Verwaltungsrecht

Gewährung von Eingliederungshilfe in Form einer Schulbegleitung

Aktenzeichen  M 18 E 19.5506

Datum:
18.2.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 6767
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
SGB VIII § 35a
SGB IX § 112

 

Leitsatz

Tenor

I. Der Antragsgegner wird verpflichtet, dem Antragsteller vorläufig Eingliederungshilfe in Form einer Schulbegleitung für den Besuch der Staatlichen … … bis zum Ende des Schuljahres 20* …2020 zu bewilligen.
II. Die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens trägt der Antragsgegner.

Gründe

I.
Der am … … 2007 geborene Antragsteller begehrt im Wege der einstweiligen Anordnung die Gewährung von Eingliederungshilfe in Form einer Schulbegleitung für den Besuch der Staatlichen … … ab dem Schuljahr 20 …2020.
Aufgrund andauernder sozialer Schwierigkeiten des Antragstellers in seiner damaligen Schule stellten ihn dessen Eltern seit dem … … … mehrfach in der kinder- und jugendpsychiatrischen Institutsambulanz des … … vor. Laut einem ärztlich-psychologischen Bericht vom … … … wurden bei dem Antragsteller nach dem Diagnosesystem der ICD-10/MAS eine Autismusspektrumsstörung (…) und eine einfache Aktivitäts- und Aufmerksamkeitsstörung (…) diagnostiziert. Des Weiteren wurde eine überdurchschnittliche intellektuelle Leistungsfähigkeit festgestellt, das Vorhandensein von Belastungsfaktoren (…) sowie eine deutliche soziale Beeinträchtigung.
In der zusammenfassenden Beurteilung wurde die Zugehörigkeit des Antragstellers zum Personenkreis des § 35a SGB VIII bejaht. Der Antragsteller zeige vor allem in den Bereichen Kommunikation und wechselseitige soziale Interaktion Einschränkungen und Defizite. Durch die dauernden Konflikte in der Schule sei dieser emotional bereits derart belastet, dass er den Schulbesuch an sich abzulehnen beginne und die Teilnahme am Unterricht gefährdet sei. Es wurde u.a. die Empfehlung ausgesprochen, die Gewährung eines Schulbegleiters in Betracht zu ziehen, um den Antragsteller unter anderem bei der Kontaktaufnahme und Interaktionsgestaltung mit Gleichaltrigen zu unterstützen.
Nachdem die Eltern des Antragstellers im Mai 2018 mit dem Jugendamt des Antragsgegners hinsichtlich möglicher Hilfemaßnahmen für den Antragsteller in Kontakt getreten waren, führte der Antragsgegner am … … … eine Unterrichtshospitation an der damaligen Schule des Antragstellers durch. In den Akten des Antragsgegners (Bl. … ff.) wurde hierzu u.a. dokumentiert, dass der Antragsteller überhaupt keinen Kontakt mit seinen Mitschülern habe und von diesen ausgegrenzt werde. Sein Verhalten am Hospitationstag wurde als eher unauffällig beschrieben, was laut der Einschätzung der Lehrkräfte allerdings dem in den Wochen zuvor wahrgenommenen Verhalten nicht entsprechen würde. Generell bescheinigte ihm die befragte Lehrkraft einen Mangel an Konfliktlösungsfähigkeit und eine geringe Frustrationstoleranz.
Am … … 2018 beantragten die Eltern des Antragstellers für diesen beim Jugendamt des Antragsgegners eine Schulbegleitung.
Am … … 2018 wurde der Antragsteller erneut beim … vorstellig. Im ärztlich-psychologischen Bericht vom … … 2018 heißt es, dass sich die emotionale Gesundheit des Antragstellers seit der Erstvorstellung erschreckend verschlechtert habe. Durch die andauernde Belastung, die ihm durch den fortgesetzten Schulbesuch ohne Schulbegleitung entstehe, habe der Antragsteller inzwischen sogar eine Anpassungsstörung mit depressiver Reaktion, dysphorischer Stimmung, Selbstwertproblemen sowie autonomen Reaktionen entwickelt. Es bestehe dringender Bedarf für einen Schulbegleiter, da der Antragsteller aufgrund seiner autistischen Störung auf Unterstützung in sozialen Situationen wie bei der Kontaktaufnahme, bei wechselseitigen Gesprächen sowie zur Bewältigung von Konflikten besonders in unstrukturierten Situationen angewiesen sei. Alternativ sei auch eine Beschulung in einer Privatschule mit angegliedertem Internat denkbar. Von einer weiteren Beschulung an der aktuellen Schule sowie einer generellen Beschulung ohne Schulbegleiter werde mit Blick auf die seelische und emotionale Gesundheit des Antragstellers ausdrücklich abgeraten.
In einer fachärztlichen Stellungnahme des Kinder- und Jugendpsychiaters … … vom … … 2018, bei dem der Antragsteller in psychiatrischer Behandlung ist, heißt es, dass zur Abwendung der Teilhabebeeinträchtigung gemäß § 35a SGB VIII der Besuch eines (öffentlichen) Gymnasiums im Beisein eines Integrationshelfers, der Besuch eines auf autistische Störungen spezialisierten Privatgymnasiums oder die Beschulung in einer stationären Einrichtung empfohlen werde.
