgericht auch die Klage ab. Selbst wenn man die dreimonatige Sperrfrist das § 75 Satz 2 VwGO als überschritten ansehen wollte, hätte die Klage keinen Erfolg, weil der Bescheid vom 4. Dezember 2020 wegen Verfristung des Widerspruchs sowie der Klage und mangels Nichtigkeitsgründen bestandskräftig geworden sei. Dies gelte auch, wenn die Vorsprachen und Schreiben des Klägers nicht als Widerspruch gemeint gewesen seien, sondern wenn man ihn an seinem gestellten Antrag festhalte und von einer Nichtigkeitsfeststellungsklage gemäß § 43 Abs. 1 VwGO ausgehe. Der Entziehungsbescheid vom 4. Dezember 2020 sei nicht nichtig, da weder absolute Nichtigkeitsgründe nach Art. 44 Abs. 2 BayVwVfG noch ein besonders schwerwiegender Fehler im Sinne von Art. 44 Abs. 1 BayVwVfG vorlägen. Insbesondere sei der Bescheid nicht unter Verstoß gegen § 121 VwGO erlassen worden. Auf die Frage, ob ein solcher Verstoß überhaupt zur Nichtigkeit des Verwaltungsakts führe, komme es somit nicht an. Das Verwaltungsgericht habe seine Entscheidung vom 30. April 2020 darauf gestützt, dass die Behörde bei der Anordnung des Gutachtens ihr Ermessen nicht ordnungsgemäß ausgeübt habe. Die Rechtskraftwirkung einer Anfechtungsklage beschränke sich auf die vom Gericht zu prüfenden und die Entscheidung tragenden Aufhebungsgründe, insbesondere bei ermessensfehlerhafter Begründung bzw. einem Beurteilungsfehler allein auf diese als ermessens- bzw. beurteilungsfehlerhaft beanstandete Begründung. Die Befugnis der Behörde, einen neuen, ggf. inhaltsgleichen Verwaltungsakt bzw. einen Verwaltungsakt in einem fehlerfreien Verfahren bzw. mit ermessens- bzw. beurteilungsfehlerfreier Begründung zu erlassen, werde nicht berührt. Sei der Streitgegenstand der Anfechtungsklage wie hier die Behauptung gewesen, die Anforderung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens bedürfe einer (unterbliebenen) Auseinandersetzung mit dem Punkte-System, und werde der Entziehungsbescheid rechtskräftig aufgehoben, hindere die materielle Rechtskraft der gerichtlichen Entscheidung die Behörde bei unveränderter Sach- und Rechtslage, einen Entziehungsbescheid auf eine Gutachtensanordnung zu stützen, die den Betroffenen in gleicher Weise (ohne zureichende Ermessensausübung) in seinen Rechten verletze wie der aufgehobene Entziehungsbescheid. Die Behörde dürfe aber den dem Verwaltungsakt anhaftenden Fehler unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts beseitigen. Der erneute Entziehungsbescheid stütze sich auf § 11 Abs. 8 FeV, dessen Voraussetzungen erfüllt seien. Bei dem geforderten Gutachten handele es sich um das mit Schreiben vom 2. September 2020 angeordnete und bis zum 10. November 2020 beizubringende medizinisch-psychologische Gutachten. Der Entziehungsbescheid vom 28. Januar 2020 habe hingegen auf der Nichtbeibringung des mit Schreiben vom 21. Oktober 2019 angeordneten und zu einem früheren Zeitpunkt vorzulegenden Gutachtens beruht. Der Lebenssachverhalt, der der erneuten Entziehung der Fahrerlaubnis zugrunde liege, sei nicht allein auf den Vorfall vom 29. März 2019 beschränkt, sondern umfasse die Nichtmitwirkung des Klägers in einem bestimmten (weiteren) Verwaltungsverfahren, in dem hätte aufgeklärt werden sollen, ob seine Fahreignung trotz dieses Vorfalls und des nachfolgend gezeigten Verhaltens gegeben sei. Dieser Sachverhalt sei nicht von der Bindungswirkung der rechtskräftigen Entscheidung umfasst. Auch wenn man dies anders sähe, würde der Gerichtsbescheid vom 30. April 2020 weder dem Erlass eines erneuten Entziehungsbescheids noch dem Erlass einer erneuten Beibringungsanordnung wegen des Vorfalls vom 29. März 2019 