Verwaltungsrecht

Gerichtlicher Vergleich zum Erschütterungsschutz

Aktenzeichen  9 B 18.2679

Datum:
9.9.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 24818
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 106 S. 2

 

Leitsatz

Anforderungen an einen gerichtlichen Vergleich zum Erschütterungsschutz. (Rn. 4) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

AN 9 K 11.2103 2012-03-21 Urt VGANSBACH VG Ansbach

Tenor

I. Den Beteiligten wird vorgeschlagen, zur Erledigung des Rechtsstreits folgenden Vergleich:
zu schließen:
1. Die Beigeladene verpflichtet sich, ihr Sägewerk in der baulichen und technischen Gestalt der Baugenehmigungen vom 28. Oktober 2011 (Sägegatter), vom 24. Juli 2014 (Wurzelansatzreduzierer) und vom 5. September 2017 (Holzförderstrecke) mit folgenden Betriebszeiten zu betreiben:
– Die maximale Betriebsdauer des Sägegatters beträgt 7,5 Stunden in der Zeit von Montag bis Freitag von 7:00 bis 15:30 Uhr;
– Die Betriebszeit des Wurzelansatzreduzierers und der Holzförderstrecke beträgt von Montag bis Freitag 7:00 bis 18:00 Uhr.
Die Betriebszeit aller vorgenannten Anlagen (Sägegatter: Bescheid vom 28.10.2011; Wurzelansatzreduzierer: Bescheid vom 24.7.2014; Holzförderstrecke: Bescheid vom 5.9.2017) an Samstagen sowie des Sägewerks bleiben unverändert.
2. Das Landratsamt verpflichtet sich, Nr. 11.6 des Bescheids vom 28. Oktober 2011 dahingehend zu ergänzen, dass auch durch eine E-Mail-Nachricht an die Kläger angezeigt wird, zu welchem Zeitpunkt die Anforderungen der DIN 4150-2 gemäß Ziffer 11.2 am maßgeblichen Immissionsort überschritten werden. Die Kläger teilen hierzu dem Landratsamt eine E-Mail-Adresse mit; das Landratsamt teilt diese E-Mail-Adresse dem Beigeladenen mit.
Die Beteiligten gehen davon aus, dass die vorgenannte Datenverarbeitung auf der Grundlage von Art. 6 Abs. 1 lit. b) DSGVO erfolgt; vorsorglich erteilen die Kläger hiermit ihre Einwilligung nach Art. 6 Abs. 1 lit. a) DSGVO für den genannten Zweck.
3. Änderungen am Betrieb der Beigeladenen unterliegen den geltenden gesetzlichen Bestimmungen. Davon unabhängig wird die Beigeladene jede technische Änderung am Sägegatter sowie an Anlagen, die Erschütterungseinwirkungen auf dem Grundstück der Kläger zur Folge haben könnten, unverzüglich dem Landratsamt mitteilen.
4. Das Landratsamt verpflichtet sich, den Bescheid vom 28. Oktober 2014 hinsichtlich der Messstelle in Nr. 11.4 des Bescheids wie folgt zu ergänzen:
a) Die Messstelle bleibt bis 31. Dezember 2023 bestehen.
b) Die Messstelle bleibt danach jeweils für weitere drei Kalenderjahre bestehen, wenn
aa) die Kläger bis drei Monate vor Ablauf des vorangegangenen Zeitraums gegenüber dem Landratsamt erklären, dass die Messstelle aufrechterhalten bleiben soll. Das Landratsamt teilt dies umgehend dem Beigeladenen mit.