Zum Schuljahr …/… wechselte der Antragsteller auf die staatliche … …
Mit Bescheid vom 16. August 2018 lehnte der Antragsgegner die beantragte Schulbegleitung ab. Stattdessen wurde dem Antragsteller Eingliederungshilfe in Form einer ambulant begleitenden Betreuungsperson angeboten. Der Antragsgegner führte aus, dass zwar die Voraussetzungen des § 35a SGB VIII vorlägen, die Schulbegleitung aber derzeit nicht erforderlich und auch nicht geeignet sei, den vorliegenden, unter einem ganzheitlichen Blickwinkel betrachteten Hilfebedarf zu decken. Es könne prognostisch nicht davon ausgegangen werden, dass der Antragsteller auf der neuen Schule in der Klasse nicht integriert sein werde oder es ihm nicht gelingen werde, soziale Kontakte zu knüpfen; von der gegenwärtigen schulischen Situation könne nicht auf die Bedarfslage in einem neuen schulischen Umfeld geschlossen werden. Als bedarfsgerechte fachliche Unterstützung werde eine ambulant begleitende Betreuungsperson im Rahmen der Eingliederungshilfe analog einer Erziehungsbeistandschaft i.S.d. § 30 SGB VIII vorgeschlagen. Mit dieser Person könne er über schwierige Situationen in der Schule reflektieren und alternative Verhaltensweisen einüben; im Bedarfsfall könne die Betreuungsperson auch vermittelnd zwischen dem Antragsteller und der Schule tätig werden. Ohne dass der Antragsteller in der Klasse eine Sonderstellung durch eine Begleitperson einnehme, könne dieser unbelasteter in Kontakt mit den übrigen Schülern treten. Die vor Ort erforderliche Integrationsarbeit und die Kontrolle der Pausensituationen seien durch die Schule selbst zu erbringen.
Gegen diesen Bescheid ließen die Eltern des Antragstellers durch ihre Bevollmächtigte am 10. September 2018 Widerspruch einlegen.
Am 2. Oktober 2018 ließ der Antragsgegner eine weitere Unterrichtshospitation, nun an der Staatlichen … …, durchführen. Auffälliges oder negatives Verhalten des Antragstellers wurde laut Aktenvermerk des Antragsgegners hierbei nicht festgestellt.
In einer erneuten Stellungnahme des Kinder- und Jugendpsychiaters … … vom … … … führte dieser aus, dass sich beim Antragsteller seit dem Schulwechsel viele positive Entwicklungen ergeben hätten, jedoch autismusspezifische Probleme blieben. Diese beruhten darauf, dass der Antragsteller nicht in der Lage sei, mit Abweichungen umzugehen, die sein soziales oder schulisches Verständnis verletzten. Er könne sich dann aus eigener Kraft nicht mehr regulieren, sodass er teils emotional völlig blockiert sei oder auch zuschlage. Dieser ungünstige Zustand bestehe, obwohl der Antragsteller intensive Psychotherapie erhalte und auch regelmäßig Medizin einnehme, die seine Impulsivität reduzieren solle. Aus medizinischen Gründen solle mit der Bestellung einer Schulbegleitung nicht länger gewartet werden, da eine zunehmende Chronifizierung festzustellen sei, die zu einer ständigen Herabsetzung des Selbstwertgefühls des Antragstellers führe.
Des Weiteren wurde von den Eltern des Antragstellers eine Einschätzung des Mobilen Sonderpädagogischen Dienstes für Autismus (im Folgenden …) eingeholt. In dessen Stellungnahme vom … … … wird ausgeführt, dass Situationsumstellungen und unstrukturierte Situationen für Kinder und Jugendliche mit Autismus generell schwer zu bewältigen seien und schnell zu Überforderungssituationen führten. So äußerten sich auch beim Antragsteller Überforderungssituationen in regelrechten Wutausbrüchen. Eine Schulbegleitung könne eine wichtige Stütze in allen unstrukturierten Situationen sein und dem Antragsteller Halt und Orientierung vor, während und nach dem Unterricht geben. Auch solle die Schulbegleitung dabei helfen, Wutausbrüche präventiv zu verhindern, indem Konflikte und Veränderungen besprochen werden und die Selbstwahrnehmung durch kleinere Reflexionen zwischendurch geschult werde. Ebenfalls könnten Verhaltensmöglichkeiten zur Entlastung/ Stressreduktion aufgezeigt werden.
Mit Schreiben vom 6. November 2018 wandte sich die Staatliche … … hinsichtlich der Beschulung des Antragstellers an das Jugendamt des Antragsgegners. In diesem wird ausgeführt, dass die Schule für eine Schulbegleitung für den Antragsteller plädiere. Sie hätten an der Schule das Problem, dass sich bei Wutanfällen des Antragstellers die Lehrkraft entweder mit diesem zurückziehe, was zur Folge habe, dass die Klasse ohne Aufsicht sei. Wenn die Lehrkraft sich erst um die Klasse kümmere, bliebe aber der Antragsteller unversorgt, was ebenfalls nicht machbar sei.
In einer Zusammenstellung der … … vom … … …, die auch an das Jugendamt des Antragsgegners adressiert ist, wurden des Weiteren für den Zeitraum von September 2018 bis Ende Februar 2019 sechs Situationen geschildert, in denen der Antragsteller soziale Auffälligkeiten gezeigt habe.
