Verwaltungsrecht

Hilfe zur Erziehung in Form von Verwandtenpflege

Aktenzeichen  M 18 E 18.1892

Datum:
29.8.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 25702
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
SGB VIII § 27, § 33, § 39
VwGO § 123

 

Leitsatz

1. Ein Anspruch auf Pflegegeld nach § 39 SGB VIII setzt die Gewährung einer Hilfe nach den §§ 32 bis 35 bzw. § 35a Abs. 2 Nr. 2 bis 4 SGB VIII voraus. Das sogenannte „Pflegegeld“ stellt mithin lediglich einen Annex-Anspruch aus den vorgenannten Hilfegewährungen dar (BVerwG BeckRS 2012, 50030) und kann nur bei Vorliegen aller Voraussetzungen der §§ 27, 33 SGB VIII gewährt werden. (Rn. 35) (redaktioneller Leitsatz)
2. Bei der Prüfung der notwendigen und geeigneten Hilfe zur Erziehung besteht ein Einschätzungsspielraum des Trägers der Jugendhilfe. Ist bei einem erzieherischen Ausfall der Eltern ein Verwandter bereit, ein Kind bei sich aufzunehmen und zu erziehen, kann dies nicht dazu führen, dass die Notwendigkeit der Vollzeitpflege verneint wird (BayVGH BeckRS 2016, 49247 mwN). (Rn. 41) (redaktioneller Leitsatz)
3. Bei der Beurteilung der Eignung bezüglich der Erziehungsfähigkeit einer Person ist nicht den fachlichen Beurteilungen der Antragsgegnerin, sondern den Beurteilungen des familienpsychologischen Sachverständigengutachtens zu folgen.  (Rn. 44) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Antragsgegnerin wird einstweilen ab dem … bis zum … verpflichtet, der Antragstellerin Hilfe zur Erziehung in Form von Vollzeitpflege inklusive monatlichem Pflegegeld zu gewähren.
II. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

I.
Die Antragstellerin begehrt die einstweilige Anordnung der Verpflichtung der Antragsgegnerin, ihr Hilfe zur Erziehung in Form von Vollzeitpflege und Pflegegeld ab Antragseingang zu gewähren.
Am …  wurde das Kind H. des Sohnes der Antragstellerin geboren. Wegen bestehender Suchterkrankungen der Eltern und häuslicher Gewalt zwischen diesen wurde H. bei der Antragstellerin am 27. Februar 2015 in Obhut genommen. Mit Beschluss des Amtsgerichts München – Familiengericht – vom 27. März 2015 (521 F 3226/15) wurde den sorgeberechtigten Eltern u.a. das Recht zur Aufenthaltsbestimmung und das Recht zur Beantragung von Jugendhilfemaßnahmen nach §§ 27 ff. SGB VIII für H. vorläufig entzogen. Als Ergänzungspfleger wurde das Jugendamt der Antragsgegnerin eingesetzt.
Mit Bescheid der Antragsgegnerin vom …, adressiert an die Ergänzungspflegerin, wurde Hilfe zur Erziehung in Form von Verwandtenpflege bei der Antragstellerin für H. gewährt. Das Pflegeverhältnis begann am 21. Dezember 2015. Es wurde Pflegegeld für die Zeit ab dem 1. Oktober 2016 in Höhe von monatlich … * bis auf weiteres gewährt. Unter dem Begriff „Hinweise“ in der Bescheidsbegründung wurde erklärt, dass die Hilfe mit Austritt aus der Maßnahme ende.
In einem ärztlichen Bericht des …Kinderzentrums … vom 10. März 2016 wurden Entwicklungsverzögerungen bei H. trotz des Vorliegens einer (früheren) psychosozialen Belastungssituation ausgeschlossen.
H. besuchte ab September 2016 von Montag bis Donnerstag eine Kinderkrippe, wobei er beim morgendlichen Bringen Probleme bei der Trennung von der Antragstellerin zeigte. Wegen Auffälligkeiten Hs. informierte die Kinderkrippe die Ergänzungspflegerin und erklärte, einen Integrationsbedarf bei H. zu sehen. Diese Meldung sowie Begründung hierfür ist nicht aktenkundig. H. erhielt auf Antrag der Ergänzungspflegerin einen Integrationsplatz in der Kinderkrippe und dort heilpädagogische Einzelstunden bei einer Heilpädagogin.
Im Verlauf des Frühjahres 2017 eskalierte auf aus den vorgelegten Akten nicht mehr nachvollziehbare Weise ein Konflikt zwischen der Antragsgegnerin, der Kinderkrippe und der betreuenden Heilpädagogin auf der einen Seite und der Antragstellerin auf der anderen Seite.
