Verwaltungsrecht

Grundstücksvergabe im Rahmen eines Einheimischenmodells

Aktenzeichen  M 1 E 19.5556

Datum:
13.7.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 18771
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 123
BayVwVfG Art. 35 S. 1
BayVwVfG Art. 37 Abs. 1

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, bis zur Entscheidung in der Hauptsache alle Maßnahmen zu unterlassen, die auf die Vergabe des Grundstücks Parzelle Nr. 3 im Rahmen des Einheimischenmodells „… …“ gerichtet sind.
II. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens. Die Beigeladenen tragen ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Der Streitwert wird auf 46.648,40 € festgesetzt.

Gründe

I.
Die Beteiligten streiten um die Vergabe eines Baugrundstücks im Rahmen eines Einheimischenmodells.
In der Zeit vom 4. Mai 2018 bis zum 29. Juni 2018 konnten sich interessierte Bürger im Rahmen des gemeindlichen Fördermodells „… …“ auf den Erwerb von sieben im Eigentum der Antragsgegnerin liegende Grundstücke bewerben. Hierzu gehört auch die streitgegenständliche Parzelle Nr. 3 auf dem Grundstück FlNr. 1617/69 Gemarkung …
Der Vergabe der Grundstücke liegen die Richtlinien für die Vergabe von Bauland durch die Antragsgegnerin vom 20. Februar 2018 (Richtlinien) zugrunde. In Nr. 1.2 der Richtlinien heißt es, dass bei Ehegatten ein gemeinsamer Antrag zu stellen ist. Nach Nr. 2.1 der Richtlinien werden die Grundstücke an die antragsberechtigten Bewerber vergeben, die gemäß den Auswahlkriterien der Vergaberichtlinien die höchste Punktzahl erreichen. Übersteigt die Zahl der zu berücksichtigenden Bewerbungen die Anzahl der zu vergebenen Grundstücke, werden die nicht berücksichtigten Bewerber in eine Ersatzbewerberliste aufgenommen. Zieht ein Bewerber vor der notariellen Beurkundung seinen Antrag zurück, rückt aus der Ersatzbewerberliste der Bewerber mit der höchsten Punktzahl nach.
Die Antragsteller reichten bei der Gemeinde eine Bewerbung für ein Grundstück im Rahmen des Fördermodells ein und gaben als Wunschgrundstück die Parzelle Nr. 3 auf dem Grundstück FlNr. 1617/69 Gemarkung … an. Neben den Antragstellern reichten auch die Beigeladenen eine Bewerbung mit dem gleichen Wunschgrundstück ein. Am 9. Oktober 2018 beschloss der Gemeindesrat der Antragsgegnerin, die Baugrundstücke entsprechend der im Sachvortrag der Gemeindeverwaltung dargestellten Rangliste zu vergeben. In dieser Rangliste nahmen die Beigeladenen mit 110 Punkten Rang acht, die Antragsteller mit ebenfalls 110 Punkten Rang neun ein.
Mit Schreiben vom 19. Oktober 2018 teilte die Antragsgegnerin den Antragstellern mit, dass der Gemeinderat in seiner Sitzung vom 9. Oktober 2018 die Rangliste der Bewerber festgelegt habe und den Antragstellern nach Prüfung aller Bewerbungen die Platzziffer acht zugeteilt worden sei. Da lediglich sieben Baugrundstücke zur Vergabe stehen würden, könne den Antragstellern kein Baugrundstück zugeteilt werden. Die Beigeladenen erhielten Mitte Oktober 2018 ebenfalls ein Schreiben der Antragsgegnerin, in dem diesen mitgeteilt wurde, dass ihnen nach Prüfung aller Bewerbungen die Platzziffer neun zugeteilt worden sei.
Auf Nachfrage des Antragstellers zu 2) bezüglich des weiteren Verfahrensgangs teilte die Antragsgegnerin diesem per E-Mail vom 26. Oktober 2018 mit, dass die Antragsteller aktuell nichts unternehmen müssten. Sollte einer der Bewerber, die einen Zuschlag erhalten hätten, auf den Erwerb des Grundstücks verzichten, würden die Antragsteller als erste Nachrücker hiervon unterrichtet werden.
