Verwaltungsrecht

Immissionsschutzrechtliche Genehmigung für Windkraftanlagen

Aktenzeichen  22 ZB 16.9

Datum:
20.4.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2016, 45504
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BauGB § 35 I Nr. 5, II, III Nr. 3
BayBO Art. 82 I

 

Leitsatz

1. Die Genehmigungsbehörde ist weder berechtigt noch verpflichtet, mit der Entscheidung über einen Genehmigungsantrag solange zuzuwarten, bis eine für den Antragsteller weniger günstige Rechtslage (hier: sog. 10-H-Regelung) in Kraft tritt. (redaktioneller Leitsatz)
2. Wertminderungen an einem Grundstück als Folge der einem Dritten erteilten immissionsschutzrechtlichen Genehmigung sind für sich genommen nicht unzumutbar im Sinn des Rücksichtnahmegebots. (redaktioneller Leitsatz)
3. Einer ohne Auseinandersetzung mit den Gegenargumenten gleichsam “ins Blaue hinein” aufrechterhaltenen Behauptung braucht das Gericht nicht nachzugehen. (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

RO 7 K 14.2093 2015-10-12 Urt VGREGENSBURG VG Regensburg

Tenor

I.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II.
Die Kläger tragen die Kosten des Zulassungsverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen als Gesamtschuldner.
III.
Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 15.000 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Die Kläger wenden sich als Eigentümer eines Anwesens in der Ortschaft B. gegen die immissionsschutzrechtliche Genehmigung zur Errichtung und zum Betrieb von fünf Windkraftanlagen auf einem bewaldeten Höhenrücken („G.“) in der Gemarkung P. Diese Genehmigung wurde vom Landratsamt S. unter dem Datum des 14. November 2014 erteilt und laut den bei den Behördenakten befindlichen Empfangsbekenntnissen der Beigeladenen am 17. sowie den Klägern am 19. November 2014 zugestellt. Das klägerische Wohnanwesen ist ca. 1300 m von der nächstgelegenen Windkraftanlage entfernt. Die Kläger erhoben Drittanfechtungsklage zum Bayerischen Verwaltungsgericht Regensburg, die erfolglos blieb (Urteil vom 12.10.2015). Die Kläger haben die Zulassung der Berufung beantragt.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen.
II.
Beiladung: Die Veräußerung der strittigen Genehmigung nach Rechtshängigkeit hat auf den Prozess keinen Einfluss (§ 173 VwGO, § 265 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 ZPO). Die Beigeladene möchte den Prozess fortführen. Eine – nicht beantragte – zusätzliche Beiladung der Erwerberin ist nicht erforderlich (§ 173 VwGO, § 325 Abs. 1 ZPO).
Die Anträge auf Zulassung der Berufung bleiben ohne Erfolg. Die insoweit maßgeblichen Darlegungen der Kläger, auf die sich die Prüfung durch den Verwaltungsgerichtshof beschränkt (§ 124a Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 VwGO), lassen den Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO (ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils) und den Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO (Verfahrensmängel) nicht hervortreten. Zu den ebenfalls angesprochenen Zulassungsgründen des § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO (grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache) und des § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO (besondere tatsächliche und rechtliche Schwierigkeiten der Rechtssache) liegen keine spezifischen Darlegungen vor.
A. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils bestehen, wenn gegen die Richtigkeit des Urteils gewichtige Gesichtspunkte sprechen. Davon ist immer dann auszugehen, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird und wenn sich nicht ohne nähere Prüfung die Frage beantworten lässt, ob die Entscheidung möglicherweise im Ergebnis aus einem anderen Grund richtig ist (Kopp/Schenke, VwGO, 21. Aufl. 2015, § 124 Rn. 7 m. w. N.). Der Rechtsmittelführer muss konkret darlegen, warum die angegriffene Entscheidung aus seiner Sicht im Ergebnis falsch ist. Dazu muss er sich mit den entscheidungstragenden Annahmen des Verwaltungsgerichts konkret auseinandersetzen und im Einzelnen dartun, in welcher Hinsicht und aus welchen Gründen diese Annahmen ernstlichen Zweifeln begegnen (BVerfG, B. v. 8.12.2009 – 2 BvR 758/07 – NVwZ 2010, 634/641; Happ in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 124a Rn. 62 f.). Gemessen an diesen Voraussetzungen ergeben sich aus dem Vortrag der Kläger keine ernstlichen Zweifel.
