Verwaltungsrecht

Humanitäres Aufenthaltsrecht eines Kindes wegen Pflegebedürftigkeit eines Elternteils (verneint)

Aktenzeichen  M 25 S 18.1470

Datum:
10.7.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 15295
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 5
AufenthG § 18, § 25 Abs. 5, Abs. 3, § 60 Abs. 7, § 84 Abs. 1 Nr. 1
BeschV § 26 Abs. 2
EMRK Art. 8 Abs. 1
GG Art. 6

 

Leitsatz

1. Zwar ist es grundsätzlich denkbar, dass sich ein Anspruch auf einen Aufenthaltstitel aus § 25 Abs. 5 AufenthG daraus ergibt, dass ein Elternteil auf den Beistand und die Pflege eines Kindes angewiesen ist. Jedoch ist ein festgestellter Pflegebedarf in einem Umfang von nur sieben Minuten täglich grundsätzlich nicht ausreichend, da dadurch nicht zu erkennen ist, dass der Elternteil auf den Beistand und die Pflege des Kindes derart angewiesen ist, dass diesem die Ausreise nicht zuzumuten wäre. (Rn. 29) (redaktioneller Leitsatz)
2. Bei Ausländern, die sich langjährig im Bundesgebiet aufhalten und in den hiesigen Lebensverhältnisse verwurzelt sind (sog. faktische Inländer), kommt zwar unter Berücksichtigung von Art. 8 EMRK ein Anspruch auf einen Aufenthaltstitel nach § 25 Abs. 5 AufenthG in Betracht. Dafür müsste aber eine erforderliche Integration in die Lebensverhältnisse der Bundesrepublik Deutschland vorliegen. (Rn. 30) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 2.500,- Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller begehrt die Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gerichteten Klage.
Der Antragsteller, geboren am 10. Januar 1993 in Deutschland, ist bosnisch-herzegowinischer Staatsangehöriger. Nach erfolgloser Durchführung eines Asylverfahrens hielt sich der Antragsteller zunächst geduldet im Bundesgebiet auf. Am 30. Dezember 2005 erhielt er erstmals eine Aufenthaltserlaubnis auf Grundlage des § 25 Abs. 5 AufenthG, weil seine Mutter, die damals ihrerseits über eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 AufenthG verfügte und der mittlerweile eine Niederlassungserlaubnis erteilt worden ist, pflegebedürftig war. Die Aufenthaltserlaubnis wurde mehrmals verlängert. Am 27. August 2015 wurde für den Antragsteller letztmals eine Aufenthaltserlaubnis auf Grundlage des § 25 Abs. 5 AufenthG ausgestellt, die bis zum 26. August 2016 befristet war. Am 11. August 2016 hat der Antragsteller bei der Antragsgegnerin letztmals die Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis beantragt. Hierüber hat die Antragsgegnerin mit dem verfahrensgegenständlichen Bescheid entschieden und dem Antragsgegner bis dahin Fiktionsbescheinigungen ausgestellt.
Der ledige Antragsteller hat mit einer bosnisch-herzegowinischen Staatsangehörigen zwei Töchter (geboren am 14. April 2015 und am 6. Mai 2016), die ihrerseits bosnisch-herzegowinische Staatsangehörige sind.
Der Antragsteller wohnte zunächst in der …straße 1 in … und meldete sich dann am 8. November 2016 bei seiner Mutter an (Adresse: „…straße 28, …“). Zum 15. September 2017 meldete er sich um (Bl. 325 d.A.; neue Adresse „… Weg 1, …“). Zum 19. März 2018 meldete er sich unter der Wohnadresse an, unter der auch seine beiden Kinder zusammen mit der Kindsmutter leben (Bl. 406 ff. d.A. „…straße 1a, …“), wobei in der Antrags-/Klageschrift vom 26. März 2018 für den Kläger weiterhin die vorherige Adresse („… Weg 1“) angegeben ist.