Mit Bescheid vom 17. Juli 2019 nahm die Antragsgegnerin den Zuteilungsbescheid zugunsten einer Bewerberin, die den Zuschlag für die Parzelle Nr. 3 erhalten hatte, wegen fehlerhafter Angaben in der Bewerbung zurück.
Mit E-Mail vom 21. Oktober 2019 teilte die Antragsgegnerin dem Antragsteller zu 2) Folgendes mit: „Sehr geehrter Herr …, wir müssen Ihnen heute leider mitteilen, dass die Sichtung der Nachrückerliste ergeben hat, dass das Grundstück einem Nachrücker zuzuteilen ist, der im Rang noch vor Ihnen liegt. Wir bitten um Verständnis!“
Daraufhin haben die Antragsteller am … November 2019 Klage (M 1 K 19.5580) zum Bayerischen Verwaltungsgericht München erhoben und beantragt, dass die Mitteilung der Antragsgegnerin vom 21. Oktober 2019 aufgehoben und die Antragsgegnerin verpflichtet wird, das im Rahmen des Fördermodells „… …“ zu vergebende Grundstück, Parzelle Nr. 3, den Antragstellern zuzuteilen und mit diesen einen entsprechenden Kaufvertrag nach Maßgabe der Vergaberichtlinien vom 20. Februar 2018 abzuschließen. Gleichzeitig beantragen die Antragsteller in diesem Verfahren,
1. die Antragsgegnerin zu verpflichten, vorläufig bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung in dem Hauptsache- bzw. Klageverfahren, alle Maßnahmen der weiteren Vollziehung der Vergabe des Grundstücks Parzelle Nr. 3 im Rahmen des Fördermodells „… …“, insbesondere auch den Abschluss eines notariellen Kaufvertrages, zu unterlassen,
2. hilfsweise die aufschiebende Wirkung der Klage vom … November 2019 (M 1 K 19.5580) anzuordnen bzw. wiederherzustellen, soweit der Antrag nach § 123 VwGO nicht die statthafte Antragsart ist.
Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt, dass sich aus Nr. 2.1 der Richtlinien i.V.m. der bestandskräftigen Mitteilung der Antragsgegnerin vom 19. Oktober 2018 ein Anordnungsanspruch der Antragsteller ergebe. Dem Schreiben vom 19. Oktober 2018 und der E-Mail vom 26. Oktober 2018 könne entnommen werden, dass die Antragsteller „erster Nachrücker“ seien. Die Richtlinien sähen auch nicht vor, dass eine erneute Auswahl zwischen den Bewerbern in der Ersatzbewerberliste stattfinde. Die Antragsgegnerin weiche zum Nachteil der Antragsteller von den maßgeblichen Richtlinien ab und verstoße damit gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung aus Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG), Art. 118 Abs. 1 Satz 1 Bayerische Verfassung (BV). Den Antragstellern sei die Parzelle Nr. 3 aufgrund der bestandskräftigen Ranglistenmitteilungen vom Oktober 2018 zuzuteilen. Die Mitteilungen seien auch nicht mehr nach Art. 48 Bayerisches Verwaltungsverfahrensgesetz (BayVwVfG) aufhebbar. Der Anordnungsgrund ergebe sich aus der E-Mail vom 21. Oktober 2019, wonach die Parzelle Nr. 3 einem anderen Nachrücker zugeteilt worden sei. Es sei demnächst mit dem Abschluss eines entsprechenden Kaufvertrages zu rechnen. Da damit der Anspruch der Antragsteller auf Zuteilung bzw. Vergabe dieses Grundstücks nach Nr. 2.1 der Richtlinie vereitelt werden würde, bestehe eine Dringlichkeit für den Antrag.
Die Antragsgegnerin tritt dem entgegen und beantragt,
Der Antrag wird abgelehnt.