Die Regierung von Oberbayern wies den Widerspruch des Antragstellers am 24. Mai 2019 zurück. Die Entscheidung des Jugendamtes sei fachlich nicht zu beanstanden. Dieses habe die vorgelegten ärztlichen Stellungnahmen gewürdigt, sich jedoch durch Unterrichtshospitationen ein eigenes Bild von der Situation gemacht. In der Hospitation am 2. Oktober 2018 habe sich ergeben, dass der Antragsteller eigenständig mit den Mitschülern in Kontakt getreten sei und diese den Kontakt zu ihm gesucht hätten. Auch in den Pausen habe die Fachkraft positive Interaktionen mit den anderen Schülern beobachten können; die Schule habe mit Ausnahme eines Vorfalls im Schullandheim keine Situation benennen können, in denen ein aggressives, fremdgefährdendes Verhalten aufgetreten sei. Alleine die Befürchtung, ein derartiger Vorfall könne sich wiederholen, rechtfertige nachvollziehbar nicht die vollumfängliche Schulbegleitung.
Am 26. Juni 2019 erhoben die Bevollmächtigten des Antragstellers Klage zum Verwaltungsgericht München und beantragten, den Bescheid vom 16. August 2018 in Form des Widerspruchsbescheids vom 24. Mai 2019 aufzuheben und den Antragsgegner zu verpflichten, dem Antragsteller eine Schulbegleitung zu bewilligen und die Kosten hierfür zu übernehmen, hilfsweise eine geeignete und erforderliche Maßnahme der Eingliederungshilfe zu bewilligen (Az. M 18 K 19.3050). Am 6. November 2019 beantragten die Bevollmächtigten für den Antragsteller zudem:
Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO zur Übernahme der Kosten für einen Schulbegleiter für den Antragsteller für das Schuljahr 2019/2020 verpflichtet.
Hilfsweise: Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO zur Übernahme der Kosten für einen Schulbegleiter für den Antragsteller für den Zeitraum von 6 Monaten verpflichtet.
Zur Begründung wurde ausgeführt, dass zur Geeignetheit und Erforderlichkeit der Hilfemaßnahme in Form eines Schulbegleiters mehrere fachliche Stellungnahmen vorlägen. Diese habe der Antragsgegner ignoriert, ohne sie zu verwerten bzw., da der Antragsgegner von den fachlichen Beurteilungen abweiche, diesen weder nachvollziehbare, fachlich begründete Argumente entgegengesetzt noch ein eigenes Sachverständigengutachten eingeholt. Von den Bevollmächtigten wurde insoweit auf den ärztlich-psychologischen Bericht des …s vom … … …, die Stellungnahmen des Kinder- und Jugendpsychiaters- und -psychologen … … vom … … 2018 und … … … sowie die Stellungnahmen des … und der Staatlichen … … vom … … … bzw. vom … … … verwiesen.
Die Bevollmächtigte des Antragstellers führte des Weiteren aus, dass aufgrund der unterbliebenen Hilfemaßnahme am … … … eine völlige Eskalation der Situation eingetreten sei. Als bei der Verteilung von Briefen zur Nacharbeit an diesem Tag in der Schule versehentlich der Name des Antragstellers gefallen sei, habe dieser einen Wutanfall bekommen, sei auf die Lehrerin zugerannt, habe auf sie eingeschlagen und auch mit Stühlen geworfen. Der Antragsteller habe immer weiter schrill geschrien und sei weithin hörbar gewesen. Man habe ihn nicht ansprechen können. Da er nicht zu beruhigen gewesen sei, habe der Notarzt gerufen werden müssen. Der Antragsteller sei daraufhin vom Unterricht ausgeschlossen worden mit der Begründung, dass er aufgrund seines Verhaltens die psychische und körperliche Gesundheit seiner Mitschüler und auch der Lehrkräfte erheblich gefährde.
Das Jugendamt habe nur einen Tag vor dem geschilderten Vorfall in der Schule in einem Schreiben an die Eltern ausgeführt, dass als bedarfsgerechte Maßnahme weiterhin die Erziehungsbeistandschaft angeboten werde, da beim Antragsteller großes Potenzial zur Eigenregulierung zu erkennen sei. Die vom Jugendamt angebotene Hilfemaßnahme der Erziehungsbeistandschaft sei aber nach Auffassung der Bevollmächtigten ersichtlich nicht geeignet und nicht ausreichend. Durch die Verweigerung der erforderlichen und geeigneten Maßnahme sei bereits in Gestalt des Unterrichtsausschlusses ein erheblicher Nachteil für den Antragsteller eingetreten. Da ein Schulbesuch des Antragstellers ohne Schulbegleiter wohl nicht weiter möglich sein werde, sei Eile geboten und eine Entscheidung im Wege der einstweiligen Anordnung erforderlich.
Mit Schriftsatz vom 20. November 2019 beantragte der Antragsgegner,
den Antrag abzulehnen.