1) Standortbezogene Vorprüfung des Einzelfalls:
Die Kläger halten die standortbezogene Vorprüfung des Einzelfalls deshalb für fehlerhaft, weil die ablehnenden Stellungnahmen des Landesamts für Denkmalpflege zum strittigen Vorhaben nicht berücksichtigt worden seien. Dies ergibt sich aus ihrem Vorbringen jedoch nicht.
Das Verwaltungsgericht hat dazu sinngemäß ausgeführt, dass das Landratsamt bei seiner verfahrenslenkenden Entscheidung und der dabei vorzunehmenden überschlägigen Vorausschau unter Berücksichtigung des ihm insofern zuzubilligenden Einschätzungsspielraums die Einholung von Stellungnahmen des Landesamts für Denkmalpflege nicht für erforderlich zu halten brauchte. Die Antragsunterlagen Nr. 14.1 im Rahmen des landschaftspflegerischen Begleitplans und die formblattmäßige Bewertung durch die Untere Denkmalschutzbehörde vom 6. Mai 2014 hätten ausgereicht.
Die Kläger verweisen insofern auf Stellungnahmen des Landesamts für Denkmalpflege vom 14. Mai, 27. Mai, 8. September, 13. Oktober und 3. November 2014, die entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts von vornherein und ohne Anfertigung vertiefender Unterlagen ablehnend gewesen seien. Die Kläger gehen aber nicht darauf ein, dass nach der Beurteilung des Verwaltungsgerichts die verfahrenslenkende Entscheidung des Landratsamts vor diesen Stellungnahmen des Landesamts für Denkmalpflege stattgefunden hat, dass die verfahrenslenkende Entscheidung auf die Nr. 14.1 der Antragsunterlagen und auf eine Stellungnahme der Unteren Denkmalschutzbehörde gestützt war und dass diese Stellungnahme nach der Beurteilung des Verwaltungsgerichts im Hinblick auf die großen Abstände zwischen den strittigen Windkraftanlagen und den eventuell beeinträchtigten Baudenkmälern plausibel erschien. Die Kläger haben insofern den hier entscheidungstragenden Annahmen des Verwaltungsgerichts keine schlüssigen Gegenargumente entgegengehalten.
2). Schädliche Lärmimmissionen zur Nachtzeit:
Die Kläger befürchten, durch den Betrieb der strittigen Windkraftanlagen schädlichen Lärmeinwirkungen zur Nachtzeit ausgesetzt zu werden. Dies ergibt sich aus ihrem Vorbringen jedoch nicht.
Das Verwaltungsgericht hat ausgeführt, dass dem Anwesen der Kläger wegen dessen Randlage nicht die volle Schutzwürdigkeit eines allgemeinen Wohngebiets zukomme; es sei allenfalls ein Wert zwischen 40 dB(A) und 45 dB(A) anzusetzen. Dies kann so verstanden werden, dass das Verwaltungsgericht einen sog. Mittelwert von mindestens 42 dB(A) für zutreffend hält. Hiergegen wenden sich die Kläger nicht.
Das Verwaltungsgericht hat ferner festgestellt, dass nach den Festsetzungen des angefochtenen Bescheids der Gesamtbeurteilungspegel der vom Betrieb der strittigen Windkraftanlagen ausgehenden Geräusche nachts am Immissionsort H… 37 dB(A) nicht überschreiten dürfe. Dadurch – so das Verwaltungsgericht – werde auch das Anwesen der Kläger ausreichend geschützt, da dieses von der nächstgelegenen Windkraftanlage 3 noch weiter entfernt sei. Hiergegen wenden sich die Kläger ebenfalls nicht.
