Verwaltungsrecht

Gewährung eines internationalen Schutzstatus in Italien

Aktenzeichen  W 8 K 18.32181

Datum:
4.2.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 4027
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 3, § 4, § 29 Abs. 1 Nr. 2
AufenthG § 60 Abs. 1, Abs. 5, Abs. 7 S. 1
EMRK Art. 3
GRCh Art. 4

 

Leitsatz

1. Das nationale Recht ordnet bei einer ausländischen Flüchtlingsanerkennung eine auf Abschiebungsschutz begrenzte Bindungswirkung an und das BAMF ist weder zur Feststellung von subsidiärem Schutz noch zu einer erneuten Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft in Deutschland verpflichtet oder berechtigt (BVerwG BeckRS 2014, 54339). (Rn. 14 – 15) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Praxis des BAMF, bei einer auf § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG gestützten Unzulässigkeitsentscheidung die Abschiebungsandrohung mit einer erst nach Unanfechtbarkeit laufenden 30-tägigen Ausreisefrist zu verbinden, ist objektiv rechtswidrig, führt aber nicht zu einer Verletzung in subjektiven Rechten, weil mit der Fristverlängerung unmittelbar nur rechtliche Vorteile verbunden sind. (Rn. 30) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kläger haben die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet.
Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 20. Februar 2018 ist – abgesehen von der Ausreisefristbestimmung auf 30 Tage nach Unanfechtbarkeit – rechtmäßig und verletzt die Kläger insgesamt nicht in ihren Rechten. Sie haben auch keinen Anspruch auf Feststellung, dass bei ihnen Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG vorliegen (§ 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 VwGO). Das Gericht folgt im Ergebnis sowie in der wesentlichen Begründung dem angefochtenen Bescheid und sieht insoweit von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 77 Abs. 2 AsylG).
Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 20. Februar 2018 erweist sich zum maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) in Nr. 1 und 2 als rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Das Bundesverwaltungsgericht hat darauf hingewiesen, dass im Falle der Anerkennung des Asylbewerbers als Flüchtling durch einen Drittstaat kein Anspruch auf eine erneute Anerkennungsentscheidung oder Erteilung eines Aufenthaltstitels in der Bundesrepublik Deutschland besteht. Ein gleichwohl gestellter Antrag sei unzulässig. Über § 60 Abs. 2 Satz 2 AufenthG gilt dies auch in Bezug auf die Zuerkennung subsidiären Schutzes (vgl. BVerwG, U.v. 17.6.2014 – 10 C 7.13 – BVerwGE 150, 29; B.v. 30.9.2015 – 1 B 51.15 – juris).
Eine ausländische Flüchtlingsanerkennung entfaltet Bindungswirkung in Deutschland dahin, dass kraft Gesetzes ein Abschiebungsverbot i.S.v. § 60 Abs. 1 AufenthG besteht (vgl. § 60 Abs. 1 Satz 2 AufenthG). Ein Anspruch auf eine erneute Anerkennungsentscheidung oder die Erteilung eines Aufenthaltstitels in Deutschland ergibt sich daraus nicht. Durch § 60 Abs. 1 Satz 2 AufenthG ordnet das nationale Recht eine auf den Abschiebungsschutz begrenzte Bindungswirkung der ausländischen Flüchtlingsanerkennung an. Das Bundesamt ist bei Vorliegen einer ausländischen Anerkennungsentscheidung zur Feststellung von subsidiärem Schutz oder der erneuten Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft in Deutschland weder verpflichtet noch berechtigt (BVerwG, U.v. 17.6.2014 – 10 C 7.13 – BVerwGE 150, 29; B.v. 30.9.2015 – 1 B 51.15 – juris).