Haupt- und Hilfsantrag seien unbegründet, da kein Anordnungsanspruch bestehe. Der Hauptantrag, einen Schulbegleiter für das gesamte Schuljahr 2019/2020 zu bewilligen, könne schon deswegen keinen Erfolg haben, weil zwischenzeitlich bereits zweieinhalb Monate des laufenden Schuljahres vergangen seien. Des Weiteren sei die Bewilligung einer Schulbegleitung nach der fachlichen Einschätzung des Jugendamtes nicht die geeignete Maßnahme zur angemessenen Bewältigung der vorliegenden Belastungssituation. Der Antragsgegner habe durch eine erfahrene sozialpädagogische Fachkraft zwei Unterrichtshospitationen durchgeführt, um den Antragsteller im schulischen Bereich zu beobachten. Diese hätten nicht erkennen lassen, dass der Antragsteller erhebliche altersuntypische Defizite aufweise, die es ihm unmöglich machen würden, den Schulbesuch alleine zu meistern. Die geringe Frequenz der Verhaltensauffälligkeiten außerhalb der Hospitationen (weniger als einmal in drei Monaten) und der Umstand, dass schon längere Zeit der Schulbesuch ohne externe Unterstützung stattfinden konnte, ließen aktuell eine umfassende Schulbegleitung als unverhältnismäßig erscheinen. Eine ständige Schulbegleitung könne durchaus auch Nachteile nach sich ziehen, die nicht zu unterschätzen seien (Gewöhnung, Sonderstellung, Außenseiterposition, Hänseleien, Gefährdung der Entwicklung zur Selbstständigkeit). Erfolgversprechend und geboten seien nach Einschätzung des Jugendamtes pädagogische Maßnahmen sozialen Lernens, die es dem Antragsteller erleichtern würden, in für ihn schwierigen Situationen alternatives Verhalten zu erlernen und zu trainieren, um sozial angemessen zu reagieren. Das Jugendamt sperre sich nicht endgültig gegen die Installierung einer Schulbegleitung, zunächst solle jedoch im Interesse des Kindeswohls eine ambulante Erziehungsbeistandschaft eingerichtet werden. Falls es sich im Laufe der Zeit als notwendig herausstellen sollte, zusätzliche Hilfen zu gewähren, so komme hierfür auch eine Schulbegleitung in Betracht.
Nach Auskunft des Antragsgegners im Schriftsatz vom 26. November 2019 hätten die Eltern des Antragstellers nun die stationäre Unterbringung ihres Sohnes im „… …“, einem in … befindlichen sonderpädagogischen Bildungs- und Beratungszentrum mit angeschlossener Realschule, beantragt. Zu dieser Maßnahme sei der Antragsgegner auch bereit und habe den Eltern bereits mündlich seine Zustimmung hierzu mittgeteilt.
Die Bevollmächtigten des Antragstellers nahmen hierzu mit Schriftsatz vom 9. Januar 2020 Stellung und erklärten, dass für den … … 2020 ein Vorstellungstermin in der Einrichtung geplant sei. Es sei noch nicht entschieden, ob die Einrichtung für den Antragsteller geeignet sei und ob diese Hilfemaßnahme vom Antragsgegner tatsächlich bewilligt werden würde.
Mit Schriftsatz vom … … 2020 führte der Antragsgegner ergänzend aus, dass ein Schulbegleiter in der konkreten Situation ungeeignet sei, da dessen Hauptaufgabe letztlich wäre, Lehrkräfte und Mitschüler vor einem plötzlichen unkontrollierten und stark aggressiven Verhalten des Antragstellers zu schützen. Dies könne und dürfe nicht die Kernaufgabe einer jugendhilferechtlichen Hilfeleistung sein.
Die Bevollmächtigte des Antragstellers bat mit Schreiben vom … … 2020 dringend um Fortsetzung des Verfahrens, da eine stationäre Unterbringung für den Antragsteller nicht in Betracht käme und im Übrigen unverhältnismäßig sei.
Der Antragsgegner führte im Schriftsatz vom … … 2020 gegenüber dem Gericht aus, dass die Eltern mitgeteilt hätten, dass sie eine stationäre Unterbringung nicht wünschten und den gestellten Antrag zurückzögen. Aus Sicht des Antragsgegners sei die Aufnahme in der Einrichtung jedoch geeignet, die Defizite des Antragstellers ganzheitlich zu bearbeiten. Die intensive pädagogische Arbeit, die der Antragsteller benötige, könne in diesem Ausmaß nur im Rahmen einer stationären Unterbringung geleistet werden.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird ergänzend auf die Gerichtsakte, die Gerichtsakte im Verfahren M 18 K 19.3050 und die vorgelegten Behördenakten verwiesen.
II.
Der zulässige Antrag hat auch in der Sache Erfolg.
Eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis ist nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Dies setzt voraus, dass der Antragsteller das von ihm behauptete streitige Recht (den Anordnungsanspruch) und die drohenden Gefahr seiner Beeinträchtigung (den Anordnungsgrund) glaubhaft macht, § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO. Für das Vorliegen eines Anordnungsgrunds ist grundsätzlich Voraussetzung, dass es dem Antragsteller unter Berücksichtigung seiner Interessen, aber auch der öffentlichen Interessen und der Interessen anderer Personen nicht zumutbar ist, die Hauptsacheentscheidung abzuwarten. Maßgebend sind dabei die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung.
Der Antragsteller konnte sowohl einen Anordnungsanspruch als auch einen Anordnungsgrund glaubhaft machen.