entgegenstehen, der dem Landratsamt schon als Grundlage für die Beibringungsanordnung vom 21. Oktober 2019 gedient habe, da die Behörde entsprechend den gerichtlichen Vorgaben nunmehr ihr vormals nicht ausgeübtes Ermessen im Rahmen des § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 FeV ausgeübt habe. Das Landratsamt habe den rechtskräftigen Gerichtsbescheid auch nicht missachtet, sondern sich an dessen Vorgaben gehalten. Da es sich um einen Neuerlass gehandelt habe, seien mit dem Erlass der zweiten Beibringungsanordnung keine Ermessenserwägungen der ersten Anordnung ergänzt worden, was im Anwendungsbereich des § 114 Satz 2 VwGO im Übrigen keinen verfassungsrechtlichen Bedenken unterliege. Eine Beibringungsaufforderung könne nur ergänzt werden, solange ein Gutachten noch nicht erstellt und die Fahrerlaubnis noch nicht entzogen worden sei. Das schließe jedoch nicht aus, dass die Fahrerlaubnisbehörde die fehlerhafte Aufforderung durch eine neue mit zutreffender Begründung ersetze. Ob die Ermessensausübung ausreichend gewesen sei, bleibe einer Prüfung angesichts der Bestandskraft des Entziehungsbescheids verwehrt. Andere Nichtigkeitsgründe seien nicht ersichtlich.
Mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung, dem der Beklagte entgegentritt, macht der Kläger ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung geltend. Schon im vorausgegangenen Klageverfahren B 1 K 20.110 sei die Frage Streitgegenstand gewesen, ob Tatsachen die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens rechtfertigen würden, sodass gemäß § 11 Abs. 8 FeV auf die fehlende Fahreignung geschlossen werden dürfe. Der Streitgegenstand werde durch den Klageantrag und die Klagebegründung bestimmt. Streitgegenständlich seien im Rahmen des Verfahrens insbesondere neben dem Vorfall vom 29. März 2019 auch Eignungszweifel aufgrund der wiederholenden Äußerungen des Klägers gewesen, die ein Fehlverhalten trotz der feststehenden Sachverhalte verneinen würden. Verfahrens- und damit auch streitgegenständlich seien sämtliche „Tatsachen“ gewesen, die auch dem nunmehr angegriffenen Bescheid zugrunde gelegt worden seien. Mit seiner Rechtsmeinung, die Verwaltung dürfe den einem Verwaltungsakt anhaftenden Fehler unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts beseitigen, werde die Bindungswirkung eines rechtskräftigen Urteils auf die Entscheidungsgründe reduziert. § 121 VwGO normiere jedoch „die Bindungswirkung im Streitgegenstand“. Es bestehe eine Tatbestandswirkung. Der Beklagte habe einen völlig inhaltsgleichen Verwaltungsakt erlassen. Diese Entscheidung widerspreche nicht nur dem demokratischen Grundsatz der Gewaltenteilung, sondern stehe auch im eklatanten Widerspruch zum Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz gemäß Art. 19 Abs. 4 GG. Derartig wiederholende Bescheide seien per se nichtig. Die Annahme einer Rechtswidrigkeit ermögliche es der Behörde, ihre Entscheidung ständig zu wiederholen. Durch die aufgrund der Arbeitsbelastung erhebliche Zeitdauer verwaltungsgerichtlichen Verfahren lasse sich ein effektiver Rechtsschutz nicht mehr erreichen, zumal nicht ausgeschlossen werden könne, dass die Behörde den Bescheid auch ein drittes oder viertes Mal wiederhole. In der Missachtung der gerichtlichen Entscheidung liege auch ein objektiv willkürliches Verhalten der Behörde. Der Bescheid sei daher nichtig. Die subjektiv fehlerhafte Auffassung des Behördenmitarbeiters, den Bescheid erneut erlassen zu dürfen, ändere an dessen objektiver Willkürlichkeit nichts.
Wegen des weiteren Sach- und Streitstands wird auf die Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen.