Zur Begründung wird vorgetragen, dass der Antrag mangels Rechtsschutzbedürfnisses bereits unzulässig sei. Die in der Hauptsache erhobene Klage sei unzulässig, weil es sich bei der E-Mail vom 21. Oktober 2019 wegen des fehlenden Regelungsgehalts nicht um einen Verwaltungsakt handele. Erst nach Befassung und Beschluss des Gemeinderats, dass die Parzelle Nr. 3 nicht den Antragstellern, sondern einem anderen Bewerber zuzuteilen sei, werde die Antragsgegnerin den Antragstellern einen mit einer Rechtsbehelfsbelehrung:versehenen Negativbescheid zukommen lassen. Im Rahmen dieses Negativbescheides werde die Antragsgegnerin den Bescheid vom 19. Oktober 2018 gemäß Art. 48 BayVwVfG zurücknehmen. Wegen der offensichtlichen Unzulässigkeit der Klage fehle das Rechtsschutzbedürfnis für den Antrag nach § 123 VwGO. Es bestehe zudem kein Anordnungsanspruch der Antragsteller. Den Antragstellern stehe nach den Richtlinien vom 20. Februar 2018 die Platzziffer acht nicht zu. Die Beigeladenen hätten ebenfalls 110 Punkte erreicht und seien entsprechend Nr. 2.3 der Richtlinien bei gleicher Punktzahl wegen des niedrigeren Einkommens gegenüber den Antragstellern vorrangig zu berücksichtigen. Es bestehe im Übrigen gar keine Punktgleichheit, weil bei den Antragstellern fälschlicherweise 5 Punkte zu viel angesetzt worden seien. Die Einkommensobergrenze sei von den Antragstellern nicht um mindestens 10.000,00 € unterschritten worden, weshalb ihnen im Hinblick auf das Kriterium des Einkommens nach Nr. 2.2.1 i.V.m. Nr. 1.5 der Richtlinien keine Punkte zustünden. Die Antragsgegnerin sei aufgrund der bindenden Vorgaben der Richtlinien verpflichtet, nicht den Antragstellern, sondern den Beigeladenen das freigewordene Grundstück FlNr. 1617/69 Gem. … zuzuteilen.
Die Beigeladenen, die das Gericht mit Beschluss vom 10. Juni 2020 beigeladen hat, haben keinen eigenen Antrag gestellt.
Wegen der weiteren Einzelheiten und dem Vorbringen der Beteiligten im Übrigen wird auf die Gerichts- und Behördenakte in diesem sowie im Hauptsacheverfahren M 1 K 19.5580 Bezug genommen.
II.
Der Hauptantrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gem. § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO hat Erfolg.
1. Der Hauptantrag ist zulässig. Der Verwaltungsrechtsweg gem. § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO ist eröffnet. Bei der Vergabe von Grundstücken im Rahmen eines sog. Einheimischenmodells geht es um die Frage, „ob“ ein Einheimischer zu vergünstigten Konditionen Bauland von der Gemeinde erwerben kann. Da Streitigkeiten über das „Ob“ einer hoheitlichen Subventionierung nach der sog. Zweistufentheorie stets öffentlich-rechtlicher Natur sind (vgl. VG München, B.v. 25.11.2003 – M 1 E 03.5151 – juris Rn. 18; U.v. 27.2.1996 – M 1 K 95.174 – BayVBl 1997, 533), ist der Verwaltungsrechtsweg gem. § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO eröffnet.
Ferner stellt der Antrag nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO die richtige Antragsart dar, weil in der Hauptsache eine Verpflichtungsklage in Form einer Versagungsgegenklage i.S.v. § 42 Abs. 1 Alt. 2 VwGO erhoben wurde. Beantragt wird eine Sicherungsanordnung, weil das Begehren der Antragsteller auf das Unterlassen der Vergabe des Grundstücks Parzelle Nr. 3 gerichtet ist und damit auf die Erhaltung des „status quo“.