Der Antragsteller hat einen Anspruch auf Eingliederungshilfe gem. § 35a Abs. 1 Satz 1 SGB VIII, dem vorliegend allein durch die Bestellung eines Schulbegleiters Rechnung getragen werden kann, glaubhaft gemacht.
Gemäß § 35a Abs. 1 Satz 1 SGB VIII haben Kinder oder Jugendliche Anspruch auf Eingliederungshilfe, wenn
1. ihre seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als 6 Monate von dem für ihr Lebensalter typischen Zustand abweicht und 38
2. daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist oder eine solche Beeinträchtigung zu erwarten ist.
Von einer seelischen Behinderung bedroht im Sinne des § 35a Abs. 2 Satz 2 SGB VIII sind Kinder oder Jugendliche, bei denen eine Beeinträchtigung ihrer Teilhabe am Leben in der Gesellschaft nach fachlicher Erkenntnis mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist. Nach § 35a Abs. 1a Satz 1 SGB VIII ist die Abweichung der seelischen Gesundheit nach § 35a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VIII durch eine Stellungnahme eines Arztes für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie, eines Kinder- und Jugendpsychotherapeuten oder eines Arztes oder psychologischen Psychotherapeuten, der über besondere Erfahrungen auf dem Gebiet seelischer Störungen bei Kindern und Jugendlichen verfügt, nachzuweisen.
Das Abweichen der seelischen Gesundheit nach § 35a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VIII ist hier durch die ärztlich-psychologischen Berichte des … … vom … … … und vom … … 2018 unstreitig festgestellt.
Auch über das Vorliegen einer – aus der vom Alterstypischen abweichenden seelischen Gesundheit abgeleiteten – zumindest drohenden Beeinträchtigung der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft gemäß § 35a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB VIII (sog. Teilhabebeeinträchtigung) besteht im Grundsatz zwischen den Verfahrensbeteiligten kein Streit. Der Eingliederungshilfebedarf des Antragstellers wurde vom Antragsgegner in seinem Bescheid vom 16. August 2018 auch ausdrücklich anerkannt.
In Abrede gestellt wird vom Antragsgegner allein, dass die beantragte Schulbegleitung die geeignete und erforderliche Maßnahme zur Deckung des Hilfebedarfs darstellt.
Zu den Leistungen der Eingliederungshilfe gehören nach § 35a Abs. 3 SGB VIII (i.d. Fassung vom 1.1.2020) i.V.m. § 112 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB IX insbesondere auch Hilfen zu einer Schulbildung, insbesondere im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht und zum Besuch weiterführender Schulen einschließlich der Vorbereitung hierzu. Zu diesen Leistungen gehört grundsätzlich auch die Gewährung einer Schulbegleitung (vgl. BayVGH, B.v. 18.3.2016 – 12 CE 16.66 – juris Rn. 6).
Nach ständiger verwaltungsgerichtlicher Rechtsprechung unterliegt die Entscheidung über die Erforderlichkeit und Geeignetheit einer bestimmten Hilfemaßnahme einem kooperativen, sozialpädagogischen Entscheidungsprozess unter Mitwirkung des betroffenen Hilfeempfängers und der Fachkräfte des Jugendamtes, welche nicht den Anspruch objektiver Richtigkeit erhebt, sondern nur eine angemessene Lösung zur Bewältigung der festgestellten Belastungssituation enthalten muss, die fachlich vertretbar und nachvollziehbar sein muss. Die verwaltungsgerichtliche Überprüfung hat sich in diesem Fall darauf zu beschränken, ob allgemeingültige fachliche Maßstäbe beachtet wurden, keine sachfremden Erwägungen eingeflossen und die Leistungsadressaten in umfassender Weise beteiligt worden sind. Die Entscheidung über die Geeignetheit und Notwendigkeit einer bestimmten Hilfemaßnahme ist damit gerichtlich nur auf ihre Vertretbarkeit hin überprüfbar (BayVGH, B.v. 21.2.2013 – 12 CE 12.2136 – juris Rn. 29 m.w.N.). Will also ein Betroffener die Verpflichtung des Trägers der Jugendhilfe zur Durchführung einer bestimmten Hilfemaßnahme im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes erwirken, muss er im Hinblick auf den im Rahmen der sozial-pädagogischen Fachlichkeit bestehenden Beurteilungsspielraum des Jugendamtes darlegen und glaubhaft machen, dass allein die beanspruchte Hilfemaßnahme zur Deckung des Hilfebedarfs erforderlich und geeignet ist, mithin fachlich vertretbar ist (BayVGH, B.v. 6.2.2017 – 12 C 16.2159 – juris, Rn. 11 m.w.N.).
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze erachtet das Gericht die Entscheidung des Jugendamtes als nicht vertretbar. Der Antragsteller hat vielmehr glaubhaft gemacht, dass der hinsichtlich der Auswahl der konkreten Hilfemaßnahme gegebene Beurteilungsspielraum des Antragsgegners sich hier allein auf die beantragte Schulbegleitung verengt hat.
Der Antragsteller leidet an einer Autismusspektrumsstörung. Laut Gutachten des …s vom … … 2018 sei der Antragsteller daher in sozialen Situationen, vor allem bei der Kontaktaufnahme, bei wechselseitigen Gesprächen sowie zur Bewältigung von Konflikten besonders in unstrukturierten Situationen auf gezielte Hilfestellungen im schulischen Bereich angewiesen.