Die Beklagte hat im streitgegenständlichen Bescheid auf Seite 3 schon zutreffend ausgeführt, dass den Klägern in Italien internationaler Schutz gewährt wurde (vgl. auch das polizeiliche Protokoll sowie das Schreiben der Regierung von Mittelfranken vom 16.10.2014, Bl. 193 bzw. Bl. 202/203 der Bundesamtsakte). Die Klägerin zu 2) hat in der mündlichen Verhandlung nochmal ausdrücklich bestätigt, dass sie eine entsprechende Bescheinigung wie ihr Ehemann, der Kläger zu 1), erhalten habe und dass bei ihr auch ihr Sohn, der Kläger 3), entsprechend mitgeführt worden sei. Ergänzend wird auf das Schreiben des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge an das VG Hannover vom 24. September 2018 verwiesen, wonach die Bezeichnung „Asilo“ gleichbedeutend mit Flüchtlingsschutz ist. Der vom Klägerbevollmächtigten vorgetragene Umstand, dass der italienische Aufenthaltstitel auf fünf Jahre befristet sei und die fünf Jahre mittlerweile abgelaufen seien, ist ohne Belang. Denn zum einen bleibt die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft davon unberührt und zum anderen wird die anerkannten Schutzberechtigten erteilte Aufenthaltsbewilligung, die fünf Jahre gültig ist, in Italien bei Ablauf in der Regel automatisch verlängert (vgl. NdsOVG, B.v. 6.4.2018 – 10 LB 109/18 – EzAR-NF 65 Nr. 58 – juris Rn. 35).
Entgegen der Auffassung des Klägervertreters besteht für die Kläger auch kein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG.
Nach dieser Vorschrift darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl 1952/II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Auch unter Berücksichtigung des Vortrags des Klägervertreters kann das Gericht vorliegend keine Anhaltspunkte für ein solches Vorliegen von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 AufenthG und auch nicht nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG erkennen. Entsprechend den ausführlichen und zutreffenden Ausführungen des Bundesamtes zu der auf Italien beschränkten Prüfung (§ 60 Abs. 1 Satz 2 AufenthG) droht den Klägern in Italien weder eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung i.S.v. Art. 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), noch eine sonstige konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit i.S.d. § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Denn Art. 3 EMRK verpflichtet die Vertragsstaaten nicht, jedermann in ihrem Hoheitsgebiet mit einer Wohnung zu versorgen, Flüchtlingen finanzielle Unterstützung zu gewähren oder ihnen einen bestimmten Lebensstandard zu ermöglichen (vgl. auch VG Dresden, U.v. 10.12.2018 – 12 K 553/16.A – juris, m.w.N.; EGMR, U.v. 30.6.2015 – 39350/13 – [A.S./Schweiz] – juris Rn. 27; U.v. 21.1.2011 – 30696/09 – [M.S.S./Belgien und Griechenland] – EuGrZ 2011, 243 Rn. 249 m.w.N.; OVG NRW, U.v. 19.5.2016 – 13 A 1490/13.A – EzAR-NF 65 Nr. 38 – juris Rn. 91).
Des Weiteren wird auf das Urteil des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 6. April 2018 (10 LB 109/18 – juris) verwiesen, wonach die Aufnahmebedingungen in Italien keine systemischen Mängel aufweisen, die die Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung i.S.v. Art. 4 EUGrCH und Art. 3 EMRK bei ihrer Rücküberstellung nach Italien begründen. Das Gericht schließt sich vollumfänglich den tatsächlichen Feststellungen dieses Urteils an, das es schon samt der dort zitierten weiteren Nachweise als Teil der Erkenntnismittelliste ausdrücklich zum Gegenstand des Verfahrens gemacht hat. Es teilt auch die rechtlichen Schlussfolgerungen dieser Entscheidung, wonach in Italien alle Ausländer, die dort als Schutzberechtigte anerkannt worden sind, italienischen Staatsangehörigen gleichgestellt sind.
