Verwaltungsrecht

Gesamtfreiheitsstrafe, Insolvenzverfahren, Freiheitsstrafe, Rechtsanwaltschaft, Zulassung, Eintragung, Bewerber, Hauptverhandlung, Bescheid, Zulassungsantrag, Insolvenzantrag, Tatmehrheit, Gesellschaft, Insolvenzverschleppung, Zulassung zur Rechtsanwaltschaft, Zulassung der Rechtsanwaltschaft, ALG II

Aktenzeichen  BayAGH I – 5 – 5/20

Datum:
28.10.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 51220
Gerichtsart:
Anwaltsgerichtshof
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.
III. Das Urteil ist im Kostenausspruch gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
IV. Der Streitwert wird auf 50.000 EUR festgesetzt.

Gründe

I. Nach § 112 c Abs. 1 BRAO richtet sich das Verfahren nach den Vorschriften der Verwaltungsgerichtsordnung. Gemäß Art. 15 BayAGVwGO war ein Vorverfahren nach § 68 VwGO nicht durchzuführen. Die form- und fristgerecht erhobene Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 74 Abs. 1 und 2 VwGO) ist zulässig erhoben. Gleiches gilt für den vom Kläger hilfsweise erhobenen Klageantrag (§ 113 Abs. 5 S. 2 VwGO).
II. Die Klage ist jedoch unbegründet.
Der streitgegenständliche Versagungsbescheid vom 23.01.2020 ist rechtmäßig. Er verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Die Entscheidung der Rechtsanwaltskammer lässt keine Ermessensfehler erkennen, § 114 VwGO.
1. Nach ständiger Rechtsprechung des BGH (vgl. zuletzt Urteile v. 14.01.2019 – AnwZ (BrfG) 70/17 und AnwZ (BrfG) 50/17, jew. m.w.N. [jew. bei juris]) ist nach § 7 Nr. 5 BRAO die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft zu versagen, wenn sich der Bewerber eines Verhaltens schuldig gemacht hat, das ihn unwürdig erscheinen lässt, den Beruf des Rechtsanwalts auszuüben. Die mit der Versagung der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft verbundene Einschränkung der freien Berufswahl ist nur zum Schutz besonders wichtiger Gemeinschaftsgüter und unter strikter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit statthaft (BVerfG NJW 2017, 3704 R. 25). Diese Voraussetzungen sind erfüllt, wenn der Bewerber ein Verhalten gezeigt hat, das ihn bei Abwägung dieses Verhaltens und aller erheblichen Umstände – wie Zeitablauf und zwischenzeitlicher Führung – nach seiner Gesamtpersönlichkeit für den Anwaltsberuf nicht tragbar erscheinen lässt. Dabei sind das berechtigte Interesse des Bewerbers nach beruflicher und sozialer Eingliederung und das durch das Berufsrecht geschützte Interesse der Öffentlichkeit, insbesondere der Rechtsuchenden an der Integrität des Anwaltsstandes, das in der Regel nur im Interesse einer funktionierenden Rechtspflege von Belang sein kann, einzelfallbezogen gegeneinander abzuwägen.
Im Rahmen der Prognoseentscheidung, die im Hinblick auf die Beeinträchtigung der einer Zulassung entgegenstehenden Interessen der Öffentlichkeit zu erstellen ist, ist von Bedeutung, wie viele Jahre zwischen einer Verfehlung, die seinerzeit die Unwürdigkeit begründete, und dem Zeitpunkt der Wiederzulassung liegen. Auch eine durch ein besonders schwerwiegendes Fehlverhalten begründete Unwürdigkeit kann durch Zeitablauf und Wohlverhalten des Bewerbers derart an Bedeutung verloren haben, dass sie seiner Zulassung nicht mehr im Wege steht. Bei gravierenden Straftaten mit Bezug zur beruflichen Tätigkeit des Rechtsanwalts hält der BGH (vgl. BGH Beschluss vom 19.02.2020 – AnwZ (Brfg) 66/19 – juris) in ständiger Rechtsprechung einen Abstand zwischen der die Unwürdigkeit begründenden Straftat des Bewerbers und dessen Wiederzulassung von in der Regel 15 bis 20 Jahren für erforderlich. Bindende feste Fristen gibt es jedoch nicht. Die Frage, wie viele Jahre zwischen einem die Unwürdigkeit begründenden Verhalten und dem Zeitpunkt liegen müssen, in dem eine Zulassung zur Rechtsanwaltschaft wieder möglich ist, lässt sich nicht durch eine schematische Festlegung auf bestimmte Fristen beantworten. Vielmehr bedarf es einer einzelfallbezogenen Gewichtung aller für und gegen den Bewerber sprechenden Umstände.