Die Antragstellerin empfand das Bindungs- und sonstige sozio-emotionale Verhalten von H. (Trennungsangst, Angst vor dem Wind, etc.) als altersangemessen und konnte keinen Integrationsbedarf erkennen. Sie erschien zwar zu Gesprächen bei der Heilpädagogin, machte ihren diesbezüglichen Standpunkt jedoch deutlich. Im weiteren Verlauf meldete die Antragstellerin H. zumindest an einem Tag, an dem eine heilpädagogische Stunde hätte stattfinden sollen, krank, wobei sich später heraus stellte, dass sie mit H. den Zoo besucht hatte. Durch die Kinderkrippe wurde dokumentiert, dass die Antragstellerin bei einigen hektischen Gelegenheiten in der Bring- und Abholphase (z.B. anschließender Impf- und Arztermin) ungeduldig mit H. umgegangen und nicht auf seine Bedürfnisse eingegangen sei. Weiter ergaben sich Probleme mit der Esssituation in der Kinderkrippe, da H. dort sehr wenig zu sich nahm.
Sowohl die Ergänzungspflegerin als auch die Kinderkrippe befürworteten, dass H. ab Herbst 2017 einen Integrationskindergarten besuchen sollte. Die Ergänzungspflegerin stornierte die bereits erfolgte Anmeldung im örtlichen Kindergarten und beantragte die Aufnahme in einem etwas entfernteren Integrationskindergarten. Mit dieser Entscheidung war die Antragstellerin nicht einverstanden, da sie einen Integrationsbedarf bei H. nicht erkenne und nach ihrer Ansicht für H. negative Beziehungsabbrüche beim Übergang von Kinderkrippe zu Kindergarten und von Kindergarten in die Sprengelgrundschule vermeiden wolle.
Der Konflikt verschärfte sich dadurch, dass die Antragstellerin eigenmächtig einen von der Kinderärztin befürworteten Kurantrag für H. bei der Krankenkasse eingereicht hatte, obwohl ihr vom Jugendamt der Antragsgegnerin mitgeteilt worden war, dass hierfür die Ergänzungspflegerin zuständig sei. Nach Angaben der Antragstellerin hatte sie die Ergänzungspflegerin trotz mehrfacher Anrufversuche nie erreichen können, während nach Angaben der Ergänzungspflegerin eine Kontaktaufnahme durch die Antragstellerin seit Ende 2016 nicht erfolgt sei.
Am 10. April 2017 gab die Ergänzungspflegerin an die intern zuständige Stelle des Jugendamts der Antragsgegnerin eine Gefährdungsmeldung nach § 8a SGB VIII ab. Bei einem Besuch der Ergänzungspflegerin in der Kinderkrippe am 6. April 2017 habe sie H. weinend und noch mit Winterkleidung bekleidet in der Gruppe vorgefunden. Laut den Erzieherinnen sei H. an diesem Tag nach erneuter längerer Krankheit den ersten Tag wieder in der Kinderkrippe gewesen. Der Junge habe sich nicht ablenken lassen, immer wieder zu weinen begonnen und vollkommen in sich gekehrt und teilnahmslos gewirkt. Er habe den Kontakt mit anderen Kindern gemieden und einen sehr traurigen, beinahe depressiven Eindruck auf die Ergänzungspflegerin gemacht. Aus ihren Beobachtungen sei deutlich geworden, dass H. psychisch einem starken Leidensdruck ausgesetzt und sein psychisches Wohl massiv gefährdet sei. Im bisherigen Fallverlauf habe sich in der Zusammenarbeit mit der Antragstellerin ein äußerst ambivalentes Verhalten erkennen lassen. In einer kürzlich gemachten Aufnahme auf dem Anrufbeantworter der Kinderkrippe, bei welcher die Antragstellerin offenbar versehentlich vergessen habe, das Gespräch zu beenden, sei eine erschreckende Interaktion zwischen der Antragstellerin und H. zu hören gewesen (lautes Schimpfen trotz Weinens des H.). Laut der fachlichen Einschätzung des Jugendamtes liege bei H. bereits ein ambivalentes Bindungsverhalten vor, sodass er dringend ein emotional stabiles Umfeld benötige. Das erleben ständiger „Double binds“ von Seiten der Antragstellerin werde langfristig seine emotionale Entwicklung massiv gefährden. Die Weigerung der Antragstellerin, zusammen mit dem Helfersystem einem Integrationsplatz in einem Kindergarten zuzustimmen, sei kindswohlgefährdend. Nach Mitteilungen der Kinderkrippe und auch persönlichen Erfahrungen der Ergänzungspflegerin trete die Antragstellerin auch im Beisein von H. sehr entwertend, lautstark, aggressiv und feindselig auf. Ein weiterer Verbleib von H. im Haushalt der Antragstellerin sei nicht mehr tragbar. Ein sanfter Übergang mit Einwilligung der Antragstellerin erscheine anhand des Auftretens der Antragstellerin unrealistisch. Die Reaktion der Antragstellerin bei einer vorherigen Einbindung in eine beabsichtigte Herausnahme von H. könne in keiner Weise eingeschätzt werden und erscheine unberechenbar.
Am selben Tag erfolgte eine Gefährdungseinschätzung und eine fachliche Beratung der Antragsgegnerin. Das Jugendamt der Antragsgegnerin folgte der Einschätzung der Ergänzungspflegerin. H. wurde von Mitarbeiterinnen der Antragsgegnerin am 17. Mai 2017 von der Kinderkrippe abgeholt und in ein Heim gebracht. Am selben Vormittag erfolgte ein Gespräch der Antragsgegnerin mit der Antragstellerin, in dem ihr die Verbringung von H. in ein Heim sowie die Gründe der Antragsgegnerin hierfür eröffnet wurden.