Für die Mutter des Antragstellers wurde im Asylverfahren ein krankheitsbedingtes Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 7 AufenthG festgestellt; mittlerweile verfügt sie über eine Niederlassungserlaubnis. Im Oktober 2014 wurde die Mutter des Antragstellers in die damalige Pflegestufe I eingestuft. Mit Schreiben ihrer Krankenkasse vom 22. August 2016 (Bl. 181 d.A.) wurde ihr mitgeteilt, dass eine Begutachtung am 17. Juni 2015 eine Verringerung des Hilfebedarfs ergeben habe und der (Grund) Pflegeaufwand im Tagesdurchschnitt null Minuten betrage. Auf ihren Widerspruch hin wurde diese Entscheidung abgeändert und mit Schreiben vom 11. November 2016 ein Hilfebedarf von täglich sieben Minuten (Pflegestufe unterhalb I) anerkannt (Bl. 222 d.A.). Mit Schreiben ihrer Pflegekasse vom 8. Dezember 2016 (Bl. 266 d.A.) wurde der Mutter des Antragstellers mitgeteilt, dass für sie aufgrund der gesetzlichen Änderungen im Bereich der Pflege künftig der Pflegegrad 2 gelte.
Der Antragsteller ging bei seinem Vater, der einen Gebrauchtwagenhandel betreibt, einer geringfügigen Beschäftigung nach, woraus er 400,- Euro/Monat erzielte. Er war außerdem seit 1. Mai 2016 bei einer Hausverwaltung für Reinigungsarbeiten beschäftigt, woraus er weitere 150,- Euro/Monat einnahm.
Mit Schreiben vom 19. Oktober 2016, nochmals persönlich übergeben am 25. Oktober 2016, wurde der Antragsteller zur Ablehnung seines Antrags auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis angehört. In der Folge fand eine umfangreiche schriftliche und (fern) mündliche Kommunikation zwischen dem Antragsteller bzw. dessen Bevollmächtigten und der Antragsgegnerin statt. Im Zentrum stand dabei die gesundheitliche Situation der Mutter des Antragstellers.
Mit Bescheid vom 9. März 2018 hat die Antragsgegnerin den Antrag des Antragstellers auf Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis vom 11. August 2016 abgelehnt (Ziff. 1). Sie hat den Antragsteller aufgefordert, das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland innerhalb von 30 Tagen nach Bekanntgabe des Bescheids zu verlassen (Ziff. 2) und drohte ihm für den Fall der Nichteinhaltung dieser Ausreisefrist die Abschiebung nach Bosnien und Herzegowina oder einen anderen Staat an, in der er einreisen dürfe oder der zu seiner Rückübernahme verpflichtet sei (Ziff. 3).
Die Antragsgegnerin begründete ihren Bescheid im Wesentlichen damit, dass ein Anspruch aus § 25 Abs. 5 AufenthG nicht (mehr) bestehe, da die Rückkehr in das Heimatland weder aus rechtlichen noch aus tatsächlichen Gründen unmöglich sei.
Der Antragsteller sei seit langem volljährig und lebe mit seiner Mutter nicht mehr in einer familiären Lebensgemeinschaft. Die Beziehung zu der Mutter seiner Kinder und den gemeinsamen Kindern selbst vermittle ebenfalls keinen Anspruch, da der von der Kindsmutter und den gemeinsamen Kindern gestellte Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis mit Bescheid vom gleichen Tag ebenfalls abgelehnt worden sei.
Auch eine etwaige Krankheit seiner Mutter führe nicht zu einer Aufenthaltserlaubnis des Antragstellers; dies insbesondere deshalb, weil die Pflegebedürftigkeit der Mutter nach aktuellem Stand nur noch in einem Umfang von 7 Minuten täglich bestehe.
Eine Aufenthaltserlaubnis nach § 18 AufenthG scheide angesichts der nur geringfügigen Beschäftigung des Antragstellers ebenfalls aus.
Mit bei Gericht am 26. März 2018 eingegangenem Schreiben seiner Bevollmächtigten hat der Antragsteller Klage erhoben (M 25 K 18.1470) und zudem beantragt,
die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.
Zur Begründung wurde mit Schreiben vom 8. Mai 2018 vorgetragen, der Antragsteller sei nicht mehr auf öffentliche Leistungen angewiesen, da er seit April 2018 einer regelmäßigen Tätigkeit nachgehe. Beigefügt war unter anderem eine Gehaltsabrechnung vom April 2018, wonach der Antragsteller im Gebrauchtwagenhandel seines Vaters tätig ist und dort 1.500,- Euro netto verdient.
Mit Schreiben vom 22. Juni 2018 wurde weiter vorgetragen, dass der Antragsteller außerdem seine Mutter pflegen müsse, die zum Teil bettlägrig sei und sowohl psychisch als auch physisch auf Hilfe angewiesen sei. Mit weiterem Schreiben vom 29. Juni 2018 wurde auf die Klage im Verfahren der Kinder des Klägers sowie deren Kindsmutter Bezug genommen.
