Verwaltungsrecht

Gewährung von Flüchtlingsschutz an nachgezogene Familienangehörige eines anerkannten syrischen Flüchtlings

Aktenzeichen  Au 4 K 18.31113

Datum:
12.11.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 28244
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 3, § 26

 

Leitsatz

1 Familienasyl nach § 26 AsylG setzt neben dem Asylantrag keinen weiteren, eigenständigen “Antrag auf Familienasyl” an das Bundesamt voraus (wie BayVGH BeckRS 2018, 26778).  (red. LS Clemens Kurzidem)
2 Syrische Staatsangehörige werden im Falle einer Rückkehr über den Flughafen Damaskus oder eine andere Kontrollstelle von staatlichen Stellen nicht deshalb wegen einer (unterstellten) oppositionellen Haltung iSv § 3 AsylG verfolgt, weil sie (illegal) aus Syrien ausgereist sind und in der Bundesrepublik Asyl beantragt haben (wie BayVGH BeckRS 2016, 115159). (Rn. 16) (red. LS Clemens Kurzidem)
3 Die Zugehörigkeit eines syrischen Asylbewerbers zur Religionsgemeinschaft der Sunniten stellt kein gefahrerhöhendes Merkmal dar (wie OVG Bln-Bbg BeckRS 2017, 133666). (Rn. 16) (red. LS Clemens Kurzidem)
4 Angehörigen eines syrischen Militärflüchtigen droht im Falle einer Rückkehr nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine flüchtlingsrechtlich relevante Reflexverfolgung (wie BayVGH BeckRS 2018, 18510) (Rn. 17) (red. LS Clemens Kurzidem)
5 Unverzüglich wird ein Asylantrag nach § 26 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 Alt. 2 AsylG regelmäßig nur dann gestellt, wenn die Antragstellung innerhalb von zwei Wochen nach der Einreise erfolgt (BVerwG BeckRS 9998, 170775). (Rn. 18) (red. LS Clemens Kurzidem)