1.3. Das Rechtsschutzbedürfnis der Antragsteller ist gegeben.
Am Rechtsschutzbedürfnis für den Antrag nach § 123 Abs. 1 VwGO fehlt es, wenn der Antragsteller auch ohne gerichtlichen vorläufigen Rechtsschutz sein Recht sichern oder drohende Nachteile abwehren kann (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 15. Auflage 2019, § 123 Rn. 34; Schoch in Schoch/Schneider/Bier, VwGO, 37. EL Juli 2019, § 123 Rn. 121; Bostedt in Fehling/Kastner/Strömer, Verwaltungsrecht, 4. Auflage 2016 Rn. 21). Die Antragsteller haben ein berechtigtes Interesse an der begehrten Eilentscheidung. Mit einer zivilrechtlich wirksamen Vergabe der Parzelle Nr. 3 an die Beigeladenen würde sich der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigen, weil die Antragsgegnerin den zivilrechtlichen Vollzug und damit die Schaffung eines in Bezug auf das Vergabeverfahren endgültigen Zustandes mit öffentlich-rechtlichen Mitteln nicht mehr rückgängig machen könnte. Zur Sicherung ihres Klageanspruchs sind die Antragsteller daher auf das Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes verwiesen, um den zivilrechtlichen Vollzug der Grundstücksverteilung einstweilen zu verhindern (vgl. VG München, B.v. 25.11.2003 – M 1 E 03.5151 – juris Rn. 18; U.v. 27.2.1996 – M 1 K 95.174 – BayVBl 1997, 533).
Der Einwand der Antragsgegnerin, dass das Rechtsschutzbedürfnis für den Eilantrag nach § 123 Abs. 1 VwGO fehle, weil die E-Mail vom 21. Oktober 2019 mangels Regelungsgehalt keinen Verwaltungsakt i.S.v. Art. 35 Satz 1 BayVwVfG darstelle und die Klage deshalb offensichtlich unzulässig sei, trägt nicht. Zwar wird für das Vorliegen des Rechtsschutzbedürfnisses teilweise verlangt, dass der in der Hauptsache eingelegte Rechtsbehelf nicht offensichtlich unzulässig ist (vgl. VG Würzburg, B.v. 21.10.2019 – W 10 E 19.1318 – juris Rn. 14). Überwiegend wird die Frage des Rechtsschutzbedürfnisses jedoch unabhängig von den Erfolgsaussichten in der Hauptsache betrachtet (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 15. Auflage 2019, § 123 Rn. 34 ff.; Schoch in Schoch/Schneider/Bier, VwGO, 37. EL Juli 2019, § 123 Rn. 120 ff.; Schenke in Kopp/Schenke, VwGO, § 123 Rn. 22; Bostedt in Fehling/Kasten/Strömer, Verwaltungsrecht, 4. Auflage 2016 Rn. 21 ff.), es sei denn, die Hauptsache hat sich erledigt oder ist bestands- bzw. rechtskräftig entschieden worden (vgl. Kuhla in Posser/Wolf, BeckOK VwGO, Stand: 1.7.2019, § 123 Rn. 40 f.; Buchheister in Wysk, VwGO, 3. Auflage 2020). Selbst wenn man jedoch voraussetzt, dass die Klage in der Hauptsache nicht offensichtlich unzulässig sein darf, führt dies hier nicht zu einem Entfallen des Rechtsschutzbedürfnisses, weil nach Auffassung des Gerichts zumindest nicht von vornherein ausgeschlossen ist, dass es sich bei der E-Mail vom 21. Oktober 2019 um einen Verwaltungsakt i.S.v. Art. 35 Satz 1 BayVwVfG handelt.
2. Der Hauptantrag ist begründet.
Gemäß § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann das Gericht auch schon vor Klageerhebung eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung des Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Hierfür sind vom Antragsteller Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch glaubhaft zu machen, § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO. Maßgeblich sind dabei die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung. Ferner darf es grundsätzlich nicht zur Vorwegnahme der Hauptsache kommen.
Im vorliegenden Fall haben die Antragsteller einen Anordnungsanspruch (vgl. unter 2.1) und einen Anordnungsgrund (2.2) glaubhaft gemacht. Mit dem geltend gemachten Unterlassungsanspruch wird auch die Hauptsache nicht vorweggenommen (2.3).
