Verwaltungsrecht

Hindernisse der Einreise in das Zielland der Abschiebung

Aktenzeichen  15 ZB 21.30491

Datum:
22.4.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 10974
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 78 Abs. 3 Nr. 1, Abs. 4 S. 1, S. 4

 

Leitsatz

Der Umstand, dass der Flugverkehr in das Zielland der Abschiebung unterbrochen ist, führt nicht zur rechtswidrigkeit der Abschiebungsandrohung und ist für die Frage des Bestehens von Abschiebungsverboten nicht entscheidungserheblich. (Rn. 4 – 12) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

B 10 K 20.30412 2021-03-04 Urt VGBAYREUTH VG Bayreuth

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

Gründe

I.
Der Kläger, ein nach eigenen Angaben marokkanischer Staatsangehöriger, wendet sich gegen den Bescheid des Bundesamts für … vom 29. April 2020, mit dem u.a. sein Asylantrag als unzulässig abgelehnt wurde, festgestellt wurde, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen, und ihm die Abschiebung nach Marokko angedroht wurde. Mit Urteil vom 4. März 2021 wies das Verwaltungsgericht Bayreuth die vom Kläger erhobene Klage mit den gestellten Anträgen, ihm unter Aufhebung des Bescheids vom 29. April 2020 zu gestatten, ein Asylverfahren in der Bundesrepublik Deutschland durchzuführen, hilfsweise das Vorliegen von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG festzustellen, ab. Mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt der Kläger sein Rechtsschutzbegehren weiter.
II.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.
1. Es ist bereits fraglich, ob der Kläger die Antragsfrist des § 78 Abs. 4 Satz 1 VwGO eingehalten hat. Die Zulassung der Berufung ist nach der genannten Regelung innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils des Verwaltungsgerichts zu beantragen. Da das angegriffene Urteil vom 4. März 2021 laut Empfangsbekenntnis den Bevollmächtigten des Klägers am 8. März 2021 zugestellt wurde, lief die Monatsfrist für die Stellung des Antrags am Donnerstag, den 8. April 2021, 24:00 Uhr ab. Laut den vorliegenden Akten ging der auf den 8. April 2021 datierte Antrag am 9. April 2021 (Eingangsstempel des Gerichts) – mithin einen Tag zu spät – beim Verwaltungsgericht Bayreuth ein. Laut telefonischer Nachfrage einer Mitarbeiterin des Verwaltungsgerichtshofs ging – entgegen der Angabe in der Antragsschrift („vorab per Telefax: 0921 – 59 04 500“) – beim Verwaltungsgericht kein Antrag auf Zulassung der Berufung per Telefax ein.
2. Die Frage der fristgemäßen Einlegung des Antrags auf Zulassung der Berufung kann vorliegend dahingestellt bleiben. Der Antrag ist jedenfalls deshalb abzulehnen, weil der vom Kläger ausschließlich geltend gemachte Berufungszulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG) nicht vorliegt bzw. nicht gemäß den Anforderungen des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG substantiiert dargelegt worden ist.
Dieser Zulassungsgrund setzt voraus, dass für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts eine konkrete, jedoch fallübergreifende Rechts- oder Tatsachenfrage von Bedeutung ist, deren noch ausstehende obergerichtliche Klärung im Berufungsverfahren zu erwarten ist und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zu einer bedeutsamen Weiterentwicklung des Rechts geboten erscheint. Dementsprechend verlangt die Darlegung der rechtsgrundsätzlichen Bedeutung nach § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG, dass eine konkrete Rechts- oder Tatsachenfrage formuliert und aufgezeigt wird, weshalb die Frage im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Fortentwicklung des Rechts klärungsbedürftig und entscheidungserheblich (klärungsfähig) ist; ferner muss dargelegt werden, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung dieser Frage besteht. Zur Darlegung der Klärungsbedürftigkeit und der Entscheidungserheblichkeit muss hinreichend substantiiert dargetan werden, warum die aufgeworfene Frage im Berufungsverfahren anders als nach den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils zu entscheiden sein könnte (vgl. BayVGH, B.v. 23.9.2019 – 15 ZB 19.33299 – juris Rn. 9 m.w.N.; B.v. 2.10.2020 – 15 ZB 20.31851 – juris Rn. 3).
Der Kläger lässt die geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache im Antragsschriftsatz vom 8. April 2021 ausschließlich wie folgt begründen:
„Der Kläger hat das Recht in der Bundesrepublik Deutschland ein neues Asylverfahren durchzuführen, da sich die Lage in seinem Heimatland unabhängig von den politischen Voraussetzungen maßgeblich geändert hat, da in Marokko die Corona-Pandemie ausgebrochen ist.
Jegliche gesundheitliche Absicherung ist in Marokko nicht vorhanden.
Es ist zumindest ein Abschiebungsverbot derzeit nach Marokko festzustellen.
Wegen der Folgen der Corona-Pandemie ist derzeit der Flugverkehr nach Marokko komplett unterbrochen worden.“
Mit diesem Vorbringen ist schon keine verallgemeinerungsfähige Rechts- oder Tatsachenfrage formuliert und aufgezeigt worden, weshalb diese im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Fortentwicklung des Rechts klärungsbedürftig und entscheidungserheblich (klärungsfähig) ist. Zudem fehlt es an einer hinreichend substantiierten Darlegung, warum aufgrund der vorgebrachten Umstände eine Entscheidung im Berufungsverfahren anders ausfallen müsste als nach den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils. Das Verwaltungsgericht hat in den Entscheidungsgründen die Rechtmäßigkeit der Ablehnung des Asylantrags (als angenommener Zweitantrag) als unzulässig im Einzelnen in Anwendung von § 29 Abs. 1 Nr. 5 i.V. mit § 71a, § 26a AsylG, § 51 VwVfG begründet. Eine nähere, sich mit den einzelnen Erwägungen des Verwaltungsgerichts auseinandersetzende Ausführung, warum gerade der Ausbruch der Corona-Pandemie insofern zu einer abweichenden Entscheidung zu seinen Gunsten führen könne oder müsse, erfolgt im Schriftsatz vom 8. April 2021 nicht. Ebenso legt der Kläger nicht substantiiert dar, warum die Corona-Pandemie an der Beurteilung des (vom Verwaltungsgericht verneinten) Vorliegens von Abschiebungsverboten gem. § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG etwas ändern könnte (vgl. diesbezüglich auch BayVGH, B.v. 18.11.2020 – 9 ZB 20.31924 – juris Rn. 3 ff.). Dass das Gesundheitssystem in Marokko gänzlich aufgrund der Corona-Pandemie zusammengebrochen sei, wird ohne Rekurs auf aktuelle Erkenntnisquelle lediglich behauptet. Zudem hat das Verwaltungsgericht darauf abgestellt, dass die Beschwerden des Klägers nicht das Gewicht einer schweren Depression hätten und dass dieser keine Belege i.S. von § 60a Abs. 2c AufenthG vorgelegt, mithin die Voraussetzungen für ein krankheitsbedingtes Abschiebungsverbot nicht den gesetzlichen Anforderungen gemäß belegt habe. Auch hierzu findet sich im Antragsschriftsatz vom 8. April 2021 keine substantiierte Auseinandersetzung.
Das Vorbringen, der Flugverkehr nach Marokko sei unterbrochen, womit in der Sache auf eine momentane Unmöglichkeit der Abschiebung hingewiesen wird, hat mit der Frage des Bestehens von Abschiebungsverboten gem. § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG von vornherein nichts zu tun und ist daher nicht entscheidungserheblich: Die aktuelle Möglichkeit der Einreise in den in der Abschiebungsandrohung benannten Zielstaat ist nicht Rechtmäßigkeitsvoraussetzung der Abschiebungsandrohung. In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist geklärt, dass bei der Beendigung des Aufenthalts erfolgloser Asylbewerber das Bundesamt auf die Prüfung und Feststellung von sog. zielstaatsbezogenen Abschiebungsverboten beschränkt ist. Weiter ist geklärt, dass das Bundesamt auch in Fällen, in denen aus tatsächlichen Gründen wenig oder keine Aussicht besteht, den Ausländer in absehbarer Zeit abschieben zu können, ermächtigt und regelmäßig gehalten ist, eine „Vorratsentscheidung“ zum Vorliegen von Abschiebungsverboten in Bezug auf bestimmte Zielstaaten nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG zu treffen und diese auch in der Abschiebungsandrohung zu bezeichnen. Damit wird dem Asylsuchenden die gerichtliche Überprüfung dieser Entscheidung eröffnet und insoweit eine frühzeitige Klärung herbeigeführt. Durch diese Rechtsprechung ist grundsätzlich geklärt, dass das Bundesamt in der Abschiebungsandrohung auch einen Zielstaat bezeichnen darf, für den aus tatsächlichen Gründen wenig oder keine Aussicht besteht, den Ausländer in absehbarer Zeit abschieben zu können, wenn für ihn keine zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbote bestehen (BVerwG, B.v. 10.10.2012 – 10 B 39.12 – InfAuslR 2013, 42 = juris Rn. 4; BayVGH, B.v. 7.1.2019 – 15 ZB 18.32780 – juris Rn. 10; B.v. 29.1.2019 – 15 ZB 19.30361 – juris Rn. 11).
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG). Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).


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