In einer Stellungnahme des Facharztes für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psy-chotherapie vom … … … heißt es, dass trotz der grundsätzlich positiven Entwicklung des Antragstellers seit seinem Schulwechsel „autismusspezifische Probleme“ blieben. So könne der Antragsteller nicht mit Abweichungen umgehen und sei bei zu starken Auslösern nicht mehr aus eigener Kraft in der Lage, sich zu regulieren, sodass er teils emotional völlig blockiere und auch zuschlage. Diese Einschätzung spiegelt sich auch wieder in dem Zwischenfall vom … … …, als der Antragsteller seine Lehrkraft angriff, da diese versehentlich seinen Namen bei der Verteilung von Nacharbeiten nannte, und er sich zunächst nicht beruhigen konnte.
Die Einschätzung des Antragsgegners, den aus dem geschilderten Krankheitsbild resultierenden Problemen des Antragstellers im schulischen Bereich durch die Gewährung einer ambulanten Erziehungsbeistandschaft gerecht zu werden, erscheint vorliegend nicht mehr fachlich vertretbar.
Der Gesetzgeber wollte mit der Schaffung des Leistungstatbestandes der Eingliederungshilfe in § 35a SGB VIII dem Umstand Rechnung tragen, dass einer seelischen Behinderung nicht in jedem Fall ein „erzieherisches Defizit“ zugrunde liegt bzw. liegen muss (Wiesner in Wiesner, SGB VIII, 5. Aufl. 2015, § 35a Rn. 35). Zwar sieht § 35a Abs. 4 SGB VIII auch die Leistung von Hilfen zur Erziehung im Rahmen der Eingliederungshilfe vor, jedoch werden diese Leistungen allenfalls zusätzlich zur Eingliederungshilfe gewährt und nicht an deren Stelle.
Aus den vorgelegten Gutachten des Heckscher-Klinikums und des Kinder- und Jugendpsychiaters geht deutlich hervor, dass der Hilfebedarf des Antragstellers (allein) auf seine seelische Beeinträchtigung zurückzuführen ist. Die Gewährung einer Erziehungsbeistandschaft „analog § 30 SGB VIII“, wie es der Antragsgegner bezeichnet, allein vermag damit den aus der diagnostizierten Autismusspektrumsstörung resultierenden Eingliederungshilfebedarf des Antragstellers nicht zu decken. Die ambulante Erziehungsbeistandschaft nach § 30 SGB VIII ist ihrem Wesen nach Hilfe zur Erziehung, d.h. eine die elterliche Erziehung ergänzende und unterstützende, diese notfalls auch ersetzende Hilfe und steht deswegen nach § 27 Abs. 1 SGB VIII dem Personensorgeberechtigten und nicht dem Kind bzw. dem Jugendlichen selbst zu; wesentliche Leistungsvoraussetzung der Hilfe zur Erziehung ist gerade der erzieherische Bedarf (vgl. BVerwG, B. v. 12.07.2005 – 5 B 56/05, BeckRS 2005, 28810). Ein solcher ist im Übrigen weder von den Parteien vorgetragen noch dem Gericht ersichtlich. Ergänzend kommt hinzu, dass die Familie – nach ihren eigenen Angaben – bereits Familientherapie, Einzeltherapie sowie die Hilfe des Mobilen Sonderpädagogischen Dienstes in Anspruch nimmt.
§ 35a Abs. 3 SGB i.V.m. § 112 Abs. 1 Satz 3 SGB IX sieht für den von der Eingliederungshilfe erfassten Personenkreis explizit Hilfen vor, um der leistungsberechtigten Person den Schulbesuch zu ermöglichen oder zu erleichtern. Auch insoweit erachtet das Gericht eine ambulant begleitende Betreuungsperson, die nach Vorstellung des Antragsgegners schwierige Situationen in der Schule reflektierend nachbereiten und im Bedarfsfall als Vermittler zwischen dem Antragsteller und der Schule fungieren soll, als nicht ausreichend. Es soll nicht in Abrede gestellt werden, dass ein ambulanter Erziehungsbeistand sich im weiteren Verlauf möglicherweise positiv auf das Verhalten des Antragsteller auswirken könnte, allerdings vermag das Gericht nicht zu erkennen, wie damit die seit Schulbeginn regelmäßig auftretenden Ausbrüche des Antragstellers, die Lehrkräfte, Mitschüler und nicht zuletzt den Antragsteller selbst gefährden, in unmittelbarer Zukunft abgewendet werden können. Die vom Jugendamt vorgeschlagene Hilfe in Form der Erziehungsbeistandschaft impliziert, dass solche Ausbrüche und Eskalationen erst einmal weiterhin vorkommen werden, dann allerdings hinterher besser aufgearbeitet werden können und sodann künftig ganz verhütet werden würden. Dies ist aus Sicht des Gerichts mit Hinblick auf die gegenwärtige Situation nicht tragbar, insbesondere dahingehend, dass die staatliche Realschule, auf der der Antragsteller momentan beschult wird, bereits nach dem letzten Ausbruch des Antragstellers mit dem mehrwöchigen Ausschluss vom Unterricht eine drastische Maßnahme ergriffen hat, welche sich nach Möglichkeit nicht wiederholen sollte. Soweit der Antragsgegner insoweit auf ein fehlerhaftes Verhalten der Schule verweist, mag auch dieses nicht zu überzeugen. Es obliegt der Entscheidungsgewalt der Schule, wie sie auf Verhaltensauffälligkeiten ihrer Schüler reagiert. Selbstverständlich hat sie hierbei auch die Persönlichkeit der betroffenen Schüler zu berücksichtigen, jedoch auch die allgemeinen Interessen des Schulbetriebs zu würdigen. Anhaltspunkte dafür, dass sich die Entscheidung der Schule insoweit als verfehlt darstellt, ergeben sich nicht. Zwar vermittelt Art. 24 der UN-Behindertenkonvention den Anspruch behinderter Menschen, nicht aufgrund einer Behinderung vom allgemeinen Bildungssystem ausgeschlossen zu werden. Ihnen soll gleichberechtigt mit anderen nicht behinderten Kindern der Zugang zu einem einbeziehenden (inklusiven), hochwertigen und unentgeltlichen Unterricht ermöglicht werden. Innerhalb des allgemeinen Bildungssystems sollen angemessene Vorkehrungen getroffen und die notwendige Unterstützung geleistet werden, um eine erfolgreiche Bildung zu erleichtern. Diese Aufgabe obliegt jedoch nicht alleine der öffentlichen Schule, sondern ist auch eine Aufgabe des Jugendhilfeträgers, wie sich bereits aus dem Anspruch aus § 35a Abs. 3 SGB VIII i.V.m. § 112 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB IX ergibt.