Das Verwaltungsgericht ist, ausgehend von der Differenz zwischen einem Wert zwischen 40 dB(A) und 45 dB(A) und dem vom Büro I… prognostizierten Wert von 35,4 dB(A), zu der Beurteilung gelangt, es sei noch so viel „Luft“ nach oben gegeben, dass sogar eine Verdoppelung der Schallquellen möglich wäre, ohne auch nur den Immissionswert von 40 dB(A) zu erreichen. Die Kläger halten dies für unzutreffend, ohne dies näher zu begründen. Nachvollziehbar ist dieses Bestreiten indes nicht. Zu den technischen Grundlagen der TA Lärm gehört, dass die Verdoppelung der Schallenergie, d. h. eine 100%ige Zunahme der Schallquellen, eine Pegelerhöhung von 3 dB(A) bewirkt (vgl. nur Tegeder, TA Lärm 1998: technische Grundlagen der Lärmbewertung, UPR 2000, 99/100). Die Kläger müssten aufzeigen können, dass sich die von ihnen benannten Defizite der Immissionsprognose des Büros I… in der Summe so auswirken würden, dass ein Immissionswert von mehr als 42 dB(A) erreicht wird. Dies ist ihnen nicht gelungen; auf die Einwände der Impulshaltigkeit und der tieffrequenten Geräusche ist insofern noch gesondert einzugehen.
Abgesehen davon hat das Verwaltungsgericht, gestützt auf die fachlichen Stellungnahmen des Umweltingenieurs des Landratsamts vom 20. Januar, 21. Januar und vom 29. April 2015, die Einwendungen der Kläger in der Klagebegründung gegen das Gutachten des Büros I… einschließlich des Einwands der Kessellage am Fuß des „G.“ als unbegründet angesehen. Dagegen haben die Kläger im Zulassungsverfahren nichts Durchgreifendes vorgetragen.
Das Verwaltungsgericht durfte die fachlichen Stellungnahmen des Umweltingenieurs im Wege des Urkundsbeweises verwerten. Dies heißt nicht, dass damit die Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens in keinem Fall mehr nötig werden könnte, dies allerdings nur bei offen erkennbaren inhaltlichen Defiziten dieser Stellungnahme. In Betracht kommen: entscheidungserhebliche unzutreffende Tatsachenannahmen, unlösbare Widersprüche, sich aus den Stellungnahmen ergebende Zweifel an der Sachkunde oder der Unparteilichkeit des Umweltingenieurs, Erforderlichkeit eines speziellen, bei letzterem nicht vorhandenen Fachwissens (vgl. dazu näher BVerwG, U. v. 22.10.2015 -7 C 15/13 – NVwZ 2016, 308/312 Rn. 47 m. w. N.). Dazu enthält der Zulassungsantrag nichts. Erkennbar ist, dass die Kläger die Stellungnahmen des Umweltingenieurs im Ergebnis für unzutreffend halten; dies ist jedoch kein Grund, eine Verpflichtung des Verwaltungsgerichts anzunehmen, zusätzlich zu den vorliegenden gutachterlichen Stellungnahmen weitere Gutachten einzuholen oder in sonstige Ermittlungen einzutreten (BVerwG a. a. O.).
3) Schutz vor impulshaltigen Geräuschen:
Die Kläger machen geltend, bei der Ermittlung der zu erwartenden Lärmimmissionen seien impulshaltige Geräusche zu wenig berücksichtigt worden. Das Verwaltungsgericht hat dazu u. a. ausgeführt, selbst bei Unterstellung solcher Geräusche wären diese durch die Genehmigung nicht gedeckt, die Genehmigung könne daher die Kläger insofern nicht in ihren Rechten verletzen. Hiergegen haben die Kläger keine substantiierten Einwendungen erhoben.