bb) es in dem 3-Jahreszeitraum innerhalb eines der drei Kalenderjahre zu mehr als 10 Überschreitungen der Anforderungen der DIN 4150-2 gemäß Nr. 11.2 des Bescheids vom 28. Oktober 2011 kommt.
c) Die Messstelle entfällt unabhängig von Nr. I. 4. b) aa), wenn das Landratsamt andere geeignete Maßnahmen zur Einhaltung der Anforderungen der DIN 4150-2 anordnet.
5. Der Beigeladene verpflichtet sich, bei Entfallen der Messstelle nach Nr. 11.4 des Bescheids des Landratsamts vom 28. Oktober 2011 eine geeignete Messanlage zur Überprüfung der Dauer des Betriebs des Sägegatters zu errichten. Die Verpflichtung entfällt, wenn seitens des Landratsamts andere geeignete Maßnahmen angeordnet werden, die sicher stellen sollen, dass es zu keiner Überschreitung der Betriebszeit des Sägegatters und keiner Überschreitung der Anhaltswerte für Erschütterungen kommt.
6. Die Kläger verpflichten sich, sich an Unterhalts-, Wartungs- und Kalibrierungsmaßnahmen der Messstelle gemäß Nr. 11.4 des Bescheids vom 28. Oktober 2011 mit einem Betrag von 500,– Euro jährlich, beginnend ab dem Kalenderjahr 2021, zu beteiligen. Der Betrag wird jeweils nach Vorlage entsprechender Rechnungen seitens des Beigeladenen fällig.
7. Die Verpflichtung der Kläger zur Kostenbeteiligung nach Nr. I. 6. entfällt,
a) im Fall der Nr. I. 4. b) bb) für den folgenden 3-Jahreszeitraum,
b) im Fall der Nr. I. 4. c),
c) wenn das Landratsamt im Rahmen einer Neu-, Änderungs- oder Tekturgenehmigung die Anforderungen an die Messstelle modifiziert oder deren Aufrechterhaltung von Amts wegen anordnet. Die bloße Bezugnahme auf die Nebenbestimmungen des Bescheids vom 28. Oktober 2011 in der Fassung dieses Vergleichs genügt für ein Entfallen der Kostenbeteiligungsverpflichtung nicht.
8. Das Landratsamt wird die in Nr. I. 1. dieses Vergleichs genannten Bescheide an diese Vereinbarung (Nrn. I. 1. bis 5.) anpassen sowie die in Nr. I. 1. geregelten Betriebszeiten mit Zwangsgeldbewehrungen versehen.
9. Damit sind das streitgegenständliche Verfahren (9 B 18.2679) sowie die Verfahren beim Verwaltungsgericht Ansbach (AN 17 K 17.02208 – Wurzelreduzierer: Bescheid vom 24.7.2014 und AN 17 K 17.02076 – Holzförderstrecke: Bescheid vom 5.9.2017) erledigt.
10. Die Kostenentscheidung für das Berufungsverfahren 9 B 18.2679 wird in das Ermessen des Gerichts gestellt.
11. Die Kosten der Verfahren beim Verwaltungsgericht Ansbach (AN 17 K 17.02208 und AN 17 K 17.02076) werden gegeneinander aufgehoben.
II. Der Vergleich wird wirksam, wenn dieser Vorschlag von den Beteiligten durch Schriftsatz, der beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof bis 9. Oktober 2020 eingegangen sein muss, angenommen wird (§ 106 Satz 2 VwGO).