2.1 Der Anordnungsanspruch wurde mit Vorlage des Bescheids vom 19. Oktober 2019, in dem den Antragstellern die Platzziffer acht zugeteilt wurde, glaubhaft gemacht.
Mit dem einstweiligen Rechtsschutzverfahren wird kein eigenes materielles Rechtsschutzziel, sondern letztlich ausschließlich der prozessrechtliche Zweck verfolgt, die Rechtsschutzmöglichkeit in der Hauptsache offen zu halten. Der Anordnungsanspruch stellt dabei die Verbindung zum materiellen Recht her und ist Ausdruck der Akzessorietät zwischen Hauptsacheverfahren und dem einstweiligen Anordnungsverfahren. Die Akzessorietät führt dazu, dass der Anordnungsanspruch nur dann zu bejahen ist, wenn der zu sichernde materielle Anspruch besteht, d.h., wenn der Antragsteller in der Hauptsache voraussichtlich Erfolg haben wird (vgl. BVerfG, B.v. 24.9.2002 – 2 BvR 857/02 – juris Rn. 12; BayVGH, B.v. 25.2.2010 – 12 CE 09.2994 – juris Rn. 22; B.v. 12.2.1990 – 4 CE 90.480 – BayVBl 1990, 343; Happ in Eyermann, VwGO, 15. Auflage 2019, § 123 Rn. 46; Kuhla in Posser/Wolff, BeckOK, Stand: 1.7.2019, § 123 Rn. 76 und 77).
Der zu sichernde materielle Anspruch auf Zuteilung der Parzelle Nr. 3 besteht hier. Zwar ist der Antragsgegnerin einzuräumen, dass nicht die Antragsteller, sondern die Beigeladenen bei Prüfung der Bewerbungen anhand der Vergaberichtlinien die höchste Punktzahl der noch übrigen Bewerber erzielt haben. Dies führt jedoch nicht dazu, dass der Anspruch in der Hauptsache zu verneinen wäre. Denn es verbietet sich wegen entgegenstehender Bestandskraft eine objektive Prüfung entsprechend den Vergaberichtlinien.
Bei dem Schreiben vom 19. Oktober 2018, mit dem den Antragstellern (fälschlich) mitgeteilt wurde, dass sie auf Rang 8 der Bewerbungen seien, handelt es sich um einen Verwaltungsakt, der bestandskräftig geworden und wirksam ist. Angesichts von Inhalt und Form des Schreibens, das auch mit einer Rechtsbehelfsbelehrung:versehen war, ist an der Verwaltungsaktsqualität im Sinne von Art. 35 Satz 1 BayVwVfG nicht vernünftigerweise zu zweifeln. Diese verbindliche Mitteilung der Antragsgegnerin stellt einen Rechtsgrund für die Vergabe der Parzelle Nr. 3 an die Antragsteller dar und schneidet, solange der Verwaltungsakt wirksam i.S.v. Art. 43 Abs. 2 BayVwVfG ist, einen „Durchgriff“ auf das materielle Recht ab. Daran ändert selbst eine mögliche Rechtswidrigkeit des den Anspruch begründenden Verwaltungsakts nichts (vgl. VGH Hessen, U.v. 3.11.2010 – 7 B 1704/10 – juris Ls. und Rn. 21; Stelkens in Stelkens/Bonks/Sachs, VwVfG, 9. Auflage 2018, Rn. 33, 42 und 219 f.). Durch den bestandskräftigen Bescheid vom 19. Oktober 2018 wurde im Ergebnis auch mit Bindungswirkung gegenüber dem Gericht (vgl. Clausing in Schoch/Schneider/Bier, VwGO, 37. EL Juli 2019, § 121 Rn. 28) festgestellt, dass die Antragsteller „erste Nachrücker“ sind und ihnen die Parzelle Nr. 3 zuzuweisen ist.