Tenor

I. Die Beklagte wird verpflichtet, den Klägern zu 2 und zu 3 die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen. Der Bescheid vom 30.05.2018 (Gesch.-Z. 7399352-475) wird in Ziffer 2 aufgehoben, soweit er dem entgegensteht. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Von den Kosten des Verfahrens trägt die Beklagte die außergerichtlichen Kosten der Kläger zu 2 und zu 3. Die außergerichtlichen Kosten der Beklagten trägt die Klägerin zu 1 zu einem Drittel. Im Übrigen tragen die Parteien ihre außergerichtlichen Kosten selbst. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Das Klagebegehren ist – obwohl eine ausdrückliche Antragstellung nicht erfolgte – erkennbar so auszulegen, dass die Kläger die Zuerkennung die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft sowie die Aufhebung des – den Asylantrag teilweise ablehnenden – Bescheids vom 30. Mai 2018 insoweit begehren, als der dem entgegensteht.
Die Klage ist zulässig und hinsichtlich der Kläger zu 2 und zu 3 begründet (1.); hinsichtlich der Klägerin zu 1 ist sie unbegründet (2.).
1. Die Kläger zu 2 und zu 3 haben Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gem. § 26 Abs. 5, Abs. 2 AsylG. Die insoweit erfolgte Ablehnung ihres Asylantrags in Ziffer 2 des Bescheides vom 30. Mai 2018 ist daher rechtswidrig und verletzt die Kläger zu 2 und zu 3 in ihren Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
Die Kläger zu 2 und zu 3 sind die minderjährigen (vier Jahre bzw. ein Jahr alten) Kinder des Herrn, dem unanfechtbar die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt wurde. Dies haben die Kläger unbestritten so vorgetragen und ergibt sich für den Kläger zu 2 bereits aus der Tatsache, dass er im Wege des Familiennachzugs (d.h. zum bereits schutzberechtigten Vater) in die Bundesrepublik eingereist ist. Für das vorliegende Verfahren bestehen auch hinsichtlich des Klägers zu 3 keine Zweifel, dass er das Kind des Herrn … ist, dessen Nachnamen er auch trägt.
Wie der Bayerische Verwaltungsgerichtshof mittlerweile entschieden hat (U.v. 16.10.2018 – 21 B 18.31010 – juris) setzt die Flüchtlingszuerkennung nach § 26 AsylG neben dem Asylantrag keinen weiteren, eigenständigen Antrag voraus. Die Voraussetzungen des § 26 Abs. 5, Abs. 2 AsylG – zu denen, anders als hinsichtlich der Klägerin zu 1, eine unverzügliche Asylantragstellung nicht gehört – waren daher im vorliegenden Verfahren zu prüfen und liegen, wie ausgeführt, vor, so dass der Klage der Kläger zu 2 und zu 3 stattzugeben war.
2. Der Klägerin zu 1 steht hingegen ein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft weder aus eigenen Gründen (2.1) noch abgeleitet von ihrem Ehemann (2.2) zu. Ihr Asylantrag wurde daher in Ziffer 2 des streitgegenständlichen Bescheid insoweit zu Recht abgelehnt (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
2.1 Flüchtling ist gemäß § 3 Abs. 1 AsylG nur, wer begründete Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe hat. Diese Voraussetzungen liegen bei der Klägerin zu 1 nicht vor.
Die Klägerin zu 1 ist nicht vorverfolgt aus Syrien ausgereist. Sie hat vor dem Bundesamt als Grund für ihren Asylantrag ausschließlich Umstände vorgetragen, die dem innerstaatlichen bewaffneten Konflikt in Syrien zuzuordnen sind (vgl. ausdrücklich Anhörungsniederschrift Bundesamt, S. 4: „Wir haben Syrien wegen des Krieges verlassen“). Dementsprechend wurde der Klägerin mit dem streitgegenständlichen Bescheid subsidiärer Schutz gem. § 4 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 3 AsylG gewährt. Auch die im Klageschreiben angeführten Erlebnisse sowie die Befürchtungen bei einer Rückkehr nach Syrien sind dem subsidiären Schutz zuzurechnen, da darunter auch eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG) oder eben die individuelle Bedrohung des Lebens oder Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen des innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG) fällt. Für eine gerade die Klägerin zu 1 betreffende Verfolgungshandlung wegen eines Verfolgungsmerkmals (§ 3a, insbes. Abs. 3 AsylG) ist nichts erkennbar.
Für die Klägerin besteht auch kein gem. § 28 Abs. 1a AsylG beachtlicher Nachfluchtgrund. In der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs, der die Kammer folgt, ist geklärt, dass syrische Staatsangehörige im Falle einer Rückkehr über den Flughafen Damaskus oder eine andere staatliche Kontrollstelle von staatlichen Stellen nicht deshalb wegen einer (unterstellten) oppositionellen Haltung i.S.d. § 3 AsylG verfolgt werden, weil sie (illegal) aus Syrien ausgereist sind und in der Bundesrepublik Asyl beantragt haben (vgl. BayVGH, U.v. 12.12.2016 – 21 B 16.30338 und 21 B 16.30364; B.v. 27.3.2017 – 21 ZB 16.30349; zuletzt etwa B.v. 9.8.2018 – 21 ZB 18.31954 – Rn. 4). Kein gefahrerhöhendes Merkmal bzw. gefahrerhöhender Umstand ist dabei, dass die Klägerin sunnitischen Glaubens ist. In den Fällen, in denen der Bayerische Verwaltungsgerichtshof bei Klägern aus Syrien die Flüchtlingseigenschaft auf Grund einer Ausreise aus Syrien, einer Asylantragstellung und einem Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland verneint hat, hat es sich überwiegend um Sunniten gehandelt (BayVGH, U.v. 12.12.2016 in den Verfahren 21 B 16.30338, 21 B 16.30364, 21 B 16.30371 – alle juris; U.v. 21.3.2017 – 21 B 16.31013 – juris). Auch andere Obergerichte gehen davon aus, dass die Zugehörigkeit zur Religionsgemeinschaft der Sunniten kein gefahrerhöhendes Merkmal ist (vgl. OVG Berlin-Bbg, B.v. 29.11.2017 – OVG 3 N 236.17 – juris Rn. 2; OVG Lüneburg, U.v. 12.9.2017 – 2 LB 750/17 – juris Rn. 55).