Wegen der Einzelheiten wird auf die Gerichtssowie die vorgelegte Behördenakte Bezug genommen.
II.
1. Der Antrag ist zulässig, weil bereits die Versagung einer Aufenthaltserlaubnis den Antragsteller belastet, denn mit der Versagung des Aufenthaltstitels erlischt vorliegend die Fiktionswirkung des § 81 Abs. 4 Satz 1 AufenthG. Da die Klage gegen diese Versagung keine aufschiebende Wirkung hat (§ 84 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG), folgt aus ihr gemäß § 58 Abs. 2 Satz 2 AufenthG die vollziehbare Ausreisepflicht des Antragstellers. In Konstellationen, in denen zunächst eine Fiktionswirkung gemäß § 81 Abs. 4 AufenthG eingetreten ist, ist trotz § 123 Abs. 5 VwGO ein Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO statthaft. Der Antrag ist auch im Übrigen zulässig.
2. Der Antrag ist jedoch unbegründet.
Hat ein Rechtsmittel gegen einen Verwaltungsakt – wie hier gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO i.V.m. § 84 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG kraft Gesetzes – keine aufschiebende Wirkung, kann das Gericht der Hauptsache nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO auf Antrag die aufschiebende Wirkung anordnen, wenn das Interesse des Antragstellers an einer Anordnung der aufschiebenden Wirkung überwiegt. Das Gericht trifft dabei eine Ermessensentscheidung, wobei es zwischen dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung des Bescheids und dem privaten Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfs abzuwägen hat. Im Rahmen dieser Interessenabwägung sind auch die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens zu berücksichtigen, die ein wichtiges, wenn auch nicht alleiniges Indiz für bzw. gegen die Begründetheit des einstweiligen Rechtsschutzbegehrens sind. Ergibt die im Eilverfahren allein mögliche summarische Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache, dass der Rechtsbehelf offensichtlich erfolglos sein wird, tritt das private Interesse des Antragstellers regelmäßig zurück. Erweist sich der angegriffene Bescheid hingegen schon bei kursorischer Prüfung als offensichtlich rechtswidrig, besteht kein öffentliches Interesse an dessen sofortiger Vollziehung. Ist der Ausgang des Hauptsacheverfahrens nicht hinreichend absehbar, so verbleibt es bei der Abwägung der für und gegen den Sofortvollzug sprechenden öffentlichen bzw. privaten Interessen.
Nach diesen Maßgaben ist der Eilantrag abzulehnen, weil die Antragsgegnerin die Erteilung eines Aufenthaltstitels an den Antragsteller wohl zu Recht abgelehnt hat. Die in der Hauptsache auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gerichtete Klage wird deshalb nach der im Eilverfahren allein möglichen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung voraussichtlich keinen Erfolg haben. Das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des Bescheids überwiegt mithin das private Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfs.
In Betracht kommen für den Antragsteller Ansprüche auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG oder nach § 18 AufenthG, deren Voraussetzungen der Antragsteller jedoch nicht erfüllt.
a. Der Antragsteller hat voraussichtlich keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG. Danach kann einem Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn seine Ausreise aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unmöglich ist.
Die Unmöglichkeit der Ausreise aus tatsächlichen Gründen liegt ersichtlich nicht vor, insbesondere sind Probleme auf den möglichen Reisewegen weder vorgetragen noch erkennbar.
Dem Antragsteller ist es auch aus rechtlichen Gründen nicht unmöglich auszureisen.
Eine Ausreise ist i.S. von § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG aus rechtlichen Gründen unmöglich, wenn ihr rechtliche Hindernisse entgegenstehen, welche die Ausreise ausschließen (wie etwa das Fehlen erforderlicher Einreisepapiere oder sonstige Einreiseverbote in den Herkunftsstaat) oder als unzumutbar erscheinen lassen. Derartige Hindernisse können sich sowohl aus inlandsbezogenen Abschiebungsverboten ergeben, zu denen u.a. auch diejenigen Verbote zählen, die aus Verfassungsrecht (etwa mit Blick auf Art. 6 Abs. 1 GG) oder aus Völkervertragsrecht (etwa aus Art. 8 EMRK) in Bezug auf das Inland herzuleiten sind. Bei Bestehen solcher Abschiebungsverbote hat nach dem Gesetzeskonzept die zwangsweise Rückführung des betroffenen Ausländers zu unterbleiben. Dann aber ist ihm in aller Regel auch eine freiwillige Rückkehr in sein Heimatland aus denselben rechtlichen Gründen nicht zuzumuten und damit unmöglich i.S. des § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG (BVerwGE 126, 192 ff.).
