Verwaltungsrecht

Gerichtliche Beurteilung der bebauungsrechtlichen Wirkungen eines Vorhabens

Aktenzeichen  9 ZB 14.1419

Datum:
13.5.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2016, 47053
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BauGB § 34 Abs. 2
BauNVO § 6 Abs. 2 Nr. 8, Abs. 3

 

Leitsatz

Es ist zwar Sache des Bauherrn, durch seinen Genehmigungsantrag den Inhalt des Vorhabens  festzulegen, das Gegenstand einer bauplanungsrechtlichen Beurteilung eines baurechtlichen Genehmigungsverfahrens sein soll. Dies schränkt aber die Befugnis zur gerichtliche Beurteilung der bebauungsrechtlichen Wirkungen des Vorhabens nicht ein und dabei Feststellungen darüber zu treffen, ob das Vorhaben unter Einbeziehung – hier – des Vereinsheims aus tatsächlichen Gründen im konkreten Einzelfall objektiv-rechtlich eine betriebliche Einheit bildet (im Anschluss an BVerwG, NVwZ-RR 1993, 66). (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

9 K 13.01321 2014-04-09 Urt VGANSBACH VG Ansbach

Tenor

I.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt
II.
Die Klägerin hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen.
III.
Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 47.568 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Die Klägerin begehrt die bauaufsichtliche Genehmigung für die „Nutzungsänderung einer Teilfläche eines Vereinsheims in eine Wettannahmestelle“, deren Erteilung die Beklagte mit Bescheid vom 20. Juni 2013 abgelehnt hat. Das Verwaltungsgericht hat die Verpflichtungsklage mit Urteil vom 9. April 2014 abgewiesen. Hiergegen richtet sich das Rechtsmittel der Klägerin. Mit Bescheid vom 10. Dezember 2014 wurde der Klägerin eine Baugenehmigung für die Nutzungsänderung einer Teilfläche des Vereinsheims in Lagerräume erteilt.
II.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.
1. Die der Klägerin erteilte Baugenehmigung vom 10. Dezember 2014 wirkt sich auf die Zulässigkeit des Antrags nicht aus, auch wenn die genehmigte Lagerfläche im Erdgeschoss im Bereich der beabsichtigten Wettannahmestelle vorgesehen ist. Denn die Klägerin muss keine Lagerräume einrichten oder diese auf Dauer erhalten. Ihr ist es deshalb nicht aus prozessualen Gründen verwehrt, den Ausgang dieses Verfahrens abzuwarten, um von einer etwaigen Baugenehmigung für eine Wettannahmestelle Gebrauch zu machen.
2. Die Klägerin beruft sich auf ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Ob solche Zweifel bestehen, ist im Wesentlichen anhand dessen zu beurteilen, was die Klägerin innerhalb offener Frist hat darlegen lassen (§ 124 a Abs. 5 Satz 2 VwGO). Daraus ergeben sich solche Zweifel nicht.
a) Der Einwand, es fehle an einer Feststellung des Verwaltungsgerichts, „dass der Bauantrag auf eine das Vereinsheim mit einbeziehende Wettannahmenutzung überhaupt nicht ausgerichtet ist“, führt nicht zur Zulassung der Berufung.
Das Verwaltungsgericht bewertet das Vorhaben der Klägerin anhand objektiver Umstände zu Recht als kerngebietstypische Vergnügungsstätte, weil zwischen der beantragten Wettannahmestelle und dem verbleibenden Bereich des Vereinsheims ein enger räumlicher und funktionaler Zusammenhang besteht. Es begründet seine Rechtsauffassung in den nachfolgenden Absätzen der angefochtenen Entscheidung (S. 9 f. d. UA) ausführlich und verweist nicht nur auf eine Kommentarstelle zur Bindung an den Bauantrag; das Verwaltungsgericht hält der Klägerin die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts (B. v. 29.10.1992 – 4 B 103.92 – NVwZ-RR 1993, 287) auch nicht lediglich „schablonenhaft“ entgegen.