Die damalige Bevollmächtigte der Antragstellerin beantragte daraufhin beim Amtsgericht München – Familiengericht – am 22. Mai 2017 den Erlass einer einstweiligen Anordnung bezüglich des Aufenthalts von H. und beantragte zusätzlich die Abänderung des Sorgerechts insoweit, dass die den Eltern entzogen Sorgerechtsteile der Antragstellerin eingeräumt würden. In den daraufhin eingeleiteten familiengerichtlichen Verfahren (521 F 4974/17, 521 F 4968/17) wurde der Antrag auf sofortige Herausgabe von H. an die Antragstellerin abgelehnt. Bezüglich des Sorgerechtsverfahrens wurden ein familienpsychologisches Sachverständigengutachten über die Erziehungsfähigkeit sowie ein ergänzendes psychiatrisches Sachverständigengutachten über die Antragstellerin eingeholt.
Mit Bescheid der Antragsgegnerin vom …, adressiert an die Ergänzungspflegerin, wurde für H. Hilfe zur Erziehung in Form von Heimerziehung ab dem … gewährt. Unter dem Begriff „Hinweise“ in der Bescheidsbegründung wird erklärt, dass die Hilfe mit Austritt aus der Maßnahme ende.
Im psychiatrischen Sachverständigengutachten vom 30. Oktober 2017 wurde im Ergebnis eine narzisstische Persönlichkeitsakzentuierung bei der Antragstellerin diagnostiziert. Die grundlegende Erziehungsfähigkeit der Antragstellerin sei nicht wesentlich beeinträchtigt. In Konfliktsituationen könnten sich psychische Defizite auch einschränkend auf die Erziehungsfähigkeit auswirken, wenn beispielsweise ihre Mitwirkung an erforderlichen Fördermaßnahmen verweigert oder Probleme des Enkels herabgespielt oder verleugnet würden. Eine Kindeswohlgefährdung sei jedoch bei einem Verbleib von H. bei der Antragstellerin nicht zu besorgen. Psychiatrisch erscheine eine langfristig angelegte Unterstützung der Antragstellerin durch psychologische Beratungsgespräche indiziert. Die Antragstellerin habe sich hierfür offen gezeigt.
In dem sehr umfangreichen und durch persönliche und telefonische Gespräche mit zahlreichen Personen aus Hs. Umfeld sehr fundiertem familienpsychologische Sachverständigengutachten vom 4. Dezember 2017 ist zusammenfassend festgehalten, dass sich der Verlauf und die Eskalation des Konflikts zwischen den Beteiligten im Frühjahr 2017 wegen entgegenstehender Aussagen nicht aufklären lassen würden. Die Gutachterin stellte jedoch eindeutig fest, dass der Konflikt und die abnehmende Wertschätzung der jeweils anderen Parteien auf beiden Seiten eskaliert sei. Durch fundierte Auseinandersetzung mit den Berichten der Kinderkrippe, der Ergänzungspflegerin und der Heilpädagogin stellte die Sachverständige dar, dass die Berichte der benannten Beteiligten in den Aussagen über die Probleme des H. und des Verhaltens der Antragstellerin unstimmig und im Verlaufe des eskalierenden Konfliktes ständig verschärft worden seien. H. sei aus Sachverständigensicht – auch des behandelnden Psychiaters des Heims und der vorher behandelnden Kinderärztin – altersangemessen entwickelt (gewesen) und habe adäquates (sozio-emotionales) Verhalten an den Tag gelegt; es habe von Seiten der Kinderkrippe, des Jugendamts und der Heilpädagogin eine fachlich sehr zweifelhafte Pathologisierung des altersangemessenen Verhaltens des H. stattgefunden. In Ergebnis wird festgehalten, dass die Beziehungs-, Erziehungs- und Förderkompetenz der Antragstellerin im Hinblick auf H. als ausreichend gegeben zu bewerten seien. Aufgrund der im Gutachten diagnostizierten Persönlichkeitsakzentuierung, die mit erhöhter Kränkbarkeit gegenüber Kritik einhergehe, könne in der Folge situativ die Feinfühligkeit gegenüber kindlichen Bedürfnissen beeinträchtigt und unter Umständen die Kooperation mit Fachkräften erschwert sein. Angemessene Anforderungen und eine wertschätzende Haltung vorausgesetzt sei die Kooperationsfähigkeit und -bereitschaft der Antragstellerin jedoch gegeben. Eine psychologische Beratung der Antragstellerin sowie eine Erziehungsberatung seien aus familienpsychologischer Sicht indiziert. Die Antragstellerin sei auch bereit hierzu.
Wie in der familiengerichtlichen mündlichen Verhandlung und dem anschließenden Hilfeplangespräch vom 20. Dezember 2017 zwischen den Parteien vereinbart, wurde H. am 22. Dezember 2017 der Antragstellerin übergeben. Die Antragsgegnerin erklärte, dass sie dem Gutachten kritisch gegenüber stünde. Eine akute Kindeswohlgefährdung werde zwar nicht gesehen, dennoch werde aus fachlicher Sicht weiter empfohlen, dass H. in einer stationären Jugendhilfe betreut werde.