Für die hier maßgebliche Fallgruppe anerkannter Flüchtlinge stellen sich die Lebensverhältnisse in Italien nicht allgemein als unmenschlich oder erniedrigend im Sinne von Art. 3 EMRK dar. Vielmehr ist davon auszugehen, dass anerkannte Flüchtlinge in Italien grundsätzlich italienischen Staatsbürgern gleichgestellt sind und erforderlichenfalls staatliche Hilfe in Anspruch nehmen können, um jedenfalls ihre Grundbedürfnisse zu decken. Gelingt dies nicht sogleich bzw. vollständig, können sie – wie auch Italiener, die arbeitslos sind – die Hilfe caritativer Organisationen erhalten (vgl. dazu ausführlich OVG NRW U.v. 24.8.2016 – 13 A 63/16.A – NVwZ-RR 2017, 115, VG München, U.v. 13.2.2017 – M 21 S 16.33951 – juris). In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass die Rechtsprechung zu Asylsuchenden mit offenen Asylverfahren für die vorliegende Fallkonstellation anerkannter Flüchtlinge nicht einschlägig ist.
Das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht ist in seinem Urteil vom 6. April 2018 (10 LB 109/18 – juris) unter ausdrücklicher Würdigung der tatsächlichen Situation zu der Einschätzung gelangt, dass systemische Mängel in Italien unter keinen in Betracht kommenden Aspekt vorliegen, so dass systemische Mängel weder mit Blick auf die Unterkunftssituation noch bezüglich der Gesundheitsversorgung noch hinsichtlich der Versorgung mit den zum übrigen Lebensunterhalt notwendigen Leistungen anzunehmen sind.
Weiter ist kein Verstoß gegen Grund- oder Menschenrechte bzw. die Qualifikationsrichtlinie gegeben. Unabhängig von der sogenannten Inländergleichbehandlung kann eine Verletzung der Rechte aus Art. 4 EU Grundrechte-Charta und Art. 3 EMRK nicht festgestellt werden, weil rücküberstellte anerkannte Schutzberechtigte bei umfassender Auswertung und Bewertung neuester Erkenntnisse neben den Hilfen durch kommunale und caritative Einrichtungen wie NGOs auch im Hinblick auf staatliche Hilfen nicht gänzlich auf sich selbst gestellt sind. Zudem regiert der italienische Staat auf betreffende Probleme gerade nicht mit Gleichgültigkeit. Dass es im Einzelfall zu Obdachlosigkeit kommen kann, ändert nichts an dieser grundsätzlichen Beurteilung. Denn solche einzelfallbezogene Erfahrungen allein führen in Anbetracht der sonstigen Erkenntnislage nicht zur Feststellung regelhafter Funktionsstörungen. Weiter ist kein Verstoß gegen die Qualifikationsrichtlinie gegeben, da die in Italien anerkannten Schutzberechtigten unter anderem auch im Hinblick auf die Sozialleistungen wie die eigenen Staatsangehörigen behandelt werden. Da die Lebensverhältnisse in Italien auch nicht gegen die Qualifikationsrichtlinien verstoßen, gerade bei anerkannten Schutzberechtigten (vgl. NdsOVG, U.v. 6.4.2018 – 10 LB 109/18 – juris), ist hier auch die Vorlagefrage des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. BVerwG, B.v. 27.6.2017 – 1 C 26/16 – Buchholz 451.902 Europ. Ausländer- und Asylrecht Nr. 91) ohne Belang (vgl. zum Ganzen: VG Göttingen, U.v. 15.10.2018 – 3 A 745/17 – juris m.w.N.).
An der Einschätzung ändert sich auch nichts durch das Salvini-Dekret, in dem unter anderem bestimmt ist, dass die Aufnahmeeinrichtungen mit Integrationsmaßnahme (SPRAR) ausschließlich der Unterbringung unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge und Personen mit internationalem Schutztiteln vorbehalten bleiben. Jedenfalls hat diese Dekret für den vorliegenden Personenkreis der anerkannten Schutzberechtigten keine negativen Auswirkungen (vgl. VG Hannover, B.v. 14.1.2019 – 5 B 5153/18 – juris). Es ist auch sonst nicht zu erkennen, dass sich die Situation der anerkannten Schutzberechtigten in Italien in den letzten Monaten in entscheidungserheblicher Weise verändert hätte (NdsOVG, B.v. 21.12.2018 – 10 LB 201/18 – juris; VG Berlin, B.v. 14.12.2018 – 3 L 886/18.A – juris).