Für das Vorliegen von Einreisehindernissen in den Heimatstaat des Antragstellers ist weder etwas vorgetragen noch erkennbar.
Es bestehen voraussichtlich auch keine Abschiebungshindernisse, die dem Antragsteller einen Anspruch nach § 25 Abs. 5 AufenthG vermitteln könnten.
Soweit es die Eltern-Kind-Beziehung zwischen dem Antragsteller und seiner Mutter selbst betrifft, ist ihm die Ausreise zumutbar. Der Antragsteller ist seit langem volljährig und kann daher auf ein von seiner Mutter eigenständiges Leben verwiesen werden.
Soweit der Kläger vorträgt, dass er sich um seine pflegebedürftige Mutter kümmere und sie pflege, folgt daraus ebenfalls kein Anspruch auf einen Aufenthaltstitel nach § 25 Abs. 5 AufenthG. Zwar ist es grundsätzlich denkbar, dass sich ein Anspruch aus § 25 Abs. 5 AufenthG daraus ergibt, dass ein Elternteil auf den Beistand und die Pflege eines Kindes angewiesen ist. Hiervon dürfte aber nach den dem Gericht vorliegenden Unterlagen nicht auszugehen sein. Für die Mutter des Antragstellers wurde zuletzt mit Schreiben vom 11. November 2016 ein Pflegeaufwand von sieben Minuten täglich festgestellt. Mit Schreiben vom 8. Dezember 2016 erfolgte die durch eine Gesetzesänderung veranlasste Umstellung auf Pflegegrad 2, ohne dass in diesem Zusammenhang offenbar ein höherer Pflegeaufwand festgestellt worden wäre. Es ist sonach schon angesichts des festgestellten Pflegebedarfs in einem Umfang von nur sieben Minuten täglich nicht zu erkennen, dass die Mutter des Antragstellers auf den Beistand und die Pflege ihres Sohnes derart angewiesen ist, dass ihm die Ausreise nicht zuzumuten wäre. Zudem lebt der Antragsteller nicht mehr bei seiner Mutter, sondern ist dort bereits im September 2017 ausgezogen. Im Übrigen liegt es nahe, dass der Ehemann der Mutter des Klägers im Bedarfsfall die Pflege seiner Frau sicherstellt.
Ein inländisches Abschiebungsverbot mit der Folge eines Anspruchs nach § 25 Abs. 5 AufenthG ergibt sich auch nicht daraus, dass der Kläger in Deutschland geboren ist und seit mehr als 25 Jahren hier lebt. Zwar kommt bei Ausländern, die sich langjährig im Bundesgebiet aufhalten und in die hiesigen Lebensverhältnisse verwurzelt sind (sog. faktische Inländer) unter Berücksichtigung von Art. 8 EMRK ein Anspruch nach § 25 Abs. 5 AufenthG in Betracht (hierzu Bergmann/Röcker, in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 12. Aufl. § 25 AufenthG, Rn. 111 ff. mwN aus der Rspr. des EGMR). Der Antragsteller dürfte aber nicht als sog. faktischer Inländer anzusehen sein, da eine dafür erforderliche Integration in die Lebensverhältnisse der Bundesrepublik Deutschland bei ihm wohl nicht vorliegt. So kann beim Antragsteller nicht die Rede davon sein, dass er sich hinsichtlich seines Erwerbsleben integriert hätte. Ob und gegebenenfalls über welchen Schulabschluss der Antragsteller verfügt und ob er über eine abgeschlossene Berufsausbildung verfügt, ist weder vorgetragen, noch aus den Behördenakten zu ersehen. Aus diesen ist lediglich nachvollziehbar, dass der Antragsteller im Jahr 2008 die 9. Klasse einer Schule mit verstärkter Berufsorientierung in … besucht hat. Der Antragsteller geht nach eigenem Vortrag erst seit April 2018 einer Vollzeittätigkeit im Gebrauchtwagenhandel seines Vaters nach, wobei insoweit für das Gericht Zweifel bestehen, auf die noch einzugehen sein wird. Davor hat er lediglich Aushilfstätigkeiten auf Basis einer geringfügigen Beschäftigung ausgeübt oder Sozialleistungen bezogen. Der Antragsteller hatte zudem bisher lediglich Aufenthaltserlaubnisse nach § 25 Abs. 5 AufenthG wegen der – damals noch bestehenden – Pflegebedürftigkeit seiner Mutter. Ein eigenständiges, d.h. nicht von seiner Mutter abgeleitetes Aufenthaltsrecht, hatte der Antragsteller zu keinem Zeitpunkt seit seiner Geburt. Der Antragsteller ist daher wohl kein sog. faktischer Inländer mit der Folge, dass die Behörde im Rahmen der Entscheidung nach § 25 Abs. 5 AufenthG dem besonderen Schutz durch Art. 8 EMRK nicht Rechnung tragen musste.