Dabei kann auch eine bloße straffreie Führung nach einer Verurteilung nicht entscheidend zugunsten des Bewerbers berücksichtigt werden, wenn er noch unter dem Druck einer zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe stand. Vielmehr muss das beanstandungsfreie Verhalten geraume Zeit nach Erlass der Freiheitsstrafe wegen Ablaufs der Bewährungsfrist fortgesetzt worden sein. Neben dem Zeitablauf kommt besondere Bedeutung der Frage zu, wie der Bewerber in der Zwischenzeit mit seinem Fehlverhalten umgegangen ist und ob er sich auch ansonsten untadelig geführt hat. Hat er sich zu seinem Fehlverhalten bekannt, insbesondere den angerichteten Schaden nach Möglichkeit wiedergutgemacht, und keine weiteren Verfehlungen begangen, schlägt dies positiv zu Buche. Umgekehrt wirkt sich ein Versuch, über das eigene Fehlverhalten zu täuschen, negativ aus.
2. Ausgehend von diesen Grundsätzen ist die Versagung der Rechtsanwaltszulassung im Hinblick auf die Verurteilung des Klägers am 06.08.2007 durch das Amtsgericht Traunstein zu einer Bewährungsstrafe von 1 Jahr und 4 Monaten wegen Untreue und den weiteren Verurteilungen des Klägers ermessensgerecht.
Zwar sind seit dieser Tat – unter Berücksichtigung des weiteren Zeitablaufs seit der angefochtenen Entscheidung der Rechtsanwaltskammer – inzwischen 17 ½ Jahre vergangen. Allerdings war der Kläger nach den Taten, die der Verurteilung vom 06.08.2007 zugrunde lagen, erneut straffällig geworden. Am 20.03.2011 wurde der Kläger durch Urteil des Amtsgerichts Rosenheim wegen fahrlässigen Bankrotts zu einer Geldstrafe von 50 Tagessätzen zu je 30 € verurteilt. Ferner wurde er mit Urteil des Amtsgerichts Rosenheim vom 15.01.2013 (Az.: …) wegen vorsätzlicher Insolvenzverschleppung in 3 tatmehrheitlichen Fällen in Tatmehrheit mit vorsätzlichem Bankrott in 7 tatmehrheitlichen Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 2 Jahren verurteilt, die für 4 Jahre zur Bewährung ausgesetzt worden war.
Die erste Bewährungszeit dauerte bis 05.08.2010, die zweite Bewährungszeit war um 6 Monate verkürzt worden und endete am 22.07.2016. Dabei kann die bloße straffreie Führung innerhalb der Bewährungszeit nicht entscheidend zugunsten des Klägers berücksichtigt werden, da er in diesen 6 ½ Jahren noch unter dem Druck der zur Bewährung ausgesetzten Strafen stand. Ein beanstandungsfreies Verhalten kann somit erst nach Erlass der letzten Freiheitsstrafe ab Mitte 2016 festgestellt werden, auch wenn der Senat diesen Zeitpunkt nicht als Beginn der Wohlverhaltensphase wertet.
Der genaue Zeitpunkt der letzten Tat aus den Verurteilungen durch das Amtsgericht Rosenheim vom 20.03.2011 wegen fahrlässigen Bankrotts und vom 15.01.2013 wegen vorsätzlicher Insolvenzverschleppung in 3 tatmehrheitlichen Fällen in Tatmehrheit mit vorsätzlichem Bankrott in 7 tatmehrheitlichen Fällen ist – entgegen der Auffassung des Klägers – für die Entscheidung des Senats nicht von entscheidender Bedeutung. Zwar haben Kapitalgesellschaften für Jahresabschlüsse drei bzw. sechs Monate Zeit, § 264 Abs. 1 S. 2, 3 HGB, § 267 HGB (BeckOK StGB/Beukelmann, 47. Ed. 1.8.2020, StGB § 283 Rn. 68). Indes enden die Buchführungspflicht und die Pflicht zur Erstellung des Jahresabschlusses nicht mit Fristablauf. Gleiches gilt für die Pflicht zur Stellung eines Insolvenzantrags. Die Pflicht zur Stellung eines Eröffnungsantrags besteht grundsätzlich solange fort, bis entweder Eröffnungsantrag durch das Vertretungsorgan gestellt wurde oder auf einen Fremdantrag hin die Insolvenz eröffnet oder die Eröffnung mangels Masse abgelehnt wurde. (Wabnitz/Janovsky WirtschaftsStrafR-HdB, 9. Kapitel. Insolvenz – Strafrechtlicher Teil Rn. 85, BAYERN.RECHT). Soweit der Kläger vorbringt, er sei spätestens nach der Hausdurchsuchung am 23.11.2010 an der Erstellung der Bilanzen gehindert gewesen, da sämtliche Unterlagen durch die Polizei beschlagnahmt worden waren, geht der Senat bei seiner Abwägung zugunsten des Klägers bezüglich der C. Immobilien + M. GmbH von dieser Prämisse aus. Allerdings liegt damit die letzte Tat aus der Verurteilung des Amtsgerichts Rosenheim vom 15.01.2013 auch erst 10 Jahre zurück.