Weiter bestehen keine Erkenntnisse, dass sich die Lage anerkannter internationaler Schutzberechtigter in Italien durch Maßnahmen oder Vorhaben nach dem Regierungswechsel allgemein im Sinne einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung beachtlich wahrscheinlich verschlechtern wird. Im Gegensatz zu der angespannten Lage in den Jahren 2015/2016 und ihre Auswirkungen im Jahr 2017 kann eine entspannte Gesamtsituation unter anderem auch aus den signifikant gesunkenen Aufnahmezahlen abgelesen werden. Konkrete Regierungsvorhaben in Italien bzw. Maßnahmen, die sich negativ auf die anerkannt Schutzberechtigten auswirken, sind nicht ersichtlich (VG Magdeburg, B.v. 25.9.2018 – 6 B 291/18 – juris).
Ergänzend ist anzumerken, dass es auch außerhalb staatlicher Strukturen ein Netzwerk privater Unterbringungsmöglichkeiten, betrieben von caritativen Organisationen bzw. Kirchen gibt. Zwar kann es in Italien manchmal zu Problemen kommen, wenn keine Meldeadresse existiert. Schutzberechtigte dürfen sich indes frei im Land niederlassen, wenn sie sich selbst erhalten können. Sofern Schutzberechtigte ihr Recht auf einen Platz in einer SPRAR-Einrichtung verloren haben, kann es zwar im Einzelfall zu Obdachlosigkeit kommen. Rechtlich haben aber anerkannte Flüchtlinge und subsidiär Schutzberechtigte Zugang zu Sozialwohnungen, zum Arbeitsmarkt und zu Sozialleistungen im selben Ausmaß wie italienische Staatsbürger. Genauso haben sie dieselben Rechte in Bezug auf die medizinische Versorgung wie die italienischen Staatsbürger, wenn sie sich beim italienischen nationalen Gesundheitsdienst registrieren lassen. Wobei die Wohnsitzmeldung eine gewisse Hürde darstellt. Gleichwohl besteht aber auch in den Fällen Zugang zur medizinischen Notfallbehandlung (vgl. BFA, Bundesamt für das Asylwesen der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Italien vom 27.9.2018; Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Länderinformation Italien, Stand: Mai 2017).
Selbst wenn die Lebensbedingungen für subsidiär Schutzberechtigte in Italien – wovon das Gericht nicht ausgeht – den Anforderungen der Art. 20 ff. der Richtlinie 2011/95/EU nicht genügten, ohne bereits gegen Art. 4 GRC bzw. Art. 3 EMRK zu verstoßen, würde dies nicht zu einem anderen Ergebnis führen, da sonst Gefahr bestünde, dass das gemeinsame europäische Asylsystem und das ihm zugrundeliegende gegenseitige Vertrauen unterlaufen würde. So würden die schon in erheblichen Umfang stattfindende Sekundärmigration von Schutzberechtigten und das sogenannte „asylum shopping“ gefördert, deren Verhinderung gerade eines der Ziele des gemeinsamen Europäischen Asylsystems ist (VG München, B.v. 11.1.2018 – M 28 S 17.34764 – juris).