Die Frage, welche Motive die Klägerin mit ihrem Bauantrag verfolgt, ob sie das Vereinsheim also in die Wettannahmenutzung mit einbeziehen will oder nicht, war für das Verwaltungsgericht nicht entscheidungserheblich, weil es allein auf die objektiven Umstände abgestellt hat (vgl. S. 10 d. UA „bei der gebotenen objektiven Betrachtung“). Die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts (U. v. 20.8.1992 – 4 C 57.89 – NVwZ-RR 1993, 66) steht dem nicht entgegen. Zwar ist es danach Sache des Bauherrn, durch seinen Genehmigungsantrag den Inhalt des Vorhabens i. S. v. § 29 Satz 1 BauGB festzulegen, das Gegenstand einer bauplanungsrechtlichen Beurteilung eines baurechtlichen Genehmigungsverfahrens sein soll (vgl. BVerwG, B. v. 6.2.2013 – 4 B 39.12 – juris Rn. 11). Dies schränkt aber die Befugnis zur gerichtliche Beurteilung der bebauungsrechtlichen Wirkungen des Vorhabens nicht ein und dabei Feststellungen darüber zu treffen, ob das Vorhaben unter Einbeziehung – hier – des Vereinsheims aus tatsächlichen Gründen im konkreten Einzelfall objektiv-rechtlich eine betriebliche Einheit bildet (vgl. BVerwG, U. v. 20.8.1992 – 4 C 57.89 – juris Rn. 21; BVerwG, B. v. 29.10.1992 – 4 B 103.92 – juris Rn. 3, 4).
b) Entgegen dem Vorbringen der Klägerin widerspricht das angefochtene Urteil auch nicht der Vorgabe des Bundesverwaltungsgerichts, wonach die Kategorisierung einer Vergnügungsstätte als kerngebietstypisch von den Umständen des Einzelfalls abhängt und (deshalb) eine im Wesentlichen auf der Einschätzung der tatsächlichen örtlichen Situation beruhende Beurteilung erfordert (BVerwG, B. v. 29.10.1992, a. a. O., juris Rn. 4, zur Frage, ob eine Spielhalle mit einer Gaststätte eine betriebliche Einheit bildet).
aa) Das Verwaltungsgericht hat die geforderte Einzelfallbetrachtung angestellt. Es hat seine Auffassung zum Vorliegen einer betrieblichen Einheit von Wettannahmestelle und Vereinsheim unter Würdigung der konkreten tatsächlichen Verhältnisse gewonnen und dabei insbesondere die Bauvorlagen zu den jeweiligen Genehmigungsanträgen in den Blick genommen.
bb) Soweit die Klägerin beanstandet, das Verwaltungsgericht habe in erstinstanzlicher Rechtsprechung vorzufindende „Argumentationsmuster“ auf den vorliegenden Einzelfall übertragen, lässt sich allein daraus kein ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils herleiten. Dass das unmittelbare Nebeneinanderliegen zweier Zugänge und eine Toilettenmitbenutzung als Anzeichen für einen räumlich und funktional einheitlichen Betrieb dienen können, ist ebenso wenig ernstlich zweifelhaft, wenngleich diese Indizien für sich genommen nicht stets eine Betriebseinheit begründen mögen. Allein auf das Nebeneinanderliegen der Zugänge und eine etwaige Toilettenmitbenutzung hat das Verwaltungsgericht aber nicht abgestellt. Es hat zur Begründung seiner Rechtsauffassung darüber hinaus aufgezeigt, dass das Vereinsheim nach der seiner Genehmigung zugrundeliegenden Betriebsbeschreibung u. a. „dem gemeinsamen Sporterlebnis und geselligen Beisammensein dienen soll“, den Vereinsmitgliedern „für die Übertragung von Sportereignissen fünf größere Flachbildschirme sowie als weitere Informationsmöglichkeit acht Computerplätze zur Verfügung“ stehen, „ein Automat für warme und (alkoholfreie) kalte Getränke“ vorhanden ist, dass sich „Wettannahmestelle und Vereinsheim auch mit Blick auf die im Wesentlichen gleichen Öffnungszeiten“ in geradezu idealer Weise ergänzen und das Vereinsheim „aufgrund der mit der Nutzungsänderung beantragten Werbeanlage nach außen als Teil der Wettannahmestelle in Erscheinung tritt“. In der Gesamtschau bildeten die Wettannahmestelle und das Vereinsheim bei der gebotenen objektiven Betrachtung einen einheitlichen Betrieb, der es ermögliche, in einem Raum die gewünschten Wetten abzuschließen sowie in den unmittelbar angrenzenden Räumlichkeiten die Sportereignisse, auf die gewettet worden sei, in geselliger Atmosphäre in Live-Übertragungen auf Fernsehmonitoren zu verfolgen und gegebenenfalls weiter an den angebotenen Wettspielen teilzunehmen.