Mit familiengerichtlichem Beschluss vom 18. Januar 2018 (521 F 4974/17) wurden u.a. das Aufenthaltsbestimmungsrecht und das Recht zur Beantragung von Jugendhilfemaßnahmen der Antragstellerin übertragen und die Ergänzungspflegschaft der Antragsgegnerin aufgehoben. Die Verbringung von H. in ein Heim sei laut dem Sachverständigengutachten nicht erforderlich gewesen. Die Erziehungskompetenz der Antragstellerin unterliege keinen Einschränkungen. Die von der psychiatrischen Gutachterin empfohlene Therapie werde von ihr wahrgenommen. Der Eintritt des Kindes in einen Regelkindergarten begegne nach den Ergebnissen der Gutachten keinen Bedenken, da Entwicklungsdefizite oder ein erhöhter Förderbedarf beim Kind nicht vorlägen.
Mit E-Mail vom … beantragte die Antragstellerin „Pflegegeld“ für H. beim Jugendamt des Landkreises, in dem sie und H. ihren Wohnsitz haben. Zuständigkeitshalber wurde der Antrag an die Antragsgegnerin weitergeleitet.
Die Antragsgegnerin erklärte mit Schreiben vom … an den Wohnsitzlandkreis der Antragstellerin, das mit Anschreiben vom 14. März 2018 der Antragstellerin zuging, aus welchen pädagogischen Gründen eine Ablehnung des Antrags erfolgt sei.
Mit Bescheid vom …, adressiert an die Antragstellerin, wurde der Antrag auf Gewährung von Hilfe zur Erziehung in Form von Verwandtenpflege abgelehnt. Es bestehe nach den Feststellungen des Familiengerichts kein erzieherischer Bedarf bei H.. Es bestünden weiterhin Zweifel an der Erziehungsfähigkeit der Antragstellerin, da diese nicht im erforderlichen Maße mit der Jugendhilfe zusammenarbeite und damit das Kindeswohl in seiner weiteren Entwicklung gefährde, zum Beispiel bei der Entscheidung des Wechsels in einen Förderkindergarten. Aufgrund der in dem psychiatrischen Gutachten geschilderten Persönlichkeitsstruktur der Antragstellerin könne Hs. Entwicklungs- und Erziehungsbedarf durch die Antragstellerin nicht ausreichend gedeckt werden. Es bestünde eine Gefährdung im sozio-emotionalen Bereich. Bei einer ausschließlich auf Finanzierungsabsichten fokussierten Verwandtenpflege sei nicht die Jugendhilfe zuständig, sondern auf das SGB XII zu verweisen. Am 24. März 2018 wurde der Bescheid der Antragstellerin zugestellt.
Mit Schreiben der Bevollmächtigten der Antragstellerin vom 23. März 2017 legte diese gegen das Schreiben vom … Widerspruch ein.
Mit Schriftsatz der Bevollmächtigten der Antragstellerin vom 19. April 2018, der am selben Tag beim Bayerischen Verwaltungsgericht München einging, beantragte diese im Namen der Antragstellerin,
die Antragsgegnerin im Rahmen einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, der Antragstellerin Leistungen nach dem SGB VIII in Form von Verwandtenpflegegeld ab sofort zu gewähren.
Zur Begründung wurde vorgetragen, dass Leistungen der Verwandtenpflege nach §§ 27, 33 SGB VIII zwischen den Parteien im Streit stünden. Mit Bescheiden vom … und … sei eine Ablehnung erfolgt. Die Antragsgegnerin sei nicht berechtigt, sich über den gerichtlichen Beschluss des Amtsgerichts Münchens, mit dem der Antragstellerin die elterliche Sorge zugesprochen worden sei, hinwegzusetzen. Mit Bescheid vom … sei die Verwandtenpflege bewilligt worden und es habe sich an der Situation seither nichts geändert. Die Zweifel an der Erziehungsfähigkeit der Antragstellerin im Umgang mit dem Kind und im Hinblick auf zu treffenden Entscheidungen seien schlichtweg falsch. Die Antragstellerin sei Rentnerin und könne nicht für den Lebensunterhalt für sich und das Enkelkind sorgen.
Mit Schriftsatz vom 16. Mai 2018 beantragte die Antragsgegnerin, den Antrag abzulehnen.
Ein Anordnungsanspruch sei nicht gegeben. Entsprechend der Einschätzung durch das Familiengericht liege kein erhöhter gesonderter Erziehungsbedarf beim Kind vor. Weiterhin würden keine Leistungen nach § 33 SGB VIII gesehen, da die wesentliche Voraussetzung der Zusammenarbeit von Seiten der Antragstellerin nicht vorliege. Mit dem Eilantrag der Antragstellerin habe sich eine Gesprächsbitte der Antragsgegnerin an die Antragstellerin zeitlich überschnitten. Am 2. Mai 2018 habe die Bevollmächtigte der Antragstellerin das Gesprächsangebot abgelehnt. Rechtlich werde auf das Urteil des VG München vom 6.9.2017 (M 18 K 16.5286 – juris Rn. 37f) verwiesen.