Auch unter Berücksichtigung der individuellen Situation der Kläger können sie nach alledem kein nationales Abschiebungsverbot für sich in Anspruch nehmen. Der Umstand, dass es sich bei den Klägern um ein Ehepaar mit einem 13-jährigen Kind handelt, ändert nichts an der Einschätzung (anderer Ansicht: VG Minden, U.v. 29.11.2017 – 10 K 1823/15.A – juris; kritisch auch: Schweizerische Flüchtlingshilfe, Aktuelle Situation in Italien vom 11.1.2019in Bezug auf einzelne Fälle insbesondere in Rom und Mailand). Auch unter europarechtlichen Gesichtspunkten ist bei einer drohenden Abschiebung von einer Familie mit minderjährigen Kindern eine Verletzung des Art. 3 EMRK nicht anzunehmen (vgl. OVG NRW vom 7.1.2019 – 13 A 888/18.A – juris m.w.N.). Darüber hinaus ist darauf hinzuweisen, dass es sich vorliegend nicht um eine Familie mit Kleinkindern oder gar Kleinstkindern handelt; vielmehr ist der Kläger zu 3) 13 Jahre alt. Auch der Umstand, dass die Kläger angaben, in Italien für eine Nacht unter einer Brücke geschlafen zu haben und ihnen keiner geholfen habe, rechtfertigt keine andere grundsätzliche Beurteilung. Denn solche einzelfallbezogenen, punktuellen Erfahrungen allein führen in Anbetracht der sonstigen Erkenntnislage nicht zur Feststellung regelhafter und größerer Funktionsstörungen im italienischen System oder auch zu einer Gleichgültigkeit der Italiener gegenüber Problemen. Denn zum einen ist festzuhalten, dass sich die Erfahrungen der Kläger auf das Jahr 2014 beziehen. Zum anderen zeigen sie nur eine punktuelle Momentaufnahme von den damaligen Verhältnissen in Rom. Dazu ist festzuhalten, dass die Verhältnisse in Italien unterschiedlich sein können und die Verhältnisse von Rom nicht repräsentativ fürs ganze Land sind. So stellt sich etwa in Norditalien die Situation besser dar. Nach dem eigenen Vorbringen der Kläger habe diese offenbar nur einen Nacht unter einer Brücke geschlafen und danach das Land wieder verlassen und nur an einem Vormittag bemüht, bei verschiedenen Stellen in Italien Hilfe zu erlangen, konkret in Rom. Den Klägern ist zumutbar, ein längeres und intensiveres Engagement, gegebenenfalls auch an einem anderen Ort als Rom, an den Tag zu legen. Der erstmals in der mündlichen Verhandlung erwähnte Vergewaltigungsversuch der Ehefrau bei einer Nächtigung unter der Brücke ist schon deshalb zweifelhaft, weil die Kläger in ihrem bisherigen Verfahren nichts davon berichtet habe und so den Eindruck erwecken, sich durch gesteigertes Vorbringen Vorteile zu verschaffen wollen (vgl. auch VG Göttingen, U.v. 15.10.2018 – 3 A 745/17 – juris; VG Magdeburg, B.v. 25.9.2018 – 6 B 291/18 – juris). Außerdem ändert dieser Vorfall nichts an der grundsätzlichen Einschätzung der Lage in Italien.
Sofern eingewandt wird, dass Flüchtlinge, konkret auch anerkannte Schutzbedürftige, anders als Italiener nicht über ein familiäres Netzwerk verfügen, ist schon anzumerken, dass heutzutage auch viele italienische Staatsangehörige über kein ausreichendes familiäres Netzwerk mehr verfügen, das sie im Falle der Bedürftigkeit auffängt. Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass gerade auch anerkannte Flüchtlinge Zugang zu den Hilfeleistungen kommunaler und caritativer Einrichtungen sowie der Nichtregierungsorganisationen haben, die das fehlende familiäre Netzwerk zumindest teilweise ausgleichen. Denn diese versorgen sie nicht nur mit Lebensmitteln und Unterkunftsplätzen, sondern bieten auch andere, speziell auf anerkannte Flüchtlinge zugeschnittene und durch staatliche sowie europäische Mittel geförderte Hilfen, wie Jobtrainings, Praktika und Sprachkurse und auch Projekte zur Hilfe beim Übergang zur Selbstständigkeit. Vom Einzelfall der Kläger kann nicht auf die gesamte Unterkunftssituation in Italien geschlossen werden, da sich – wie bereits ausgeführt – in den letzten Jahren einige Änderungen in Italien ergeben haben. Bekommen die internationalen Schutzberechtigten keinen Unterkunftsplatz mehr zugewiesen -so wie im Fall der Kläger -, haben sie für sich selbst zu sorgen und eine Wohnung zu mieten. Sofern dies nicht möglich ist und sie auch bei den erwähnten kommunalen und caritativen Einrichtungen oder mit Hilfe der Nichtregierungsorganisationen keine Unterkunft erhalten, sind sie ebenso wie italienische Staatsangehörige in vergleichbarer Situation auf den Zugang zu Notschlafstellen und Unterkünften in besetzten Häusern zu verweisen. Daraus resultiert aber kein systemisches Versagen bezüglich der Aufnahmebedingungen und keine Verletzung von Menschen- und Grundrechten, weil anerkannte Flüchtlinge gerade nicht anders gestellt sind als italienische Staatsangehörige. Darüber hinaus lässt sich aus den verfügbaren Erkenntnisquellen entnehmen, dass der größte Teil der anerkannten Schutzberechtigten gerade nicht über einen längeren Zeitraum obdachlos ist und bleibt (vgl. zum Ganzen NdsOVG, B.v. 6.4.2018 – 10 LB 109/18 – EzAR-NF 65 Nr. 58 – juris mwN).