4) Schutz vor Infraschall bzw. tieffrequenten Geräuschen zwischen 20 und 90 Hz:
Die Kläger machen unzureichenden Schutz vor Infraschall bzw. tieffrequenten Geräuschen geltend. Das Verwaltungsgericht bezieht sich insofern entscheidend auf Nr. 7.3 Abs. 1 Satz 1 TA Lärm und auf den letzten Absatz von Nr. A.1.5 des Anhangs zur TA Lärm. Dort heißt es: „Hinweise zur Ermittlung und Bewertung tieffrequenter Geräusche enthält DIN 45680, Ausgabe März 1997 und das zugehörige Beiblatt 1. Danach sind schädliche Umwelteinwirkungen nicht zu erwarten, wenn die im Beiblatt 1 genannten Anhaltswerte nicht überschritten werden“. Das Verwaltungsgericht bezieht sich weiter auf Nr. 8.2.8 des sog. Bayerischen Windkrafterlasses vom 20. Dezember 2011. Die beiden letzten Sätze dieser Nummer lauten: „Bereits ab einem Abstand von 250 m von einer Windkraftanlage sind im Allgemeinen keine erheblichen Belästigungen durch Infraschall mehr zu erwarten. In diesen Fällen ist keine weitere Prüfung von Infraschall mehr geboten“. Dass diese Abstände bei Weitem eingehalten sind, ist unstrittig. Mit diesen Aussagen haben sich die Kläger nicht auseinandergesetzt. Hierbei handelt es sich nicht lediglich um Parteivortrag, sondern um für Behörden und Gerichte grundsätzlich verbindliche normkonkretisierende Verwaltungsvorschriften (TA Lärm, vgl. z. B. BVerwG, U. v. 29.8.2007 – 4 C 2.07 -BVerwGE 129, 209 Rn. 12) sowie um antizipierte Sachverständigengutachten (einschlägige Passage des Bayerischen Windkrafterlasses, vgl. dazu auch BayVGH, U. v. 18.6.2014 – 22 B 13.1358 – Rn. 45). Die Kläger vermögen die Überzeugungskraft dieser Unterlagen nicht dadurch zu erschüttern, dass sie auf neue Studien über die Wirkungsweise von tieffrequentem Schall auf den menschlichen Organismus (Stimulation des Innenohrs) verweisen; auf mögliche Gesundheitsbeeinträchtigungen gehen die Kläger insofern nämlich nicht ein.
5) Schutz vor Schattenwurf:
Die Kläger rügen unzureichenden Schutz vor Schattenwurf. Das Verwaltungsgericht hat insofern auf die Schutzauflagen des angefochtenen Bescheids verwiesen (Nrn. 6.2.1 bis 6.2.3). Die Kläger haben nicht einmal ansatzweise dargelegt, weshalb diese Schutzauflagen nicht für ausreichenden Schutz sorgen sollten. Sollte sich die pauschale Bezugnahme der Kläger auf den bisherigen schriftsätzlichen Vortrag hierauf beziehen, so wäre dies nicht ausreichend, um die spätere Argumentation des Verwaltungsgerichts im angefochtenen Urteil in Frage zu stellen.
6) Schutz einer kommunalen öffentlichen Einrichtung (Trinkwasserversorgung der Gemeinde G.):
Die Kläger rügen, dass die kommunale öffentliche Einrichtung der Trinkwasserversorgung nicht ausreichend vor den Folgen des Betriebs der strittigen Windkraftanlagen geschützt sei. Aus ihren Darlegungen ergibt sich jedoch nicht, dass sie selbst diesbezüglich neben der Gemeinde G. in ihren subjektiven Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO) verletzt sein könnten. Sie weisen vielmehr selbst darauf hin, dass die Kläger von der Gemeinde G. die Versorgung mit einwandfreiem Trinkwasser verlangen können. Dass sie sich für einen Schutz der Wasserressourcen der Gemeinde G. einsetzen wollen, begründet für sie selbst keine subjektiven Rechte.
7) Verstoß gegen artenschutzrechtliche Verbote des § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG:
Die Kläger machen geltend, dass das artenschutzrechtliche Tötungsverbot im Hinblick auf den Rotmilan durch den Betrieb der strittigen Windkraftanlagen verletzt würde. Das Verwaltungsgericht hat diesbezüglich u. a. ausgeführt, dass mit diesem Vortrag keine Verletzung der Kläger in eigenen Rechten geltend gemacht werde. Dagegen haben sich die Kläger in der Begründung ihres Zulassungsantrags nicht gewandt. Auf ihre Kritik an den fachlichen Aussagen des Verwaltungsgerichts und der diesbezüglichen Gewährung von rechtlichem Gehör kommt es insofern nicht an.
8) Verstoß gegen die sog. 10-H-Regelung:
Die Kläger fordern zusätzlichen Schutz nach Maßgabe der sog. 10-H-Regelung.
Zunächst ist bei dieser Regelung klarzustellen, dass Art. 82 Abs. 1 BayBO n. F. lediglich die Privilegierung nach § 35 Abs. 1 Nr. 5 BauGB entfallen lässt, aber die Genehmigungsfähigkeit von Windkraftanlagen gemäß § 35 Abs. 2, Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 BauGB (schädliche Umwelteinwirkungen, Gebot der Rücksichtnahme auch im Hinblick auf optisch bedrängende Wirkungen) unberührt lässt.