Die Bevollmächtigte der Antragstellerin legte mit Schriftsatz vom 15. Juni 2018 Unterlagen zur finanziellen Situation der Antragstellerin vor.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die vorgelegte Behördenakte sowie die Gerichtsakte, insbesondere auf das Sachverständigengutachten im familiengerichtlichen Verfahren vom 4. Dezember 2017, Bezug genommen.
II.
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat Erfolg.
Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Voraussetzung ist, dass der Antragsteller das von ihm behauptete streitige Recht (den Anordnungsanspruch) und die drohende Gefahr seiner Beeinträchtigung (den Anordnungsgrund) glaubhaft macht, § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO. Maßgebend sind dabei die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung.
Ein Anordnungsanspruch der Antragstellerin konnte glaubhaft gemacht werden.
Ein solcher Anordnungsanspruch kann sich bereits aus dem Bescheid der Antragsgegnerin an die Ergänzungspflegerin vom … ergeben. Die Hilfe zur Erziehung in Form von Verwandtenpflege bei der Antragstellerin sowie Pflegegeldgewährung wurde in diesem bis auf weiteres bewilligt.
Ein Aufhebungsbescheid bezüglich des Bescheides vom … ist nicht aktenkundig. Auch im Bewilligungsbescheid von Hilfe zur Erziehung in Form von Heimerziehung vom … wurde der Bescheid vom … nicht aufgehoben. Die in beiden Bescheiden unter dem Stichpunkt „Hinweise“ gegebene Information, dass die Hilfe spätestens mit Beendigung der Maßnahme ende und unter Vorbehalt der Ergebnisse der jeweiligen Hilfeplan-Überprüfung gewährt werde, stellt keine rechtsverbindliche Nebenbestimmung dar.
Das Gericht ist bezüglich des Zeitraums vor dem Eingang der Antragsschrift nach § 88 VwGO an den von der Antragstellerin geltend gemachten Zeitraum gebunden.
Ein Anspruch der Antragstellerin auf Hilfe zur Erziehung in Form von Vollzeitpflege für H. im Sinne der §§ 27, 33 SGB VIII liegt nach summarischer Prüfung – selbst bei erfolgter bzw. noch folgender Aufhebung des Bescheids vom … – zum aktuellen Zeitpunkt vor.
Sowohl der Antrag der Antragstellerin bei der Behörde als auch der Antrag auf einstweilige Anordnung wird als Antrag auf Gewährung von Hilfe zur Erziehung inklusive Pflegegeld gewertet. Ein Anspruch auf Pflegegeld nach § 39 SGB VIII kann nicht isoliert gegenüber der Antragsgegnerin geltend gemacht werden. Ein Anspruch nach § 39 SGB VIII setzt schon nach dem Wortlaut des § 39 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII die Gewährung einer Hilfe nach den §§ 32 bis 35 bzw. § 35a Abs. 2 Nr. 2 bis 4 SGB VIII voraus. Das sogenannte „Pflegegeld“ nach § 39 SGB VIII stellt mithin lediglich einen Annex-Anspruch aus den vorgenannten Hilfegewährungen dar (BVerwG, U.v. 1.3.2012 – 5 C 12.11 -, juris Rn. 19) und kann nur bei Vorliegen aller Voraussetzungen der §§ 27, 33 SGB VIII gewährt werden.
Nach § 27 Abs. 1 SGB VIII hat ein Personensorgeberechtigter bei der Erziehung eines Kindes Anspruch auf Hilfe zur Erziehung, wenn eine dem Wohl des Kindes entsprechende Erziehung nicht gewährleistet ist und die Hilfe für seine Entwicklung geeignet und notwendig ist.
Mit Beschluss des Familiengerichtes vom 18. Januar 2018 (521 F 4974/17) ist die Antragstellerin als Personensorgeberechtigte bezüglich der Beantragung von Jugendhilfemaßnahmen anzusehen und somit aktivlegitimiert.
Ein erzieherischer Bedarf des H. ist vorliegend gegeben. Abgesehen davon, dass der Bayerische Verwaltungsgerichtshof bereits bei einem objektiven Ausfall eines Elternteiles einen erzieherischen Bedarf angenommen hat (BayVGH, B.v. 30.6.2016 – 12 C 16.1162 -, juris Rn. 24 für den Fall eines unfallbedingten Todes der Kindsmutter und eines dadurch alleinerziehenden, vollzeittätigen Vaters eines schwerverletzten Säuglings und eines Kleinkind), ist vorliegend festzustellen, dass beide Elternteile nicht willens bzw. in der Lage sind, die Erziehung des H. zu übernehmen. Schon aufgrund der seit der Herausnahme des Kindes beständig bestehenden und gut dokumentierten Alkohol- und Substanzsucht und handgreiflicher Konflikte beider Elternteile ist ein Ausfall der Erziehungsleistung durch die Eltern offensichtlich. Auch bei Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts und anderer Teile des Sorgerechts auf die Antragstellerin ist bei Ermittlung eines erzieherischen Bedarfs lediglich auf die Möglichkeit der Bedarfsdeckung durch die leiblichen Eltern des Kindes abzustellen. Unerheblich ist hingegen, ob ein Verwandter den Bedarf des Kindes im Einvernehmen mit den leiblichen Eltern freiwillig deckt. Dadurch kann der Bedarf als solcher nicht entfallen, sondern lediglich die Notwendigkeit der Bedarfsdeckung durch den Träger der Jugendhilfe (BayVGH, B.v. 30.6.2016 – 12 C 16.1162 – juris Rn. 19, 22f).