II.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg, da der hier geltend gemachte Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, auf dessen Prüfung der Senat beschränkt ist (§ 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO; BayVerfGH, E.v. 14.2.2006 – Vf. 133-VI 04 – VerfGHE 59, 47/52; E.v. 23.9.2015 – Vf. 38-VI-14 – BayVBl 2016, 49 Rn. 52; Happ in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 124a Rn. 54), nicht hinreichend dargelegt ist (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO).
Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) sind anzunehmen, wenn der Rechtsmittelführer einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage stellt (vgl. BVerfG, B.v. 18.6.2019 – 1 BvR 587/17 – BVerfGE 151, 173 Rn. 32 m.w.N.; B.v. 9.6.2016 – 1 BvR 2453/12 – NVwZ 2016, 1243 = juris Rn. 16 m.w.N.) und dies zugleich Zweifel an der Richtigkeit des Ergebnisses begründet (vgl. BVerwG, B.v. 10.3.2004 – 7 AV 4.03 – DVBl 2004, 838 = juris Rn. 9).
In der Begründung des Zulassungsantrags wird im Wesentlichen der Vortrag aus dem Klageverfahren wiederholt, ohne dass eine Auseinandersetzung mit den entscheidungstragenden Erwägungen im erstinstanzlichen Urteil stattfindet. Damit werden die Darlegungsanforderungen des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO (vgl. hierzu Rudisile in Schoch/Schneider, VwGO, Stand Juli 2021, § 124a Rn. 100; Seibert in Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 124a Rn. 194; Happ, a.a.O. § 124a Rn. 59, 63) verfehlt.
Im Übrigen ist die Rechtsauffassung des Klägers, der unzutreffende Vorstellungen vom Streitgegenstand und von der Rechtskraftwirkung zugrunde liegen, nicht mit dem geltenden Recht vereinbar. Dies hat der Senat bereits im vorangegangenen Beschwerdeverfahren zum Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz ausgeführt.
Der Streitgegenstand wird nach dem vorherrschenden zweigliedrigen Streitgegenstandsbegriff durch Klageantrag und Klagegrund (nicht die „Klagebegründung“) bestimmt, d.h. den von Amts wegen ermittelten Sachverhalt, aus dem sich die begehrte Rechtsfolge ergibt (vgl. Clausing/Kimmel in Schoch/Schneider, VwGO, § 121 Rn. 56 f.; Kilian/Hissnauer in Sodan/Ziekow, VwGO, § 121 Rn. 45, 49). Bei der Anfechtungsklage ist Streitgegenstand – ausgehend von einem bestimmten angefochtenen Verwaltungsakt – der Streit über die Rechtmäßigkeit des hierin konkretisierten Eingriffs in die Rechtssphäre des Klägers bzw. das Aufhebungsbegehren, weil die in dem Verwaltungsakt zum Ausdruck gekommene Regelung rechtswidrig sei und den Kläger in seinen Rechten verletze (Clausing/Kimmel a.a.O. Rn. 59 f.; Kilian/Hissnauer a.a.O. Rn. 48; Kopp/Schenke, VwGO, 27. Aufl. 2021, § 90 Rn. 7; BVerwG, U.v. 8.12.1992 – 1 C 12.92 – BVerwGE 91, 256 = juris Rn. 11; B.v. 9.7.2014 – 9 B 63.13 – NVwZ-RR 2014, 856 = juris Rn. 13). Erlässt die Behörde wie hier einen neuen Verwaltungsakt mit identischem Inhalt, liegt auch ein neuer Streitgegenstand vor (BVerwG, U.v. 8.12.1992 a.a.O. Rn. 11; B.v. 25.3.2010 – 4 B 13.10 – BauR 2010, 1563 = juris Rn. 5; Clausing/Kimmel a.a.O. Rn. 22; Lindner in BeckOK VwGO, Stand 1.10.2021, § 121 Rn. 17). Darüber hinaus unterscheidet sich der dem Entziehungsbescheid vom 4. Dezember 2020 zugrunde liegende Lebenssachverhalt auch dadurch von dem dem Entziehungsbescheid vom 28. Januar 2020 zugrunde liegenden Sachverhalt, dass er auf einer neuen Beibringungsanordnung, nämlich der vom 2. September 2020, beruht. Im Einzelnen wird auf die Gründe des Beschlusses vom 9. September 2021 (11 CE 21.1881) Bezug genommen.