Das Verwaltungsgericht hat dazu im Übrigen ausgeführt, dass der angefochtene Genehmigungsbescheid vom 14. November 2014 vor dem Inkrafttreten der sog. 10-H-Regelung am 21. November 2014 (vgl. § 3 des Gesetzes zur Änderung der Bayerischen Bauordnung u. a. vom 17.11.2014, GVBl S. 178) erlassen worden ist und sich diese insoweit keine Rückwirkung beilegt. Für die Entscheidung über Anfechtungsklagen von Nachbarn wegen einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Erteilung der Genehmigung maßgeblich (BVerwG, B. v. 11.1.1991 – 7 B 102/90 – NVwZ-RR 1991, 236; BayVGH, U. v. 25.6.2013 – 22 B 11.701 – BayVBl 2014, 502/505 Rn. 47; BayVGH, B. v. 24.3.2015 – 22 ZB 15.113 – Rn. 36). Dies ist hier der Zeitpunkt der Zustellung des Genehmigungsbescheids (am 17. November 2014 an die Beigeladene und am 19. November 2014 an die Kläger). Die Neuregelung ist aber nach § 3 des Gesetzes vom 17. November 2014 erst am 21. November 2014 in Kraft getreten.
Art. 82 BayBO n. F. ist hier auch nicht mittelbar von Bedeutung. Schränkt der Landesgesetzgeber nämlich die kraft Bundesrechts (§ 35 Abs. 1 Nr. 5 BauGB) grundsätzlich bestehende Befugnis, Windkraftanlagen im Außenbereich zu errichten, gemäß § 249 Abs. 3 BauGB ein, bestimmt er jedoch gleichzeitig, dass diese Einschränkung erst ab einem bestimmten Zeitpunkt Platz greifen soll, so ist es dem Rechtsanwender verwehrt, diese ausdrückliche Entscheidung des parlamentarischen Gesetzgebers dadurch zu unterlaufen, dass er die einschränkende Regelung im Rahmen der Konkretisierung des Gebots der Rücksichtnahme auch auf Vorhaben anwendet, die nach dem Willen des Gesetzgebers dieser Restriktion nicht unterfallen sollen (BayVGH, B. v. 27.3.2015 – 22 CS 15.481 – Rn. 27; BayVGH B. v. 23.4.2015 – 22 CS 15.484 -Rn. 4; BayVGH, B. v. 19.8.2015 – 22 ZB 15.457 -Rn. 12). Dass das Landratsamt weder berechtigt noch verpflichtet war, mit der Entscheidung über den Genehmigungsantrag der Beigeladenen solange zuzuwarten, bis eine der Beigeladenen weniger günstige Rechtslage in Kraft trat, ergibt sich aus Art. 10 Abs. 1 Satz 2 BayVwVfG im Allgemeinen und § 10 Abs. 6a BImSchG im Besonderen. Das Landratsamt ist gehalten, immissionsschutzrechtliche Genehmigungsverfahren zügig und beschleunigt abzuschließen. Dass dies möglich war, wird nicht durch den Einwand widerlegt, im späteren Gerichtsverfahren seien weitere fachliche Stellungnahmen vorgelegt worden; es handelt sich hierbei um eine zur Rechtsverteidigung vor Gericht übliche Vorgehensweise. Nach der Begründung des angefochtenen Urteils gilt dies auch für den Artenschutz. Damit setzen sich die Kläger nicht auseinander.
9) Kumulatives Zusammenwirken einzelner Immissionen:
Die Kläger machen geltend, dass die Umwelteinwirkungen der strittigen Windkraftanlagen in ihrer Gesamtheit bei einer Gesamtschau für die Kläger unzumutbar und rücksichtslos seien. Dieser Vortrag führt nicht zum Erfolg des Zulassungsantrags. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs und nach dem rechtswissenschaftlichen Schrifttum ist davon auszugehen, dass sich das Erfordernis, die Gesamtbelastung eines Schutzguts durch Immissionen zu berücksichtigen, grundsätzlich auf die einzelnen Immissionsarten beschränkt (vgl. BayVGH, B. v. 13.10.2015 – 22 ZB 15.1186 -Rn. 960 m. w. N.). Dass aufgrund der Schutzpflicht, die der öffentlichen Gewalt in Bezug auf die Grundrechte obliegt, hier etwas anderes gelten könnte, lässt sich den Darlegungen der Kläger nicht entnehmen.