Die Hilfe zur Vollzeitpflege bei der Antragstellerin ist vorliegend auch notwendig und geeignet, um den erzieherischen Bedarf des H. zu decken.
Dem Träger der Jugendhilfe ist bei der Auswahl der notwendigen und geeigneten Hilfeleistung ein gerichtlich nur begrenzt überprüfbarer Einschätzungsspielraum zuzuerkennen, sodass sich die verwaltungsgerichtliche Überprüfung grundsätzlich darauf zu beschränken hat, ob allgemeingültige fachliche und rechtliche Maßstäbe beachtet worden sind, ob keine sachfremden Erwägungen eingeflossen sind und die Leistungsadressaten in umfassender Weise beteiligt wurden (BayVGH, B.v. 30.6.2016 – 12 C 16.1162 – juris Rn. 28 mwN).
Vorliegend ist nach Ansicht des Gerichts bei der Prüfung der Notwendigkeit der Hilfe zur Erziehung in Form der Vollzeitpflege bei der Antragstellerin der Einschätzungsspielraum der Antragsgegnerin nicht sachgerecht ausgeschöpft worden. Bezüglich der Notwendigkeit der Unterbringung von H. durch die Jugendhilfe ist offensichtlich, dass bei Hinwegdenken der Aufnahme des H. bei der Antragstellerin, eine Versorgungslücke entsteht, die durch jugendhilferechtliche Maßnahmen (Pflegefamilie- oder Heimunterbringung) abgedeckt werden müsste. Die Bereitschaft der Antragstellerin als Großmutter von H., diesen bei sich aufzunehmen und zu erziehen, kann bei Bejahung eines bestehenden Bedarfs des Kindes wegen Erziehungsdefiziten der leiblichen Eltern nicht dazu führen, dass die Notwendigkeit der Vollzeitpflege verneint wird. Dies wurde durch die Einfügung des § 27 Absatz 2a SGB VIII in den Gesetzestext deutlich gemacht (BayVGH, B.v. 30.6.2016 – 12 C 16.1162 – juris Rn. 27f mwN).
Auch die Eignung der Antragstellerin als Pflegepersonen für H. ist nach summarischer Prüfung des Gerichts unter Berücksichtigung des lediglich eingeschränkten Prüfmaßstabes fehlerhaft verneint worden. Nach § 27 Absatz 2a zweiter Halbsatz SGB VIII setzt die Gewährung der Hilfe zur Erziehung in Fällen der Verwandtenpflege voraus, dass die Pflegeperson bereit und geeignet ist, den Hilfebedarf in Zusammenarbeit mit den Trägern der öffentlichen Jugendhilfe nach Maßgabe der §§ 36 f. SGB VIII zu decken.
Die Einschätzung der Antragsgegnerin, dass die Antragstellerin aufgrund ihrer Persönlichkeitsstruktur nicht geeignet sei, längerfristig die Erziehung von H. in kindswohlfördernder Weise, insbesondere im sozio-emotionalen Bereich, auszuüben, ist fehlerhaft. Indem es sich bei der Ablehnung allein auf die Feststellungen der Ergänzungspflegerin stützte und sich insbesondere nicht mit dem familienpsychologischen Gutachten auseinandersetzte, verletzte das Jugendamt der Antragsgegnerin allgemein gültige fachliche Maßstäbe und ließ sachfremde Erwägungen in die Prüfung der Geeignetheit einfließen.
Das Gericht schließt sich bei der Beurteilung der Eignung bezüglich der Erziehungsfähigkeit der Antragstellerin nicht den fachlichen Beurteilungen der Antragsgegnerin, sondern den Beurteilungen des fundierten familienpsychologischen Sachverständigengutachtens vom 4. Dezember 2017 an, das ausdrücklich fachliche Mängel und sachfremde Erwägungen in der Bewertung des Verhaltens der Antragstellerin durch die Ergänzungspflegerin, die Kinderkrippe und die Heilpädagogin benennt.