Von der Frage nach dem Streitgegenstand zu unterscheiden ist die Frage nach der Reichweite der Rechtskraftwirkung. Nach § 121 VwGO tritt eine materielle Bindungswirkung nur „soweit“ ein, wie „über den Streitgegenstand entschieden worden ist“. Das aus der Rechtskraftwirkung folgende Wiederholungsverbot ist dergestalt, dass die im Vorprozess unterlegene Behörde bei unveränderter Sach- und Rechtslage nicht einen neuen Verwaltungsakt aus den vom Gericht missbilligten Gründen erlassen darf (vgl. BVerwG, U.v. 8.12.1992 a.a.O. Rn. 12; U.v. 28.1.2010 – 4 C 6.08 – NVwZ 2010, 779 = juris Rn. 11 f.). Welche Handlungsalternativen ihr nach einer gerichtlichen Aufhebung des angefochtenen Verwaltungsakts verbleiben, ist den die Entscheidung tragenden Gründen zu entnehmen, bei Alternativbegründungen der am weitesten reichenden Begründung (Clausing/Kimmel a.a.O. Rn. 81). Hat das Gericht den Verwaltungsakt allein wegen eines Verfahrens- oder Formfehlers aufgehoben, hindert die Rechtskraft die Behörde folglich nicht, unter Vermeidung des gerügten Fehlers die gleiche Regelung erneut zu treffen. Gleiches gilt im Falle der Aufhebung wegen eines Ermessens- oder Beurteilungsfehlers (Clausing/Kimmel a.a.O. Rn. 81; Kilian/Hissnauer a.a.O. § 121 Rn. 72; Rennert in Eyermann, VwGO, § 121 Rn. 22; Lindner, a.a.O. § 121 Rn. 39; Kopp/Schenke, a.a.O. § 121 Rn. 21; Unruh in Fehling/Kastner/Störmer, Verwaltungsrecht, 5. Aufl. 2021, § 121 Rn. 22; BVerwG, U.v. 25.2.2015 – 6 C 37.13 – NVwZ 2015, 1136 = juris Rn. 28; B.v. 11.4.2003 – 7 B 141.02 – NJW 2003, 2255/2256 = juris Rn. 11). Anders als vom Kläger behauptet, kann die Behörde ihre Entscheidung nicht einfach „ständig“ wiederholen.
Damit war die Fahrerlaubnisbehörde auch nicht daran gehindert, unter ordnungsgemäßer Ausübung ihres Ermessens erneut eine Gutachtensanordnung zu erlassen (vgl. BVerwG, U.v. 5.7.2001 – 3 C 13.01 – NJW 2002, 78 Rn. 27; VGH BW, U.v. 11.8.2015 – 10 S 444/14 – DÖV 2015, 935 = juris Rn. 40; BayVGH, B.v. 6.12.2019 a.a.O.; U.v. 13.7.2018 – 11 B 18.644 – juris Rn. 29 f.).
Der Senat hat im Beschwerdeverfahren, auf das Bezug genommen wird, auch schon näher ausgeführt, weshalb dieses Ergebnis nicht in Widerspruch zum Grundsatz der Gewaltenteilung, zum Recht auf effektiven Rechtsschutz oder zum Gedanken der Rechtssicherheit steht und dass es nicht mehr darauf ankommt, ob einem entgegen der materiellen Rechtskraft einer gerichtlichen Entscheidung erlassenen Verwaltungsakt ein Fehler im Sinne von Art. 44 Abs. 1 und 2 BayVwVfG anhaften würde. Dem setzt die Begründung des Zulassungsantrags nichts entgegen.
Als unterlegener Rechtsmittelführer hat der Kläger die Kosten des Verfahrens zu tragen (§ 154 Abs. 2 VwGO).
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3, § 52 Abs. 1 des Gerichtskostengesetzes und der Empfehlung in Nr. 46.1, 46.3 und 46.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013.
Dieser Beschluss, mit dem die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig wird (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO), ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO; § 68 Abs. 1 Satz 5, § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).


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