10) Wertminderung des klägerischen Anwesens:
Die Kläger machen Wertminderungen ihres Anwesens von bis zu 40% für den Fall der Errichtung und des Betriebs der strittigen Windkraftanlagen geltend. Mit diesem Vortrag können die Kläger die Zulassung der Berufung nicht erreichen. Es ist anerkannt, dass Wertminderungen als Folge der Ausnutzung der einem Dritten erteilten immissionsschutzrechtlichen Genehmigung nicht für sich genommen im Sinne des Rücksichtnahmegebots unzumutbar sind. Vielmehr kommt ein Abwehranspruch nur dann in Betracht, wenn die Wertminderung die Folge einer den Betroffenen nach Maßgabe des Rücksichtnahmegebots unzumutbaren Beeinträchtigung der Nutzungsmöglichkeiten ihres Anwesens ist. Ansonsten betreffen die Chancen und Risiken einer Veränderung des Verkehrswerts eines Anwesens allein die Sphäre des betroffenen Eigentümers (BayVGH, B. v. 6.11.2011 – 22 ZB 11.1585 – Rn. 16 ff. m. w. N.). Eine Wertminderung hat dann auch keinerlei Indizwirkung für eine Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme. Hier ergeben sich aus den klägerischen Darlegungen keine unzumutbaren Beeinträchtigungen der Nutzungsmöglichkeiten des klägerischen Anwesens.
B. Die Darlegungen der Kläger lassen den Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO nicht hervortreten.
1) Die Kläger machen geltend, der Antrag auf gerichtlichen Augenschein zur Feststellung der rücksichtslosen optisch bedrängenden Wirkung im Hinblick auf das Anwesen der Kläger sei zu Unrecht abgelehnt worden. Dies ergibt sich aus dem klägerischen Vorbringen jedoch nicht.
Das Verwaltungsgericht hat den entsprechenden Beweisantrag der Kläger mit der Begründung abgelehnt, es könne sich bereits aufgrund der vorliegenden Pläne, insbesondere Höhenpläne, Panoramapläne, der Ausführungen des Prof. Nohl in seinem Gutachten und vieler Fotos eine eigene Meinung bilden. Aus dem Vorbringen der Kläger ergibt sich nicht, dass diese Erwägungen im Prozessrecht keine Stütze fänden. Es trifft vielmehr zu, dass nicht immer die unmittelbare Gewinnung eines Eindrucks vor Ort erforderlich ist, sondern auch andere Erkenntnisquellen ausreichen können (vgl. z. B. BVerwG, U. v. 30.5.1997 – 8 C 6/95 – NVwZ 1998, 290/291 m. w. N.). Die Kläger verweisen zwar insofern auf die erhöhte Lage der Windkraftanlagen und die Anzahl von insgesamt fünf Windkraftanlagen. Beide Umstände können den vorliegenden Lage- und Höhenplänen aber in vollem Umfang entnommen werden; warum die Richter der ersten Instanz dazu nicht in der Lage gewesen sein sollten, tragen die Kläger nicht vor. Es ist auch nichts dafür dargelegt, dass die ehrenamtlichen Richter nicht im Stande gewesen wären, Pläne zu lesen oder Erläuterungen zu diesen Plänen zu verstehen. Das Verwaltungsgericht ist jedenfalls in den Entscheidungsgründen auf die erhöhte Lage der strittigen Windkraftanlagen und ihre Situierung eingegangen und hat dazu Erwägungen angestellt, mit denen sich die Kläger nicht substantiiert auseinandergesetzt haben. Der diesbezüglichen weiteren Behauptung der Kläger, gerade sie würden durch den Anblick der Windkraftanlagen medizinisch und gesundheitlich erheblich beeinträchtigt, brauchte schon deshalb nicht weiter nachgegangen zu werden, weil es hier auf einen objektiven Nachteil ankommt und nicht auf individuelle besondere Empfindlichkeiten der Kläger.
2) Die Kläger machen geltend, der Antrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens zum Beweis der Tatsache, dass für die klägerischen Anwesen mit einer Wertminderung von ca. 40% für den Fall des Baus der strittigen Windkraftanlagen zu rechnen sei, sei zu Unrecht abgelehnt worden. Dies ergibt sich aus dem klägerischen Vorbringen jedoch nicht.