Im Rahmen des Gutachtens versuchte die Sachverständige herauszufinden, auf welcher Tatsachengrundlage die Erziehungsfähigkeit der Antragstellerin durch die Antragsgegnerin bezweifelt wurde, da die Aktenlage sehr dünn ist. Deutlich stellte die Gutachterin auf Grundlage eines Vergleichs der zur Verfügung stehenden Berichte und von ihr selbst eingeholten umfangreichen und zahlreichen Aussagen von wichtigen Personen im Bezugsystem des H. heraus, dass H. normales und altersadäquates Verhalten aufwies, das durch die Kinderkrippe, die Heilpädagogin und die Ergänzungspflegerin fachlich fehlerhaft umfassend pathologisiert wurde (S. 41, 48 ff des Gutachtens). Die bei H. beobachteten Verhaltensweisen seien zwar etwas auffällig und angesichts seiner Vorgeschichte zu beobachten gewesen. Eine fachlich fundierte Dokumentation seiner Verhaltensweisen habe jedoch nicht stattgefunden. Die Attribuierung und Ableitung von wegen dieser Verhaltensweisen bereits bestehenden Beeinträchtigungen in den Berichten der Ergänzungspflegerin, der Kinderkrippe und der Heilpädagogin sei in fachlich zweifelhafter Weise erfolgt. Weiter sei festzustellen, dass externe Faktoren wie belastende Umgänge, Eingewöhnung in der Krippe und häufige Erkrankungen nicht (ausreichend) beachtet worden seien (S. 41, 44, 48 ff). Die Berichte seien fachlich deshalb kaum verwertbar (S. 48 ff). Dem Gericht ergibt sich diese Schlussfolgerung der Gutachterin schon aus der nicht nachvollziehbaren Bewertung der einmaligen Beobachtung des H. vom 6. April 2017 durch die Ergänzungspflegerin (s. Gefährdungsmeldung vom 10. April 2017). In Kenntnis der Trennungsprobleme des H. von der Antragstellerin wurde nicht ansatzweise in Betracht gezogen, dass sein Verhalten wegen der Trennung von der Antragstellerin erfolgte. Die in der Gefährdungsmeldung angesprochenen angeblich stetig von der Antragstellerin durchgeführten „Double-Binds“-Situationen sind nicht aktenkundig oder im Bericht näher ausgeführt.
Der Konflikt zwischen den benannten Akteuren sowie der Antragstellerin schaukelte sich nach Sachverständigensicht wohl durch von beiden Seiten fehlender Wertschätzung und Kooperation hoch (S. 59, 71). Die Berichte der Antragsgegnerin, der Kinderkrippe und der Heilpädagogin über das Verhalten der Antragstellerin verschärften sich zu Lasten der Antragstellerin im Laufe des eskalierenden Konfliktes ohne erkennbare Grundlage und waren inkonsistent (S. 59 ff). Die Sachverständige gab in ihrem Gutachten deutlich zu erkennen, dass die Antragsgegnerin, die Kinderkrippe und die Heilpädagogin keine objektiven Berichte (mehr) verfassten, sondern sich durch den eskalierenden Konflikt selbst emotional beeinflussen ließen (S. 59 f.). Die Gutachterin gab auch implizit zu verstehen, dass die Antragsgegnerin fachlich im Rahmen der Verwandtenpflege nach ihrer (ex-post-) Betrachtung mit mehr Fingerspitzengefühl hätte vorgehen müssen (S. 57 f.). Die Erwartung der Antragsgegnerin einer stetigen emotionalen Verfügbarkeit und Ausgeglichenheit einer Pflegeperson sei unrealistisch, sodass aufgrund vereinzelter Stressreaktionen die Erziehungsfähigkeit nicht in Frage gestellt werden könnte.
Bei Lesen der aktenkundigen Berichte fiel dem Gericht weiter auf, dass der Antragstellerin Erziehungsratschläge gegeben wurden, ihr die Umsetzung derselben jedoch später als Erziehungsunfähigkeit ausgelegt wurde. Beispiel hierfür ist die Bringsituation, in der der Antragstellerin geraten wurde, diese wegen der Trennungsprobleme des H. kurz zu halten. In späteren Berichten wird die Umsetzung dieses Verhaltens der Antragstellerin zur Last gelegt und damit ihre Erziehungsfähigkeit mangels ausreichenden Eingehens auf die Bedürfnisse von H. angelastet. Weitere Beispiele hierfür finden sich während der Heimumgangsbesuche, in denen sie als zu verwöhnend und zu wenig erziehend dargestellt wird, während ihr andererseits vorgeworfen wurde, dem Kind zu harte Grenzen zu setzen und nicht ausreichend auf seine Bedürfnisse einzugehen.
Im Ergebnis erklärt das Gutachten, dass die Antragstellerin wesentlich geeignet ist, H. kindswohlfördernd zu erziehen. Bei den beobachteten Situationen sind Hinweise auf eine sichere Bindung zwischen H. und der Antragstellerin sowie ein bedürfnisorientierter und kindswohlfördernder Umgang der Antragstellerin erkennbar gewesen. Die wegen der bestehenden narzisstischen Persönlichkeitsakzentuierung sowie der wohl unbewussten Schuldgefühle wegen der Abhängigkeit des Sohnes empfohlene psychologische Gesprächsbegleitung wird von der Antragstellerin bereits durchgeführt. Eine Erziehungsberatung zur Hilfestellung bei Erziehungssituationen, in denen wegen der Persönlichkeitsakzentuierung Probleme auftreten könnten, ist weiter angeraten. Angemessene Anforderungen und eine wertschätzen Haltung der Antragstellerin vorausgesetzt, sei auch die Kooperationsbereitschaft der Antragstellerin grundsätzlich gegeben.