Auch aus der Beziehung zu seiner Freundin und den aus dieser Beziehung hervorgegangenen beiden minderjährigen Töchtern folgt – auch unter Berücksichtigung von Art. 6 GG und Art. 8 Abs. 1 EMRK – kein Anspruch auf einen Titel nach § 25 Abs. 5 AufenthG. Art. 6 GG und Art. 8 Abs. 1 EMRK vermitteln schon per se keinen Anspruch auf Einreise oder Aufenthalt, sondern verpflichten bei aufenthaltsrechtlichen Entscheidungen lediglich zu einer dem Gewicht dieser Rechte entsprechenden Berücksichtigung.
Der Antragsteller, seine Freundin und ihre gemeinsamen Kinder haben jeweils (allein) die bosnisch-herzegowinische Staatsangehörigkeit. Der Antrag der Mutter der beiden minderjährigen Kinder auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis wurde laut dem angegriffenen Bescheid ebenfalls abgelehnt. Die von Art. 6 GG und Art. 8 Abs. 1 EMRK geschützte Beziehung zwischen Eltern und ihren Kindern führt grundsätzlich dazu, dass die Kinder in der familiären Gemeinschaft, die auch der Antragsteller mit seiner Familie lebt, das aufenthaltsrechtliche Schicksal ihrer Eltern teilen (Bergmann/Röcker, in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 12. Aufl. § 25 AufenthG, Rn. 117 mwN aus der Rspr. des BVerwG). Es ist daher nicht zu befürchten, dass die familiäre Gemeinschaft zwischen dem Kläger, seiner Freundin und den gemeinsamen Kindern getrennt wird, sondern es ist dem Kläger zuzumuten, zusammen mit seiner Familie in das Land ihrer gemeinsamen Staatsangehörigkeit auszureisen.
b. Der Antragsteller hat voraussichtlich auch keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 18 AufenthG. Insofern bestehen schon Zweifel, ob für den Antragsteller tatsächlich eine entsprechende Beschäftigungsmöglichkeit besteht. Zwar wurde von der Antragstellerseite eine Gehaltsabrechnung für den April 2018 vorgelegt. Danach erzielt der Antragsteller aus einer Beschäftigung bei seinem Vater ein Einkommen von 1.500,- Euro netto. Der hierzu in den Behördenakten befindliche Arbeitsvertrag begründet jedoch zumindest Zweifel an dieser Beschäftigung. Im Arbeitsvertrag ist in § 1 kein Beginn des Arbeitsverhältnisses bestimmt. Es wurde zudem, was höchst ungewöhnlich ist, ausdrücklich eine Nettovergütung i.H.v. 1.500,- Euro vereinbart (§ 4), wobei in § 5 keine Regelung zur regelmäßigen Wochenarbeitszeit getroffen wurde. Unabhängig von diesen Auffälligkeiten müsste der Antragsteller aber jedenfalls vor Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 18 AufenthG ausreisen, um das erforderliche Visumsverfahren durchzuführen (§ 26 Abs. 2 Satz 2 BeschV).
Die Klage des Antragstellers auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis wird sonach voraussichtlich keinen Erfolg haben. Da ein trotz voraussichtlich erfolgloser Klage bestehendes Interesse an der Anordnung der aufschiebenden Wirkung nicht erkennbar ist, überwiegt das öffentliche Interesse am Vollzug.
Der Antrag war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen. Die Festsetzung des Streitwerts folgt aus §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 2 GKG i.V.m. Nrn. 8.1 und 1.5 Streitwertkatalog.


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