Ob die nunmehr vom Antragsgegner angedachte stationäre Unterbringung des Antragstellers im … … tatsächlich die am besten geeignete Hilfeform für den Antragsteller darstellt (was in Hinblick auf den Vorrang der öffentlichen Schulausbildung und die Entscheidungszuständigkeit des Schulamtes grundsätzlich Bedenken begegnet), ist im Folgenden nicht weiter zu erörtern. Die Eltern haben zum Ausdruck gebracht, dass sie eine solche Unterbringung ablehnen. In der obergerichtlichen Rechtsprechung ist anerkannt, dass es, um dem Ziel der Eingliederungshilfe nach möglichst umfassender Bedarfsdeckung in allen von einer Teilhabebeeinträchtigung betroffenen Bereichen gerecht zu werden, wenn nicht zugleich der Gesamtbedarf gedeckt werden kann, zudem erforderlich sein kann, Hilfeleistungen zumindest und zunächst für diejenigen Teilbereiche zu erbringen, in denen dies möglich ist. Steht etwa eine bestimmte Hilfeleistung tatsächlich zeitweilig nicht zur Verfügung oder wird eine bestimmte Hilfe von Hilfeempfänger oder dessen Erziehungsberechtigten (zeitweise) nicht angenommen, so kann es gleichwohl geboten sein, zumindest diejenigen Hilfen zu gewähren, die den in anderen Teilbereichen bestehenden (akuten) Bedarf abdecken (BVerwG, U.v. 18.10.2012 – 5 C 21/11 – juris Rn. 26; BayVGH, B.v. 5.2.2018 – 12 C 17.2563 – juris Rn. 23). Es bedarf keiner näheren Erläuterung, dass dies selbstverständlich nicht dazu führen darf, dass die Erziehungsberechtigten durch Verweigerungshaltung stets die von ihnen präferierte Maßnahme erzwingen können. Liegt der Fall jedoch wie hier, dass die Erziehungsberechtigten eine schwerwiegende Maßnahme, wie sie es hier die Unterbringung des erst 13-jährigen Antragstellers in einer stationären Einrichtung wohl ohne Zweifel darstellt, ablehnen, ist es angebracht, dann zumindest vorerst auf eine weniger eingreifende, jedoch grundsätzlich ebenfalls geeignete Hilfemaßnahme zurückzugreifen, um einen akut bestehenden Hilfebedarf aufzufangen.
Bei der Bestellung einer Schulbegleitung handelt es sich nach Auffassung des Gerichts um eine solche geeignete Hilfemaßnahme.