Des Weiteren versuchen italienische Stellen nach Kenntnis des Auswärtigen Amtes bei Familien mit Kindern Unterkünfte zu finden. Für Familien kann es kommunale Sachleistungen geben, gegebenenfalls auch Geldleistungen. Diese sind aber von der jeweiligen Gemeinde abhängig genauso wie weitere Integrationsmaßnahmen. Die Arbeitssituation ist schwierig. Nach der Registrierung kann der Kläger zu 3) auch der bis zum 16. Lebensjahr obliegenden Schulpflicht nachkommen. Der Zugang zur Schule besteht in Italien auch in der Praxis. In Italien arbeiten viele Flüchtlinge auch als Tagelöhner im Gartenbau oder auf Märkten (vgl. zum Ganzen: Auswärtiges Amt, Auskunft an das VG Hamburg vom 13.12.2017).
Nach alledem ist es den Klägern zumutbar nach Italien zurückzukehren, ohne dass nationale Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG entgegenstünden.
Abschließend ist noch anzumerken, dass die auch im streitgegenständlichen Bescheid niedergeschlagene Praxis des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge, bei einer auf § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG gestützten Unzulässigkeitsentscheidung unter Rückgriff auf § 38 Abs. 1 AsylG die Abschiebungsandrohung mit einer bei Klageerhebung erst nach Unanfechtbarkeit laufenden 30-tägigen Ausreisefrist zu verbinden, objektiv nicht im Einklang mit dem Asylgesetz steht (BVerwG, U.v. 15.1.2019 – 1 C 15.18 – juris). Jedoch führt dieser objektive Rechtsverstoß, entgegen § 36 Abs. 1 AsylG eine Ausreisefrist von 30 Tagen statt von einer Woche zu setzen, nicht auch zu einer subjektiven Rechtsverletzung. Denn die betreffenden Asylantragsteller werden dadurch nicht in ihren Rechten verletzt, weil mit der Fristverlängerung unmittelbar nur rechtliche Vorteile (Verlängerung der Frist und aufschiebende Wirkung der Klage) verbunden sind. Die teilweise in der Rechtsprechung angeführten mittelbaren Nachteile (Wegfall der Rechtsfolgen des § 37 Abs. 1 AsylG) sind völlig ungewiss, weil sie vom Ausgang des entsprechenden Eilverfahrens abhängen (NdsOVG, B.v. 21.12.2018 – 10 LB 201/18 – juris). Die vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge missachtete Regelung des § 36 Abs. 1 AsylG dient alleine dem öffentlichen Interesse an der Beendigung des Aufenthalts eines Ausländers, dem bereits ein anderer Mitgliedsstaat internationalen Schutz gewährt hat, zumal ein internationales Abschiebungsverbot gerade verneint wurde (vgl. OVG Rh-Pf, B.v. 20.12.2018 – 10 A 11029/18 – juris; VG Göttingen, U.v. 15.10.2018 – 3 A 745/17 – juris).
Nach alldem war die Klage mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG abzuweisen.


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