Der Senat erkennt an, dass den weiteren Verurteilungen durch das Amtsgericht Rosenheim vom 20.03.2011 und 15.01.2013 eine fahrlässige Tatbegehung bzw. Unterlassungsdelikte zugrunde lagen, die nicht den Kernbereich der anwaltlichen Tätigkeit betroffen haben und bedingt waren durch die schwierige finanzielle und persönliche Situation des Klägers. Gesehen wird auch, dass hinsichtlich des fahrlässigen Bankrotts der K. GmbH der Kläger innerhalb der Gesellschaft aufgrund der internen Organisationsstruktur nicht primär für die Erledigung der Jahresabschlüsse zuständig war, so dass sein Verschulden hier eher als gering einzustufen ist. Andererseits ist hinsichtlich der Verurteilung vom 15.01.2013 aufgrund der Vielzahl der Taten und der verhängten Gesamtfreiheitsstrafe von 2 Jahren von einem erheblichen Unrechtsgehalt auszugehen.
Zugunsten des Klägers war zu berücksichtigen, dass der Kläger sich in den ersten Jahren seiner anwaltlichen Tätigkeit, nämlich bis 2003, straffrei geführt und im Rahmen des ersten gegen ihn laufenden Strafverfahrens auf seine Zulassung verzichtet hat. Der Kläger zeigte sich in den Strafverfahren geständig und hat die gegen ihn verhängten Strafen – auch im Hinblick auf seine familiäre Situation – akzeptiert und die Bewährungsauflagen beanstandungsfrei erfüllt. So wurde die Bewährungszeit aus der Verurteilung vom 15.01.2013 verkürzt und mit Beschluss vom 19.08.2016 erlassen.
Der Senat hat auch das fortgeschrittene Alter des Klägers in den Blick genommen, das mit zunehmender Dauer seiner Nichtzulassung eine natürliche Grenze für die Ausübung des Anwaltsberufs bilden könnte und das es ihm erschwert, aus eigener Kraft eine anwaltliche Altersversorgung aufzubauen.
Gleichwohl überwiegen im Rahmen der Gesamtabwägung die gegen eine Zulassung des Klägers sprechenden Umstände. Die Straftaten aus dem Jahr 2003 betreffen den Kernbereich der anwaltlichen Tätigkeit, waren mit einem groben Vertrauensbruch gegenüber seiner Mandantin verbunden und lassen den Schluss auf Charaktermängel bei dem Kläger zu. Der entstandene Schaden war – auch unter Berücksichtigung der Gegenforderungen des Klägers – erheblich, auch wenn sich der Kläger mittlerweile mit der Geschädigten einigen konnte und einen Betrag in Höhe von 6.000,00 € als Schadenswiedergutmachung an sie geleistet hat. Der Kläger war in der Folgezeit erneut mehrfach straffällig geworden, die letzte Tat liegt erst 10 Jahre zurück. Seit der letzten Verurteilung sind erst 7 Jahre vergangen, seit dem Erlass der Strafe knapp 4 ½ Jahre. Dabei verkennt der Senat nicht, dass die Verfahrensdauer sehr lang war.
Die umfassende Abwägung aller Umstände rechtfertigt es, die bei strafbaren Handlungen im Kernbereich der anwaltlichen Tätigkeit regelmäßig erforderliche Wohlverhaltensphase von 15 bis 20 Jahre im vorliegenden Fall eher am oberen Rand anzusiedeln, mit der Maßgabe, dass die Wartefrist derzeit noch nicht abgelaufen ist.
3. Der Hilfsantrag des Klägers erweist sich ebenso als unbegründet. Die Voraussetzungen eines Bescheidungsurteils liegen nicht vor. Denn ein solcher Bescheidungsausspruch wäre nach § 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO nur dann möglich, wenn die Ablehnung des begehrten Verwaltungsaktes als rechtswidrig erachtet wird, die Sache aber aus anderen Gründen nicht spruchreif ist. Das ist vorliegend aber nicht der Fall. Aus den vorangegangenen Ausführungen folgt, dass der angefochtene Bescheid rechtmäßig war, so dass eine Verpflichtung der Beklagten zur Neubescheidung des Klägers auf der Grundlage des hier zu entscheidenden Sachverhaltes nicht in Betracht kam.
III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 112c Abs. 1 BRAO i.V.m. § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 112c Abs. 1 BRAO i.V.m. § 167 VwGO und § 709 S. 2 ZPO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 194 Abs. 2 BRAO.


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