Der Antragsgegner konnte insoweit für das Gericht nicht nachvollziehbar darlegen, warum von den eindringlichen Empfehlungen mehrerer Kinder- und Jugendpsychiater, einen Schulbegleiter zu bestellen, abgewichen wurde. Dem Antragsgegner ist dahingehend zu folgen, dass die mehrfach durchgeführten Unterrichtshospitationen allesamt zu einer positiven Beurteilung des Antragstellers geführt haben. Auch nach Angaben der Eltern des Antragstellers habe sich das soziale Miteinander mit den Mitschülern im Vergleich zur alten Schule gebessert; der Antragsteller habe sogar Freunde gefunden. Wie der Antragsgegner jedoch auch selbst feststellt, besteht allerdings immer noch die ständige Gefahr von massiven Verhaltensauffälligkeiten. Ausbrüche des Antragstellers, wie der Vorfall am … … …, können in bestimmten Situationen immer wieder plötzlich auftreten. Dem Antragsgegner ist zuzustimmen sofern er ausführt, es sei nicht Hauptaufgabe der Schulbegleitung, Lehrer und Mitschüler vor aggressivem Verhalten des Antragstellers zu schützen. Jedoch kommt bei dieser Auffassung zu kurz, dass die Schulbegleitung überwiegend auch vorbeugend zum Einsatz kommt. Nach den fachlichen Empfehlungen des Staatsinstituts für Schulqualität und Bildungsforschung für den Einsatz von Schulbegleitern bei Autisten (ISB-Handreichung Mobile Sonderpädagogische Dienste A 5: „Gelingensfaktoren für Schulbegleitung“) soll eine Schulbegleitung nicht nur „in Krisensituationen eingreifen und deeskalierend wirken“, sondern u.a. „positiv stärkend wirken, um so das Selbstwertgefühl und das Selbstvertrauen des autistischen Schülers zu steigern“ und „Regelakzeptanz und den Aufbau von Eigenkontrolle unterstützen“. So hat auch der … in seiner Stellungnahme vom … … … ausgeführt, dass die Schulbegleitung u.a. dabei helfen soll, Wutausbrüche präventiv zu verhindern, indem sie mit dem Antragsteller gezielt Probleme, Konflikte und Veränderungen bespreche, die Selbstwahrnehmung durch ständige Reflexionen schule und Verhaltensmöglichkeiten zur Entlastung/Stressreduktion aufzeige. Die Schulbegleitung wird demnach nicht in erster Linie dafür benötigt, um die Kontaktaufnahme mit anderen Schülern oder den Lehrkräften zu erleichtern oder diese vor gewaltsamen Verhalten zu schützen, sondern um in für den Antragsteller als Krisen empfundenen Situationen impulsiven Ausbrüchen präventiv entgegenzuwirken und diesen emotional zu unterstützen.
Sofern der Antragsgegner vorbringt, eine Schulbegleitung könne letzten Endes zu Isolation und Ausgrenzung des Antragstellers führen, ist anzufügen, dass dem Antragsteller aufgrund seiner seelischen Behinderung und der damit verbundenen sozialen Auffälligkeiten ohnehin eine Sonderstellung zukommt, der gerade im Wege des Einsatzes eines Schulbegleiters begegnet werden soll (so zu einem ähnlich gelagerten Fall auch BayVGH, B.v. 18.2.2013 – 12 CE 12.2104 – juris Rn. 50). Vorliegend ist anzunehmen, dass die Mitschüler des Antragstellers spätestens seit dem Vorfall in der Schule vom … … … erfahren haben, dass bei diesem ein massiver Hilfebedarf besteht.
Eine vollumfängliche Schulbegleitung scheint in Hinblick auf die Frequenz der Verhaltensauffälligkeiten und deren unvorhersehbares Auftreten entgegen der Auffassung des Antragsgegners auch nicht unverhältnismäßig. So scheinen sich nach einer Zusammenstellung der Schule vom … … … innerhalb eines halben Jahres zumindest sechs unterschiedliche Situationen ereignet zu haben, in denen der Antragsteller auffällig wurde. Der Antragsgegner verhält sich zudem widersprüchlich, wenn er zum einen anführt, eine Schulbegleitung sei wegen des großen Potential des Antragstellers zur Eigenregulierung unverhältnismäßig (Schreiben an die Eltern des Antragstellers vom … … …) und es sei dem Antragsteller möglich, den Schulbesuch allein zu meistern (Antragserwiderung vom 20. November 2019), und zum anderen in seinem letzten Schriftsatz zur Deckung eines ganzheitlichen Bedarfs nun für eine stationäre Unterbringung plädiert, die eine wesentlich umfangreichere Hilfemaßnahme darstellt.
Es sind – unter Ausklammerung der von den Eltern abgelehnten Unterbringung im … … – im Weiteren auch keine anderen Hilfemaßnahmen ersichtlich, die zum derzeitigen Zeitpunkt geeignet wären, den Eingliederungshilfebedarf des Antragstellers zu decken.
Dem Anspruch auf Gewährung von Eingliederungshilfe in Form der Schulbegleitung für das Schuljahr 2019/2020 steht auch nicht entgegen, dass mittlerweile bereits mehrere Monate des Schuljahres vergangen sind, wie der Antragsgegner vorträgt. Das erkennbare Rechtsschutzziel ist vorliegend, dem Antragsteller so schnell wie möglich einen Schulbegleiter an die Seite zu stellen. Damit ist der Antrag angesichts des bereits fortgeschrittenen Schuljahres zum Zeitpunkt der Einreichung bei Gericht offensichtlich so zu verstehen, dass mit gerichtlicher Entscheidung für das restliche Schuljahr eine Schulbegleitung zu bewilligen ist. Eine Teilablehnung des Antrages im Übrigen kommt daher nicht in Betracht.
Der Antragsteller hat auch einen Anordnungsgrund glaubhaft machen können. Würde dem Antragsteller die beantragte Schulbegleitung nicht vorläufig für das nun beginnende 2. Schuljahreshalbjahr gewährt werden, wäre – insbesondere in Hinblick auf den schon einmal erfolgten Ausschluss vom Unterricht – mit erheblichen Nachteilen im Schulalltag zu rechnen.
Über den hilfsweise gestellten Antrag auf Übernahme der Kosten für eine Schulbegleitung für den Zeitraum von sechs Monaten ist aufgrund der Stattgabe des Hauptantrages nicht zu entscheiden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
Das Verfahren ist nach § 188 Satz 2 Halbs. 1 VwGO gerichtskostenfrei.


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