Gegen diese Bewertung der konkreten Umstände des Einzelfalls ist nichts zu erinnern. Der Klägerin wird weder eine bestimmte Absicht „unterstellt“, noch hat das Verwaltungsgericht Mutmaßungen angestellt, den engen räumlichen und funktionalen Zusammenhang konstruiert oder die Entscheidung des Bundeverwaltungsgerichts überinterpretiert. Das Verwaltungsgericht begründet den engen räumlichen und funktionalen Zusammenhang der Wettannahmestelle mit dem verbleibenden Bereich des Vereinsheims vielmehr überzeugend und zutreffend anhand objektiver Kriterien, die seine Auffassung vom Vorliegen einer kerngebietstypischen Vergnügungsstätte tragen. Dem wird im Zulassungsvorbringen lediglich die abweichende Rechtsauffassung der Klägerin entgegengestellt.
3. Die Rechtssache weist keine besonderen tatsächlichen oder besonderen rechtlichen Schwierigkeiten i. S. d. § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO auf.
a) Die im Zulassungsantrag aufgeworfenen Fragen lassen sich nach den obigen Ausführungen ohne weiteres und mit zweifelsfreien Ergebnissen klären. Danach hat das Verwaltungsgericht die Frage der Kerngebietstypik der zur Genehmigung gestellten Wettannahmestelle mit einer zutreffenden Begründung bejaht. Besondere Schwierigkeiten im Sinn offener Erfolgsaussichten eines Berufungsverfahrens haben sich dabei nicht ergeben (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 14. Auflage 2014, § 124 Rn. 27).
b) Die von der Klägerin aufgeworfene Fragen, ob und inwieweit auf den Genehmigungsbescheid der Beklagten vom 23. August 2007 für das Vereinsheim zurückgegriffen werden darf und ob die entsprechenden Bauvorlagen zutreffend objektiv ausgelegt worden sind, bedürfen keiner Klärung in einem Berufungsverfahren.
aa) Die Nutzung des Vereinsheims und die bestandskräftige Baugenehmigung hierfür sind Tatsachen, die bei der Bewertung, ob ein enger räumlichen und funktionaler Zusammenhang von Wettannahmestelle und Vereinsheim besteht, zu berücksichtigen waren (§ 86 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 VwGO; vgl. zur Bindung auch der Gerichte an die Tatbestandswirkung bestandskräftiger Verwaltungsakte Geiger in Eyermann, 14. Auflage 2014, § 86 Rn. 16 m. w. N.). Die Bauvorlagen zum Genehmigungsantrag auf Zulassung der Wettannahmestelle sind Tatsachengrundlage der auf Verpflichtung zur Erteilung der Baugenehmigung gerichteten Klage.
bb) Anhaltspunkte dafür, dass das Verwaltungsgericht den Baugenehmigungsbescheid für das Vereinsheim unzutreffend ausgelegt hätte, bestehen nicht. Das Verwaltungsgericht hat den Inhalt der der Baugenehmigung für das Vereinsheim zugrundeliegenden Bauvorlagen vielmehr korrekt wiedergegeben. Dass die Bauvorlagen zum Genehmigungsantrag auf Zulassung der Wettannahmestelle unzutreffend ausgelegt worden wären, ist nach dem zuvor unter Nr. 2 Ausgeführten ebenfalls nicht ersichtlich.
c) Die Rechtssache weist auch keine besonderen tatsächlichen Schwierigkeiten auf. Entgegen dem Zulassungsvorbringen sind die Bauantragshistorie und -genese zur Wettannahmestelle übersichtlich. Dass die Klägerin im Baugenehmigungsverfahren einen geänderten Grundrissplan mit einem separaten Eingang für die Wettannahmestelle nachgereicht hatte, hat das Verwaltungsgericht berücksichtigt (vgl. „zwei unmittelbar nebeneinander liegende Zugänge“, S. 9 d. UA; „durch separate Eingänge zu betreten“, S. 3 d. UA).
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 3, Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1, § 52 Abs. 1 GKG. Sie folgt der Festsetzung des Verwaltungsgerichts, gegen die keine Einwände erhoben worden sind.
Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124 a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


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