Zu einem anderen Ergebnis würde man kommen, wenn der Bescheid gem. Art. 48 BayVwVfG aufgehoben worden wäre und deshalb nicht mehr wirksam i.S.v. Art. 43 Abs. 2 BayVwVfG wäre. Der Bescheid vom 19. Oktober 2018 wurde von der Antragsgegnerin jedoch bislang nicht aufgehoben. Eine Aufhebung ist auch nicht durch die E-Mail vom 21. Oktober 2019 an den Antragsteller zu 2) erfolgt. In der E-Mail teilte die Antragsgegnerin dem Antragsteller zu 2) mit, dass die Sichtung der Nachrückerliste ergeben habe, dass das Grundstück einem Nachrücker zuzuteilen sei, der im Rang noch vor ihm liege. Ob es sich hierbei um einen Verwaltungsakt i.S.v. Art. 35 Satz 1 BayVwVfG handelt, kann offenbleiben. Der Inhalt der E-Mail würde nämlich jedenfalls gegen Art. 37 Abs. 1 BayVwVfG verstoßen. Gemäß Art. 37 Abs. 1 BayVwVfG muss ein Verwaltungsakt für seine hinreichende Bestimmtheit angeben, wer von der Regelung des Verwaltungsaktes materiell betroffen, also berechtigt oder verpflichtet wird (vgl. BayVGH, B.v. 10.12.2019 – 4 CS 19.712 – juris Rn. 22; NdsOVG, B.v. 20.5.2020 – 9 LC 138/17 – juris Rn. 37; Stelkens in Stelkens/Bonks/Sachs, VwVfG, 9. Auflage 2018, § 37 Rn. 10). Hieran fehlt es in Bezug auf die Antragstellerin zu 2); sie ist weder als Bekanntgabe- noch als Inhaltsadressatin genannt. Hingegen war der Bescheid vom 19. Oktober 2018, um dessen Aufhebung es in Form des actus contrarius ginge, an beide Antragsteller adressiert, dem auch ein gemeinsamer Antrag der Eheleute zugrunde lag. Hingegen wurde die E-Mail vom 21. Oktober 2019 lediglich an die E-Mail-Adresse des Antragstellers zu 1) gesendet, obwohl die Antragstellerin zu 2) in den Bewerbungsunterlagen eine eigene E-Mail-Adresse angegeben hatte. Da in der E-Mail zudem nur der Antragsteller zu 1) angesprochen wurde, hat sich die Antragsgegnerin nicht an die Antragstellerin zu 2) als ebenfalls materiell betroffene Person gewandt, der gegenüber der Bescheid aufzuheben gewesen wäre. Es liegt somit ein Verstoß gegen Art. 37 Abs. 1 BayVwVfG vor. Der Verstoß erstreckt sich auch auf den Antragsteller zu 1). Dem Bescheid vom 19. Oktober 2018 lag ein gemeinsamer Antrag der Antragsteller zugrunde (vgl. Nr. 1.2 der Richtlinien). Die daraus folgende einheitliche Entscheidung über die erreichte Platzziffer ist deshalb nicht teilbar, was aber die (Grund-)Voraussetzung für eine Teilrücknahme i.S.v. Art. 48 Abs. 1 Satz 1 BayVwVfG wäre. Im Übrigen geht auch die Antragsgegnerin nicht davon aus, dass mit ihrer E-Mail eine Aufhebung erfolgte.
2.2. Die Antragsteller haben mit der Vorlage der E-Mail vom 21. Oktober 2019 einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Für die Bejahung des Anordnungsanspruchs braucht es eine besondere Dringlichkeit der Sache (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 15. Auflage 2019, § 123 Rn. 53). Diese besteht hier, weil die Antragsteller nach der E-Mail vom 21. Oktober 2019 mit der Vergabe der Parzelle Nr. 3 an die Beigeladenen zu rechnen haben und der zivilrechtliche Vollzug einen Zustand schaffen würde, der von der Antragsgegnerin mit öffentlich-rechtlichen Mitteln nicht mehr rückgängig gemacht werden könnte.