Weiter ist in der Rechtsprechung geklärt, dass den Angehörigen eines Militärflüchtigen im Falle der Rückkehr nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine flüchtlingsrechtlich relevante Reflexverfolgung droht (vgl. BayVGH, U.v. 20.6.2018 – 21 B 18.30825 – juris). Selbst wenn also beim Ehemann der Klägerin, weil er sich (noch) im wehrpflichtigen Alter von 18 bis 42 Jahren befindet, eine flüchtlingsrelevante Verfolgung angenommen würde, führte dies nicht zu einer nach § 3 AsylG beachtlichen Verfolgung der Klägerin zu 1.
2.2 Die Klägerin zu 1 hat auch keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gem. § 26 Abs. 5, Abs. 1 AsylG. Sie hat ihren Asylantrag entgegen § 26 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Alt. 2 AsylG nicht unverzüglich nach ihrer Einreise gestellt. Unverzüglichkeit liegt regelmäßig nur bei einer Asylantragstellung binnen zweier Wochen vor (vgl. BVerwG, U.v. 13.5.1997 – 9 C 35/96 – BVerwGE 104, 362 – juris Rn. 10; Günther, in: Kluth/Heusch, BeckOK Ausländerrecht, Rn. 12 zu § 26 AsylG). Im vorliegenden Fall sind jedoch zwischen Einreise der Klägerin zu 1 (25.7.2016) und Antragstellung (8.1.2018 [Eingang des Antrags beim Bundesamt]) an die eineinhalb Jahre vergangen. Eine solche verzögerte Antragstellung kann – auch unter Berücksichtigung der persönlichen Lebensumstände der Klägerin zu 1 und ihrer Familie (vgl. BVerwG, a.a.O.) – und bei Zugestehung einer gewissen Überlegungszeit nicht mehr als unverzüglich gewertet werden.
Von einem früheren, konkludenten Asylantrag – einschließlich eines Antrags auf internationalen Schutz als Familienangehörige gem. § 26 AsylG – bei einer Vorsprache bei der Ausländerbehörde kann nicht ausgegangen werden. Aus dem Schreiben der Kläger vom 27. Dezember 2017 ergibt sich eindeutig, dass erst dies ein Asylantrag i.S.d. § 13 AsylG gewesen ist; Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin zu 1 davon ausgegangen ist, bereits zu einem früheren – von ihr im Übrigen nicht benannten – Zeitpunkt um Asyl bzw. internationalen Schutz nachgesucht zu haben, lassen sich dem Schreiben auch nicht ansatzweise entnehmen.
Auf einen Beratungsfehler oder ein Informationsdefizit seitens der Ausländerbehörde kann sich die Klägerin zu 1 im Zusammenhang mit der fehlenden Unverzüglichkeit nicht berufen. Hiergegen spricht bereits, dass die Rechtsträger von Ausländerbehörde und Bundesamt nicht identisch sind, so dass nicht erkennbar ist, weshalb das Bundesamt ein Verhalten (oder Unterlassen) der Ausländerbehörde kennen bzw. ermitteln und sich zurechnen lassen müsste. Auch enthält der Wortlaut des § 26 AsylG für eine Beratungs- und Informationsverpflichtung, zumal der Ausländerbehörde, keinerlei Anhaltspunkte. Hinweispflichten, gerade zu möglichen Rechtsverlusten bei nicht (rechtzeitiger) Vornahme einer Verfahrenshandlung, sind im AsylG an zahlreichen Stellen (vgl. z.B. § 10 Abs. 7, § 33 Abs. 4 AsylG), aber nicht in § 26 AsylG oder im Zusammenhang mit dem internationalen Schutz als Familienangehöriger, normiert. Ansonsten sind Behörden ohne Anhaltspunkte nicht gehalten, einem Beteiligten ihre Hinweise aufzudrängen; eine Belehrungspflicht setzt einen konkreten Anlass der Beratung voraus (Kyrill-Alexander Schwarz in Fehling/Kastner/Störmer, Verwaltungsrecht, 4. Aufl. 2016, § 25 VwVfG Rn. 14). Es ist aber nicht allgemein Aufgabe der Ausländerbehörde, Beteiligte über die Möglichkeit der Stellung von Asylanträgen, insbesondere über das Institut des „Familienasyls“ zu informieren. Um eine korrekte und sachgerechte Beratung diesbezüglich zu gewährleisten, müsste die Ausländerbehörde umfangreiche Nachfragen und Ermittlungen anstellen. Dies ginge über ihren Zuständigkeitsbereich hinaus. Überdies lässt sich dem allgemeinen Grundsatz des § 25 Abs. 1 Satz 1 AsylG, wonach der Asylantragsteller selbst die für seinen Asylantrag relevanten Angaben machen muss, entnehmen, dass es Sache des Asylantragstellers ist, die nötigen Schritte zu unternehmen oder jedenfalls einzuleiten, um zu seinem Schutzanspruch zu kommen. Regelmäßig – und so auch hier – korrespondieren mit rechtlichen Möglichkeiten (hier: Antrag gem. § 26 AsylG) auch Pflichten, sich hinsichtlich möglicher Ansprüche kundig zu machen. In diesem Zusammenhang ist davon auszugehen, dass der Ehemann der Klägerin genügend Zeit und Möglichkeiten besaß, sich über die asylrechtlichen Möglichkeiten seiner Gesamt-Familie zu informieren. Nachdem sich die Klägerin nunmehr auf die Flüchtlingsanerkennung ihres Ehemanns beruft, ist es daher nicht sachgerecht, allein auf ein Informationsdefizit der Ausländerbehörde abzustellen.
Die Klage der Klägerin zu 1 war daher abzuweisen.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 84 Abs. 1 Satz 3, Abs. 3, § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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