Die Kooperationsbereitschaft der Antragstellerin wird durch das Gericht gesehen. Nach Aktenlage nahm die Antragstellerin die vom Jugendamt vereinbarten Umgänge, Hilfeplangespräche und weitere Gespräche sowie auch zum Beispiel die Gutachtenserstellung im Kinderzentrum … zuverlässig wahr. Vor Eskalation des Konfliktes zu Beginn des Kindergartenjahres wurde der Antragstellerin auch von der Kinderkrippe eine gute Kooperation bescheinigt. Gleiches gilt für die Heimumgänge und die Äußerungen gegenüber den Gutachterinnen im familiengerichtlichen Verfahren. Das Gericht erwartet daher, dass der Wille zur Kooperation mit dem Jugendamt trotz der für die Antragstellerin unverständlichen Heimunterbringung des H. für sieben Monate grundsätzlich weiter besteht. Die Ablehnung der Teilnahme am Gesprächstermin am 7. Mai 2018 kann der Antragstellerin nicht zur Last gelegt werden. Hier wird den Gründen im Schreiben der Bevollmächtigten vom 30. April 2018 gefolgt.
Eine rein finanzielle Motivation der Antragstellerin wird entgegen der Ansicht der Antragsgegnerin nicht gesehen. Der Wortlaut des Antrags vom 22. Januar 2018 kann der Antragstellerin als Rechtsunkundiger nicht vorgehalten werden. Die Kontaktaufnahme mit dem Wohnsitzjugendamt erfolgte nach Ansicht des Gerichts gerade weil die Antragstellerin weiter Hilfe zur Erziehung und (nicht nur finanzielle) Unterstützung suchte, um die im Sachverständigengutachten gemachten Vorgaben (Erziehungsberatung) mittelfristig umzusetzen. Dass sie sich hierbei nach den Erfahrungen mit dem Jugendamt der Antragsgegnerin nicht vertrauensvoll an dieses wandte, ist nach Ansicht des Gerichts nachvollziehbar. Die grundsätzliche Kooperationsbereitschaft und -fähigkeit der Antragstellerin für eine Vollzeitpflege stellt dies nicht in Frage (s.o.).
Mit Kenntnis des familienpsychologischen Gutachtens, jedoch spätestens bei erneuter Prüfung der Geeignetheit der Antragstellerin hätte eine Aufarbeitung und Auseinandersetzung der Antragsgegnerin mit den nach Sachverständigengutachten fachlich nicht ausreichend fundierten Bewertungen durch die Ergänzungspflegerin sowie etwaiger eingeflossener sachfremder Erwägungen erfolgen und in die erneute Prüfung der Geeignetheit miteinfließen müssen. Da dies nach Aktenlage unterblieb und auch keine neuen Tatsachen vorgetragen wurden, die eine Ungeeignetheit oder eine zu erwartende, mangelnde Kooperation der Antragstellerin belegen, erfolgte die Ablehnung der Geeignetheit der Antragstellerin rechtsfehlerhaft.
Die Vollzeitpflege bei der Großmutter als nächster Bezugsperson von H. ist daher als einzig geeignete und notwendige Hilfe anzusehen.
Angesichts der belegten finanziellen Verhältnisse der Antragstellerin ist auch ein Anordnungsgrund gegeben.
Das Gericht möchte abschließend auf folgendes hinweisen:
Das Gericht sieht es wegen der durch die Gutachterinnen leicht eingeschränkt bewerteten Erziehungsfähigkeit der Antragstellerin sowie wegen des erhöhten Risikos des Auftretens etwaiger Defizite bei H. wegen dessen Vorgeschichte als sachdienlich an, wenn die Antragsgegnerin im Rahmen der Hilfe zur Erziehung weiterhin die Umsetzung der gutachterlichen angeregten Maßnahmen, die Teilnahme an Pflegeelternseminaren und regelmäßige Abklärungen der emotionalen Gesundheit von H. partnerschaftlich begleitet.
Weiter wird die Antragstellerin nochmals ausdrücklich darauf aufmerksam gemacht, dass der Anspruch auf Pflegegeld nur eine Folge des Anspruchs auf Hilfe zur Erziehung darstellt. Eine angemessene Kooperation der Antragstellerin mit dem Jugendamt bei der Hilfeplanung, Erziehungsberatung, medizinischen Untersuchungen des H. und sonstigen vom Jugendamt vorgeschlagenen Maßnahmen ist unbedingte Tatbestandsvoraussetzung für die Feststellung der weiteren Eignung als Pflegeperson. Eine Befristung der einstweiligen Anordnung bis zum 30. April 2019 erfolgte, um der Antragsgegnerin Gelegenheit zu geben, sich von der Kooperationsbereitschaft und Erziehungsfähigkeit der Antragstellerin ein Bild zu machen. Gegebenenfalls kann nach Ablauf diesen Zeitraums eine erneute einstweilige Anordnung durch die Antragstellerin beantragt werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Das Verfahren ist nach § 188 Satz 2 VwGO gerichtskostenfrei.


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