2.3. Durch die Geltendmachung des Unterlassungsanspruchs tritt keine Vorwegnahme der Hauptsache ein.
Nach § 123 Abs. 1 VwGO kann das Gericht eine „einstweilige“ Entscheidung zur Regelung eines „vorläufigen“ Zustands treffen. Das Gericht darf also im Grundsatz nur die Lage offenhalten, um zu vermeiden, dass das streitige Recht bis zur Klärung im Hauptsacheprozess untergeht oder seine Durchsetzung wegen des Zeitablaufs mit wesentlichen Nachteilen verbunden ist. Eine Vorwegnahme der Hauptsache ist grundsätzlich verboten (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 15. Auflage 2019, § 123 Rn. 66a). Die Antragsteller begehren, dass die Antragsgegnerin bis zur rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache alle auf die Vergabe der Parzelle Nr. 3 gerichteten Maßnahmen unterlässt. Zweck des Antrags ist es also sicherzustellen, dass eine Grundstücksvergabe an die Antragsteller weiterhin möglich ist. Da die Antragsgegnerin die Parzelle Nr. 3 nur temporär an der Vergabe gehindert ist und diese auch später noch veräußern kann, führt das einstweilige Unterlassen der Grundstücksvergabe bei keinem der Beteiligten zu vollendeten Tatsachen. Die Hauptsache wird deshalb durch den Antrag nicht vorweggenommen.
3. Über den Hilfsantrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO war nicht zu entscheiden, weil der Antrag nach § 123 VwGO die statthafte Antragsart ist (vgl. 1.2.). Es fehlt daher bereits am Eintritt der Bedingung für den Hilfsantrag.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Da die Beigeladenen keinen Antrag gestellt und sich damit keinem Kostenrisiko ausgesetzt haben, tragen sie ihren außergerichtlichen Kosten selbst, §§ 154 Abs. 3, 162 Abs. 3 VwGO.
5. Die Streitwertfestsetzung folgt §§ 45 Abs. 1 Satz 2, 52 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 1 GKG i.V.m. Nr. 1.1.4, 1.5, 44.1.1 des Streitwertkatalogs 2013 für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.
Die Antragsteller begehren in der Sache die Gewährung einer Subvention beim Kauf eines Baugrundstücks. Zur Bewertung des Interesses kann der geldwerte Vorteil dieser Begünstigung (Nr. 44.1.1 des Streitwertkatalogs 2013 für die Verwaltungsgerichtsbarkeit) Berücksichtigung finden (vgl. BayVGH, B.v. 26.4.2007 – 4 C 07.342 – juris Rn. 2). Das Einheimischenmodell der Antragsgegnerin sieht einen Verkauf gemeindeeigener Grundstücke an den begünstigten Personenkreis zu einem erheblich unter dem Marktwert liegenden Preis vor. Die Antragsgegnerin hat angegeben, die Grundstücke zu einem Preis von ca. 404,40 €/m2 zu vergeben. Der Verkehrswert der Grundstücke beträgt nach der Auskunft des Gutachterausschusses im Landratsamt Erding 740 €/m2 (vgl. Seite 84 der Behördenakte). Da die Antragsteller sich mit der Parzelle Nr. 3 um ein ca. 556 m² großes Grundstück beworben haben, beträgt der geldwerte Vorteil der Vergünstigung folglich 186.593,60 € ((740 €/m2 x 556 m²) – (404,40 €/m2 x 556 m²)). Davon ist allerdings ein Abschlag zu machen, weil Grundstückskäufer beim Einheimischenmodell langfristige Veräußerungs- und Vermietungsbeschränkungen hinnehmen müssen (vgl. BayVGH, B.v. 2.3.2017 – 4 ZB 16.1852 – BayVBl 2018, 281, juris Rn. 18; BayVGH, B.v. 26.4.2007 – 4 C 07.342 – juris Rn. 2). Der darin liegende „Nachteil“ ist mit einem Abzug um ein Halb zu berücksichtigen (93.296,80 €). Der halbierte Betrag ist im vorläufigen Rechtsschutzverfahren nochmals zu halbieren (Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs), sodass der Streitwert im Ergebnis auf 46.648,40 € festzusetzen ist.


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