Das Verwaltungsgericht hat den Beweisantrag u. a. mit der Begründung abgelehnt, die unter Beweis gestellte Tatsache sei nicht entscheidungserheblich, weil das Eigentum situationsgebunden und mit baurechtlich privilegierten Anlagen im Außenbereich zu rechnen sei. In diesem Rahmen – so ist das angefochtene Urteil zu verstehen – seien Wertminderungen hinzunehmen, ohne dass ihnen eine irgendwie geartete Indizwirkung für eine Verletzung des Rücksichtnahmegebots zukomme. Dies ist nicht zu beanstanden. Beweisanträge dürfen – wie hier – mangels Entscheidungserheblichkeit der Beweistatsache abgelehnt werden. Dass die Kläger diese Rechtsauffassung nicht teilen, ist hier ohne Bedeutung, weil es insofern auf den materiell-rechtlichen Standpunkt des Verwaltungsgerichts ankommt, selbst wenn dieser falsch sein sollte (vgl. BVerwG, U. v. 14.1.1998 – 11 C 11.96 – BVerwGE 106, 115/119).
3) Die Kläger machen geltend, der Antrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens zum Thema Infraschall sei zu Unrecht abgelehnt worden. Das Verwaltungsgericht hat den Beweisantrag u. a. mit der Begründung abgelehnt, es könne nicht Aufgabe einer gerichtlichen Beweisaufnahme sein, die zur Herbeiführung eines neuen Erkenntnisstands notwendige fachliche Diskussion zu ersetzen. Jedenfalls hiergegen haben die Kläger keine Einwände erhoben und nicht dargelegt, inwieweit dieser Aspekt im Prozessrecht keine Stütze finden sollte. Auch hier würde gelten, dass es auf individuelle besondere Empfindlichkeiten der Kläger nicht ankommt.
4) Die Kläger machen geltend, der Antrag auf Einholung eines gerichtlichen Schallgutachtens sei zu Unrecht abgelehnt worden.
Das Verwaltungsgericht hat den Beweisantrag u. a. mit der Begründung abgelehnt, dass nicht dargetan sei, dass eventuelle Ungereimtheiten (in der Lärmprognose des Büros I…) solche Auswirkungen haben könnten, dass der große Spielraum bis zur Zumutbarkeitsgrenze nach der TA Lärm nicht ausreichen würde. Es hat sich zudem auf die Stellungnahmen des Umweltingenieurs des Landratsamts bezogen. Dazu hat es ergänzend im angefochtenen Urteil darauf hingewiesen, dass der Umweltingenieur des Landratsamts Einwendungen der Kläger in detaillierter und nachvollziehbarer Weise widerlegt habe. Die Kläger hätten die Ausführungen des Umweltingenieurs nicht substantiiert in Frage gestellt. Damit hat das Verwaltungsgericht in der Sache darauf abgestellt, dass der in der mündlichen Verhandlung gestellte Beweisantrag der Kläger unsubstantiert sei.
Dieser Gesichtspunkt rechtfertigt es grundsätzlich, von weiterer Sachverhaltsaufklärung abzusehen. Wenn die Gegenseite dem Klägervortrag mit einer plausiblen Erklärung entgegengetreten ist, darf diese nicht einfach ignoriert werden. Die Kläger müssen sich damit auseinandersetzen und greifbare Anhaltspunkte benennen, die für ihren Tatsachenvortrag oder gegen die Erklärungen der Gegenseite sprechen. Einer ohne Auseinandersetzung mit den Gegenargumenten gleichsam „ins Blaue hinein“ aufrechterhaltenen Behauptung braucht das Gericht nicht nachzugehen (BVerwG, B. v. 22.11.2013 – 7 B 16.13 – Rn. 5 f.).
Die Kläger zeigen nicht auf, dass dieser Ablehnungsgrund hier nicht trägt. Soweit sie sich auf ihre Ausführungen der Klagebegründung beziehen, betreffen diese nicht die zeitlich später ergangenen Ausführungen des Umweltingenieurs des Landratsamts.
Kosten: § 154 Abs. 2, § 159 Satz 2, § 162 Abs. 3 VwGO.
Streitwert: § 47 Abs. 3, § 52 Abs. 1 GKG.


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