Gründe

Rechtsgrundlage für den Vergleich ist § 106 Satz 2 VwGO.
Hinsichtlich der getroffenen Regelungen geht der Senat von folgenden Überlegungen aus:
Die mündliche Verhandlung vom 17. Januar 2020 hat gezeigt, dass es für den Erfolg der Berufung maßgebend darauf ankommt, ob die Auflagen zum Erschütterungsschutz im Bescheid vom 28. Oktober 2011 ausreichend sind, die Kläger vor unzumutbaren Erschütterungen zu schützen. Dem Bescheid liegt dabei die Annahme zugrunde, dass dies – bei Beachtung der festgesetzten Nebenbestimmungen – grundsätzlich möglich ist.
Insgesamt ist zu berücksichtigen, dass die Frage des Erschütterungsschutzes mangels gesetzlich oder anderweitig vorgegebener Grenzwerte unter Beachtung der tatsächlich vorgefundenen Situation vor allem eine Frage der Zumutbarkeit für die Kläger sein dürfte. Hierbei müssten deren Belange, vor unzumutbaren Immissionen geschützt zu werden, mit den Belangen der Beigeladenen, ihren Betrieb erst bei Überschreiten der Zumutbarkeitsgrenze einschränken zu müssen, in einen angemessenen Ausgleich gebracht werden. Unter Umständen könnte unter Berücksichtigung der einschlägigen Regelwerke, der tatsächlichen Gegebenheiten und des zu bestimmenden Übertragungsfaktors auch eine Überschreitung der Anhaltswerte der DIN 4150-2 in Abhängigkeit von der Häufigkeit und der Intensität der Überschreitung in gewissem Umfang (noch) abwägungsgerecht sein.
Werden die Auflagen im Bescheid vom 28. Oktober 2011 als ausreichend angesehen und die Berufung zurückgewiesen, dürften im Hinblick auf die Feststellungen des Sachverständigen im Gutachten vom 21. Dezember 2018 zumindest eine Anpassung des Übertragungsfaktors und weitere Messungen im Gebäude der Kläger erforderlich werden, um gegebenenfalls im Rahmen eines bauaufsichtlichen Verfahrens eine ermessensgerechte Entscheidung treffen zu können. Sofern die Berufung erfolgreich wäre und der Bescheid vom 21. Oktober 2011 aufgehoben würde, erscheint nicht ausgeschlossen, dass lediglich die Auflagen zum Erschütterungsschutz im Bescheid vom 28. Oktober 2011 unter Berücksichtigung der bisher gewonnenen Erkenntnisse angepasst werden müssten und hierzu ebenfalls weitere Messungen im Gebäude der Kläger erforderlich werden.
Im Rahmen der Vergleichsgespräche der mündlichen Verhandlung vom 17. Januar 2020 hat der Beigeladene eigenständig angeboten, die Betriebszeiten zu reduzieren. Dies erscheint vor allem auch dadurch gerechtfertigt, dass die Auswertung der Anzeigen nach Nr. 11.6 des Bescheids vom 28. Oktober 2011 ein Überschreiten der Anforderungen der DIN 4150-2 gemäß Nr. 11.2 des Bescheids ab Jahresmitte 2014 regelmäßig erst nach 16:00 Uhr aufzeigt. Außerdem ergibt sich aus der Auflistung, dass es nach Genehmigung des Wurzelansatzreduzierers mit Bescheid vom 16. Juli 2014, der auch einen Schwingungsdämpfer beinhaltet, nur noch ein einziges Mal zu einer Überschreitung der Maßgaben der Nr. 11.2 des Bescheids vom 28. Oktober 2011 im Jahr 2014 vor 16:00 Uhr gekommen ist, während sämtliche weiteren Überschreitungen in den Folgejahren nach 16:00 Uhr und deutlich unter zehn Überschreitungen pro Jahr liegen. Im Hinblick darauf, Verbesserungen im Bauzustand und der technischen Ausführung zu berücksichtigen, erscheint es auch angemessen, dass sich die Kläger bei einer Reduzierung der Betriebszeit unter gleichzeitiger Aufrechterhaltung der Messstelle nach Nr. 11.4 des Bescheids vom 28. Oktober 2011 zur Überprüfung der Einhaltung der Anforderungen der DIN 4150-2 finanziell an dieser beteiligen. Den Anteil von 500,– Euro jährlich hält der Senat für angemessen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass zwar möglicherweise Grundwasserschwankungen einen Einfluss auf die Erschütterungseinwirkungen bei den Klägern haben, andererseits sich aber seit Genehmigung des Wurzelansatzreduzierers mit Bescheid vom 24. Juli 2014 und Einbau eines Schwingungsdämpfers die Anzahl der Überschreitungen drastisch reduziert haben. Hinzu kommt, dass die Kläger zwar die Baugenehmigungen vom 28. Oktober 2011, vom 24. Juli 2014 und vom 5. September 2017 angefochten haben, bei Erfolg der Berufung die Kläger aber nicht den Betrieb der Beigeladenen generell verhindern können, sondern dieser wohl mit modifizierten Nebenbestimmungen aufrechterhalten bleiben dürfte und vielmehr Fragen des bauaufsichtlichen Einschreitens dem klägerischen Ziel entsprechen dürften.
Die Regelungen zur Befristung der Aufrechterhaltung der Messstelle, zum Entfallen der Messstelle, zur Befristung der Kostenbeteiligung der Kläger und dem Entfallen der entsprechenden Verpflichtung erscheinen erforderlich, um einen verhältnismäßigen Ausgleich der Interessen der Beteiligten und eine zeitliche Begrenzung der Belastungen zu gewährleisten, als auch mögliche künftige Änderungen der Anlage und künftige Anpassungen an den Stand der Technik zu ermöglichen.
Mit Annahme des Vergleichsvorschlags durch die Beteiligten werden sämtliche verwaltungsgerichtlichen Verfahren beendet.


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